Revision der Wasserwirtschaftsartikel (BRG 11388)

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In einem Vorentwurf für einen neuen Wasserwirtschaftsartikel der Bundesverfassung wurde der Wasserkreislauf als Ganzes betrachtet. Eine Studienkommission unter dem Vorsitz von alt Ständerat Rohner (fdp, SG) sah vor, die Bundeskompetenzen auf dem Gebiete der Wasserwirtschaft zu erweitern und die Gesetzgebung über die Gewässer einheitlicher zu gestalten. Über den Ausgang des Vernehmlassungsverfahrens, das im Juni eröffnet worden war, wurde bis zum Ende des Jahres nichts bekannt.

Die Vorarbeiten für neue Bundesverfassungsartikel über Bewirtschaftung und Erhaltung des Wassers führten zu einem Antrag des Bundesrates ans Parlament. Der Entwurf fasste die bisherigen Artikel 24 bis (Nutzbarmachung der Wasserkräfte) und 24 quater (Schutz vor Verunreinigung) zusammen und erweiterte sie, wobei eine elektrizitätswirtschaftliche Bestimmung des geltenden Artikels 24 bis als neuer Artikel 24 quater ausgeschieden wurde. Der Bund dehnt danach seine Gesetzgebungsbefugnis auf neue Gebiete aus (hydrologische Erhebungen, Planung, Erhaltung der Wasservorkommen, Sicherstellung der Versorgung, Kühlwasserentnahme, Bewässerung und Entwässerung sowie sonstige Eingriffe in den Wasserkreislauf) und behält sich allgemein die Möglichkeit des Vollzugs durch eigene Organe vor. Damit folgte der Entwurf einer zentralistischen Tendenz, ohne sich aber über föderalistische Einwände, die namentlich von wasserreichen Kantonen geäussert wurden, völlig hinwegzusetzen.

Die Revision der Verfassungsgrundlage für die Bewirtschaftung und Erhaltung des Wassers erfuhr im Nationalrat Korrekturen in föderalistischem Sinne. Ein von den Sozialdemokraten, dem Landesring und einem Teil des Freisinns unterstützter Antrag, dem Bund eine umfassende Wasserrechtsbefugnis zu erteilen, drang nicht durch; die Ratsmehrheit unterstützte die vom Bundesrat empfohlene Beibehaltung einer abschliessenden Aufzählung der Bundeskompetenzen. Aufgrund von Vorschlägen aus Gebirgskantonen wurde darüber hinaus dem Bund das Recht verweigert, für seine eigenen Aufgaben – insbesondere für die Bedürfnisse der SBB – Wassernutzungen ohne volle Entschädigung in Anspruch zu nehmen, und ausdrücklich festgestellt, dass den Entwicklungsmöglichkeiten der Herkunftsgebiete des Wassers Rechnung zu tragen sei. Ausserdem räumte der Nationalrat der Trinkwassernutzung den Vorrang ein. Die Ausscheidung einer bisherigen elektrizitätswirtschaftlichen Bestimmung des Artikels 24bis als neuer Artikel 24quater lehnte er ab und beauftragte den Bundesrat in einer Motion, einen eigentlichen Energiewirtschaftsartikel auszuarbeiten.

Bei der Revision der verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Bewirtschaftung und den Schutz des Wassers entfernte sich der Ständerat noch weiter vom Regierungsentwurf als der Nationalrat. Dabei kamen nicht nur föderalistische Gesichtspunkte, sondern auch wirtschaftliche Interessen zur Geltung. So ordnete die Kleine Kammer die Erhaltung des Wassers der «zweckmässigen Nutzung» desselben unter und legte besonderes Gewicht auf die «Einheit der Wasserwirtschaft»; einen Vorrang der Trinkwasserversorgung lehnte sie ab. Für einen Teil der im Entwurf genannten Aufgaben erkannte sie dem Bund – nach dem Beispiel der bisherigen Fassung des Artikels 24 bis – nur eine Befugnis zur Grundsatz-, nicht zur Detailgesetzgebung zu; auch verstärkte sie das Mitspracherecht der Kantone bei internationalen und interkantonalen Regelungen. Die energiewirtschaftlichen Bestimmungen des bisherigen Artikels 24 bis schied sie ähnlich wie der Bundesrat als neuen Artikel 24 quater aus und schob eine Stellungnahme zur Motion des Nationalrats, welche die Ausarbeitung eines umfassenden Energiewirtschaftsartikels forderte, noch auf. Die Differenzenbereinigung kam bis zum Jahresende nicht zum Abschluss. Die Volkskammer gab in den meisten Punkten nach, doch beharrte sie darauf, dass die Sorge um die Erhaltung des Wassers dem Nutzungsinteresse gegenüber nicht hintangestellt werde.

Die klare Annahme der neuen Wasserwirtschaftsartikel 24 bis und 24 quater in der Volksabstimmung vom 7. Dezember beendete die rund zehnjährigen Bemühungen um die Revision der verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Bewirtschaftung und den Schutz des Wassers. Die parlamentarische Beratung kam, von einer weiteren Öffentlichkeit kaum beachtet, erst im Juni zum Abschluss. Das Seilziehen führte schliesslich zu einem recht umfangreichen Verfassungstext, in welchem der strittigste Punkt, die Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen, durch Kompromisse geregelt wurde. Der Bereich für die Grundsätze wie für die gesetzlichen Bestimmungen, die der Bund «zur haushälterischen Nutzung und zum Schutz der Wasservorkommen sowie zur Abwehr schädigender Einwirkungen des Wassers» aufstellen darf, wurden, um einer Machtausweitung des Bundes Grenzen zu setzen, abschliessend aufgezählt. Gesetzgebungskompetenzen werden dabei dem Bund unter anderem in den Fragen des Gewässerschutzes, der Sicherung von Restwassermengen, der Wasserbaupolizei und der Eingriffe zur Beeinflussung der Niederschläge eingeräumt. Lediglich Grundsätze aufstellen darf der Bund beispielsweise über «die Erhaltung und Erschliessung der Wasservorkommen, insbesondere für die Versorgung mit Trinkwasser». Die Verfügung über die Wasservorkommen und die Erhebung von Abgaben für die Wassernutzung stehen den Kantonen zu. Der neue Artikel 24 quater, der später einen eigentlichen Energiewirtschaftsartikel bilden soll, gibt dem Bund wie bisher die Befugnis, über die Fortleitung und die Abgabe der elektrischen Energie zu legiferieren. Die nunmehr praktisch unbestrittenen Verfassungsartikel wurden schliesslich mit 858'720 Ja gegen 249'043 Nein angenommen. Von den Ständen lehnte lediglich das Wallis, wo die CVP die Nein-Parole ausgegeben hatte, die Vorlage ab.


Abstimmung vom 07. Dezember 1975

Beteiligung: 30.9%
Ja: 858'720 (77.5%) / Stände: 18 6/2
Nein: 249'043 (22.5%) / Stände: 1

Parolen:
– Ja: FDP, CVP (2*), SP, SVP, LPS, LdU, EVP, PdA, POCH, SD, REP, SGV, SBV, SGB, TravS
– Nein: keine
– Stimmfreigabe: keine
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen