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Grundlagen der Staatsordnung
Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Die anhaltend schlechte Wirtschaftslage führte dazu, dass in den Augen der Schweizerinnen und Schweizer die Arbeitslosigkeit wieder zum grössten politischen Problem wurde. – Der Nationalrat lehnte die Forderung der SVP und der GP nach der Einsetzung einer PUK zur Untersuchung der Projektorganisation und der Finanzierung der Expo.02 ab. – In einer Reihe von Kantonen schritt die Arbeit an der Totalrevision der Verfassungen weiter voran. In Graubünden wurde sie mit einer Volksabstimmung erfolgreich abgeschlossen.
Grundsatzfragen
Die von der GfS jährlich durchgeführte Befragung über die politischen und gesellschaftlichen Probleme, welche die Schweizerinnen und Schweizer am stärksten beschäftigen, spiegelte die schlechte Wirtschaftslage wider. Die Arbeitslosigkeit wurde von 67% der Befragten als eines der wichtigsten fünf Probleme genannt (2002: 52%) und verdrängte damit die Sorgen um die Gesundheit und die Gesundheitspolitik (63%) vom Spitzenplatz. Auf Rang drei hielt sich die Altersversicherung; die Asylpolitik folgte auf Rang vier, hatte aber mit 36% Nennungen deutlich an Bedeutung verloren. Trotz der grossen Diskussionen über einen allfälligen Zusammenhang zwischen dem Hitzesommer 2003, der globalen Erwärmung und der Klimaveränderung infolge von Luftverschmutzung machten sich noch weniger Personen grosse Sorgen um die Umwelt als vor Jahresfrist. Nur 14% der Befragten zählten die Umweltzerstörung zu den fünf grössten Problemen; ein noch tieferer Wert war letztmals 1976 verzeichnet worden [1].
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Als Zweitrat hiess auch der Ständerat den Vorschlag der Rechtskommission des Nationalrats für die Aufhebung von Gerichtsurteilen gegen Flüchtlingshelfer während der Zeit der faschistischen Regime in Europa gut (parlamentarische Initiative Rechsteiner, sp, SG). In Abweichung von der grossen Kammer beschloss er, dass für die Aufhebung der einzelnen Urteile nicht eine noch zu schaffende spezielle Kommission, sondern die Begnadigungskommission der Bundesversammlung zuständig sein soll. Der Nationalrat schloss sich dieser Lösung an [2].
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Das Parlament hatte sich mit Nachwirkungen der Expo.02 resp. mit den von ihr für den Bund verursachten Kosten zu befassen. Die SVP und die GP wollten sich mit den Berichten der zuständigen parlamentarischen Kommissionen (Finanzkommission und -delegation, GPK) über die Finanzierung und Projektorganisation der Landesausstellung nicht zufrieden geben und verlangten mit parlamentarischen Initiativen die Einsetzung einer PUK. Der Nationalrat verzichtete auf eine erneute Diskussion und beschloss mit 83 zu 56 Stimmen, den beiden Vorstössen keine Folge zu geben [3]. Um einer zukünftigen Landesausstellung ein sicheres finanzielles Fundament zu geben, schlug Nationalrat Tschuppert (fdp, LU) mit einer parlamentarischen Initiative vor, einen Fonds zu eröffnen, in den der Bund jährlich 25 Mio Fr. einzahlen solle. Mit der Verzinsung könnte so in den nächsten 25 Jahren eine Summe von rund einer Milliarde Franken angehäuft werden. Der Rat sprach sich mit 130:16 Stimmen gegen diese Idee aus. Als Gegenargument wurden namentlich die Zweckgebundenheit eines solchen Fonds und der Widerspruch zur gegenwärtig notwendigen Sparpolitik des Bundes angeführt [4].
Das Parlament hiess bei nur wenigen Gegenstimmen den vom Bundesrat im Vorjahr beantragten Verpflichtungskredit von 15 Mio Fr. für die Teilnahme der Schweiz an der Weltausstellung „Expo 2005 Aichi“ in Japan gut [5].
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Bundesverfassung
Die im Vorjahr von einigen in ökologischen und sozialen Interessenorganisationen tätigen Aktivisten lancierte Volksinitiative für eine Totalrevision der Bundesverfassung kam erwartungsgemäss nicht zustande. Es war den Initianten nicht gelungen, von ihren Organisationen Unterstützung für die Unterschriftensammlung zu erhalten [6].
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Kantonale Verfassungsrevisionen
In den Kantonen Freiburg, Basel-Stadt, Luzern, Graubünden und Zürich gingen die Arbeiten an den Totalrevisionen der Verfassungen weiter. In Graubünden wurde die Arbeit mit der Volksabstimmung vom 18. Mai abgeschlossen. Der Souverän stimmte im Verhältnis zwei zu eins zu [7]. In Freiburg wurde im Frühjahr die erste von drei Lesungen abgeschlossen und anschliessend eine Vernehmlassung durchgeführt. Im November und Dezember hielt der Verfassungsrat die zweite Lesung ab [8]. In Basel-Stadt präsentierte die Redaktionskommission des Verfassungsrats nach rund dreijähriger Arbeit einen Vorentwurf, in welchem die Resultate der Diskussionen und Beschlüsse in den Kommissionen und im Rat strukturiert zusammengefasst wurden. Dieser wurde ab Mai in einer ersten Lesung beraten und anschliessend in eine breite Vernehmlassung gegeben [9]. In Zürich, wo man ähnlich vorgeht wie in Basel, lag der Rohentwurf im Februar vor, und die erste Lesung begann im Mai. Anschliessend wurde ebenfalls eine breite Vernehmlassung durchgeführt [10].
Die Bundesversammlung genehmigte eine Reihe von Revisionen von kantonalen Verfassungen, darunter auch die Totalrevisionen der Kantone Schaffhausen und Waadt [11].
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Weiterführende Literatur
Bundeskanzlei, Herausforderungen: Trendentwicklungen und mögliche Zukunftsthemen für die Bundespolitik, Bern 2003.
Eizenstat, Stuart, Imperfect Justice: Looted assets, slave labor and unfinished Business of World War II, New York (Public affairs) 2003 (dt. Ausgabe: Unvollkommene Gerechtigkeit. Der Streit um Entschädigung der Opfer von Zwangsarbeit und Enteignung, München 2003).
Forum Helveticum (Hg.), Expo.02 und nationaler Zusammenhalt, Lenzburg 2003.
Freitag, Markus, „Social capital in (dis)similar Democracies: The development of generalized trust in Japan and Switzerland“, in Comparative Political Studies, 2003, S. 936-966.
Gross, Andreas (Hg.), Eine andere Schweiz ist möglich, St-Ursanne 2003.
Häner, Isabelle (Hg.), Nachdenken über den demokratischen Staat und seine Geschichte: Beiträge für Alfred Kölz, Zürich 2003.
Hänni, Peter (Hg.), Mensch und Staat: Festgabe der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg für Thomas Fleiner zum 65. Geburtstag, Freiburg 2003.
Hermann, Michael / Leuthold, Heiri, Atlas der politischen Landschaften: Ein weltanschauliches Porträt der Schweiz, Zürich 2003.
Meier-Dallach, Hans-Peter / Hohermut, Susanne / Walter, Therese, Isola elvetica: das Bild Schweiz im Zeitalter der Globalisierung, Zürich 2003 (Eidg. Jugend- und Rekrutenbefragungen).
Oser, Fritz / Bidermann, Horst (Hg.), Jugend ohne Politik: Ergebnisse der IEA-Studie zu politischem Wissen, Demokratieverständnis und gesellschaftlichem Engagement von Jugendlichen in der Schweiz im Vergleich mit 27 anderen Ländern, Zürich 2003.
Schneider, Markus, Weissbuch 2004: Rezepte für den Sozialstaat Schweiz, Zürich 2003.
(Siehe auch die diversen Ansprachen des Bundesrates in Documenta, 2003).
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Aubert, Jean-François / Mahon, Pascal, Petit commentaire de la Constitution fédérale de la Confédération suisse du 18 avril 1999, Zurich 2003.
Rhinow, René, Grundzüge des schweizerischen Verfassungsrechts, Basel 2003.
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[1] Claude Longchamp e.a., Das Sorgenbarometer 2003 der Credit Suisse: Sorge um den Arbeitsplatz dominiert, Zürich (GfS) 2003; BaZ und Bund, 16.12.03.
[2] AB SR, 2003, S. 569 ff. und 714; AB NR, 2003, S. 1079 f. und 1242; BBl, 2003, S. 4570 ff. Vgl. SPJ 2002, S. 15.
[3] AB NR, 2003, S. 1448 ff. Zum Schlussbericht der Generaldirektion der Expo.02 siehe Presse vom 17.5.03. Vgl. SPJ 2002, S. 318 ff.
[4] AB NR, 2003, S. 1560 ff.
[5] AB SR, 2003, S. 100 f.; AB NR, 2003, S. 1045 ff.; BBl, 2003, S. 4824; SGT, 7.3.03. Vgl. SPJ 2002, S. 20.
[6] BBl, 2003, S. 6811; NZZ, 14.10.03. Vgl. SPJ 2002, S. 20.
[7] BüZ, 19.5.03. Vgl. dazu auch unten, Teil II, 1a.
[8] LT, 24.3. und 12.11.03; Lib., 12.4. und 13.12.03.
[9] BaZ, 26.1., 6.5., 30.5. und 30.10.03.
[10] NZZ, 7.2. und 9.5.03; TA, 2.5., 27.6. und 10.7.03.
[11] SH: BBl, 2003, S. 3347 ff. VD: BBl, 2003, S. 3590 ff.
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