Im Oktober 2021 eröffnete das Kunsthaus Zürich einen neuen Erweiterungsbau, in dem die grosse Kunstsammlung von Emil Bührle der Öffentlichkeit in einer Dauerausstellung zugänglich gemacht wurde. Die Art und Weise, wie er zu seinem Reichtum gekommen war, aber auch die Herkunft seiner Kunstwerke hatten bereits Jahre vor der Eröffnung des Neubaus im Zürcher Kunsthaus regelmässig für grosse öffentliche Diskussionen gesorgt. So war Bührle zur Zeit des Zweiten Weltkrieges unter anderem aufgrund von Waffengeschäften mit Nazideutschland zu einem der reichsten Menschen der Schweiz geworden. Ebenfalls zu dieser Zeit hatte er begonnen, seine Kunstsammlung auszubauen und war so zu einem bedeutenden Kunstsammler aufgestiegen.
Um dieser Kritik entgegenzukommen und um Licht auf das Leben und Wirken dieser umstrittenen Person zu werfen, hatten Stadt und Kanton Zürich, welche das Kunsthaus subventionieren, bereits 2017 eine Studie zur Kontextualisierung der Sammlung von Bührle in Auftrag gegeben. Der entsprechende Bericht eines Forschungsteams der Universität Zürich um Matthieu Leimgruber, Professor für Geschichte, war 2021 erschienen. Er zeigte auf, dass Bührles Sammlung zu einer Zeit entstand, in welcher der europäische Kunstmarkt von durch das NS-Regime enteigneten Kunstwerken insbesondere jüdischer Personen geprägt war – von sogenannter «Raubkunst». Bührle selbst habe beim Aufbau seiner Sammlung die Lage verfolgter und flüchtender Juden opportunistisch ausgenutzt. Nach dem Krieg seien 13 seiner Kunstwerke als «Raubkunst» identifiziert worden, weshalb er diese in Folge von Restitutionsprozessen an die rechtmässigen jüdischen Besitzenden habe zurückgeben müssen. Gleichzeitig habe er aber seine Sammlung stetig ausgebaut, bis zu seinem Tod 1956 habe sie mehr als 600 Werke mit einem Gesamtwert von rund CHF 39 Mio. beinhaltet. Davon gehörten gemäss dem Bericht 200 Werke der «Stiftung Sammlung Emil Bührle», welche diese dem Kunsthaus Zürich für die Dauerausstellung zur Verfügung stellte.
Trotz der Transparenzbemühungen in Form des Berichts wurde die Eröffnungsfeier des Erweiterungsbaus von Kritik an Bührle überschattet. Medienschaffende konfrontierten die Verantwortlichen etwa damit, dass in den 1950er- und 1960er-Jahren junge Frauen Zwangsarbeit in einer Spinnerei von Bührle hätten leisten müssen, wofür es bis heute weder eine Entschuldigung noch eine Entschädigung seitens der Bührle-Familie gegeben habe. Nach nur drei Fragen brach das Kunsthaus die Eröffnungsfeier ab. In der Folge standen die umstrittene Sammlung und Person Bührles erneut im Zentrum einer hitzigen medialen Debatte und führten gar international zu Schlagzeilen.
Die Kritik an der Ausstellung im Zürcher Kunsthaus fokussierte sich dabei insbesondere auf zwei Punkte. Zum einen wurde der Dokumentationsraum, welcher im Sinne einer transparenten Aufklärung zu Bührles Leben, der Herkunft seines Vermögens sowie seiner Kunstwerke in die Ausstellung integriert wurde, stark kritisiert. So bemängelten die Medien etwa, dass die Informationen rund um Bührles Geschichte nur selektiv dargestellt und in einem zu netten Ton verfasst seien. Zum anderen sorgte die bisherige Provenienzforschung der ausgestellten Kunstwerke für Kritik. So wurde deren Unabhängigkeit angezweifelt, da sie durch den Direktor der Bührle-Stiftung, Lukas Gloor, vorgenommen worden war. Zudem sei der politische Kontext von damals zu wenig einbezogen worden, wie auch ehemalige Mitglieder der sogenannten «Bergier-Kommission» kritisierten. Für Druck auf das Kunsthaus sorgte zudem der Entscheid des Berner Kunstmuseums, zwei Bilder an ursprüngliche jüdische Besitzende zu restituieren, obwohl die Provenienzforschung nicht endgültig abgeschlossen war. Derweil fand die Debatte auch Einzug in Bundesbern – so stimmte das Parlament etwa einer Motion Pult (sp, GR) zu, welche eine unabhängige Kommission für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter forderte.
Als Reaktion auf die Kritik hielten die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (ZH, sp) und die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr (ZH, sp) Anfang Dezember 2021 in einer gemeinsamen Medienmitteilung fest, dass die Unabhängigkeit der Provenienzforschung tatsächlich angezweifelt werden könne und daher evaluiert werde. Ausserdem forderten sie das Kunsthaus auf, den Dokumentationsraum zu ergänzen und Lücken zu füllen. Diese Forderungen knüpften sie dabei an den in Verhandlung stehenden Subventionsvertrag zwischen der Stadt Zürich und der Kunstgesellschaft. Mitte Dezember liessen das Kunsthaus Zürich und die Bührle-Stiftung in einer Pressekonferenz verlauten, man habe als Reaktion auf die Kritik etwa QR-Codes neben alle Bilder gesetzt, mit denen man Informationen zur Provenienz der Werke erhalte. Zudem werde die Provenienzforschung Anfang 2022 weitergeführt und durch externe Expertinnen und Experten überprüft. Stiftungsdirektor Gloor hielt fest, dass die in der Stiftung intern durchgeführte Provenienzforschung für 113 der 203 Werke keine problematische Provenienz festgestellt habe. Bei 90 Fällen sei die Provenienz zwar nicht restlos geklärt, aber es gäbe «keinen Hinweis auf problematische Zusammenhänge», wie die NZZ berichtete. Fünf Werke würden hingegen als Fluchtkunst eingestuft, also als Werke, die nach 1933 aufgrund von NS-Verfolgung hatten verkauft werden müssen, um etwa die Flucht zu finanzieren. Eine detaillierte Analyse der Transaktionen habe jedoch gemäss Gloor gezeigt, dass die Bilder «unter Wahrung der Interessen ihrer früherer Eigentümer» bei Bührle gelandet seien. Dies stellte die Kritikerinnen und Kritiker jedoch nicht zufrieden, vielmehr sei die bisherige Kritik wohl «auf taube Ohren» gestossen (NZZ).
Ab Frühling 2022 setzten die Verantwortlichen einige der Forderungen um. Unter anderem wurde der Leihvertrag zwischen dem Kunsthaus und der Bührle-Stiftung neu verhandelt, wobei sowohl der neue als auch der alte Leihvertrag vollumfänglich veröffentlicht wurden. Dabei zeigte sich, dass die Provenienzforschung im alten Leihvertrag kein Thema gewesen war. Im neuen Vertrag lag die Verantwortung hierfür klar in den Händen des Kunsthauses. Dabei wollte sich das Museum ausdrücklich an die Washingtoner Kriterien halten und somit Raub- und Fluchtgüter gleichbehandeln und keine Bilder ausstellen, welche über eine ungeklärte Provenienz verfügten. Bei Fragen um die Restitution behielt die Stiftung als Eigentümerin der Sammlung weiterhin das letzte Wort, verpflichte sich jedoch auch zur Einhaltung der Washingtoner Kriterien. Die Stadt Zürich schloss mit Veröffentlichung der Leihverträge den neuen Subventionsvertrag ab, in dem sie die Überarbeitung des Dokumentationsraums verlangte. Ende August 2022 gaben Kanton und Stadt Zürich zudem bekannt, einen Runden Tisch mit externen Expertinnen und Experten ins Leben zu rufen, der die Provenienz der Sammlung überprüfen soll. Dabei sollte der Fokus auf der Überprüfung der methodischen Arbeit der Forschung der Stiftung Bührle liegen statt auf der Provenienz einzelner Werke. 2023 sollte die Überprüfungsarbeit beginnen, erste Ergebnisse wurden für 2024 erwartet.