Kunst und Kultur in der revidierten Bundesverfassung (BRG 96.091)

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In seinem Verfassungsentwurf hatte der Bundesrat vorgesehen, Kultur und Sprache in einen gemeinsamen Artikel zu packen. Im Parlament herrschte aber Konsens darüber, dass beide Begriffe einen eigenständigen Artikel verdienen. Der eigentliche Kulturartikel (Art. 69) gliedert sich in drei Absätze, die inhaltlich alle unbestritten waren. Abs. 1 hält den Grundsatz fest, wonach für den Bereich der Kultur die Kantone zuständig sind, Abs. 2 gibt dem Bund die subsidiäre Kompetenz, kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse zu unterstützen, und Abs. 3 verpflichtet ihn, bei der Erfüllung seiner Aufgaben Rücksicht auf die kulturelle Vielfalt des Landes zu nehmen. Im Ständerat wollte die ehemalige Pro Helvetia-Stiftungsratspräsidentin Simmen (cvp, SO) die Stellung des Bundes in dem Sinn stärken, dass gesagt werden sollte, für den Bereich der Kultur seien zwar primär die Kantone zuständig (Abs. 1), der Bund könne aber, unter Beachtung der kantonalen Kompetenzen, eigene Massnahmen ergreifen (Abs. 2). Sie argumentierte, ihr Vorschlag sei nichts anderes als das Niederschreiben einer lange geübten und bewährten Praxis. Gerade in den Beziehungen zum Ausland gehe es darum, die Schweiz auch als kulturelle Einheit darzustellen, eine Aufgabe, die letztlich nur vom Bund erfüllt werden könne. Die Gegner Simmens brachten dem Antrag zwar viel Sympathie entgegen, verwiesen aber auf die kantonalen Sensibilitäten in dieser Frage und auf die zweimal – wenn auch in erster Linie an Verfahrensfragen – knapp gescheiterten Abstimmungen über einen Kulturartikel in der Verfassung (1986 und 1994). Insofern sei nur schon der vom Bundesrat vorgelegte Mini-Artikel als Fortschritt zu werten, der den wenigen nationalen Kulturinstitutionen (Landesmuseum, Landesbibliothek und Pro Helvetia) eine eigenständige rechtliche Grundlage gewähre. Als der Antrag zu Abs. 1 mit 24 zu 7 Stimmen abgelehnt wurde, zog Simmen folgerichtig ihren Antrag zu Abs. 2 zurück.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Diskussionslos nahm der Ständerat im Rahmen der nachgeführten Bundesverfassung Art. 21 an, wonach die Kunstfreiheit gewährleistet ist. Bundesrat und Kommission wiesen darauf hin, dass die freie Ausübung der Kunst zwar vom Bundesgericht nicht als ungeschriebenes Verfassungsrecht anerkannt worden ist, dass sie aber den von der Schweiz ratifizierten Konventionen der UNO und des Europarates entspricht. Der Nationalrat stimmte ebenfalls zu. Ein von der SP unterstützter Antrag Thür (gp, AG), neben der Freiheit der Kunst auch jene der Kultur verfassungsrechtlich zu verankern, wurde mit 95 zu 57 Stimmen abgelehnt, weil es sich – nach den Worten von Bundesrat Koller – bei der Freiheit der Kultur, einem extrem weiten und nicht abschliessend definierten Begriff, nicht um einen selbständigen, direkt einklagbaren und verfassungsmässig zu schützenden Gegenstand handeln kann. Die in letzter Zeit geänderten Kantonsverfassungen und die internationalen Instrumente zeigten denn auch, dass diese zwar die Freiheit der Kunst, nicht aber jene der Kultur garantieren.

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Im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung waren sich beide Kammern einig, in Art. 71 dem Bundesrat beim ersten Absatz, wonach der Bund die Schweizer Filmproduktion und Filmkultur fördern kann, zu folgen, nicht aber in Abs. 2, wo die Landesregierung ihre Kompetenzen im Bereich des Imports, des Verleihs sowie der Eröffnung und Umwandlung von Kinos festschreiben wollte. Stattdessen wurde übereinstimmend gesagt, dass der Bund Vorschriften zur Förderung der Vielfalt und der Qualität des Filmangebots erlassen kann.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Im Nationalrat waren die Absätze 1 und 3 des Kulturartikels in der neuen Bundesverfassung unbestritten. In Abs. 2 beantragte eine links-grüne Minderheit, dem Bund sei die Kompetenz zu erteilen, Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, zu fördern. Sie untermauerte dies mit der Feststellung, dass dem Bund fraglos eine analoge Zuständigkeit in den Bereichen Sport und Film übertragen worden sei. Der Rat zeigte sich dieser Argumentation zugänglich und akzeptierte den Zusatz mit 82 zu 75 Stimmen. Bei der zweiten Lesung im Ständerat wurde dieser Antrag von Danioth (cvp, UR) eingebracht. Er setzte sich gegen die Voten des Kommissionssprechers und von Bundesrat Koller durch, welche meinten, damit werde über die eigentliche Nachführung hinausgegangen, und es sei zumindest fragwürdig, nach der zweifachen Verwerfung eines Kulturartikels hier eine Bundeskompetenz zu schaffen. Mit 21 zu 10 Stimmen folgte die kleine Kammer hier dem Nationalrat.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)