Pilotprojekt: Muslimische Seelsorge in Bundesasylzentren

Als PDF speichern

Im Juli 2016 startete das SEM ein einjähriges Pilotprojekt für eine muslimische Seelsorge in den Zürcher Bundesasylzentren. Das Projekt sei in enger Zusammenarbeit mit den reformierten und katholischen Landeskirchen sowie mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) erarbeitet worden, welche die Seelsorge bis anhin angeboten hatten. Ziel des Projekts – welches von der Vereinigung der Islamischen Organisationen in Zürich (VIOZ) umgesetzt werde – sei zu prüfen, welchen Nutzen eine muslimische Seelsorge bringe und ob diese allenfalls in Zukunft flächendeckend in allen Schweizer Bundesasylzentren angeboten werden könne. Insgesamt wurden für diese Periode drei muslimische Seelsorgende durch das SEM angestellt – eine Frau und zwei Männer –, wie das SEM in einer Medienmitteilung bekannt gab.
Im Oktober 2017 veröffentlichte das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg einen Evaluationsbericht über den Nutzen und die Machbarkeit einer muslimischen Seelsorge in Bundesasylzentren. Das SZIG hatte das Pilotprojekt über die gesamte Zeitspanne hinweg begleitet und untersuchte mit Daten über die Auslastung der Bundesasylzentren sowie mit Ergebnissen aus teilnehmender Beobachtung und qualitativer Interviews, welche Auswirkungen der Einsatz der drei Seelsorgenden hatte.
Die Evaluation habe gezeigt, dass «die muslimische Seelsorge einen klaren Mehrwert für die Asylsuchenden, das Asylzentrum sowie die Schweizer Gesellschaft» biete. Viele Asylsuchende hätten den Wunsch, mit einer Person der eigenen Religion zu sprechen. Weiter hätten die Seelsorgenden eine «Brückenfunktion» zwischen dem Herkunftsland und der Schweizer Gesellschaft einnehmen können. Insbesondere der Abbau von Vorurteilen und Missverständnissen sowie die Vermittlung eines Islams, welcher mit einem säkularen Staat sowie einer pluralistischen Gesellschaft vereinbar sei, seien im Zentrum gestanden. Damit und mit ihrer Vorbildfunktion hätten die Seelsorgenden auch dabei helfen können, «extremistischen Auffassungen den Nährboden [zu] entziehen».
Das SZIG empfahl entsprechend, die muslimische Seelsorge schrittweise auf weitere Bundesasylzentren schweizweit auszubauen. Dafür sei es einerseits zentral, dass Seelsorgende beider Geschlechter eingesetzt würden, andererseits brauche es ein spezifisches Weiterbildungsangebot für die künftigen Seelsorgenden. Es sei jedoch unklar, wie das Projekt finanziert werden solle. Die christliche Seelsorge werde derzeitig von den Landeskirchen finanziert, die muslimischen Organisationen hätten aber die nötigen Mittel dafür nicht, auch wenn sie stark an einer muslimischen Seelsorge interessiert seien.
Aufgrund der positiven Ergebnisse und der gleichzeitig unklaren finanziellen Lage entschied das SEM im Februar 2018, das Pilotprojekt bis Ende Juni 2018 zu verlängern und dann einzustellen. Da der Kanton Zürich die muslimische Seelsorge als ein wichtiges Angebot erachtete, führte der Verein «Qualitätssicherung der Muslimischen Seelsorge in öffentlichen Institutionen» (QuaMS) das Angebot von muslimischer Seelsorge ab Sommer 2018 in zwei Zürcher Bundesasylzentren weiter.

Als Reaktion auf verschiedene Konflikte in Bundesasylzentren entschied das SEM im Frühling 2021, das Pilotprojekt für eine muslimische Seelsorge, welches Ende 2018 eingestellt worden war, wieder aufzugreifen. Das Projekt wurde vorerst erneut bis Ende 2021 befristet. Dazu stellte das SEM drei Seelsorgende ein, welche in insgesamt sechs Bundesasylzentren der West- und Ostschweiz tätig waren. Hinzu kamen die zwei Seelsorgenden, die bereits im Rahmen des Vereins QuaMS als muslimische Seelsorgende in den Zürcher Bundesasylzentren tätig waren.
Wie bereits früher begleitete das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg das Projekt und zog im Januar 2022 ein positives Fazit. Das Projekt sei auf allen Seiten auf positive Reaktionen gestossen. Die Seelsorgenden hätten bei Konflikten und Krisen unterstützend gewirkt, wobei die «sprachliche, kulturelle und religiöse Nähe zu den Gesuchsstellenden» von grosser Bedeutung gewesen sei. Auch den Mitarbeitenden in den Bundesasylzentren hätten sie als Beraterinnen und Berater unterstützend zur Seite gestanden. Der Einbezug des Zürcher Vereins «QuaMS» habe sich ebenfalls als sehr hilfreich herausgestellt. Verschiedene Befragte hätten allerdings kritisch beurteilt, dass die muslimischen Seelsorgenden vom SEM und christliche Seelsorgende von einer Religionsgemeinschaft angestellt worden waren. Diese «Asymmetrie» könne längerfristig zu Konflikten führen. Das SZIG kam insgesamt zum Schluss, dass das Projekt sowie die Zusammenarbeit mit dem Verein «QuaMS» weitergeführt und «stabile Regelstrukturen» sowie ähnliche Organisationen für die Westschweiz geschaffen werden sollten.
Basierend auf der positiven Evaluation des zweiten Pilotprojekts gab das SEM in einer Medienmitteilung Ende Januar 2022 bekannt, dass die muslimische Seelsorge bis Ende Dezember 2022 verlängert werden soll. Sollten die Ergebnisse weiterhin so positiv ausfallen, solle – falls möglich – eine dauerhafte, schweizweite Einführung einer muslimischen Seelsorge in den Bundesasylzentren angestrebt werden.

Ende Januar 2023 gab das SEM in einer Medienmitteilung bekannt, dass die muslimische Seelsorge in den Bundesasylzentren (BAZ) dauerhaft eingeführt wird. Grund für diesen Entscheid seien die durchwegs positiven Evaluationen des Pilotprojektes zwischen 2021 und 2022 durch das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) der Universität Freiburg. Das Angebot sei von allen Seiten geschätzt worden: Die muslimischen Asylsuchenden nähmen die Seelsorge gerne in Anspruch und die Mitarbeitenden in den Zentren schätzten etwa die Fachkompetenz der Seelsorgenden. Insgesamt sind sechs Personen (davon eine Frau) in den vier Asylregionen (Zürich, Westschweiz, Ostschweiz, Tessin) als muslimische Seelsorgende angestellt.

Aktuell wird das Angebot, welches Kosten von rund CHF 450'000 mit sich bringt, gemäss SEM durch den Betriebskredit der BAZ finanziert. Obwohl das Asylgesetz eine Finanzierung durch das SEM grundsätzlich ermögliche, solle dieses Angebot zukünftig eine klare Aufnahme in das Gesetz finden. Eine entsprechende Vorlage zur Revision des Asylgesetzes ging Ende Januar 2023 in die Vernehmlassung.