<<>>
Allgemeine Chronik
Überblick
An der Schwelle der achtziger Jahre scheint das schweizerische Staatsverständnis nach Jahrzehnten einer interventionistischen und zentralistischen Entwicklung an einer Wende angelangt. Die wiederholte Verweigerung neuer Bundessteuern durch die Stimmbürger, die Neigung einer starken Mehrheit zum Abbau der Bundesausgaben und die fortgesetzten Wahlerfolge des Freisinns haben einer Los vom Staat-Tendenz starken Auftrieb gegeben. Im Vordergrund der politischen Bemühungen steht nicht mehr die Lösung weiterer gesellschaftlicher Probleme durch Gesetze und Subventionen, sondern die Suche nach Entlastungsmöglichkeiten für Verwaltung und Fiskus, vor allem auf Bundesebene. Von diesem Bestreben werden auch zwei zentrale Unternehmen der Landespolitik betroffen: die Sanierung des Bundeshaushalts und die Revision der Aufgabenteilung zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten.
Die Offensive bürgerlicher und unternehmerischer Kreise, die nicht nur einer Übertragung von Bundesaufgaben aufdie Kantone, sondern überhaupt einem Abbau des Interventionsstaates und einer Reduktion der Steuer- und Soziallasten gilt, stösst freilich auf Widerstände. In den Exekutivbehörden der verschiedenen öffentlichen Ebenen möchte man das Erreichte nicht aufgeben und mindestens grundsätzlich am weiteren Ausbau des Sozialstaates festhalten; entschiedener noch verlangen gewerkschaftliche und bäuerliche Organisationen ein Fortschreiten auf dem bisherigen Wege. Doch auch in linken Kreisen wird der hierarchisch geordnete Administrativstaat nicht mehr überall als der unumgängliche und unbedenkliche Garant sozialer Gerechtigkeit gewertet. Mitbestimmung und Selbstverwaltung erscheinen dem wachsenden Verlangen nach Mündigkeit und Lebensqualität adäquater als ein bürokratischer Apparat.
Diesen Tendenzen verwandt erscheint die Bewegung, die 1980 ganz unerwarteterweise in einem Teil der grossstädtischen Jugend aufgebrochen ist. Hier geht es freilich nicht nur um eine Auflehnung gegen Ordnung und Verwaltung, sondern noch allgemeiner um einen elementaren Ausdruck des Unbehagens in einer technisierten und organisierten Gesellschaft, die nicht allein vom Zwang der Staatsgewalt, sondern ebensosehr vom Druck privater Gruppen und Machtzentren gelenkt und eingeengt wird. Wie schon andere Oppositionsbewegungen, die sich vom Gebrauch der im System liegenden Möglichkeiten keinen Erfolg versprachen und deshalb zur direkten Aktion übergingen (jurassische Autonomisten, Studenten, Gegner von Atomkraftwerken und Hausabbrüchen), haben die unruhigen Jugendlichen das herrschende Ordnungsbedürfnis missachtet und damit nicht nur das Eingreifen der Behörden, sondern auch den Unmut weiter Bevölkerungskreise auf sich gezogen. So tragen die neuen Unruhen wie anderseits die erhöhte internationale Spannung dazu bei, dass sich gerade in bürgerlichen Kreisen neben der Tendenz zum Abbau des Interventions- und Sozialstaates die Gegentendenz zum Ausbau der staatlichen Ordnungs- und Verteidigungsmittel verstärkt.
Vor dem Hintergrund solcher Zeitströmungen trat die praktische Politik weitgehend an Ort. Dies gilt vor allem für die Neuordnung der Bundesfinanzen, wo sich die massgebenden Parteien nur gerade über einen Abbau von Subventionen und anderen Transferzahlungen sowie über eine Weiterführung der bisherigen Steuern einig zu sein schienen. Von Volksinitiativen veranlasst fanden sich immerhin Regierung und Parlament zur Vorbereitung von Verfassungsartikeln über die Rechtsgleichheit der Geschlechter und über den Schutz der Konsumenten bereit ; unter ähnlichen Voraussetzungen rückte eine Verbesserung des Ausländerstatuts in greifbare Nähe. Andere bedeutende Neuerungen wie die Einrichtung einer allgemeinen Personalvorsorge oder die Realisierung der Gesamtkonzeptionen für Energie und Verkehr, ferner die Mitbestimmung, das Umweltschutzgesetz, die Revision des Eherechts und die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs kamen nur langsam voran. Einen überraschenden Erfolg erzielte die interkantonale Zusammenarbeit mit der Einführung von Beiträgen der Nichthochschulkantone an die Ausbildungskosten ihrer Studenten.
Befriedigung brachte der vom niedrigen Frankenkurs begünstigte Stand der Konjunktur, obwohl man kaum an seine Fortdauer glaubt. Ungewissheit verursacht insbesondere die zunehmende Einführung elektronischer Steuerungsmethoden : in einem grösseren Typographenstreik kam die Furcht vor einer Wegrationalisierung der Arbeitsplätze deutlich zum Ausdruck.
top