Bereits vor dem Ende der Beratungen im Parlament hatten die wichtigsten Flüchtlingsorganisationen angekündigt, sie würden diese Verschärfung des Asylrechts mit zwei Referenden bekämpfen. Umgehend schloss sich ihnen der SP-Parteivorstand an, worauf auch der SGB nicht abseits stehen mochte. Allerdings war die Zustimmung bei SP und Gewerkschaft nicht unbestritten: Während die Romands klar für das Referendum waren, zeigten sich die Deutschschweizer zurückhaltender. Sie zweifelten weniger am Zustandekommen des Referendums als vielmehr am Rückhalt der Bevölkerung in der nachfolgenden Volksabstimmung; zudem hegten sie die Befürchtung, ein emotional aufgeheizter Abstimmungskampf könnte die Stimmung in der Flüchtlingspolitik weiter polarisieren und damit den Weg für noch härtere Abwehrmassnahmen frei machen. Unterstützung fanden die Referenden auch beim Vorstand des Evangelischen Kirchenbundes der Schweiz, der damit erstmals in seiner Geschichte ein Referendum aktiv mittrug. Die beiden Referenden kamen – mit überproportionaler Unterstützung in der Romandie und im Tessin – zustande, jenes gegen die Asylgesetzrevision mit 60 963, jenes gegen den Dringlichen Bundesbeschluss mit 66 952 Unterschriften.

Dossier: Totalrevision Asygesetz 94-98

Im Vorjahr hatte das Parlament sowohl das totalrevidierte Asylgesetz verabschiedet als auch Teile davon durch einen dringlichen Bundesbeschluss bereits auf den 1. Juli 1998 in Kraft gesetzt. Gegen beide Vorlagen war noch vor Ende Jahr vor allem von Flüchtlingshilfswerken erfolgreich das Referendum ergriffen worden. Die Opposition richtete sich in erster Linie gegen den dringlichen Bundesbeschluss mit seinen verschärften Massnahmen gegenüber den „Papierlosen“ und den „Illegalen“. Gegen das Gesetz als solches war – da es die „Missbrauchsbestimmungen“ ebenfalls enthält – zwar ebenfalls das Referendum ergriffen worden, doch war dabei dessen Errungenschaft, die Einführung eines Status für Gewaltflüchtlinge zu deren vorläufiger Aufnahme gewürdigt und deshalb von den Flüchtlingsorganisationen Stimmfreigabe beschlossen worden.

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Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes in den Verordnungen führte aber wieder zu einem Umdenken. Besonders ins Gewicht fielen für die Hilfswerke die in der Praxis vorgesehenen Verschärfungen des Asylrechts, welche über die Missbrauchsmassnahmen hinausgehen. Bisher war es so, dass sich die bei der Befragung eines Asylbewerbers anwesenden Vertreter eines Hilfswerks vorher mit dem Dossier des Betroffenen vertraut machen konnten. Neu ist eine vorgängige Akteneinsicht nicht mehr vorgesehen. Die Hilfswerke erachteten damit ihre im Gesetz verankerte Aufgabe, als Beobachter eine faire Befragung zu garantieren, grundsätzlich in Frage gestellt. Zudem lehnten sie auch die vorgesehene „Drittstaatenregelung“ ab, welche ihnen wie eine Vorwegnahme der neuesten SVP-Forderungen erschien. Nach altem Recht wurde ein Aufenthalt in einem „sicheren“ Drittstaat – und dazu zählen alle Nachbarländer der Schweiz – bis zu einer Dauer von 20 Tagen zugelassen, ohne dass ein Asylsuchender deswegen vom Verfahren in der Schweiz ausgeschlossen wurde. Nach neuem Verordnungsrecht muss nun diese Durchreise „ohne Verzug“ stattfinden, was je nach Distanz zu tolerierten Aufenthaltszeiten von weniger als 24 Stunden führen kann; eine Beschwerdemöglichkeit gegen die Wegweisung in den EU-Staat, von dem aus die Einreise erfolgte, wurde ebenfalls nicht mehr erwähnt. Die Vertreter der Hilfswerke kritisierten, selbst die EU habe nicht gewagt, so weit zu gehen; gegen Entscheide aufgrund der Dubliner Konvention (Erstasylabkommen) gebe es nach wie vor eine Rekursmöglichkeit. Die Schweiz dagegen wolle eine derartige Verschärfung ohne jede Diskussion im Parlament auf dem Verordnungsweg einführen.

Aus diesen Gründen beschlossen die Hilfswerke, das neue Asylgesetz ebenfalls aktiv zu bekämpfen. Auch die SP und der Schweizerische Gewerkschaftsbund, welche die Referenden nur sehr zurückhaltend unterstützt hatten, gaben nun klar die Nein-Parole zu beiden Vorlagen aus. Ihnen schlossen sich die beiden grossen Landeskirchen an. Sie vertraten die Ansicht, Gesetz und Verordnungsentwürfe zeugten von einem Geist der Abschreckung, der angesichts der Flüchtlingsnot in Europa der humanitären Schweiz unwürdig sei und tatsächlich Verfolgten den Zugang zum Asylverfahren massiv erschwere. Das Ja-Komitee, dem rund 80 bürgerliche Mitglieder der eidgenössischen Räte angehörten, unterstrich demgegenüber die Verbesserungen bei der Schutzgewährung für Gewaltflüchtlinge sowie die verstärkte Rückkehrhilfe. Angesichts der Tatsache, dass mit der Mutterschaftsversicherung ein weitaus umstritteneres Thema im Vordergrund stand, verlief die Abstimmungskampagne eher ruhig.

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Dringlicher Bundesbeschluss über Massnahmen im Asylbereich
Abstimmung vom 13. Juni 1999

Beteiligung: 45,6%
Ja: 1 447 984 (70,8%)
Nein: 595 908 (29,2%)
Parolen:
– Ja: CVP, FDP, SVP, LdU (1*), LP, FPS, SD; Vorort, Arbeitgeber, SGV, VSA, SBV.
– Nein: SP, GP, EVP, PdA, EDU; SGB, CNG, Schweiz. Bischofskonferenz, Evang. Kirchenbund; Flüchtlingshilfswerke, Jugendverbände.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Asylgesetzrevision
Abstimmung vom 13. Juni 1999

Beteiligung: 45,6%
Ja: 1 443 137 (70,6%)
Nein: 601 389 (29,4%)
Parolen:
– Ja: CVP, FDP, SVP, EVP (*2), FPS, LdU, LP; Vorort, Arbeitgeber, SGV, CNG, VSA, SBV.
– Nein: SP, GP, PdA, EDU; SGB, Schweiz. Bischofskonferenz, Evang. Kirchenbund; Flüchtlingshilfswerke, Jugendverbände.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Die Vox-Analyse dieser Abstimmung zeigte, dass die beiden Vorlagen von allen sozialen Gruppen gutgeheissen wurden. Allerdings kam auch hier einmal mehr ein deutlicher Unterschied nach Sprachregionen zum Tragen. Die Annahmerate lag in der Romandie um rund 20% tiefer als in der Deutschschweiz. Der Tessin positionierte sich in der Mitte. Die Unterschiede zwischen Stadt und (stärker zustimmendem) Land bestanden, waren letztlich aber irrelevant. Beim Einfluss der politischen Faktoren konnten hingegen bedeutende Abweichungen vom Durchschnitt festgestellt werden. So bejahten nur 40 bis 45% der Personen, die der SP nahe stehen, eine Verschärfung der Asylpolitik. Bei den Sympathisanten der Grünen fiel dieser Anteil sogar auf einen Drittel. Die Parteien in der Mitte und am rechten Flügel verzeichneten eine noch grössere Gefolgschaft bei ihren Anhängern: 71% (CVP) bis 94% (SVP) folgten hier den Parteiparolen; die FDP lag mit mehr als 86% näher bei der SVP als bei der CVP.

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Der Urnengang vom 13. Juni war ein klarer Erfolg für die Landesregierung und die Parlamentsmehrheit. Beide Vorlagen wurden mit über 70% der Stimmen angenommen, die dringlichen Massnahmen sogar noch etwas deutlicher als das eigentliche Bundesgesetz. Alle Kantone hiessen beide Vorlagen gut, die Deutschschweiz allerdings weit stärker als die Romandie. Am höchsten war die Zustimmung in den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Zug, am schwächsten im Kanton Jura, der aber auch noch klar über 50% Ja-Stimmen einlegte. Entsprechend erfreut zeigte sich Bundesrätin Metzler am Abend des Abstimmungssonntags. Sie wertete das Ergebnis als Bekenntnis der Bevölkerung zu einem „Mittelweg“ in der Asylpolitik – „grosszügige Schutzgewährung für Menschen in Not bei gleichzeitiger Bekämpfung der gängisten Missbräuche“ – und als Zeichen der Offenheit und des Konsenses. Ähnlich sahen dies CVP und FDP, welche das doppelte Ja als Signal dafür werteten, die humanitäre Tradition der Schweiz aufrecht zu erhalten und möglichst viel Hilfe vor Ort zu leisten, im Inland aber klare Grenzen zu setzen. Die enttäuschte SP nahm sich vor, inskünftig in erster Linie eine pragmatische Asyldebatte zu führen.

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