Evaluation der Gerichtspraxis nach der Revision des Unterhaltsrechts mit Fokus auf Obhuts- und Besuchsrechtsregelung (Po. 21.4141)

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In der Wintersession 2021 überwies der Nationalrat stillschweigend ein Postulat Silberschmidt (fdp, ZH), womit Bundesrat, der das Postulat zur Annahme empfohlen hatte, den Auftrag erhielt, die seit der neuen Unterhaltsrechtsrevision (seit 1.1.17) ausgeübte Gerichtspraxis mit Fokus auf die Obhuts- und Besuchsrechtsregelung zu evaluieren. Insbesondere soll der Postulatsbericht Rückschlüsse über die Häufigkeit der Anordnung einer alternierenden Obhut zulassen und aufzeigen, in welchen Fällen dieses Modell gewählt worden war. Mit der betreffenden Unterhaltsrechtsrevision war die alternierende Obhut erstmals explizit im Gesetz erwähnt worden. Ebenfalls ermöglichte die Revision, dass die alternierende Obhut auch im Falle der Uneinigkeit zwischen den Eltern vom Gericht geprüft werden muss, sofern ein Kind oder ein Elternteil diese verlangt.

Dossier: Nouvelle réglementation de la responsabilité parentale 2012–2017

Ein im April 2024 in Erfüllung eines Postulats Silberschmidt (fdp, ZH) publizierter Bericht fand keinen Nachweis dafür, dass die Gerichte einer Förderung der alternierenden Obhut im Wege stehen würden. Tatsächlich würde die alternierende Obhut zwar nach wie vor nur selten beschlossen, doch sei dies in erster Linie den «realen Lebensumständen» geschuldet – also namentlich weit auseinanderliegenden Wohnorten sowie der beruflichen und finanziellen Situation der beiden Elternteile –, folgerte der Bundesrat in seinem Bericht. Diese Rückschlüsse zog der Bundesrat nach Kenntnis zweier durch das Büro BASS in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich erstellter Studien, die in Erfüllung des Postulats in Auftrag gegeben worden waren und die unter anderem die Gerichtspraxis in fünf Kantonen untersuchten. Die Studien zeigten auch auf, dass die alternierende Obhut in der Romandie verbreiteter ist als in der Deutschschweiz, was auf die stärkere Erwerbsintegration der Westschweizer Mütter vor der Trennung zurückgeführt wurde. Zudem kam sie zum Schluss, dass die Regelung der Obhut nach einer Trennung oder Scheidung in den meisten Fällen einvernehmlich erfolge. In Fällen, wo dies nicht der Fall ist, wurde den Richterinnen und Richtern ein gutes Zeugnis attestiert im Versuch, eine Einigung zu erzielen und individuelle Lösungen für die Kinder zu finden. Auch gaben die im Rahmen der Studien befragten Richterinnen und Richter zu Protokoll, dass die Betreuungszeiten der Väter seit der Revision des Kindesunterhaltsrechts von 2017 generell zugenommen hätten und im Unterschied zu den früher üblichen Besuchen, die jeweils jedes zweite Wochenende stattfanden, nun auch «einzelne regelmässige Betreuungszeiten unter der Woche» umfassten.
Aufgrund all dieser Erkenntnisse folgerte der Bundesrat, dass es keiner weiteren Revision des Zivilgesetzbuches bedürfe. Vielmehr anerkannte er die Wichtigkeit gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und verwies auf die im Aktionsplan der Gleichstellungsstrategie 2030 aufgeführten Massnahmen, denn je ausgeglichener die Betreuungsverhältnisse bereits vor der Trennung seien, desto gleichmässiger verteilt seien sie auch nach der Trennung. Nicht zuletzt ortete der Bundesrat Handlungsbedarf im Bereich der Familienverfahren und Familiengerichtsbarkeit, wobei er auf laufende Abklärungen in Erfüllung mehrerer Postulate hinwies (Po. 19.3503; Po. 19.3478; Po. 22.3380; Po. 23.3047). Ebenfalls unterstützte er die Prüfung von möglichen Vereinfachungen der Unterhaltsberechnung. Auch dies entspricht der Forderung eines bereits überwiesenen Postulats (Po. 23.4328).

Dossier: Nouvelle réglementation de la responsabilité parentale 2012–2017