Volksinitiative „Für die Ausschaffung krimineller Ausländer“

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Ende Juni beschlossen die Delegierten der SVP mit grossem Mehr, eine Volksinitiative „für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)“ zu lancieren. Demnach sollen bestimmte Straftaten zwingend zur Ausweisung und zu einem 5- bis 15-jährigen Einreiseverbot führen. Dazu gehören vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung, Menschenhandel, Drogenhandel, Raub und Einbrüche sowie der (nicht näher definierte) missbräuchliche Bezug von Sozialhilfe oder von Leistungen der Sozialversicherungen. Auf den aufenthaltsrechtlichen Status wäre nicht zu achten. Diese letzte Bestimmung stellt die Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit des Begehrens. Insbesondere darf aufgrund des Freizügigkeitsabkommens EU-Bürgern das Aufenthaltsrecht nur entzogen werden, wenn die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet sind. Zudem gibt es das international geltende Verbot der Rückschiebung in einen Verfolgerstaat (Non-refoulement-Prinzip). Exponenten der SVP erklärten zwar, in diesen Fällen käme die Initiative nicht oder nicht vollumfänglich zur Geltung, andererseits polemisierten sie – bis hin zu Bundesrat Blocher – immer wieder gegen das „so genannte Völkerrecht“, welches ihrer Meinung nach die Volkssouveränität ausheble.

Dossier: Initiative sur le renvoi – votation et mise en oeuvre

Die beiden UNO-Sonderberichterstatter für Rassismus resp. für die Rechte der Migrantinnen und Migranten äusserten sich in einem Schreiben an den Bundesrat besorgt über die Kampagne der SVP zur Ausschaffungsinitiative und zu den dabei verwendeten Plakaten. In seiner Antwort hielt der Bundesrat fest, dass die freie Meinungsäusserung in einer demokratischen Gesellschaft, insbesondere im Rahmen politischer Debatten zu schützen sei. Er brachte seinen festen Willen zum Ausdruck, in der Schweiz keinerlei Form des Rassismus zu dulden, wies jedoch darauf hin, dass in einem Rechtsstaat die Beurteilung der Frage, ob öffentliche Verlautbarungen unter die Antirassismus-Strafnorm fallen, grundsätzlich Sache der Justiz und nicht der politischen Behörden sei. (Zu den Bestrebungen zur Abschaffung oder Einschränkung der Antirassismus-Strafnorm siehe hier).

Dossier: Initiative sur le renvoi – votation et mise en oeuvre

Im Februar reichte die SVP ihre Volksinitiative „für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ mit über 200'000 Unterschriften ein. Diese verlangt, dass bei einer Reihe von mehr oder weniger schweren Delikten, aber auch bei missbräuchlichem Bezug von Sozialleistungen, Ausländer ungeachtet der Art ihrer Aufenthaltsbewilligung und der Dauer ihrer Landesanwesenheit zusätzlich zur Strafe aus der Schweiz ausgewiesen werden. Die FDP reagierte darauf, indem ihre Nationalratsfraktion eine parlamentarische Initiative einreichte, welche zwar auch den Verlust des Aufenthaltsrechts für straffällige Ausländer verlangt, aber nur bei Verurteilungen wegen schwerer, detailiert aufgezählter Delikte.

Dossier: Initiative sur le renvoi – votation et mise en oeuvre

Die 2008 behandelten SVP-Vorstösse (siehe hier und hier) entsprachen weitgehend den Forderungen, welche die Partei mit ihrer Volksinitiative „Für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ („Ausschaffungsinitiative“) stellt. Sie verlangt darin, dass Ausländerinnen und Ausländer, unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden sind oder missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben. Mitte Februar wurde sie mit 210'919 Unterschriften eingereicht. Bei der Präsentation sagte SVP-Präsident Maurer (ZH), die Bevölkerung habe genug von der erschreckenden Jugend- und Ausländerkriminalität. Die bestehenden Gesetze reichten aber für ein härteres Vorgehen gegen straffällige Ausländer nicht aus; deswegen brauche es die Möglichkeit eines richterlichen Landesverweises. Nach Auffassung mehrerer Staatsrechtler müsste die Volksinitiative für ungültig erklärt werden, da sie mit ihrer absoluten Formulierung gegen zwingendes Völkerrecht und Garantien der Bundesverfassung verstosse.

Der Bundesrat sprach sich dagegen aus, die Initiative für ungültig zu erklären, da sie seines Erachtens nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst. Eine Annahme der Initiative würde jedoch zu erheblichen Kollisionen mit dem nicht zwingenden Völkerrecht sowie mit der Bundesverfassung führen. Die Volksinitiative soll dem Parlament daher zur Ablehnung empfohlen werden. Ihr soll aber ein indirekter Gegenvorschlag durch eine Anpassung des Ausländergesetzes gegenübergestellt werden. Dieser soll insbesondere zu einer Vereinheitlichung der Praxis der Landesverweisung zwischen den Kantonen führen und die Widerrufsgründe für ausländerrechtliche Bewilligungen präzisieren.

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Der Bundesrat legte im Berichtsjahr einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative der SVP „für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ vor. Mit dem Entwurf zur Änderung des Ausländergesetzes wird das Ermessen der Behörden beim Widerruf ausländerrechtlicher Bewilligungen bei schweren Straftaten oder erheblichem Betrug der Sozialhilfe eingeschränkt. Ausländer, die zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt werden oder ein Delikt begangen haben, das mit einer Mindeststrafe von einem Jahr sanktioniert wird, müssten die Schweiz grundsätzlich verlassen. Anders als bei der Volksinitiative wäre aber bei jeder Wegweisung der besonderen Lage der betroffenen Person und insbesondere dem „Non-Refoulement-Prinzip“ Rechnung zu tragen. Ausserdem soll für Ausländer die dem Personenfreizügigkeitsabkommen unterstehen, eine Ausnahme gelten: Ihnen dürfte das Aufenthaltsrecht nur entzogen werden, wenn eine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung bestünde. Der Bundesrat will die Gesetzesrevision gleichzeitig nutzen, um die Bestimmungen zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) zu verschärfen. Eine C-Bewilligung soll gemäss der Vorlage nur noch erteilt werden, wenn die betreffende Person integriert ist, die Regeln respektiert, die schweizerischen Werte anerkennt und eine Landessprache beherrscht. 

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Dieser indirekte Gegenvorschlag wurde einzig von der CVP begrüsst. Die FDP hätte eine klarere Definition der Ausschaffungsgründe gewünscht und die SVP kritisierte die zahlreichen Ausnahmemöglichkeiten und Kann-Formulierungen des Entwurfs. Der SP wiederum waren die geplanten Bestimmungen zu restriktiv. Sie bemängelte ausserdem die zweite Änderung, mit der die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung an eine gute Integration geknüpft werden soll. Wie auch die Grünen und der Evangelische Kirchenbund befürchtet sie, dass das Kriterium der Landessprache zu viel Gewicht erhielte, wodurch Menschen aus bildungsfernen Kreisen benachteiligt würden. 

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Der Bundesrat empfahl die im Vorjahr eingereichte Ausschaffungsinitiative der SVP zur Ablehnung. Er schlug aber vor, ihr mit der Teilrevision des Ausländergesetzes einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber zu stellen. Dieser sieht vor, dass bei der Erteilung einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung an einen Ausländer dessen Integration berücksichtigt wird. Zudem sollen die Gründe für den Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen präzisiert werden um eine einheitlichere und konsequentere Praxis zu erreichen. Der Ständerat beschloss auf Antrag seiner Staatspolitischen Kommission, das Geschäft nicht bereits in der Wintersession zu behandeln, sondern an die Kommission zurückzugeben mit dem Auftrag, die Gültigkeit der Volksinitiative und die Opportunität eines direkten Gegenvorschlags abzuklären.

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In der Wintersession beschloss der Ständerat mit 30 zu 6 Stimmen, die Parlamentsdebatte über die Volksinitiative zu verschieben. Er folgte dabei dem Antrag seiner Staatspolitischen Kommission, welche die Gültigkeit des Volksbegehrens erneut überprüfen und allenfalls einen direkten Gegenvorschlag ausarbeiten will. Im November hatte die Kommission noch dafür plädiert, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und sie dem Volk ohne direkten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten. Der Kommissionspräsident, Hansheiri Inderkum (cvp, UR), begründete diesen Sinneswandel damit, dass sich die Ausgangslage seit Annahme der Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“ verändert habe, unter anderem werde seither diskutiert, wie mit Initiativen umgegangen werden solle, deren Umsetzung mit Verfassungs- oder Menschenrechten kollidiere.

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Das Parlament befasste sich im Berichtsjahr erneut mit der Volksinitiative der SVP „für die Ausschaffung krimineller Ausländer“. Diese verlangt, dass Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt worden sind oder missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder Sozialhilfe bezogen haben, alle Aufenthaltsansprüche verlieren und aus der Schweiz ausgewiesen werden. Im Dezember 2009 hatte der Ständerat die Vorlage an seine Staatspolitische Kommission zurückgewiesen, damit sich diese erneut mit der Frage der Gültigkeit sowie eines direkten Gegenvorschlags auseinandersetzten konnte. In der Frühjahrssession erklärte der Rat die Volksinitiative nach einer intensiven Debatte für gültig und hiess einen von seiner vorberatenden Kommission ausgearbeiteten Gegenentwurf unverändert gut. Dieser verlangt eine Ausschaffung nur bei schweren Delikten, allerdings nicht nur bei Verstössen im Bereich der Sozialversicherungen und der Sozialhilfe, sondern auch bei schweren Wirtschaftsdelikten. Ausserdem wird die Beachtung der Grundrechte und der Verfassung explizit vorgeschrieben und der Entwurf enthält eine Bestimmung zur Integrationsförderung.

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Auch der Nationalrat sprach sich in der Sommersession nach einer über fünfstündigen Diskussion mit einer Mehrheit von 97 zu 84 dafür aus, den direkten Gegenvorschlag zur Volksinitiative zu unterstützen. Dies vor allem, weil die Sozialdemokraten dem Gegenentwurf mehrheitlich zustimmten und damit das für sie kleinere Übel wählten. „Wir haben die Auswahl zwischen Pest und Cholera“, sagte Maria Roth-Bernasconi (sp, GE). Konsequent gegen die beiden Vorlagen votierten die Grünen. Mit dem vom Nationalrat verabschiedeten Gegenvorschlag wurde grosses Gewicht auf die Integration gelegt. Zudem wollte er dem Bund erlauben, den Kantonen Vorschriften zur Integrationsförderung zu machen.

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Das Geschäft ging wieder zurück an den Ständerat. Dieser hiess einen Antrag von Jean-René Fournier (cvp, VS) gut, mit dem die Bestimmung gestrichen wurde, die dem Bund eine periodische Kontrolle über die Integrationsfortschritte der Kantone erlaubt hätte. Der Integrationsartikel war im Vorfeld der Beratungen im Ständerat von den Kantonen heftig kritisiert worden, weil sie eine Bevormundung durch den Bund befürchteten.

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Im Nationalrat setzte sich mit 101 zu 65 Stimmen und 16 Enthaltungen ein Kompromissantrag von Kurt Fluri (fdp, SO) durch. Mit diesem sollte dem Bund die Kompetenz eingeräumt werden, den Stand der Integration in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden zu überprüfen und im Bedarfsfall nach Anhörung der Kantone die notwendigen Vorschriften zu erlassen. Der Ständerat schloss sich dem Nationalrat an und übernahm den Integrationsartikel in dieser Form. Damit war der Gegenvorschlag bereinigt, in der Schlussabstimmung wurde er vom Ständerat mit 35 zu 6 und vom Nationalrat nur knapp mit 93 zu 88 Stimmen bei 6 Enthaltungen angenommen.

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Gut drei Monate später, am 4. Oktober eröffneten der Bundesrat und die SVP zeitgleich den Abstimmungskampf. Dieser wurde mit harten Bandagen geführt: Die SVP bewarb ihre Initiative gleich mit zwei Kampagnen. Einerseits pries sie mit den bereits bei früheren Abstimmungen verwendeten Plakaten mit vier weissen Schäfchen, die ein schwarzes Schaf aus der Schweiz werfen, ein Ja zur Initiative an. Anderseits warb sie zusammen mit der EDU und der LEGA gegen den direkten Gegenvorschlag des Parlaments. Das einprägsame Plakatsujet: ein unrasierter Ausländer im weissen Unterleibchen und mit silberner Kette um den Hals, die Augen mit einem schwarzen Balken abgedeckt unterlegt mit dem Text „Ivan S., Vergewaltiger – bald Schweizer?“.

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Für den Gegenvorschlag setzten sich der Bundesrat sowie FDP, CVP, BDP und GLP ein. Die Landesregierung und die Mitteparteien waren der Ansicht, der Gegenvorschlag nehme die Hauptanliegen der Initiative für eine einheitlichere und konsequentere Praxis bei der Wegweisung von straffälligen Ausländern auf und biete zusätzlich den Vorteil, dass bei der Umsetzung Konflikte mit der Verfassung und dem Völkerrecht vermieden werden. Allerdings standen für diese Kampagne nur bescheidene Mittel zur Verfügung; die Wirtschaftsverbände wollten keine finanziellen Beiträge leisten, weil sie die Ausschaffung krimineller Ausländer nicht als wirtschaftspolitisch relevante Frage erachteten.

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Für ein zweifaches Nein setzte sich auch ein linksgrünes Komitee ein, welches die beiden Vorlagen als unnötig sowie als nicht mit der Rechtsgleichheit vereinbar erachtete. Nicht in diesem Komitee vertreten war die SP. An ihrem Parteitag Ende Oktober hatte sie zwar ebenfalls zu beiden Vorlagen die Nein-Parole beschlossen, allerdings herrschte in der SP Uneinigkeit, wie man die Initiative am besten bekämpfen solle. Zehn Kantonalparteien (AG, AR, BE, BL, BS, NW, SH, SO, SZ, TG) wichen von der Parolenfassung der Mutterpartei ab und beschlossen zur Bekämpfung der Initiative ein Ja zum Gegenvorschlag. Der Zürcher SP-Nationalrat Daniel Jositsch gründete zusammen mit einer Minderheit aus SP-Parlamentariern ein Nein-Ja-Komitee.

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Mitte Oktober publizierte die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen einen Grundlagenbericht zu den ausländerrechtlichen Folgen der Straffälligkeit. Laut dieser Untersuchung ist die Zahl der weggewiesenen Ausländer infolge Straffälligkeit stark angestiegen. Während im Jahr 2007 350 bis 450 Ausländer weggewiesen wurden, erhöhte sich die Zahl 2008 auf 615 und 2009 auf mindestens 750 Personen. Dies entsprach beinahe der vom Bundesamt für Migration genannten Zahl von 800 bei Annahme des Gegenvorschlags. Die Kommission sah sich durch diese Zahlen in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die bestehenden Gesetzesbestimmungen ausreichten, um kriminelle Ausländer wegweisen zu können. Sie lehnte sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ab.

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Die EU-Kommission mischte sich zwar nicht direkt in den Abstimmungskampf der Schweiz ein, sie stellte aber klar, dass die EU eine automatische Ausschaffung, wie sie die Initiative fordert, nicht akzeptieren würde. Ausweisungen von EU-Bürgern dürften aufgrund der bilateralen Verträge auch in der Schweiz nur dann erfolgen, wenn die Behörden in aufwendigen Einzelfallprüfungen zeigen könnten, dass die Straftäter eine ernste Bedrohung für die Sicherheit im Gastland darstellten. Zum gleichen Schluss kam auch ein von der FDP in Auftrag gegebenes Gutachten von Tobias Jaag, Professor für Europarecht an der Universität Zürich.

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In der Volksabstimmung vom 28. November konnte die SVP einen Sieg feiern: 52,9% der Stimmbürger und 17,5 der 23 Stände sprachen sich für die Ausschaffungsinitiative aus. Der Gegenvorschlag hatte mit einem Nein-Stimmenanteil von 54,2% keine Chance; sämtliche Kantone lehnten ihn ab. Zum ersten Mal wurde damit eine Initiative im Bereich der Ausländerpolitik angenommen. Wie üblich in Ausländerfragen unterschieden sich die Abstimmungsergebnisse zwischen der Deutsch- und der Westschweiz deutlich: Mit Ausnahme des Kantons Wallis lehnten alle Westschweizer Kantone das Volksbegehren ab, in der Deutschschweiz sagte nur Basel-Stadt nein. Markanter als der „Röstigraben“ waren allerdings die Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Regionen. So hat beispielsweise der Kanton Zürich die Ausschaffungsinitiative mit 50,8% angenommen, in der Stadt wurde sie hingegen mit 64,5% Nein-Stimmen abgelehnt. Der Kanton Bern hat ebenfalls Ja gesagt (53,7%), die Stadt hingegen lehnte mit 55,6% Nein-Stimmen ab. Während im Kanton Sankt Gallen das Volksbegehren mit knapp 60% befürwortet wurde, stimmten in der Stadt bloss 50,7% Ja. Die EU und einzelne Mitgliedstaaten tadelten die Schweiz für das Abstimmungsresultat. Sie gaben ihr zu verstehen, dass sie damit ihren Aussenseiterstatus zementiere und ihre Glaubwürdigkeit als verlässlicher Vertragspartner in Frage stelle. Kritik gab es auch vom Europarat und vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), die den neuen Verfassungstext für völkerrechtswidrig halten, da bei automatischen Ausschaffungen kein Schutz vor Folter und Verfolgung gewährleistet sei.


Abstimmung vom 28. November 2010

Beteiligung: 52,6%
Volksinitiative:
Ja: 1'398'360 (52,9%) / 15 5/2 Stände
Nein: 1'243'325 (47,1%) / 5 1/2 Stände
Gegenentwurf:
Ja: 1'189'186 (45,8%) / 0 Stände
Nein: 1'407'743 (54,2%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
Volksinitiative:
Ja: SVP, SD, EDU, Auto-Partei, Lega.
Nein: FDP, CVP, SP, EVP, CSP, PdA, GP, GLP, BDP; SGB, TravS.
Gegenentwurf:
Ja: FDP, CVP, EVP, GLP, BDP.
Nein: SP (10)*, SVP, CSP, PdA, GP, SD, EDU, Auto-Partei, Lega; SGB (1)*, TravS.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Stichfrage:
für die Volksinitiative: SVP, SD, EDU, Auto-Partei, Lega.
für den Gegenentwurf: FDP, CVP, SP, EVP, PdA, GLP, BDP; SGB, TravS.

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Die Vox-Analyse der Abstimmung zeigte, dass der Erfolg der Ausschaffungsinitiative einerseits darauf zurückzuführen ist, dass die SVP-Anhänger konsequent für das Anliegen stimmten; 98% von ihnen legten ein Ja in die Urne. Anderseits fand das Begehren aber auch in bürgerlichen Kreisen Unterstützung. 51% der FDP- und 37% der CVP-Wähler nahmen die Vorlage an. Von den Sympathisantinnen und Sympathisanten der SP stimmten hingegen 88% gegen die Initiative. Beim Gegenvorschlag legten rund zwei Drittel der Wähler von FDP und CVP ein Ja in die Urne. Bei der SP-Anhängerschaft sprach sich rund die Hälfte für den Gegenvorschlag aus. Konsequent abgelehnt wurde dieser von den Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP (94% Nein-Stimmen). Ein entscheidender Grund für die Zustimmung zur Initiative war für viele das Sicherheitsbedürfnis. Im Ja-Lager überwog die Ansicht, die Kriminalität in der Schweiz sei im Wesentlichen ein Ausländerproblem, und damit verbunden war der Wunsch nach einer konsequenteren Ausschaffung straffälliger Ausländer. Das wurde stärker gewichtet als die Zweifel; 52% der Ja-Stimmenden waren nämlich der Meinung, die Initiative lasse sich so gar nicht umsetzen.

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Das Parlament beschloss, auf den durch die 2010 erfolgte Annahme der Volksinitiative „Für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ hinfällig gewordenen indirekten Gegenvorschlag nicht einzutreten. Der von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des ehemaligen Direktors des Bundesamtes für Justiz, Heinrich Koller, verfasste Schlussbericht zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative wurde dem Bundesrat im Juni mit vier Varianten präsentiert. In der Arbeitsgruppe zeigten sich fundamentale inhaltliche Differenzen zwischen der SVP, welche auf einer wortwörtlichen Umsetzung der Initiative beharrte, und den Vertretern von Bund und Kantonen. Die Konflikte bezogen sich in erster Linie auf die Frage nach der Gewichtung des Völkerrechts gegenüber dem durch die Annahme der Initiative ausgedrückten Volkswillen. Die erste, von der SVP favorisierte Variante beinhaltet einen automatischen Landesverweis für Ausländer nach einer Verurteilung aufgrund eines im Verfassungstext genannten Delikts. Die weiteren drei Varianten sehen – je nach Strafmass und Delikt – verschiedene Ausnahmen von einer Ausschaffung vor, was dem vom Volk in der Abstimmung abgelehnten Gegenentwurf inhaltlich näher kommt. Die SVP befürchtete – noch bevor überhaupt ein Entscheid des Bundesrats anstand – dass die Ausschaffungsinitiative durch Bund und Parlament verwässert werden könnte. Sie kündigte deshalb an, mit einer neuen Volksinitiative den Wunschtext in der Verfassung verankern zu wollen. Im September nahm der Bundesrat den Bericht der Arbeitsgruppe zur Kenntnis. Die Varianten zur Umsetzung dieses Verfassungstextes sollen bis Mitte 2012 in die Vernehmlassung gegeben werden.

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