Lücken bezüglich sozialer Mindestnormen im öffentlichen Beschaffungswesen schliessen (Mo. 22.3019)

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Die WAK-NR reichte im Februar 2022 eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat beauftragen wollte, die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen so anzupassen, dass auch Prinzipien aus anderen von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bezüglich sozialer Mindestnormen wie zum Beispiel Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Schutz vor Mobbing und sexueller Belästigung und exzessive Arbeitszeiten eingehalten werden müssen.
In seiner Stellungnahme vom Mai 2022 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen und damit der Kommissionsminderheit zu folgen. Die Schweiz habe bereits internationale Übereinkommen, die sich mit den Themen Gesundheitsschutz, Sicherheit am Arbeitsplatz und Schutz vor exzessiven Arbeitszeiten befassen, ratifiziert. Somit reichten die rechtlichen und gesetzlichen Grundlagen aus, um die sozialen Mindeststandards bei der Vergabe von Aufträgen zu gewährleisten.
Der Nationalrat beschäftigte sich im Rahmen der Sondersession 2022 mit dem Vorstoss und nahm diesen mit 103 zu 78 Stimmen (bei einer Enthaltung) an. Zuvor hatte Kommissionssprecher Martin Landolt (mitte, GL) die Wichtigkeit dieser Verordnungsanpassung betont, um gleiche soziale Arbeitsstandards sowohl für schweizerische als auch für ausländische Anbietende zu gewährleisten. Schweizer Unternehmen sind verpflichtet, soziale Mindestnormen einzuhalten. Da diese Normen jedoch nicht in internationalen Abkommen geregelt sind, müssen sich ausländische Unternehmen nicht an sie halten. Es bestehen somit unterschiedlichen Anforderungen an schweizerische und ausländische Unternehmen, die in der Schweiz tätig sind.
Thomas Burgherr (svp, AG) erachtete es hingegen als «fragwürdig und heikel», Prinzipien aus von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen in die Verordnung zu übernehmen. Gleichzeitig beriet der Nationalrat eine zweite Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen, die er ebenfalls an den Zweitrat überwies (Mo. 22.3020), sowie die parlamentarische Initiative Porchet (gp, VD; Pa.Iv. 20.486), die im Anschluss an die Behandlung von der Nationalrätin zurückgezogen wurde.

Der Ständerat beschäftigte sich im Rahmen der Herbstsession 2022 mit der Motion der WAK-NR zur Einhaltung der Prinzipien aus anderen, von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der ILO zu sozialen Mindestnormen im öffentlichen Beschaffungswesen. Im Rahmen der Debatte betonte Kommissionssprecher Ruedi Noser (fdp, ZH), dass bei der Auftragsvergabe situativ angeschaut werden soll, welche sozialen Mindestnormen verlangt werden sollen – etwa auch abhängig davon, ob eine Leistung oder Güter eingekauft werden. Zudem präzisierte Noser, dass die in den ILO-Übereinkommen definierten Mindestnomen zuerst ins staatliche Recht aufgenommen werden müssen, bevor sie für Unternehmen gelten. Folglich würde es einer «schwarzen Liste» von Staaten bedürfen, in denen die Unternehmen nicht an die Regeln gebunden sind. Die Kommissionsmehrheit empfahl die Motion deshalb zur Ablehnung. Die Minderheitensprechenden Adèle Thorens Goumaz (gp, VD) und Stefan Engler (mitte, GR) argumentierten, dass Schweizer Unternehmen aktuell gegenüber ausländischen Unternehmen benachteiligt seien, da Letztere bei Vergaben nicht dieselben sozialen Standards einhalten müssten wie die Schweizer Unternehmen aufgrund des Arbeitsrechts. Der Ständerat folgte jedoch der Mehrheit der WAK-SR und lehnte die Motion mit 27 zu 16 Stimmen ab. Damit ist der Vorstoss erledigt. Gleichzeitig lehnte der Rat auch eine Motion der WAK-NR mit ähnlichem Anliegen ab (Mo. 22.3020).