Zum zweiten Mal nach 2007 wurden die Wahlen für den Grand Conseil im Kanton Waadt nach dem revidierten System durchgeführt. Mit der neuen Kantonsverfassung waren die Sitzzahl (150) und die Anzahl Bezirke (10) verkleinert worden. Das neue System erlaubte, dass der Wohnort eines Bewerbers nicht im Bezirk liegen mussten, für welchen er kandidierte. Diese „parachutage“ genannte und durchaus auch wahltaktisches Potential bergende Regel machten sich 33 Kandidierende zu Nutze, darunter auch Nationalrat Jacques Neirynck (cvp) und Claude Béglé (cvp). Insgesamt stritten sich 979 Personen um die 150 Mandate, wovon rund ein Fünftel (32 Sitze) nicht von Bisherigen verteidigt wurde. Die Zahl der Kandidierenden und der Listen variierte dabei entsprechend der unterschiedlichen Sitzzahl zwischen den Wahlkreisen. Während die Bürgerlichen bei den Regierungswahlen zu keiner Allianz fanden – die FDP, die LP und die SVP kämpften gegen die Mitte-Liste aus CVP, BDP, EDU und GLP (siehe unten) – gab es Bezirke, in denen sich alle bürgerlichen Parteien auf einer gemeinsamen Liste präsentierten. In den meisten Bezirken trat die „Aliance du Centre“ allerdings ohne SVP und FDP mit einer gemeinsamen Liste aus BDP-, GLP-, CVP-, EVP- und/oder EDU-Kandidierenden an. In einzelnen Bezirken verbanden sich die GP und die SP und auch die FDP und die SVP gingen einzelne Listenverbindungen ein. Die FDP, die zum Zeitpunkt der Wahlen im Kanton Waadt noch nicht mit der LP fusioniert hatte (siehe dazu Teil IIIa), trat in zehn der dreizehn Bezirken bereits als PLR.Les Libéraux-Radicaux, also gemeinsam mit der LP, auf. In den Bezirken mit einer grossen Sitzzahl traten neben den arrivierten Parteien auch La Gauche als Zusammenschluss extremer linker Parteien (PdA, Alternative, Point de départ, SolidaritéS), die Piratenpartei, der im Kanton Waadt weniger erfolgreiche Mouvement Citoyens (MCVD), Vaud libre, die Wikicratie oder die „Parti de rien“ an. Da Links-Grün geeinter auftrat und vor allem die SP bei den nationalen Wahlen im Herbst 2011 zulegen konnte, wurde für das linke Lager ein Erfolg prognostiziert. Allerdings vermuteten die Auguren einen ähnlichen Ausgang wie bei den nationalen Wahlen – sprich: Veränderungen vor allem innerhalb der Blöcke.

Entgegen den Prognosen konnte die Mitte auf Kosten des links-grünen Lagers zulegen. Die „Alliance du Centre“ kam neu auf elf Sitze. Vier Sitze wurden von CVP-Vertretern und sieben Sitze durch die GLP besetzt. Damit war die GLP eigentliche Wahlsiegerin, hatte sie doch vor den Wahlen vier Sitze von ursprünglich als FDP-Vertreter gewählten Abgeordneten inne. Leer gingen die EVP, die BDP und die EDU aus. Letztere verlor somit ihren bisherigen Sitz. Die zahlreichen verschiedenen Listenverbindungen lassen eine Aussage über die Wählerprozente nur bedingt zu. Werden die Parteistärken der fünf Alliance-Parteien addiert, ergibt sich ein Wert von 9,5%. Auch die SP konnte sich im Vergleich zu den Wahlen 2007 über den Gewinn von zwei zusätzlichen Mandaten freuen (neu: 41 Sitze; inkl. der Mischliste in Aigle mit der PdA: 26,0%); da die Grünen aber gleichzeitig fünf Sitze (neu 19 Sitze, 12,6%) und La Gauche einen Sitz (neu 4 Sitze; exkl. Mischliste in Aigle mit der SP: 2,8%) einbüssten, musste Links-Grün insgesamt Federn lassen. Zu lediglich marginalen Verschiebungen kam es im rechtsbürgerlichen Block. Die SVP (neu 27 Sitze, 17,1%) konnte um einen Sitz zulegen, während die FDP zusammen mit der LP im Vergleich zu vor den Wahlen einen Sitz einbüsste (neu: 47 Sitze, 30,1%). Während der Legislatur war es freilich bereits zur Abspaltung von vier Abgeordneten der FDP zur GLP gekommen. Vaud Libre konnte ihren 2007 unter dem Label „Riviera Libre“ gewonnen Sitz halten (1,1%). Die 41,7% der Wahlberechtigten, die an die Urne gingen, wählten eine Frau mehr in den Rat als vor fünf Jahren (2007: 29,3% Frauenanteil; 2012: 30%).

Dossier: Kantonale Parlamentswahlen 2012
Dossier: Kantonale Wahlen - Waadt