Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber (2019-2020)

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Aufgrund der Vorkommnisse im Untersuchungsfall Fifa stellte die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) in einer Pressekonferenz Ende April die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen Bundesanwalt Michael Lauber in Aussicht. Die Frage stand im Raum, ob Lauber die Aufsichtsbehörde angelogen hatte, indem er ein drittes Geheimtreffen mit Fifa-Generalsekretär Gianni Infantino nicht erwähnt hatte, obwohl er, nachdem aufgrund der sogenannten «Fussball-Leaks» bekannt geworden war, dass bereits zwei solche Treffen stattgefunden hatten, explizit danach gefragt worden sei. Weil Laubers Wiederwahl bevorstand und die Gerichtskommission (GK) Mitte Mai das Wahlgeschäft für die Sommersession vorbereiten wollte, eilte die Abklärung durch die AB-BA.

Am 10. Mai gab die Aufsichtsbehörde dann bekannt, eine Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber zu eröffnen. Man wolle dafür einen externen Spezialisten einsetzen, um Unabhängigkeit zu garantieren. Die Eröffnung der Untersuchung präjudiziere deren Ergebnis «in keiner Art und Weise», explizierte die AB-BA in ihrer Medienmitteilung. Je nachdem wie der Expertenbericht ausfällt, kann die AB-BA drei mögliche Sanktionen verhängen: eine Verwarnung, einen Verweis oder, als schärfste Massnahme, eine Lohnkürzung von maximal 10 Prozent während eines Jahres.

Gleichentags nahm Lauber an einer Pressekonferenz ziemlich «heftig» und «geharnischt» Stellung (NZZ). Er werde vorverurteilt und es werde nicht in Betracht gezogen, dass er die Wahrheit sage, so der Bundesanwalt. Es gebe kein Vertrauen mehr zwischen ihm und der Aufsichtsbehörde. Er werde aber trotzdem zur Wiederwahl antreten – «jetzt erst recht» (Blick). Das Verfahren und seine Wiederwahl dürften nicht vermischt werden, weil das Parlament seine Arbeit der letzten acht Jahre zu beurteilen habe. Lauber kündigte zudem an, dass er sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln wehren werde.
In den Medien wurde vermutet, dass die Affäre wohl auf einen Zweikampf zwischen Michael Lauber und Hanspeter Uster, dem Präsidenten der AB-BA hinauslaufe. Le Temps sah dunkle Wolken gegen Lauber aufziehen und der Sonntags-Blick prophezeite einen «brutalen Fight» zwischen dem Bundesanwalt und seinem Aufseher.
In der Folge geriet auch Hanspeter Uster in den Fokus der Presse. Der ehemalige Zuger Regierungsrat und mitverantwortlicher Experte für die unter dem damaligen Bundesrat Christoph Blocher eingeleitete Reorganisation der Bundesanwaltschaft habe bereits 2011, also kurz vor Amtsantritt Laubers, gegen diesen «gestichelt» (Aargauer Zeitung). Uster wurde von der NZZ zwar als nüchtern, sachlich und konstruktiv beschrieben, er zeichne sich aber auch durch «missionarischen Eifer» aus. Nur einer der beiden werde den «filmreifen Kampf voller Animositäten und Emotionen» politisch überleben, kommentierte die Weltwoche.

Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Anfang Juli präsentierte die AB-BA den Leiter der Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber, den emeritierten Staatsrechtsprofessor Peter Hänni, der von der Rechtsanwältin Sarah Duss und dem Rechtsanwalt Lukas Blättler unterstützt wurde. Fast zwei Monate hatte die AB-BA gebraucht, um einen Untersuchungsleiter zu finden. Es sei so viel Zeit verstrichen, weil es schwierig gewesen sei, Fachpersonen zu finden, die nicht befangen seien, erklärte die AB-BA. Der Bericht würde damit wohl nicht mehr vor dem auf die Herbstsession verschobenen Termin einer allfälligen Wiederwahl Laubers vorliegen – urteilten die Medien.

Lauber selber verpflichtete mit Lorenz Erni einen bekannten Strafverteidiger zur Wahrung seiner Interessen im Disziplinarverfahren. Als pikant wurde in den Medien bezeichnet, dass Erni in einem der Fifa-Untersuchungen den Angeklagten Sepp Blatter verteidigte. Hänni verfügte dann in der Tat, dass Erni wegen dieses Interessenkonfliktes Lauber nicht vertreten dürfe. Dagegen wiederum wehrten sich Lauber und Erni und erhielten vor dem Bundesverwaltungsgericht recht. Dieses urteilte nämlich, dass Hänni die Disziplinaruntersuchung gar nicht führen dürfe, da dies Aufgabe der AB-BA selber sei. Dieser «Sieg» Laubers vor Gericht (St. Galler Tagblatt) stiess wiederum bei den Mitgliedern der GK auf Befremden. Damit verkompliziere sich ihre Aufgabe weiter, sagte Kommissionspräsident Jean-Paul Gschwind (cvp, JU) vor den Medien.

Immer häufiger wurde auch über strukturelle Probleme diskutiert. Die Aufsicht sei eine Fehlkonstruktion, meinte etwa Pirmin Schwander (svp, SZ). In der Tat habe man der Bundesanwaltschaft zu viel Unabhängigkeit zugeschanzt, indem man die Aufsicht dem Justizdepartement und dem Bundesstrafgericht entzogen und die AB-BA geschaffen habe. Auch die GPK wollte sich in der Folge der Sache annehmen und zur Klärung des divergierenden Aufsichtsverständnisses zwischen AB-BA und Bundesanwaltschaft eine Inspektion durchführen. Ein vom Ständerat in der Herbstsession an die GPK überwiesenes Postulat von Daniel Jositsch (sp, ZH) forderte ebenfalls eine Evaluation der Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft.

Eine weitere Wendung erhielt die Untersuchung Mitte September, also kurz vor der in der Herbstsession terminierten Wiederwahl Laubers. Hanspeter Uster beschwerte sich in einem Radiointerview, dass Lauber die Untersuchung aktiv behindere und angeforderte für die Untersuchung benötigte Dokumente nicht liefere.
Die Wiederwahl Laubers Ende September nahm dann der Disziplinaruntersuchung ein wenig politischen Druck weg. Zwar berichtete die Aargauer Zeitung, dass die Verjährungsfrist für die disziplinarische Verantwortlichkeit nur gerade ein Jahr betrage und Lauber deshalb auf Zeit spiele, in den Medien geriet die Untersuchung allerdings in der Folge bis Ende 2019 ein wenig in Vergessenheit.

Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Die Disziplinaruntersuchung gegen Michael Lauber war verzögert worden, weil das Bundesverwaltungsgericht im Sommer 2019 entschieden hatte, dass kein externes Untersuchungsmandat vergeben werden darf, sondern dass jemand aus der AB-BA selber die Untersuchung leiten müsse. Gegen dieses Urteil hatte die AB-BA Beschwerde eingereicht, es wurde aber Anfang 2020 vom Bundesgericht bestätigt. Die AB-BA habe generell kein Beschwerderecht, urteilte das Bundesgericht, was im Tages-Anzeiger als «Etappensieg für Michael Lauber» bewertet wurde.
In der Folge übernahm AB-BA-Mitglied Alexia Heine die Leitung der Disziplinaruntersuchung. Konkret ging es darum, herauszufinden, ob eine Amtspflichtverletzung vorlag, weil sich Lauber bei nicht protokollierten Geheimtreffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino abgesprochen und diesbezüglich gelogen haben soll. Heine galt als «sehr effiziente Person», wie die Aargauer Zeitung zu berichten wusste. Die gleiche Zeitung vermeldete freilich auch, dass Lauber nicht kooperiere, Informationen verweigere und die «gleiche Verteidigungstaktik wie US-Präsident Donald Trump in seinem Amtsenthebungsverfahren» wähle: «Stonewalling».

Anfang März 2020 legte die AB-BA dann die Resultate der Disziplinaruntersuchung vor und hielt darin schwerwiegende Amtspflichtverletzungen fest. Neben der Verletzung der Protokollierungspflicht fanden sich in der Liste der Vorwürfe etwa auch eine «Verweigerungshaltung gegenüber den Auskunfts- und Editionsaufforderungen der AB-BA», «Übernahme der eigenen Anwaltskosten durch die Bundesanwaltschaft» – ein Punkt der im Blick besondere Empörung hervorrief –, «Verletzung der Treuepflicht», «Erstattung unwahrer Angaben gegenüber der AB-BA», «Illoyales Handeln» oder «Behinderung der Untersuchung». Als Sanktion verfügte die AB-BA eine einjährige Lohnkürzung von 8 Prozent, was insgesamt einer Reduktion des Jahreslohns um rund CHF 24'000 entsprach. Damit wählte die Aufsichtsbehörde allerdings nicht das schärfste Mittel, das ihr zur Verfügung stand, wären doch eine maximale Lohnkürzung von 10 Prozent oder aber ein Antrag auf Amtsenthebung möglich gewesen. Man habe keine Hinweise darauf gefunden, dass Lauber unrechtmässige Leistungen empfangen habe, was das mildere Urteil rechtfertige, so die AB-BA in ihrem Bericht.

Die Reaktionen auf den Untersuchungsbericht waren unterschiedlich. Verschiedene Parlamentsmitglieder äusserten sich konsterniert. Lorenz Hess (bdp, BE), Mitglied der Gerichtskommission (GK), sprach in der Aargauer Zeitung von einer «untragbaren Situation» und Matthias Aebischer (sp, BE) befürchtete einen «Reputationsschaden für die Schweiz». Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass Lauber die Möglichkeit habe, die Verfügung vor Bundesverwaltungsgericht anzufechten. Es sei deshalb zu früh für ein politisches Urteil über die Amtsführung des Bundesanwalts, gab Christian Lüscher (fdp, GE) zu Protokoll.
Die NZZ zeigte sich über die eher zurückhaltenden Stellungnahmen verwundert: Die «Schelte» gegen den Bundesanwalt verhalle im Parlament wohl auch deswegen, weil man Lauber ja erst kürzlich im Amt bestätigt habe. Die Aargauer Zeitung forderte den Rücktritt Laubers. Damit könne er «eine Art Grösse zeigen». Die NZZ wies darauf hin, dass die Politik eigentlich nur die Möglichkeit der Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens habe, weshalb Lauber als einziger mit einem Rücktritt dafür sorgen könne, dass die Bundesanwaltschaft wieder zur Ruhe komme. Der Tages-Anzeiger sah hingegen neben dem Rücktritt Laubers eine andere Möglichkeit: Würde nämlich das Bundesverwaltungsgericht als Berufungsinstanz zum Schluss kommen, dass die Aufsichtsbehörde übertrieben habe, dann müsste die Berechtigung derselben und vor allem ihres Präsidenten, Hanspeter Uster, in Frage gestellt werden. Christian Levrat schlug in der Tribune de Genève gar vor, dass am besten beide Protagonisten zurücktreten sollten. Er beurteilte die Arbeit von AB-BA-Präsident Uster als zu «brutal». Dieser unwürdigen Auseinandersetzung («match assez indigne») an der Spitze einer so wichtigen Institution müsse ein Ende bereitet werden, so Levrat. Diese Ansicht wurde auch in der Weltwoche vertreten. Man gewinne beim Lesen des Disziplinarberichts den Eindruck, dass sich die AB-BA – «Hanspeter Uster und seine sechs Kollegen» – nicht an den Pflichtverletzungen Laubers störten, sondern «am unbotmässigen Verhalten des Bundesanwalts ihnen gegenüber». Die AB-BA habe sich in den ersten Jahren zu grosszügig gezeigt, der «furiore Uster» überschiesse nun aber in die andere Richtung, so das Wochenblatt.

Michael Lauber selber behielt sich rechtliche Schritte vor. In einer Ende März im Rahmen des «Fifa-Falls» ans Bundesstrafgericht gerichteten Stellungnahme, die der Aargauer Zeitung vorlag, wehrte sich der Bundesanwalt gegen die «unrechtmässig erstellte wie publizierte» Verfügung, die «einen persönlichkeitsverletzenden Inhalt» aufweise. Die Vorwürfe seien «konstruiert» und die Verfügung habe keine Rechtsgrundlage. Er werde sie deshalb anfechten und eine Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht einreichen. Dafür hatte Lauber aufgrund des im Rahmen der Covid-19-Massnahmen getroffenen Fristenstillstands bis Ende April 2020 Zeit.

Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Ende April 2020 reichte Bundesanwalt Michael Lauber Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht gegen die Disziplinaruntersuchung der AB-BA gegen ihn ein. In der Mitte Mai vom Tages-Anzeiger publik gemachten rund 70-seitigen Begründung für die Beschwerde warf Lauber der Aufsichtsbehörde Voreingenommenheit und Parteilichkeit vor. Die Untersuchung zeichne sich «durch Mutmassungen, Spekulationen und konsequente Missachtung aller tatsächlichen Gegebenheiten und entlastender Umstände aus». Lauber wehrte sich gegen die «vorverurteilende Medienkampagne», die vor allem Folge von «abschätzigen» Äusserungen des AB-BA-Präsidenten Hanspeter Uster gewesen sei. Die Aufseher selber seien nicht unbefangen, sondern auf einem eigentlichen «Rachefeldzug».

In den Medien wurde die Kritik an der Person Lauber zunehmend heftiger. In der NZZ vermutete der Strafrechtsprofessor Mark Pieth, dass Lauber aufgrund der Anschuldigungen der AB-BA in den USA wohl wegen Missachtung einer richterlichen Behörde ins Gefängnis kommen würde. Auch der Umstand, dass Laubers Anwaltskosten von der Bundesanwaltschaft getragen wurden, war Gegenstand von empörten Medienreaktionen. Der Griff in die Staatskasse, um eine persönliche Verteidigung zu bezahlen, gehe gar nicht, war etwa in der NZZ zu lesen. Die Zeitung wusste auch zu berichten, dass Lauber zuvor zwar beim Eidgenössischen Personalamt angefragt hatte, ob seine Anwaltskosten von der Bundesanwaltschaft übernommen werden können, dieses habe ihn aber an die FinDel verwiesen, welche freilich bis dato keine Anfrage erhalten habe. In der Aargauer Zeitung meldete sich Regula Rytz (gp, BE) zu Wort und sprach von «Selbstbegünstigung». Das Parlament müsse verhindern, dass Lauber mit Steuergeldern seine persönlichen Interessen verteidige.
Wasser auf die Mühlen der Kritikerinnen und Kritiker war auch die Verjährung des Strafverfahrens im Zusammenhang mit der Fussball-WM in Deutschland Ende April 2020. Die Verantwortung für diese «Schlappe für die Schweizer Strafjustiz», wie sie in der NZZ bezeichnet wurde, wurde insbesondere dem obersten Strafverfolger selber zugerechnet.
Zudem tauchten Ende April 2020 neue Dokumente auf, mit denen Michael Lauber die Geheimtreffen mit Fifa-Chef Gianni Infantino, an die sich Lauber laut eigener Aussage nicht mehr erinnern konnte, nachgewiesen wurden. Die «undurchsichtige Affäre», wie sie die NZZ bezeichnete, war Stein des Anstosses für die Disziplinaruntersuchung der AB-BA gewesen. Die Kritik war verbunden mit Rücktrittsforderungen. «Zum Wohle der Schweizer Justiz» müsse das Parlament Lauber «aus dem Amt hieven», forderte etwa der Tages-Anzeiger. Die WoZ erinnerte daran, dass Lauber vor seiner Wiederwahl das Versprechen abgegeben habe, zurückzutreten, «wenn im Disziplinarverfahren etwas an ihm hängen bleibe». Und auch die NZZ begrüsste, dass die Gerichtskommission in der Zwischenzeit laut über ein Amtsenthebungsverfahren nachzudenken begann, das sie dann am 20. Mai effektiv lancierte. Eine Freistellung sei «längst überfällig», so die NZZ. Nicht in diese Kritik einstimmen mochte die Weltwoche. Die Argumente gegen Lauber seien dürftig, die Untersuchung atme «den Geist von Kleinkariertheit» und der Bundesanwalt verfüge im Vergleich zu seinen Vorgängern «über einen respektablen Leistungsausweis», was laut Weltwoche auch die Justiz- und Polizeidirektoren und die kantonalen Staatsanwälte «unisono» bestätigten.

Am 22. Juli legte das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil zur Beschwerde Laubers gegen die Verfügung der AB-BA vor. Teilweise wurde die Anfechtung Laubers gutgeheissen: Die Richter verlangten vor allem, dass die von der AB-BA verfügte Lohnkürzung von 8 auf 5 Prozent reduziert werden musste. Das Gericht urteilte zudem, dass die AB-BA etwas weit gehe, wenn sie Lauber im Kern ein falsches Berufsverständnis vorwerfe. Allerdings bestätigte das Gericht einige zentrale Beanstandungen der AB-BA. Insbesondere habe Lauber seine Amtspflicht mehrfach verletzt. Er habe zudem vorsätzlich gelogen, was das ominöse dritte Treffen mit Fifa-Präsident Infantino betreffe. In einer Stellungnahme verwahrte sich Michael Lauber gegen den Vorwurf der Lüge, bot aber gleichentags seinen Rücktritt an. In der NZZ wurde das Gerichtsurteil als «vernichtend» bezeichnet, als «die letzte und damit entscheidende Schlappe für Lauber». Nicht vom Tisch war damit allerdings das Strafverfahren, das in der Zwischenzeit gegen Lauber angestrengt worden war.

Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt