Änderung des KVG hinsichtlich Datenaustausch und Risikoausgleich (BRG 23.048)

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Im Juni 2023 präsentierte der Bundesrat die Botschaft für eine Änderung des KVG hinsichtlich Datenaustausch und Risikoausgleich. In Erfüllung dreier Motionen sollte damit ein «zusätzlicher Datenaustausch zwischen Kantonen und Versicherern» etwa bezüglich Kontaktinformationen der Versicherten geschaffen werden, damit die Kantone beispielsweise die Versicherungspflicht und die Versicherungen im Gegenzug eine Aufnahme in den Risikoausgleich prüfen können (Mo. 18.3765 und Mo. 18.4209). Änderungen sollte es auch beim Risikoausgleich selbst geben, so sollten einerseits neu auch im Ausland wohnhafte Versicherte in den Risikoausgleich integriert werden und gleichzeitig «verschollene» Versicherte, von denen keine Adresse bekannt ist und keine Prämien erhoben werden können, aus dem Risikoausgleich gestrichen werden (Mo. 17.3311).

Gemäss Bundesrat sei der Datenaustausch in der Vernehmlassung grundsätzlich befürwortet worden, jedoch hätten einige Kantone Übergangsfristen gefordert oder Präzisierungen vorgeschlagen. Die Gemeindeverbände hätten überdies ebenfalls Zugang zu den entsprechenden Daten verlangt. Die Kantone und Parteien befürworteten auch die Änderungen beim Risikoausgleich, während die Krankenkassenverbände und eine Wirtschaftsorganisation die Aufnahme von Versicherten aus dem Ausland ablehnten oder kritisierten, unter anderem weil die Datenqualität in dieser Versichertengruppe zu schlecht sei. Bezüglich dieser Regelung nahm der Bundesrat in der Folge verschiedene Detailänderungen vor.

In der SGK-NR fand die Botschaft des Bundesrates bezüglich der Änderung des KVG hinsichtlich des Datenaustauschs und Risikoausgleichs Anklang und die Kommission beantragte im November 2023 einstimmig mit 17 zu 0 Stimmen (4 Enthaltungen) den entsprechenden Entwurf anzunehmen.
Für die Kommission präsentierten Regine Sauter (fdp, ZH) und Léonore Porchet (gp, VD) das Geschäft in der Wintersession 2023 im Nationalrat. Eintreten war unbestritten, es gab aber eine Reihe von Minderheitsanträgen: Eine Minderheit Bircher (svp, AG) forderte, dass in der Schweiz lebende Personen ohne AHV-Nummer oder Aufenthaltsrecht von der OKP ausgeschlossen werden. Der Minderheitsantrag schaffte es nicht, ausserhalb der SVP-Fraktion Fuss zu fassen und wurde abgelehnt. Ein Minderheitsantrag Aeschi (svp, ZG), der ähnlich wie Bircher Missstände bei der Krankenversicherung von Sans-Papiers ausmachte, blieb ebenfalls chancenlos. Manuela Weichelt (gp, ZG) wiederum verlangte in ihrem Minderheitsantrag die Streichung der Möglichkeit, sich rückwirkend versichern zu lassen, da dies falsche Anreize setze. Ausser der Grünen- und der SP-Fraktion stimmte ihrem Minderheitsantrag niemand zu und er wurde ebenfalls abgelehnt. Die Minderheit de Courten (svp, BL) hingegen, die forderte, dass das BFS bei den aggregierten Kosten der Versicherten die Nationalität erhebt, fand in der grossen Kammer eine knappe Mehrheit.
Der Nationalrat nahm die Revision des Bundesgesetzes mit 132 zu 0 Stimmen (62 Enthaltungen) einstimmig in der Gesamtabstimmung an, wobei alle Enthaltungen von den geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und den Grünen stammten.

In der Frühjahrssession 2024 wurde die Änderung des KVG hinsichtlich des Datenaustauschs und Risikoausgleichs im Ständerat behandelt, wobei Pirmin Bischof (mitte, SO) der kleinen Kammer die Beschlüsse aus der SGK-SR schilderte. Der erste von zwei grossen Diskussionspunkten drehte sich um die «Phantomversicherten». Die Kommission beantragte hierbei in Einklang mit dem Nationalrat, im Ausland wohnhafte Versicherte in den Risikoausgleich miteinzubeziehen und den Datenaustausch zu ermöglichen, um die Versicherungspflicht für unerreichbare Versicherte zu sistieren. Zudem soll gemäss SGK-SR eine rückwirkende Versicherung möglich sein, wenn diese «Phantomversicherten» wieder auftauchten. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider sprach sich in ihrem Votum gegen dieses Vorgehen aus: Die Möglichkeit, sich rückwirkend versichern zu lassen, setze falsche Anreize und führe zu Rechtsunsicherheiten. Die kleine Kammer folgte jedoch ihrer Kommission und nahm deren Antrag mit 30 zu 11 Stimmen (0 Enthaltungen) an. Die zweite grössere Diskussion ergab sich bei der Erhebung der Nationalität. Bischof erläuterte, dass eine knappe Mehrheit der Kommission die Erhebung und Auswertung der Nationalität durch das BfS befürworte. Dahinter liege die Überlegung, so die Transparenz zu steigern und nationalitätsspezifische Präventionskampagnen durchführen zu können. Neben dem Bundesrat, der bemängelte, dass eine Erhebung der Nationalität mit viel Aufwand verbunden und nicht typisch für die Gesundheitspolitik sei, sprach sich auch eine Minderheit Hurni (sp, NE) für die Streichung der Bestimmung aus: Es gehe in diesem Gesetzesentwurf nicht um eine Leistungsstatistik, was die Erhebung der Nationalität begründen könnte und selbst bei der AHV und IV erhebe man diese Variable nicht. Weiter schaffe die Erhebung zahlreiche offene Fragen, beispielsweise wie Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft ausgewiesen würden. Die Abstimmung fiel äusserst knapp aus: Mit 20 zu 19 Stimmen (2 Enthaltungen) wurde der Antrag der Minderheit angenommen, wobei hauptsächlich Parlamentarier und Parlamentarierinnen von der SP, Mitte und den Grünen dem Antrag der Minderheiten zustimmten.
In der Gesamtabstimmung wurde der Entwurf einstimmig mit 40 zu 0 Stimmen (1 Enthaltung) angenommen.

Mitte April 2024 empfahl die Mehrheit der SGK-NR, dem Ständerat in der KVG-Revision zum Datenaustausch und Risikoausgleich in sämtlichen Punkten zu folgen, und nahm zusätzlich eine kleine formale Änderung vor. Ausserdem reichte die Kommission noch eine eigene Motion (24.3470) mit dem Ziel ein, die Nationalität der Versicherten in der OKP zu berücksichtigen, wohingegen man die gleichlautende Forderung analog zum Ständerat aus der KVG-Revision strich.
In der Sommersession 2024 ging die entsprechende Änderung des KVG im Nationalrat in die erste Runde der Differenzbereinigung, wobei es insgesamt vier Differenzen und einen Minderheitsantrag von Martina Bircher (svp, AG) zu diskutieren gab. Léonore Porchet (gp, VD) und Regine Sauter (fdp, ZH) erläuterten die Position der Kommissionsmehrheit und sprachen über die Differenzen zum Ständerat. Man habe in der Kommission – ähnlich wie in der Ratsdebatte – viel über die Erhebung der Nationalität der Kostenverursachenden gesprochen und sei nach Gesprächen mit der Verwaltung zum Schluss gekommen, dem Ständerat zu folgen und diese wegen eines zu «grossen administrativen Aufwand[s]» nicht zu erheben. Mit einer Kommissionsmotion soll jedoch das BFS beauftragt werden, das Anliegen durch Verknüpfung bestehender Daten umzusetzen. Bei der Minderheit Bircher, welche die Erfassung der Nationalität bei der Prämienverbilligung forderte, sei die Kommission mit 14 zu 10 Stimmen dem Ständerat gefolgt, der das Anliegen wegen des mangelnden Nutzens verworfen habe. In seiner ersten Behandlung hatte der Nationalrat den entsprechenden Artikel noch angenommen. Weitere kleinere Differenzen beträfen den Umgang mit den Phantomversicherten und die Koordination mit EFAS, wobei man auch hier dem Ständerat gefolgt sei.
Der Nationalrat diskutierte in der Folge hauptsächlich über die Erhebung der Nationalität der Kostenverursachenden im Allgemeinen sowie bei den Prämienverbilligungen. Martina Bircher argumentierte, es spreche nichts gegen die Erhebung der Nationalität, ausser «man sei gegen Transparenz und habe etwas zu verstecken», zumal die Nationalität über die AHV-Nummer leicht zu erheben sei. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider begrüsste hingegen die Vorschläge der Kommissionsmehrheit und den Verzicht auf die Erhebung der Nationalität, zumal «[d]ie zusätzliche Arbeitsbelastung [...] in keinem Verhältnis zum Nutzen dieser Informationen [stünde]».
Der Nationalrat folgte im Anschluss bei den meisten Differenzen stillschweigend dem Ständerat und lehnte die Minderheit Bircher mit 126 zu 64 Stimmen ab. Einzig die geschlossen stimmende SVP-Fraktion votierte für die Minderheit Bircher.

Nachdem der Nationalrat in der Sommersession 2024 die letzten wichtigen Differenzen zwischen den beiden Kammern bereinigt hatte, musste der Ständerat wenige Tage später noch über eine kleinere Änderung, welche der Nationalrat an der Revision des KVG hinsichtlich Datenaustausch und Risikoausgleich vorgenommen hatte, entscheiden. Pirmin Bischof (mitte, SO) erklärte als Kommissionssprecher, dass es sich um eine Formalität bei der Sistierung der Phantomversicherten handle, wo ein Artikel überflüssig geworden sei. Die SGK-SR beantrage einstimmig, diese Änderung zu übernehmen, was die kleine Kammer im Anschluss auch stillschweigend tat.

In den Schlussabstimmungen, die eine gute Woche nach der finalen Differenzbereinigung im Ständerat stattfand, beschlossen die beiden Räte jeweils einstimmig – der Ständerat mit 45 zu 0 Stimmen und der Nationalrat mit 198 zu 0 Stimmen –, den Entwurf anzunehmen.