<<>>
Allgemeine Chronik
Überblick
1979 war ein Wahljahr und deshalb für grössere Leistungen des politischen Systems wenig geeignet. Ohnehin hemmten Finanzknappheit und Spannungen zwischen den Regierungsparteien die Entscheidungsprozesse. Die Aussichten auf zusätzliche staatliche Mittel zerschlugen sich, als das Volk die nur von den bürgerlichen Koalitionspartnern unterstützte Reform der Bundesfinanzen deutlich verwarf. Von den bevorstehenden Wahlen verstärkt, belastete die Polarisierung eine Lösung verschiedener zentraler Sachfragen; dies gilt neben den Finanzen auch für die Energieversorgung, für Staats- und Persönlichkeitsschutz, Rüstung, Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik. Dabei ging es nicht nur um Kontroversen zwischen den Regierungsparteien; den Hintergrund bildeten die nach wie vor andauernden Auseinandersetzungen um Grundprobleme von Staat und Gesellschaft: um das Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Erhaltung der Umwelt, zwischen Bewahrung und Veränderung der bestehenden Strukturen. zwischen nationalen Interessen und internationaler Ordnung.
Am stärksten trat die Energiefrage ins öffentliche Bewusstsein. Trotz massivem propagandistischem Einsatz der interessierten Kreise wäre die Atomschutzinitiative, die einer Weiterentwicklung der Kernenergieproduktion einen Riegel hätte schieben können, beinahe angenommen worden. Die von den Stimmbürgern sanktionierte Revision des Atomgesetzes und die in verschiedenen Kantonen institutionalisierte demokratische Mitsprache im Kernkraftwerkbau bilden zumindest ernst zu nehmende Bremsen. Mehr als einen Achtungserfolg erreichte auch eine aus dem Parlament hervorgegangene Vorlage für die Senkung des Stimmrechtsalters. Der eidgenössische Urnengang scheint dieser Neuerung wenigstens auf kantonaler Ebene den Weg geöffnet zu haben.
Die Wahlen zeigten vor allem, dass die Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber dem Parteiensystem weiter zunimmt: die Beteiligung sank unter 50%. Deutliche Gewinne des Freisinns und der SVP verlagerten das Gewicht in der Regierungskoalition leicht nach rechts. Der freisinnige Slogan «Weniger Staat» blieb nicht ohne Wirkung. Die Sozialdemokraten vermochten ihren Vormarsch nicht fortzusetzen. Trotz den erwähnten Spannungen wandte sich keine der vier grossen Parteien gegen eine Weiterführung der Regierungszusammenarbeit. Um diese in ihrem empfindlichsten Bereich besser vor neuen Krisen zu bewahren, übergab man einem Vertreter der Linken die Verantwortung für die Finanzen.
Als gesetzgeberische Erfolge der Behörden sind nur die Einigung über ein Raumplanungsgesetz und die Einführung von Flächenbeiträgen als rationelleres Subventionssystem für die Landwirtschaft hervorzuheben. Neue Vorlagen präsentierte der Bundesrat erst nach der Neubestellung des Parlaments, insbesondere ein Umweltschutzgesetz, eine wirksamere Regelung der Haftpflicht für Atomkraftwerke sowie ein moderneres Eherecht. Noch vor den Wahlen wurden mehrere Volksbegehren eingereicht; am meisten Sprengstoff birgt wohl die sozialdemokratische Bankeninitiative.
Das wirtschaftliche Geschehen stand im Zeichen einer gewissen Normalisierung. Die leichte Erholung der Konjunktur und die Beruhigung der Währungsentwicklung waren freilich von einer Zunahme der Inflation begleitet. Zugleich verstärkte sich die Unsicherheit, ob die weitere Rationalisierung der Produktion nicht langfristig zu neuer Arbeitslosigkeit führen werde. Unmittelbarer bedrohlich erschien die weltpolitische Szene: der sich verschärfende Gegensatz zwischen Ost und West und die Spannungen in Asien und Afrika fanden auch in den innenpolitischen Auseinandersetzungen ihren Niederschlag.
top