Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen (Pa.Iv. 13.430)

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Die Haftung des Gemeinwesens, wie sie bereits bei der lebenslänglichen Verwahrung gilt, soll künftig auf Fälle ausgedehnt werden, in denen ein verurteilter Straftäter bedingt entlassen wird oder Strafvollzugslockerungen erhält. Der Bund oder die Kantone sollen die Verantwortung für rückfällige Straftäter übernehmen. Dies fordert eine parlamentarische Initiative Rickli (svp, ZH), die in Reaktion auf die tragischen Mordfälle von 2013 eingereicht worden war und der 2014 von beiden Rechtskommissionen Folge gegeben wurde.

In der Frühjahrssession 2017 verlängerte der Nationalrat die Frist zur Behandlung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH), die dem zuständigen Gemeinwesen die Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen aufbürden will. Dies geschah, nachdem die nationalrätliche Rechtskommission beschlossen hatte, der KKJPD einen Vorentwurf zur Umsetzung der Initiative zur Stellungnahme zu unterbreiten, da der Strafvollzug in die Zuständigkeit der Kantone falle.

Nachdem der Nationalrat im Frühjahr 2017 die Behandlungsfrist für die parlamentarische Initiative Rickli (svp, ZH) verlängert hatte, erarbeitete die RK-NR einen Vorentwurf, der in Übereinstimmung mit dem Ziel der Initiative dem Staat die Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen auferlegt. Im Sinne einer Kausalhaftung – also unabhängig von Verschulden oder unerlaubtem Handeln vonseiten der Staatsangestellten – soll der Staat für einen Schaden haften, der von einem rückfällig gewordenen Täter im geöffneten Straf- oder Massnahmenvollzug verursacht wurde. Bei der KKJPD stiess dieser Vorentwurf auf grossen Widerstand: Die Kantone befürchteten, dass als Folge der neuen Regelung weniger Vollzugslockerungen gewährt würden, dass es bei den kantonalen Vollzugsämtern zu Rekrutierungsschwierigkeiten kommen könnte und dass die Arbeit der kantonalen Justizbeamten insgesamt erschwert würde. Darüber hinaus störte sich die Kommission an dem Gedanken, eine Staatshaftung für rechtmässiges Staatshandeln einzuführen, und gelangte zur Überzeugung, dass eine solche Regelung das System der stufenweisen Wiedereingliederung infrage stellte. Aus diesen Gründen stellte die Kommissionsmehrheit den Antrag auf Abschreibung der Initiative. Die Kommissionsminderheit sah jedoch keine Einschränkung der Wiedereingliederung, da die neue Regelung nur für Wiederholungstäter gelte, nicht aber für Ersttäter. Sie betonte, der Staat trage eine Mitverantwortung für durch Wiederholungstäter verursachte Schäden, und beantragte die Nichtabschreibung. Mit einem flammenden Plädoyer für ihr Anliegen konnte Rickli eine rechtsbürgerliche Mehrheit im Nationalrat hinter sich bringen. Mit 109 zu 77 Stimmen bei 10 Enthaltungen stimmte die grosse Kammer im Sommer 2017 gegen das Abschreiben.

Im Mai 2018 gab die RK-NR den Vorentwurf für die Umsetzung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) zur staatlichen Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen in die Vernehmlassung. Darin ist vorgesehen, Art. 380a StGB dahingehend anzupassen, dass unabhängig von einem Verschulden der Staatsangestellten eine Staatshaftung für Schäden besteht, die eine Person im geöffneten Straf- oder Massnahmenvollzug durch einen Rückfall verursacht hat. Die Vernehmlassung läuft bis Mitte September 2018.

Zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) für die staatliche Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen hatte die RK-NR vorgeschlagen, Art. 380a StGB dahingehend zu erweitern, dass der Staat für im geöffneten Straf- oder Massnahmenvollzug durch einen Rückfall verursachte Schäden haftet, und zwar unabhängig von einem unerlaubten Handeln oder Verschulden vonseiten des Staates (Kausalhaftung). In der Vernehmlassung fiel dieser Vorschlag jedoch durch: Bei 40 von 46 Vernehmlasserinnen und Vernehmlassern stiess der Vorentwurf auf uneingeschränkte Ablehnung; nur die BDP und der Schweizerische Gewerbeverband brachten ihre vorbehaltlose Unterstützung zum Ausdruck, während die CVP mit Vorbehalt zustimmte. Die Hauptkritik der Vernehmlassungsteilnehmenden bezog sich dabei nicht auf die Umsetzung, sondern auf das Anliegen an sich, da es das System der stufenweisen Wiedereingliederung von Gefangenen torpediere. Es wurde mithin befürchtet, die Regelung führe zu weniger gewährten Vollzugsöffnungen, zu mehr Gerichtsverfahren infolge Anfechtung der ablehnenden Entscheide sowie zu erhöhtem Platzbedarf und damit zu mehr Überbelegung in Strafanstalten. Einerseits würde so die Rückfallgefahr nicht gemindert und die öffentliche Sicherheit nicht erhöht. Andererseits wäre eine solche Regelung mit erheblichem Mehraufwand für die Kantone verbunden, in deren Zuständigkeit der Strafvollzug liegt. Nicht zuletzt darum lehnten alle 25 teilnehmenden Kantone den Entwurf einhellig ab. Für die Kommissionsmehrheit war dieses Ergebnis Grund genug, die parlamentarische Initiative nicht weiterzuverfolgen und dem Rat mit 15 zu 9 Stimmen deren Abschreibung zu beantragen. Eine Minderheit Rickli wollte die Umsetzung des Vorstosses dennoch weiterverfolgen und beantragte dementsprechend die Verlängerung der Behandlungsfrist. Es müsse endlich etwas dagegen getan werden, dass nie jemand die Verantwortung übernehme, wenn ein Täter während gelockerten Strafvollzugs oder bedingter Entlassung rückfällig werde, appellierte Andrea Martina Geissbühler (svp, BE) an das Nationalratsplenum; zur Sicherheit der Bevölkerung müssten Täter im Zweifel eingesperrt bleiben. Der Nationalrat gab diesem Minderheitsantrag in der Sommersession 2019 mit 101 zu 87 Stimmen bei einer Enthaltung statt, womit er die Behandlungsfrist bis zur Sommersession 2021 verlängerte. Neben der geschlossenen SVP-Fraktion stimmten auch grosse Teile der FDP-, CVP- und BDP-Fraktionen für die Fristverlängerung, während sich das links-grüne Lager abgesehen von der einen Enthaltung geschlossen dagegen stellte.

Nach acht Jahren Bearbeitungszeit beantragte die Mehrheit der RK-NR ihrem Rat im April 2021 bereits zum dritten Mal die Abschreibung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) für eine staatliche Haftung bei Wiederholungstaten nach bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen. Die beiden vorangegangenen Vernehmlassungen hätten gezeigt, dass die Ablehnung der parlamentarischen Initiative nicht konkreten Umsetzungsaspekten geschuldet sei, sondern dem Anliegen selbst entspringe, so die Begründung der Kommissionsmehrheit. Sie teile zwar die Ansicht, dass schwere Verbrechen wie Mord von strafentlassenen Wiederholungstätern durch wirksame Massnahmen bekämpft werden und Opfern jede mögliche Hilfe zugesprochen werden müsse, allerdings könne sich die Kommissionsmehrheit «nicht für die Umsetzung des Initiativtextes aussprechen», erklärte Berichterstatterin Sibel Arslan (basta, BS). Nicht zuletzt hätten die Kantone, in deren Kompetenz der Strafvollzug liegt, massive Kritik am Anliegen geübt. Eine SVP-Minderheit erachtete den Handlungsbedarf jedoch weiterhin als aktuell und beantragte deshalb eine erneute Fristverlängerung. Barbara Steinemann (svp, ZH) argumentierte in deren Namen, dass es die Verantwortung der Politik, Justiz und Behörden sei, die Gefahr zu reduzieren, Opfer von Wiederholungstäterinnen oder -tätern zu werden. Gegenwärtig werde die Resozialisierung von Tätern höher gewichtet als die Sicherheit der Bevölkerung, monierte sie. Entgegen der Prognosen der Kantone würde die Umsetzung der Initiative nicht dazu führen, dass es keine Hafturlaube oder Resozialisation mehr gäbe. Vielmehr führte sie zu einer stärkeren Ausfilterung, wer überhaupt von Hafterleichterungen profitieren könne, so Steinemann. Mit 135 zu 53 Stimmen bei einer Enthaltung folgte die Volkskammer dem Mehrheitsantrag und schrieb die parlamentarische Initiative Rickli in der Sommersession 2021 schliesslich ab.