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Allgemeine Chronik
Überblick
Das politische Jahr 1978 trug gegenüber 1977 nicht wesentlich veränderte Züge. Die wirtschaftliche Konjunktur stagnierte. Die starke Aufwärtsbewegung des Frankens brachte die Exportindustrie in wachsende Schwierigkeiten, so dass sich Bundesrat und Nationalbank schliesslich dazu gedrängt sahen, das Steuer herumzuwerfen und mit massiven Interventionen am Devisenmarkt erneut auf eine gewisse Stabilität der Währung hinzuwirken. Ausserdem wurden neue direkte und indirekte Massnahmen zur Belebung der Produktion ergriffen.
Die Spannung zwischen den Regierungsparteien verschärfte sich. Vor allem bei der Suche nach einer neuen Ordnung der Bundesfinanzen, aber auch in Fragen des Staatsschutzes, der Landesverteidigung, der Energieversorgung, der Landwirtschaftsund der Bildungspolitikentzweiten sich die Sozialdemokraten mit ihren bürgerlichen Partnern. Die Knappheit der Finanzen bot dazu meist den Anlass, unterschiedliche Auffassungen über die Verteilung der Lasten auf die gesellschaftlichen Gruppen und über die Erfordernisse der staatlichen Sicherheit bildeten den Hintergrund. Ausserdem liessen die 1979 fälligen Wahlen das Bedürfnis nach Profilierung zunehmen. So traten die Parteien der Zauberformel zum Abstimmungskampf um die zweite Auflage der Mehrwertsteuer,— anders als beim Entscheid über die erste — auf entgegengesetzten Fronten an. Die Viererkoalition als solche wurde freilich von den führenden Kreisen nicht ernstlich angefochten. Gelangten doch die Regierungsparteien in verschiedenen Sachfragen (insbesondere Hilfe für strukturschwache Regionen, Revision des Atomenergiegesetzes, neues Organisationsgesetz der Bundesverwaltung, Asylgesetz) zu einer Verständigung.
Die wiederum zahlreichen Volksentscheide zeugten von einem andauernden Bedürfnis nach Stabilität bei den Urnengängern, deren Zahl stets unter der Hälfte der Stimmberechtigten blieb. Neuerungen wurden nur akzeptiert, wenn sie dem Gros der Bevölkerung nichts Ungewohntes abforderten und keine grösseren Kosten erwarten liessen. Die drei Initiativen (für Demokratie im Nationalstrassenbau, für autofreie Sonntage und für Senkung des AHV-Alters) fanden sowenig Zustimmung wie die Einführung der Sommerzeit; wenn auch das Hochschulförderungsgesetz und die Bundessicherheitspolizei am fakultativen Referendum scheiterten, kam darin eine Distanz von der akademischen Bildungsschicht bzw. ein gewisses Unbehagen gegenüber Ordnungskräften zum Ausdruck.
Auf weite Sicht dürfte die Gründung des Kantons Jura das bedeutendste Ereignis des Jahres sein. Der schweizerische Bundesstaat hat mit ihr seine Entwicklungsfähigkeit bewiesen. Dass der ungewohnte Schritt in der Volksabstimmung auf keine nennenswerte Opposition mehr stiess, istebensosehr dem Bedürfnis nach Ruhe wie dem Verständnis für eine Minderheit zuzuschreiben. Der Erfolg der Bundespolitik in der Jurafrage zeigt aber auch, dass die massgebenden politischen Kräfte des Landes dort, wo ihre Interessen nicht direkt betroffen werden, leicht zum Konsens zu bringen sind und dass eine breitangelegte Kampagne dann ihre Wirkung tut.
Trotz der verbreiteten Neigung zur Stabilität war das Jahr nicht arm an neuen Entwürfen. Unter diesen fand der Vorschlag für eine neue Bundesverfassung die grösste Aufmerksamkeit, allerdings auch heftige Gegnerschaft. Doch anders als in der Finanz- und in der Sicherheitspolitik verlief hier die Scheidelinie nicht zwischen dem Bürgertum und der Linken. In dieser über den konkreten Alltag hinausweisenden Frage trat vielmehr der Gegensatz zwischen Konservativismus und Reformwille neu auf. Die Verlagerung der Fronten in den verschiedenen Kontroversen gibt Anlass zur Hoffnung, dass das politische Leben nicht allmählich in einem Stellungskrieg erstarrt.
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