Parteien, Verbände und Interessengruppen
Verbände und übrige Interessenorganisationen
Les associations patronales devant les questions sociales et la politique étrangère — Malaise de l'artisanat au sujet de l'intervention de l'État dans l'économie — Réserve critique, mais modérée, des paysans au sujet de la politique d'aménagement foncier et dans les questions agricoles — Plan d'ensemble pour une sécurité sociale et mesures contre l'amenuisement des effectifs dans les syndicats.
Im Gegensatz zu den Parteien, deren Tätigkeit aufs Ganze des Staates gerichtet ist, wirken die Verbünde nur auf spezielle Sachentscheidungen ein. Ein wesentlicher, ausschlaggebender Teil ihrer politischen Tätigkeit spielt sich im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens ab und entzieht sich der Kenntnis der Öffentlichkeit. Als politischer Faktor ist mithin der Verbandseinfluss nur so weit fassbar, als die Verbände in den schwebenden Such/ragen ebenfalls an die öffentliche Meinung appellieren. In diesem Bereich resultiert ihre Stellungnahme weitgehend aus ihrer Interessenlage. Sie ist darum weniger aufschlussreich als die Art und Weise, wie sie begründet wird. Da wir in den einzelnen Sachkapiteln schon weitgehend auf diese Argumente eingegangen sind, befassen wir uns hier mit dem Verbandsverhalten nur so weit, als damit auf die gesamtschweizerische politische Willensbildung etwas Licht fällt. Das innere Verbandsleben wirft selten grosse Wellen in der Öffentlichkeit. Für die Spitzenverbände, auf die wir unsere Betrachtung zum grössten Teil beschränken, ist dieses ohnehin nicht belangvoll, da sie in der Regel nur Kollektivmitglieder besitzen.
Unternehmer
In der Stellungnahme zu allgemeinen politischen Landesfragen war man in den Unternehmer- und Arbeitgeberverbänden (
Vorort, Zentral verband schweizerischer Arbeitgeber, Schweizerische Bankiervereinigung usw.) eher zurückhaltend, abwägend und differenzierend, im Gegensatz etwa zum Gewerbeverband, der sich in manchen umstrittenen Problemen dezidierter und kompromissloser äusserte. Ohne Zweifel sorgte in manchen Fällen die gemeinsame Interessenlage von Unternehmern und Arbeitgebern für eine gewisse « unité de doctrine ». Wir denken an ihre Haltung in der Fremdarbeiterfrage, bei der Einführung der 44-Stunden-Woche für das Bundespersonal, beim Bodenrecht (einheitliche Ablehnung des bundesrätlichen Gegenvorschlags), in der Revision des Notenbankgesetzes und in der Gestaltung der Finanzpolitik. Während der Gewerbeverband hier die « Politik der leeren Kassen » vertrat, widersetzte man sich in den genannten Kreisen dem Sofortprogramm nicht, machte aber die Erschliessung zusätzlicher Mittel — vorwiegend auf dem Wege der indirekten Besteuerung — von Sparmassnahmen abhängig
[1]. Symptomatisch war es, dass die Zürcher Handelskammer den Ausbau des Staatsvertragsreferendums aufgriff; offenbar im Hinblick auf kommende wichtige aussenpolitische Entscheide, die uns unsere veränderte Stellung in einem sich wandelnden Europa aufnötigen wird. Die Handelskammer unterstützte den Vorschlag des « Redressement National », mit der Bundesverfassung nicht in Einklang stehende Staatsverträge der obligatorischen Abstimmung von Volk und Ständen zu unterbreiten. Sie regte ferner an, die Kompetenzen für den Abschluss von Staatsverträgen neu zu umschreiben
[2].
Seit den Konjunkturbeschlüssen war beim
Gewerbeverband ein schon vorher bestehendes Malaise gegenüber der bundesrätlichen Wirtschaftspolitik in offene Gegnerschaft übergegangen. Sie wurde durch andere Bundesmassnahmen noch gesteigert, vor allem durch die Pilot-Untersuchung über die Preisgestaltung im Sektor von Haushaltartikeln
[3]. Der Blitzbesuch, mit dem Bundespräsident Schaffner, den Flugweg benützend, den schweizerischen Gewerbekongress vom Anfang Mai in Locarno überraschte, wurde als Entspannungsversuch gedeutet
[4]. Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes nahm die Gelegenheit wahr, dem Gewerbe die Beweggründe der bundesrätlichen Konjunkturpolitik plausibel zu machen. Gleichzeitig betonte er aber die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit zwischen Verbänden und Staat. In der Rede des Verbandspräsidenten, Nationalrat U. Meyer-Boller, erschien das Verhältnis von Gewerbe und Staat recht ambivalent
[5]. Man ist sich zwar der Vorteile bewusst, die auch der Gewerbeverband der leichten Zugänglichkeit zu den Amtsstellen verdankt. Trotzdem war aus dem Referat des Präsidenten deutlich ein gewisses Unterlegenheitsgefühl gegenüber dem Staat herauszuhören. Nach der Meinung des Referenten droht das Gewerbe, das als Wirtschaftspotential ohnehin eine Art Minderheitsstellung einnimmt, durch die gegenwärtige Bundespolitik in eine Randexistenz gedrängt zu werden. Der Bund überschreite dabei offensichtlich seine verfassungsmässigen Kompetenzen, so wenn er eine förmliche Konsumentenschutz- und Wettbewerbspolitik betreibe. Meyer-Boller sprach von einer Kartellpsychose. Sie werde durch bewusste Übertreibung allfällig negativer Züge der Kartelle genährt. Die Angst des Gewerbes vor einer seinen Interessen zuwiderlaufenden Führung oder gar Lenkung der Wirtschaft durch den Staat macht seine auffallend negative Haltung in vielen zentralen politischen Fragen verständlich, am augenfälligsten in der Finanzpolitik. Der Gewerbeverband vertrat hier von allen Verbänden am konsequentesten die Parole, wenn der Staat nicht knapp an Geld sei, werde er zu übertriebener Tätigkeit veranlasst
[6].
Landwirtschaft
Eine gewisse Bereitschaft zu ähnlichen Gefühlen war auch in den Kreisen der bäuerlichen Verbände vorhanden, wenn sie sich auch nicht so offen äusserte wie beim Gewerbe. So bemängelte der Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes, R. Juri, dass der Staat sich an ein luxuriöses, fast verschwenderisches Gehaben gewöhnt habe
[7]. Doch ist die Landwirtschaft, die ohne dauernde Staatsintervention nicht leben kann, auf ein positives Verhältnis zum Staat angewiesen. Es war deshalb aufschlussreich, zu verfolgen, wie sich diese zur Bekräftigung des neuen Kurses in der bundesrätlichen Agrarpolitik einstellte, der in der Veröffentlichung des « Dritten Landwirtschaftsberichts » und des sog. « Grünen Berichts » zum Ausdruck kam. Bestätigte doch der Bundesrat damit seine Absicht, die kurzfristigen Preisstützungsmassnahmen möglichst durch langfristig geplante Strukturverbesserungen zu ersetzen und die so oft angefochtenen Grundlagen der bäuerlichen Einkommensberechnung (Auswahl der Testbetriebe durch das Bauernsekretariat, Einkommensparität usw.) genau untersuchen zu lassen. Aus den bäuerlichen Kommentaren zu den beiden Berichten sprach zunächst eine gewisse Furcht, die kommende Agrarpolitik könnte zu einer materiellen Schlechterstellung der Landwirtschaft führen
[8]. Auf der einen Seite glaubte man bäuerlicherseits eine Bestätigung, ja Rechtfertigung der bisherigen Agrarpolitik herauslesen zu dürfen. Auf der andern Seite beklagte man sich, die wirtschaftliche Lage der Bauern werde allzu isoliert betrachtet:So werde z. B. der Tatsache zu wenig Rechnung getragen, dass die junge Generation aus den landwirtschaftlichen Berufen abwandere und die aktive bäuerliche Bevölkerung überaltert sei. Es gelte ferner, die Nachteile zu sehen, die der Landwirtschaft aus der Gestaltung.der allgemeinen Bundespolitik erwüchsen (Aussenhandels-, Finanz- und Bodenpolitik). Der Bauernverband machte darauf aufmerksam, dass der produktionspreissteigemde Effekt der Bodenverteuerung alarmierender sei, als man annehme (10 Rp. pro m2 = 1 Milchpreisrappen). Er drängte darum auf eine rasche Revision des Bodenrechts und plädierte entschieden dafür, dem Volk den bundesrätlichen Gegenvorschlag zur sog. Bodenrechtsinitiative vorzulegen
[9].
Arbeitnehmer
Dass Wirtschaftsverbände nur attraktiv sind, wenn sie ihren Mitgliedern Vorteile gewähren, liegt im Wesen der Interessenwahrnehmung. Je grösser die Mitgliederzahlen, und je mehr entsprechende Verbandsforderungen als Belastung der Allgemeinheit erscheinen, um so eher gelangt die Verbandspolitik ins Kreuzfeuer einander widerstrebender Interessen. Das mussten neben den Bauern im vergangenen Jahre vor allem die mitgliederstarken Verbände der Arbeitnehmer erfahren. Ihre Hauptpostulate, Arbeitszeitverkürzung und weitgehender Ausbau der Sozialversicherung, waren, wie an anderer Stelle unseres Jahresüberblicks schon gezeigt worden ist, zum Teil sehr umstritten
[10]. Wer, wie der Schweizerische Gewerkschaftsbund an seinem Jahreskongress in Luzern
[11], vom Staat einen Gesamtplan für die soziale Sicherheit verlangt, erregt zusätzlichen Argwohn, weil er die öffentliche Hand überfordere, zumal wenn er gleichzeitig seine Mandanten vor einseitiger steuerlicher Belastung bewahren möchte. Der Gewerkschaftsbund plädierte in diesem Sinne zwar für die Erschliessung neuer Finanzquellen, wies jedoch das Sofortprogramm zurück, weil die besitzenden Kreise zu wenig konsequent zu neuen Leistungen herangezogen würden
[12].
Aber nun scheint auch ein so weitgehendes soziales Reformprogramm nicht mehr genügend Anziehungskraft auf die breiten Massen der Arbeitnehmer auszustrahlen. Die beiden grössten Spitzenverbände klagten auch 1966 über Mitgliederschwund. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund meldete einen Verlust von ca. 1000 Mitgliedern, der Christlichnationale Gewerkschaftsbund einen solchen von 43
[13]. Nur der dem Freisinn nahestehende Landesverband freier Schweizer Arbeiter verzeichnete eine Zunahme seiner Mitglieder um 1,4 %
[14]. In seinem Referat am Gewerkschaftskongress erblickte der Präsident des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes, Nationalrat Wüthrich, die Gründe des Mitgliederschwundes vor allem im Desinteressement der jungen Generation und der ausländischen Gastarbeiter, ferner in einer gewissen Gewerkschaftsfeindlichkeit jüngerer, neoliberal gesinnter Unternehmer. Die Gewerkschaften hatten schon früher, freilich vergeblich, von den Nichtorganisierten gefordert, sie hätten für die ihnen von den Gewerkschaften gebotenen, aber nicht honorierten Vorteile Solidaritätsbeiträge in ihre Kassen zu entrichten. Denn unter dem Regime der Allgemeinverbindlichkeit seien sie Nutzniesser der Gesamtarbeitsverträge, die ohne Gewerkschaften nicht abgeschlossen würden. Anstelle dieser eher abschreckenden Zwangsmassnahme postulierte nun der Schweizerische Gewerkschaftsbund, um die Mitgliedschaft in seinen Reihen anziehender zu machen, es seien den Organisierten Sonderrechte zu gewähren; etwa in Form von materiellen Vorteilen, die ihnen von Unternehmern (Besserstellung innerhalb der Gesamtarbeitsverträge) und vom Staat (z. B. Abzug der Mitgliederbeiträge bei den Steuern) eingeräumt werden müssten
[15]. Eine materielle Besserstellung aller Arbeiter strebt der Landesverband freier Schweizer Arbeiter an, wenn er in seinem neuen Sozialprogramm die Beteiligung am Betriebserfolg verlangt
[16]. Aber auch gegenüber der Variante der Sonderrechte wurden Einwände nicht nur von Arbeitgeber-
[17], sondern auch von gewerkschaftlicher Seite erhoben. Am Luzerner Kongress erklärten Opponenten den Prestigeverlust der Gewerkschaften mit ihrem gouvernemental-bürokratischen Gehaben und forderten eine Anpassung der veralteten gewerkschaftlichen Struktur an die veränderte Zeit, etwa im Sinne grösserer Aktivierung der Mitglieder
[18]. Nach der Ansicht von Prof. E. Schweingruber wäre das gesuchte Ziel übrigens auf weniger anfechtbare Weise auch dann zu erreichen, wenn für die Organisierten paritätische, d. h. von beiden Sozialpartnern gemeinsam verwaltete, moderne Wohlfahrtseinrichtungen bereitgestellt würden (Ferienheime, Freizeit- und Bildungszentren, Massnahmen für Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie usw.)
[19].
[1] NZZ, 5195, 30.12.66; TdG, 299, 12.12.66; Bund, 471, 2.12.66.
[3] Vat., 21, 26.1.66; NZ, 44, 25.1.66; 77, 18.2.66; Bund, 179, 9.5.66.
[5] Ebenda; ferner NZZ, 1994, 5.5.66; NZ, 206, 6.5.66; Bund, 174, 5.5.66.
[6] NZZ, 4727, 4.11.66; Bund, 444, 14.11.66.
[7] Bericht über die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Bauernverbandes in NZZ, 1396, 30.3.66.
[8] NZZ, 828, 25.2.66; Vat., 86, 14.4.66, u. 302, 30.12.66.
[9] NZZ, 146, 13.1.66; 2518, 8.6.66; Vat., 29, 4.2.66.
[10] Vgl. oben S. 108-115.
[11] Über die Verhandlungen des schweizerischen Gewerkschaftskongresses vom 13./14. Oktober in Luzern vgl. NZZ, 4368, 14.10.66; 4396, 15.10.66; 4418, 17.10.66; NZ, 480, 17.10.66; Gewerkschaftliche Rundschau, 58/1966, Heft 11.
[12] Gewerkschaftliche Rundschau, 58/1966, Heft 11; ferner NZZ, 5583, 25.12.66.
[13] NZZ, 1828, 26.4.66; 1898, 29.4.66.
[15] Gewerkschaftliche Rundschau, 58/1966, S. 328 f.; Vat., 31, 7.2.66. S. auch oben S. 108.
[16] NZ, 519, 9.11.66; NZZ, 4919, 15.11.66.
[17] NZZ, 2715, 20.6.66, mit dem Hinweis, dass der angespannte Arbeitsmarkt eine materielle Diskriminierung der Aussenseiter nicht zulasse; Zürcher Woche, 15, 15.4.66 (Trumpf Buur).
[19] Ebenda. Über das Referat von Prof. Schweingruber am Kongress des VHTL (Handels-, Transport- und Lebensmittelarbeiter) anfang Juni vgl. Bund, 214, 6.6.66.