Parlamentarische Initiative der zur Aufhebung des Bistumsartikels (Pa.Iv. 00.415)

Als PDF speichern

In der Bundesverfassung von 1874 fanden aufgrund des Kulturkampfs gegen Rom drei Verfassungsartikel mit deutlich anti-katholischer Stossrichtung Eingang: das bereits in der Verfassung von 1848 verankerte Jesuitenverbot, das Verbot, neue Klöster zu errichten, sowie der sogenannte «Bistumsartikel», der die Neugründung bzw. die Gebietsveränderung von Bistümern von einer Bewilligung des Bundes abhängig macht. Der Bistumsartikel wurde nur ein einziges Mal angewendet (1876) und betraf nicht diejenigen, gegen die er eigentlich gerichtet war: Als sich die Christkatholiken aus Protest gegen das im ersten Vatikanischen Konzil beschlossene Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes von Rom trennten und ein eigenes Bistum errichten wollten, mussten sie beim Bund um Genehmigung nachsuchen; das Verfahren war in ihrem Fall reine Formalität. 1964 beantragte eine Motion im Nationalrat, die drei «Kulturkampfartikel» abzuschaffen. Der Rat war bereit, alle drei antikatholischen Bestimmungen zu streichen. Auf Antrag des Bundesrates, der das «Fuder nicht überladen» wollte, fielen dann aber 1973 in der Volksabstimmung nur der Jesuiten- und der Klosterartikel. Der Bistumsartikel sollte mit dem Verfassungsentwurf von 1978 verschwinden, doch gedieh dieser nicht zur Abstimmungsreife. 1994 unternahm der Aargauer CVP-Ständerat Huber mit einer parlamentarischen Initiative einen neuen Vorstoss. Diesem wurde 1995 vom Plenum Folge gegeben, die Arbeiten aber im Hinblick auf die Totalrevision der Bundesverfassung sistiert.

In den parlamentarischen Diskussionen um diese Revision beantragte der Bundesrat erneut erfolgreich, den Bistumsartikel auszuklammern, um das Gesamtwerk nicht durch eine Debatte mit ungewissem Ausgang zu gefährden. Nach einer kontroversen Vernehmlassung verzichtete der Ständerat auf die gesetzgeberische Umsetzung der parlamentarischen Initiative Huber und beauftragte den Bundesrat mit einer Motion (Mo.SPK-SR 99.3391), sein Anliegen durch eine Vorlage zu ersetzen, die den Bistumsartikel im Sinn einer generellen Bestimmung über das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften revidieren sollte. Dieses zögerliche Verhalten genügte nun dem Nationalrat nicht mehr. Mit Zustimmung des Bundesrates gab er einer parlamentarischen Initiative seiner Staatspolitischen Kommission Folge, die eine ersatzlose Streichung des Bistumsartikels verlangte. Hauptargument war, dass Art. 72 Abs. 3 BV die Religionsfreiheit beschränkt, die römisch-katholische Kirche diskriminiert und dem Völkerrecht widerspricht. Die ständerätliche Motion lehnte er hingegen mit 150 zu 6 Stimmen deutlich ab. Er folgte damit dem Bundesrat, der die Befürchtung äusserte, ein umfassender Religionsartikel würde an zu vielen offenen Fragen (neue weltanschauliche Gruppierungen, konfessionelle Privatschulen, Kantonshoheit im Kultusbereich) scheitern resp. über Jahre hinaus mit emotionalen Argumenten die eigentlich unbestrittene Forderung nach der Aufhebung des Bistumsartikels blockieren. Vor der Debatte im Nationalrat warnten besorgte Katholiken, unter ihnen der von Rom verfemte Theologe Hans Küng und der St- Galler Politologe Alois Riklin sowie der Staats- und Verfassungsrechtler Alfred Kölz vor einem unbedachten Vorgehen in dieser Materie: sie machten auf den wenig bedachten Aspekt des ungesicherten ortskirchlichen Bischofswahlrecht bei der Errichtung neuer Bistümer aufmerksam, welches es ermöglichen würde, dass die römische Hierarchie ohne demokratische und ortskirchliche Legitimation nach Gutdünken Entscheide in Bistumsfragen vornehmen könnte, wie sie beispielsweise bei der Einsetzung des dem «Opus Dei» nahestehenden Bischof Haas in Chur erfolgt waren, die zu einer tiefen Spaltung der katholischen Kirche in der Schweiz geführt hatte. Der Ständerat schloss sich bei der parlamentarischen Initiative einstimmig der grossen Kammer an.

Bundesrätin Metzler eröffnete zwei Monate vor der Volksabstimmung vom 10. Juni mit viel persönlichem Engagement die Abstimmungskampagne zur Aufhebung des Bistumsartikels in der Bundesverfassung, die National- und Ständerat im Vorjahr beschlossen hatten. Sie führte aus, kein Staat kenne eine Bewilligungspflicht für Bistümer. Eine solche Einschränkung des Rechts einer Glaubensgemeinschaft auf Selbstorganisation und damit der Religionsfreiheit sei nicht gerechtfertigt, namentlich auch nicht durch das Interesse der öffentlichen Sicherheit – ganz abgesehen davon, dass die staatliche Kompetenz, Massnahmen zur Wahrung des religiösen Friedens zu treffen, ohnehin in der Verfassung bleiben wird. Die Streichung der Ausnahmeregelung sei auch von der Europäischen Menschenrechtskonvention und vom internationalen Menschenrechtspakt II her geboten. Mit Ausnahme der EDU und der PdA, welche die Nein-Parole ausgaben, sowie der SD, die Stimmfreigabe beschlossen, folgten alle politischen Parteien dieser Argumentation.

Weit weniger geeint zeigten sich die kirchlichen Organisationen. Während die Bischofskonferenz erwartungsgemäss für eine Streichung der Bestimmung eintrat, taten sich mehrere katholische Laienorganisationen schwer damit, da sie im Bistumsartikel eine Art Pfand für eine Mitsprache der Kirchenbasis bei Bischofsernennungen sahen; gegen eine Streichung sprach sich schliesslich aber nur der Schweizerische Katholische Frauenbund aus. Die reformierte Landeskirche verzichtete nach längerem Hin und Her auf eine Abstimmungsempfehlung. Obgleich sie die Information des Bundesrates als einseitig empfand – insbesondere bestritt sie, der Bistumsartikel sei diskriminierend und menschenrechtswidrig – wollte sie nicht Öl ins Feuer der konfessionellen Diskussionen giessen; sie plädierte aber erneut für die Schaffung eines Verfassungsartikels, in dem die Beziehungen zwischen dem Bund und den Religionsgemeinschaften zeitgemäss geregelt würden. Gegen die Streichung wehrten sich hingegen evangelikale Splittergruppen.

In der Volksabstimmung hiessen Volk und Stände mit knapp zwei Drittel Ja-Stimmen die Streichung des Bistumsartikels gut. Am deutlichsten stimmten grossmehrheitlich katholische Kantone zu (Freiburg, Tessin, Solothurn und Wallis), am knappsten war das Resultat in Genf und Glarus sowie in den protestantisch-dominierten Kantonen Schaffhausen und Bern. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund sprach sich grundsätzlich dafür aus, eine Volksinitiative für einen Religionsartikel zu lancieren.


Abstimmung vom 10. Juni 2001

Beteiligung: 42,0%
Ja: 1 194 556 (64,2%) / 26 6/2 Stände
Nein: 666 108 (35,8%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: FDP, SP, CVP, SVP (1*), EVP, LPS, GP, CSP, FPS; ZSA (Arbeitgeber), CNG; Schweiz. Bischofskonferenz (SBK)
– Nein: EDU, PdA; Kath. Frauenbund, Bund aktiver Protestanten, Arma, IG Frauen Kirche
– Stimmfreigabe: SD; SGB, Schweiz. Evangelischer Kirchenbund (SEK)
* in Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Gemäss der Vox-Analyse waren für das deutliche Resultat in erster Linie römisch-katholische und CVP-nahe Bevölkerungsteile ausschlaggebend, während die Protestanten nur knapp zustimmten. Die Befürworter machten für ihren Entscheid weniger das Grundrecht der Religionsfreiheit als vielmehr die gesellschaftliche Entwicklung geltend, die konfessionelle Ausnahmeartikel nicht mehr rechtfertige. Demgegenüber befürchteten die Gegner vor allem eine Stärkung der Macht der katholischen Kirche, insbesondere des Vatikans.