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Wirtschaft
Allgemeine Wirtschaftspolitik
Die Schweizerische Wirtschaft hielt sich trotz des schwierigen internationalen Umfelds erstaunlich gut. – Während sich der Binnenmarkt dynamisch entwickelte, litt der Exportsektor unter der Frankenstärke, was zur Folge hatte, dass die Schweizerische Nationalbank einen Mindestkurs zum Euro einführte. – Das Parlament stockte die Gelder für die Standortförderung auf. – Der Bundesrat beabsichtigte einen Paradigmenwechsel in der Kartellgesetzgebung – Der Ständerat und der Nationalrat kamen sich beim indirekten Gegenvorschlag zur Abzocker-Initiative näher.
Konjunkturlage und -politik
Die Weltwirtschaft blickte auf ein schwieriges Jahr zurück. Das globale Wirtschaftswachstum schwächte sich in der zweiten Jahreshälfte deutlich ab. Im September erwartete der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2011 eine Wachstumsrate von 3 Prozent. Im Vorjahr hatte diese noch rund 4 Prozent betragen. Besorgniserregend präsentierte sich die Lage in den Industriestaaten. In Nordamerika und in Europa lähmten die hohen Staatschulden und die Konsolidierungsprogramme die konjunkturelle Entwicklung. Das Wirtschaftswachstum beider Kontinente verlangsamte sich im Laufe des Jahres. Die Vereinigten Staaten wuchsen 2011 mit 1,7 Prozent und die Euro-Zone mit 1,5 Prozent. Obwohl alle europäischen Volkswirtschaften von einem Abwärtstrend erfasst wurden, waren zum Teil markante Unterschiede zu beobachten. Während sich Deutschland, Skandinavien und die meisten osteuropäischen Staaten durch ansehnliche Wachstumsraten auszeichneten, kam der Wachstumsmotor in Frankreich, Spanien sowie in den Benelux-Staaten zum Erliegen. Italien und Grossbritannien fielen nach der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 in die Rezession zurück (sogenanntes Double-Dip Phänomen). Die krisengeschüttelten Volkswirtschaften Portugals und Griechenlands entwickelten sich weiterhin lethargisch. Sie wiesen in sämtlichen Quartalen negative Wachstumsraten auf. Dasselbe Schicksal ereilte auch Japan, der drittgrössten Volkswirtschaft der Welt. Aufgrund der Tsunami-Katastrophe und des Atomunglücks in Fukushima, einer Flutkatastrophe in Thailand, wo zahlreiche Produktionsstätten japanischer Unternehmungen in Mitleidenschaft gezogen wurden sowie der unabhängig von diesen Ereignissen generell sinkenden Nachfrage nach inländischen Gütern auf dem Weltmarkt wurde Japan im Berichtsjahr schwer geprüft. Weit dynamischer entwickelten sich dagegen die Schwellenländer. Deren Wachstumsraten verharrten auf einem hohen Niveau, wobei sich diese in der zweiten Jahreshälfte ebenfalls abschwächten. Somit konnten sich die Schwellenländer der Konjunkturverlangsamung in den Industriestaaten nicht gänzlich entziehen [1].
Über die konjunkturelle Entwicklung hinaus stand die anhaltende Staatsschuldenkrise in den USA und vor allem in Europa im Zentrum des Interesses. Die Europäische Union setzte an zahlreichen Gipfeltreffen und Verhandlungen alles daran, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und den Zusammenbruch der europäischen Währungsunion zu verhindern. Wenngleich das Schlimmste abgewendet werden konnte, erwies sich die beschlossene Ausweitung des Euro-Rettungsschirms als unzureichend, um die Lage zu stabilisieren und die Finanzmärkte zu beruhigen. Die Risikozuschläge auf Anleihen von südeuropäischen Staaten schossen in die Höhe. In den USA rangen Demokraten und Republikaner über Monate um einen Kompromiss bezüglich der Anhebung der Schuldenobergrenze. Der Staatsbankrott konnte in letzter Minute abgewendet werden. Dennoch entzog im Sommer die Rating-Agentur Standard & Poor’s den USA die Bestnote als Schuldnerin (Triple-A). Dabei wurde die mangelnde Berechenbarkeit der Politik als Hauptgrund aufgeführt [2].
Neben der Staatsverschuldung stellte die Arbeitslosigkeit in vielen Industriestaaten weiterhin ein zentrales Problem dar. Im Jahresdurchschnitt reduzierte sich die Arbeitslosenquote allerdings in den OECD-Staaten von 8,3 auf 8,0 Prozent. Dieser leichte Rückgang kam unter anderem aufgrund der eindrücklichen wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zu Stande, wo die Arbeitslosigkeit von 7.8 auf 5.9 Prozent abnahm. Zudem erholte sich erstmals seit dem Ausbruch der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahre 2008 der Arbeitsmarkt in den USA. Hingegen spitzte sich die Lage in den von der Krise besonders stark betroffenen PIGS-Staaten (Portugal, Irland, Griechenland und Spanien) weiter zu. Mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 21.7 Prozent erwies sich die Situation auf dem spanischen Arbeitsmarkt als besonders prekär [3].
Trotz der expansiven Geldpolitik blieb die Inflation auf einem tiefen Niveau. Allerdings nahmen die Teuerungsraten in den Industriestaaten gegenüber dem Vorjahr leicht zu. Die Verbraucherindizes stiegen in den USA um 3,2 Prozent und in der Eurozone um 2,4 Prozent, während die Preise in Japan noch um 0,3 Prozent zurückgingen. Im Gegensatz dazu liess der Inflationsdruck in den Schwellenländern deutlich nach. Dieser Rückgang war auf das schwächere Wirtschaftswachstum sowie auf sinkende Rohstoffpreise zurückzuführen. Das Erdöl verzeichnete eine moderate Preisentwicklung. Auf dem Weltmarkt stieg das Barrel von Januar bis April von 95 auf 125 Dollar, fiel jedoch bis zum Jahresende auf 108 Dollar [4].
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In Anbetracht des widrigen internationalen Umfeldes, hielt sich die Schweizer Wirtschaft erstaunlich gut. Gemäss den Ende Mai 2012 durch das Staatsekretariat für Wirtschaft (SECO) publizierten Schätzungen belief sich das reale BIP-Wachstum im Jahre 2011 auf 2,1 Prozent. 2010 hatte es noch 2,7 Prozent betragen. Das von manchen Konjunkturforschern im Spätsommer befürchtete Rezessionsszenario trat nicht ein. Die robuste wirtschaftliche Entwicklung liess sich daran erkennen, dass das Bruttoinlandprodukt in allen Quartalen deutlich positive Wachstumsraten auswies. Nach einer schwächeren Periode im dritten Quartal zog das Tempo im vierten Quartal bereits wieder leicht an. Allerdings stellte das Berichtsjahr für den Exportsektor eine grosse Herausforderung dar. Dieser hatte gleich an zwei Fronten zu kämpfen. Zum einen belastete die Frankenstärke die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Unternehmen. Die angespannte Währungssituation führte dazu, dass sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) im September dazu gezwungen sah, einen Mindestkurs von 1,20 gegenüber dem Euro festzulegen (vgl. unten Teil I, 4b, Geld- und Währungspolitik). Zum anderen trübte die Krise in der Euro-Zone die Wachstumsaussichten in den wichtigsten Absatzmärkten der Schweizer Exporteure ein. Die Dynamik im Exportsektor liess denn auch markant nach. Gemäss der Eidgenössischen Zollverwaltung schrumpfte 2011 das Volumen der Warenausfuhren in acht der zehn ausgewiesenen Branchen. Wachstumsimpulse gingen nur von der chemischen und der pharmazeutischen Industrie sowie von der Uhrenindustrie aus. Letztere verzeichnete dank einer regen Nachfrage in den aufstrebenden Schwellenländern im Allgemeinen und in Asien im Besonderen gar einen Boom. Auf ein schwieriges Jahr musste hingegen die Maschinenindustrie zurückblicken. Gemäss einer Umfrage des Branchenverbandes Swissmem schrieb im September und Oktober jede dritte Firma Verluste. Auch bei den Dienstleistungsexporten hinterliessen die Frankenstärke und der Wachstumsrückgang in Europa deutliche Spuren. So klagte der Tourismus über Umsatzeinbussen. Insgesamt trug der Exportsektor keinen positiven Beitrag zum Wachstum des Bruttoinlandprodukts bei. Als wichtige Wachstumsstütze erwies sich hingegen die Binnenwirtschaft. Diese wurde angetrieben vom tiefen Zinsniveau, den tiefen Importpreisen und der intakten Konsumentenstimmung. Der Privatkonsum profitierte von der regen Zuwanderung, der guten realen Einkommensentwicklung sowie einer leicht gesunkenen Arbeitslosenrate [5].
Die Situation auf dem schweizerischen Arbeitsmarkt verbesserte sich insgesamt. Ende Jahr zählte die Schweizer Volkswirtschaft 4,044 Millionen Beschäftigte. Dies entsprach einem Anstieg innert Jahresfrist um 0,5 Prozent. Mit einem Bestand von 122’892 Personen lag die durchschnittliche Arbeitslosenzahl um rund 29’000 Personen tiefer als im Vorjahr. Als Ergebnis dieser Entwicklung resultierte im Jahresmittel eine Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent, was einem markanten Rückgang um 0,8 Prozentpunkte entsprach. Allerdings waren immer noch mehr Personen arbeitslos als vor Ausbruch der Krise im Jahre 2008 [6].
Was die Preisentwicklung betraf, liessen sich keine inflationären Tendenzen ausmachen. Trotz der expansiven Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank und dem damit verbundenen Geldmengenwachstum stieg der Landesindex der Konsumentenpreise um lediglich 0,2 Prozent. Ein gewichtiger Grund für die tiefe Teuerungsrate war der hohe Frankenkurs, welcher die Preise von Importen verbilligte [7].
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Zur Abfederung der Frankenstärke stimmte das Parlament einem vom Bundesrat beantragten Hilfspaket im Umfang von 870 Millionen Franken zu, wovon 500 Millionen Franken der Arbeitslosenversicherung zu Gute kamen. Abgesehen von einigen Ausnahmen verzichtete der Bund auf die gezielte Unterstützung von einzelnen Exportbranchen sowie auf kurzfristig wirkende Massnahmen (ausführlicher zum Hilfspaket und zur starken Währung berichten wir unten, Teil I, 4b, Geld- und Währungspolitik).
Ebenfalls vor dem Hintergrund der Frankenstärke überwies der Nationalrat in der Aprilsession gegen den Willen des Bundesrats ein Postulat Bischof (cvp, SO) bezüglich einer Schweizerischen Industriepolitik. Mit Verweis auf die Schwierigkeiten des hiesigen Werkplatzes wurde der Bundesrat damit beauftragt, eine Lagebeurteilung durchzuführen und eine Industriepolitik zu definieren [8].
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Strukturpolitik
Im August legte der Bundesrat einen Bericht über die administrative Entlastung von Unternehmen vor. Dabei zog er eine positive Bilanz bezüglich der Umsetzung der 125 Massnahmen, welche 2006 mit dem Ziel angesetzt wurden, die Wirtschaft um ca. 1 Milliarde zu entlasten. Die Regierung gab bekannt, dass 99 Massnahmen voll realisiert und weitere 16 teilweise vollzogen oder zumindest eingeleitet wurden. Von den wichtigsten Reformprojekten waren mit Ausnahme der Revision der Mehrwertsteuer, welche das Parlament bis dato abgelehnt hatte, alle umgesetzt worden. Dazu zählten insbesondere die Schaffung eines KMU-Portals, die Einheitsnummer für Firmenidentifikation, Erleichterungen im elektronischen Geschäfts- und Amtsverkehr sowie die elektronische Veröffentlichung des schweizerischen Handelsamtsblattes (SHAB). Auch wenn die Schweiz im internationalen Vergleich dank ihrer schlanken Verwaltung gut dastand, gab sich der Bundesrat damit nicht zufrieden. Im Rahmen der Wachstumspolitik erachtete er es weiterhin als zentral, Unternehmen auf administrativer Ebene zu entlasten und ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken. Zu diesem Zweck enthielt der Bericht 20 neue Massnahmen. Unter anderem wurden Harmonisierungen im Planungs- und Baurecht, Erleichterungen im Bereich der Rechnungslegung und eine Weiterentwicklung von E-Government angestrebt. Der Bundesrat prüfte ausserdem die Einführung eines sogenannten Bürokratiebarometers. Mit dieser regelmässig stattfindenden Umfrage von UnternehmerInnen erhoffte sich der Bundesrat, weitere reformbedürftige Bereiche zu identifizieren [9].
Ende 2011 lief die Finanzierung verschiedener Instrumente der Standortförderung des Bundes aus. Davon betroffen waren die Exportförderung, die Promotion des Wirtschaftsstandorts Schweiz im Ausland (Standortpromotion), die touristische Landeswerbung (Schweiz Tourismus) und das E-Government. Des Weiteren wurden den eidgenössischen Räten eine neue Gesetzesgrundlage und ein Finanzierungsbeschluss über die Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und Wissensaufbau im Tourismus (Innotour) unterbreitet. Zudem wurden Anpassungen bezüglich der befristeten Ergänzung der Versicherungsleistungen der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (SERV), des Bundesgesetzes über das gewerbliche Bürgschaftswesen sowie in Bezug auf den Finanzierungsbeschluss über die Neue Regionalpolitik (NRP) angestrebt. Im Februar beantragte der Bundesrat dem Parlament, für diese Bereiche gesamthaft 316 Millionen Franken für die Jahre 2012 bis 2015 zu bewilligen. Abweichend von den Anträgen des Bundesrates stockten die beiden Kammern die Beiträge für Schweiz Tourismus und die Agentur für Exportförderung (Osec) auf. Insgesamt sprach das Parlament 360 Millionen Franken für die Standortförderung. Der Löwenanteil von 222 Millionen entfiel dabei auf die Marketingagentur Schweiz Tourismus. Ursprünglich hatte der Bundesrat dafür 187,3 Millionen Franken vorgesehen. Angesichts der auf die Frankenstärke zurückzuführenden Schwierigkeiten der Tourismusbranche einigten sich der Ständerat und der Nationalrat jedoch darauf, die Finanzhilfen deutlich zu erhöhen. Die Beiträge für die Osec hoben die beiden Parlamentskammern von 75 auf 84 Millionen Franken an [10].
In der Sommersession überwies der Nationalrat überdies ein Postulat seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK). Der Bundesrat wurde damit beauftragt, im Rahmen seiner Standortförderungs-Strategie eine bessere Integration der Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung zu prüfen [11].
Mit der Neuen Regionalpolitik (NRP) erfolgte 2008 ein Paradigmenwechsel in der Regionalpolitik des Bundes. Die wirtschaftliche Entwicklung von ländlichen Regionen und Berggebieten wurde nicht mehr nur durch direkte Investitionen in die Infrastruktur, sondern in Form einer Stimulierung der Wertschöpfung auch auf indirekte Weise gefördert. Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) evaluierte diese Neuausrichtung des Bundes. Die Ergebnisse wurden im Januar im Rahmen einer Regionalentwicklungs-Konferenz in Chur präsentiert. Die OECD stellte der Schweiz insgesamt ein gutes Zeugnis für ihre neue Regionalpolitik aus. Dennoch wies der Bericht auf verschiedene Verbesserungspotentiale hin. Die OECD kritisierte die Beschränkung der NRP auf ländliche Gebiete. Aus zwei Gründen riet sie zu einer Ausdehnung auf die Zentren. Zum einen verwies der Bericht auf die geringen entwicklungspolitischen Herausforderungen der Schweiz. In der Peripherie stellten im Urteil der OECD weder die Abwanderung noch die Überalterung ein akutes Problem dar. Zum anderen gab der Bericht zu bedenken, dass der Nichteinbezug der urbanen Gebiete Synergieeffekte zwischen den forschungsintensiven Zentren und den anwendungsorientierten Betrieben in den ländlichen Regionen verunmögliche. Der Bericht der OECD war darüber hinaus der Ansicht, dass die Kluft zwischen den politischen Einheiten und der wirtschaftlich-soziografischen Realität die Effizienz der Standortpolitik erschwere. Schliesslich ortete er Doppelspurigkeiten mit der Agglomerationspolitik des Bundes [12].
Im Hinblick auf das Programm 2016-2023 der NRP wurde der Bundesrat durch die Annahme des nationalrätlichen Postulats von Siebenthal (svp, BE) damit beauftragt, über die Umsetzung und die Wirksamkeit der neuen Regionalpolitik eine gründliche und kritische Evaluation vorzunehmen und zuhanden des Parlamentes einen entsprechenden Bericht zu erstatten [13].
Im Bereich der Ladenöffnungszeiten hiess der Nationalrat eine Motion Hutter (fdp, ZH) gut. Diese verlangte, dass die Kantone die Öffnungszeiten von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben nach eigenem Ermessen festlegen. Bisher konnten die Kantone die Öffnungszeiten von Montag bis Samstag jeweils zwischen 6 und 23 Uhr nach ihren regionalen Bedürfnissen gestalten. Der Entscheid des Ständerates stand allerdings noch aus [14].
Im November lancierte ein aus Genfer Weinbauern bestehendes Komitee mit dem Namen La Vrille die Volksinitiative «für eine Wirtschaft zum Nutzen aller». Diese schlug eine radikale Wende zu Gunsten einer Wirtschaftsordnung vor, welche die Umwelt und die lokalen gesellschaftlichen Strukturen berücksichtigt [15].
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Im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nahmen die eidgenössischen Räte zwei Motionen der FDP-Fraktion an. Der eine Vorstoss zielte darauf ab, anlässlich der Erneuerung der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Kantonen 2011 die Realisierung von E-Government-Angeboten zur administrativen Entlastungen der Unternehmen im Verkehr mit Verwaltungsstellen zu beschleunigen [16].
Die andere Motion forderte die elektronische Zollabfertigung von Waren via ein interaktives Internetportal [17].
Die Motion Hochreutener (cvp, BE), die eine Erhöhung der Kreditlimiten im gewerblichen Bürgschaftswesen forderte, wurde im Dezember des Berichtsjahres abgeschrieben, da der Urheber des Vorstosses nach den Parlamentswahlen aus dem Nationalrat ausschied [18].
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Der Tourismus litt im Berichtsjahr unter dem starken Schweizer Franken. Gegenüber 2010 ging die Anzahl der Logiernächte um 2% zurück, wobei die Destinationen im Alpenraum überdurchschnittlich viele Gäste einbüssten. Die vom Bundesrat im August in Aussicht gestellten Massnahmen zur Abfederung der Frankenstärke weckten die Begehrlichkeiten der Tourismusbranche. Deren Vertreter setzten sich insbesondere für eine temporäre Senkung des Mehrwertsteuersatzes ein. Die entsprechenden Vorstösse scheiterten jedoch im Parlament. Im Rahmen des Abfederungspakets gegen die Stärke des Schweizer Frankens wurde der Tourismussektor einzig mit einem bis 2015 befristeten Darlehen an die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) in der Höhe von 100 Millionen Franken unterstützt. Diese Gelder kamen erst dann zum Tragen, falls Hoteliers mit zukunftsträchtigen Projekten keine Kredite von Banken mehr erhalten und die regulären Mittel der SGH ausgeschöpft waren [19].
In der Wintersession hiess der Nationalrat mit 93 zu 92 Stimmen eine Motion Graber (svp, BE) gut, die mittels eines dringlichen Bundesbeschlusses durch den Bundesrat die Befreiung der Mehrwertsteuer von Beherbergungsdienstleistungen für das Jahr 2012 forderte. Die SVP, eine Mehrheit der CVP und die Hälfte der FDP-Fraktion stimmten der Motion zu, während sie von der SP und den Grünen abgelehnt wurde. Der Entscheid des Ständerates erfolgte erst im darauffolgenden Jahr [20].
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Im Jahr 2009 hatte die Loterie Romande mit über 170 000 Unterschriften die Volksinitiative «für Geldspiele im Dienste des Allgemeinwohls» eingereicht. Deren Ziel bestand darin, das Lotteriemonopol der Kantone in der Verfassung zu verankern. Dadurch wollten die Initianten erreichen, dass die Gewinne aus den Lotteriegeldern weiterhin für kulturelle undsoziale Projekte sowie für die Sportförderung eingesetzt werden konnten. Die beiden Lotteriegesellschaften Swisslos (Deutschschweiz und Tessin) und die Loterie Romande lieferten jährlich rund 550 Millionen Franken an die kantonalen Lotterie-und Sportfonds ab. Der Bundesrat, der 2007 noch eine vorsichtige Liberalisierung des Lotteriewesens ins Auge gefasst hatte, nahm das Aufliegen der Volksinitiative vollumfänglich auf, indem er auf Verfassungsebene einen direkten Gegenvorschlag ausarbeitete. Dieser schrieb das Lotteriemonopol der Kantone in der Verfassung fest und sah die ausschliessliche Verwendung der Gewinne für gemeinnützige Zwecke vor. Somit wurde der Status quo auf Verfassungsebene zementiert. In der Frühjahrssession stellte sich der Ständerat einstimmig hinter diesen Gegenentwurf. Auch im Nationalrat war das das Geschäft parteipolitisch breit abgestützt. Ende September wurde der Gegenentwurf mit 137 zu 3 Stimmen angenommen. Aufgrund der Tatsache, dass das Parlament die Anliegen der Volksinitiative aufnahm, zeichnete sich der Rückzug der Volksinitiative ab. Dieser erfolgte dann im Oktober. Somit musste die Stimmbevölkerung nur noch über den direkten Gegenvorschlag befinden (obligatorisches Referendum). Der Bundesrat setzte die entsprechende Abstimmungsvorlage auf den 11. März 2012 an [22].
Im Bereich der Besteuerung von Lotteriegewinnen beantragte der Bundesrat im August Zustimmung zu einem Gesetzesentwurf, der auf eine 2009 eingereichte parlamentarische Initiative Niederberger (cvp, NW) zurückging. Das Bundesgesetz über die Vereinfachung von Lotteriegewinnen sah vor, die steuerliche Freigrenze von 50 auf 1000 Franken anzuheben, was der ersten Anpassung seit 1945 entsprach. Im September stimmte der Ständerat der Vorlage mit 28 zu 0 Stimmen zu. Dieser Entscheid musste noch vom Nationalrat bestätigt werden [23].
Der Bundesrat entschied im Juni über die Konzessionen von zwei Spielbankenprojekten. Den Zuschlag erhielt in der Stadt Zürich die Swiss Casinos Zürich AG im „Haus Ober“ und in der Region Neuenburg die FBAM Neuchâtel SA im „Casino de la Rotonde“ [24].
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Wettbewerb
Im Berichtsjahr befand sich das Schweizerische Kartellrecht in einer Umbruchsphase. Neben der laufenden Revision des Kartellgesetzes, die eine grundlegende institutionelle Reform vorsah und welche der Bundesrat im Jahr 2010 in die Vernehmlassung geschickte hatte, eröffnete die Landesregierung zwei weitere Reformvorhaben. Im Frühling präsentierte die Regierung einen Vernehmlassungsvorschlag zum Kartellgesetz, der auf eine im Vorjahr überwiesene Motion Schweiger (fdp, ZG) zurückging. Im Sommer gab der Bundesrat zudem im Rahmen der Debatte über die Frankenstärke seine Absicht bekannt, ein grundsätzliches Verbot von harten Kartellen einzuführen. Durch das Grundsatzverbot für Preis-, Mengen- und Gebietsabsprachen fasste die Landesregierung einen kartellrechtlichen Paradigmenwechsel ins Auge. Im September wurde die entsprechende Revisionsvorlage in die Vernehmlassung geschickt.
Durch die Annahme der erwähnten Motion Schweiger (fdp, ZG) im Jahre 2010 hatte das Parlament den Bundesrat zu einer Teilrevision des Kartellgesetzes beauftragt. Die Motion beinhaltete zwei Anliegen. Zum einen verlangte sie, dass Unternehmen mit einer reduzierten Verwaltungssanktion belegt werden, sofern sie ein Programm zur Beachtung der kartellgesetzlichen Regelungen betreiben, das hohen Anforderungen genügt. Zum anderen forderte sie zur Stärkung der Compliance-Anstrengungen der Unternehmen Strafsanktionen auch gegen natürliche Personen im Fall ihrer aktiven Beteiligung an Kartellabsprachen mit Wettbewerbern. Ende März schickte der Bundesrat die aus diesen beiden Aspekten bestehende Vorlage in die Vernehmlassung. Die Sanktionsmilderung bei wirksamen Kontrollmechanismen stellte nach Ansicht der Landesregierung eine weitreichende Konzession an die Unternehmen dar, welche nur in wenigen Staaten praktiziert wurde. Der Bundesrat schlug vor, dieses Anliegen durch eine entsprechende Ergänzung von Artikel 49a des Kartellgesetzes umzusetzen. Bezüglich der Bestrafung von natürlichen Personen stellte der Bundesrat zwei Varianten zur Diskussion. Die mildere Variante A beinhaltete verwaltungsrechtliche Sanktionen. Diese umfassten Arbeitsverbote und den Einzug von Lohnbestandteilen, die aufgrund von Kartellabsprachen erzielt werden. Dagegen beinhaltete Variante B bei harten Kartellen strafrechtliche Sanktionen, welche Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren vorsahen [25].
Auslöser für die im August durch den Bundesrat in Angriff genommene Anpassung des Kartellgesetzes war die weit verbreitete Kritik an den überhöhten Importpreisen, die im Sommer nicht zuletzt in den Medien mit grosser Heftigkeit vorgebracht wurde. Die aufgrund des starken Schweizer Frankens entstandenen Währungsgewinne wurden kaum an die inländischen Konsumenten weitergegeben. Der Bundesrat beabsichtigte horizontale Preis-, Mengen und Gebietsabreden sowie vertikale Preisbindungen und Gebietsabschottungen im Grundsatz zu verbieten. Dieser Vorschlag liess insofern aufhorchen, als sich der Bundesrat im Vorjahr bei vertikalen Abreden noch für eine Lockerung ausgesprochen hatte. Das Grundsatzverbot sah eine Rechtfertigungsmöglichkeit für jene Unternehmen vor, welche im Einzelfall nachweisen können, dass ihre Abreden die wirtschaftliche Effizienz nicht auf negative Weise beeinflussen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine bestimmte Abrede zu einer Kostensenkung oder einer Qualitätsverbesserung führt, aber gleichzeitig keine Möglichkeit zur Beseitigung wirksamen Wettbewerbs bietet. Das angestrebte Teilkartellverbot (d.h. Grundsatzverbot von Kartellen in Kombination mit der Umkehr der Beweislast zu Ungunsten der beteiligten Unternehmen) bezeichnete der Bundesrat denn auch als Paradigmenwechsel in der Kartellgesetzgebung. Für diese Verschärfung des Kartellgesetzes führte der Bundesrat eine Vernehmlassung im Eilverfahren durch, welche die Form einer Konferenz annahm. Skeptisch äusserten sich die Wirtschaftsverbände. Sie übten Kritik am vorgeschlagenen Tempo, welches fundierte Abklärungen verunmöglichen würde. Parteipolitisch stiess das sogenannte Teilkartellverbot mit Rechtfertigungsmöglichkeit jedoch auf breite Unterstützung. Von den grossen Parteien sprach sich lediglich die SVP energisch dagegen aus [26].
Im November legte der Bundesrat schliesslich die Eckwerte einer umfassenden Revision des Kartellgesetzes vor, welche die laufenden Reformvorhaben in eine Vorlage integrierte. Im Zentrum standen neben dem Teilkartellverbot, die verbesserte Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, wobei die in der Europäischen Union geltenden Bestimmungen als Vorbild dienten, Sanktionsminderungen bei Vorliegen von Compliance-Programmen sowie institutionelle Reformen (Mutation des Sekretariates der Wettbewerbskommission zu einer Anklagebehörde sowie die Schaffung einer neuen Kammer für Wettbewerbsrecht am Bundesverwaltungsgericht). Mit dieser Revision verfolgte die Landesregierung das Ziel, die Wettbewerbsentscheide rechtsstaatlich besser zu verankern und besonders schädliche Formen von Kartellabreden zu verbieten. Zudem bezweckte sie, Fusionen zu untersagen oder mit Auflagen und Bedingungen zu belegen, wenn Zusammenschlüsse zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs führen, sofern sie nicht durch Effizienzgewinne kompensiert werden. Der Bundesrat versprach dem Parlament bis Anfang 2012 die Botschaft zur Kartellgesetzrevision im Rahmen eines Gesamtpakets vorzulegen [27].
Wie bereits im Herbst 2010 die kleine Kammer trat auch der der Nationalrat auf die Teilrevision des Bundesgesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) ein. In der Detailberatung schuf der Nationalrat allerdings eine gewichtige Differenz zum Ständerat. Mit den verschärften Regelungen gegen missbräuchliche Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) von Firmen kippte die grosse Kammer das Herzstück der Revision aus der Vorlage. Nach geltendem Recht konnten allgemeine Geschäftsbedingungen inhaltlich nicht überprüft werden, da lediglich deren irreführende Verwendung verboten war. Um Missbräuche zu bekämpfen, erachtete es der Bundesrat als notwendig, treuwidrige oder ungewöhnliche Bestimmungen zum Nachteil der Konsumentinnen und Konsumenten zu verbieten. Während der Ständerat im vergangenen Jahr diesen Vorschlag einstimmig annahm, erteilte ihm im Nationalrat eine Mehrheit aus 100 gegen 72 Stimmen eine Abfuhr. Der Nationalrat folgte damit der Empfehlung seiner Rechtskommission. Die aus FDP, SVP und Teilen der CVP zusammengesetzte Gegnerschaft des bundesrätlichen Vorschlags führte ins Feld, dass dieser die Vertragsfreiheit zu stark einschränkte. Es sei Aufgabe der Konsumentinnen und Konsumenten, problematische Passagen der AGB zu streichen. Die Befürworter der strengeren Regelung hielten dieses Argument für realitätsfremd, da ihrer Ansicht die Konsumentinnen und Konsumenten bezüglich AGB nicht auf Augenhöhe mit den Anbietern verhandelten. Dagegen übernahm der Nationalrat die Vorschriften gegen nutzlose Registereinträge und Schneeballsysteme sowie die vom Ständerat eingebrachten Regeln gegen Gewinnversprechen, die an Werbefahrten oder einen Kaufzwang geknüpft sind. Erfolglos bekämpfte die SVP das Verbot von Lockvogelangeboten. Ebenfalls alleine war die Volkspartei in ihrem Widerstand gegen eine verstärkte Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden bei grenzüberschreitenden Betrügereien. Der Nationalrat nahm die Gesetzesrevision deutlich mit 148 zu 23 Stimmen an. Widerstand kam erneut aus den Reihen der SVP.
Der Ständerat erarbeitete daraufhin einen Kompromissvorschlag zu den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, der in etwa den in der Europäischen Union geltenden Bestimmungen entsprach. Dieser beschränkte die verschärfte Definition der Unlauterbarkeit von AGB auf Fälle mit benachteiligten Konsumentinnen und Konsumenten, wodurch die übrigen Handelsstufen – insbesondere Geschäfte zwischen Unternehmen - davon ausgenommen waren. Zudem strich der Ständerat den Begriff der erheblichen Abweichung von der gesetzlichen Ordnung aus der Vorlage. Der Nationalrat lehnte den ständerätlichen Kompromissvorschlag jedoch zwei Mal ab, womit die Differenz zwischen den beiden Räten bestehen blieb. Der Nationalrat selber hatte Mitte Juni eine leicht angepasste Formulierung beschlossen, welche allerdings keine abstrakte Normenkontrolle vorsah. In der einberufenden Einigungskonferenz setzte sich schliesslich die ständerätliche Version mit 15 zu 10 Stimmen durch. Im Nationalrat äusserten Vertreter von FDP und SVP zwar ihren Unmut, die Gegner stellten aber keinen Antrag auf Ablehnung, um die Gesamtvorlage nicht zu gefährden. Beide Kammern stimmten dem Antrag der Einigungskonferenz zu. In der Schlussabstimmung wurde die Gesetzesrevision vom Ständerat bei einer Enthaltung mit 41 zu 0 Stimmen und vom Nationalrat mit 158 zu 29 Stimmen angenommen [28].
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Internationale Markenartikelanbieter operierten seit Jahren in der Schweiz im Vergleich zum Ausland mit deutlich höheren Gewinnmargen und zementierten so die Hochpreisinsel Schweiz, weil gleichzeitig der Einkauf über ausländische Lieferanten verhindert wurde. In diesem Zusammenhang wurde im Nationalrat einer Motion Birrer-Heimo (sp, LU) mit 113 zu 74 Stimmen zugestimmt. Diese sah vor, das Kartellgesetz mit einem Artikel zu unzulässigen Preisdifferenzierungen durch ausländische Anbieter zu ergänzen. Der Entscheid des Ständerats zu dieser Motion stand noch aus [29].
Die Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (WAK) der beiden eidgenössischen Räte stimmten im Laufe des Berichtsjahres einer Parlamentarischen Initiative Bourgeois (fdp, FR) zu, welche Lebensmittel vom Geltungsbereich des Cassis-de-Dijon-Prinzips ausnehmen wollte [30].
Im Dezember reichte der Kanton Bern eine parlamentarische Initiative ein, welche forderte, dass im Inland für den schweizerischen Markt produzierte Lebensmittel den in der Schweiz gesetzlich vorgeschriebenen Qualitätsnormen entsprechen mussten [31].
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Gegen die Empfehlung des Bundesrates nahm der Nationalrat eine Motion Flückiger-Bäni (svp, AG) an, welche gleich lange Spiesse für kleine und mittlere Unternehmungen (KMU) im öffentlichen Beschaffungswesen forderte. Insbesondere verfolgte sie das Ziel, dass Bietergemeinschaften und Subunternehmen nicht mehr von Submissionsverfahren ausgeschlossen werden konnten. Zudem verlangte die Motion, dass nicht mehr jedes einzelne Unternehmen, sondern die Bietergemeinschaft als Ganzes die Eignungskriterien zu erfüllen hatten. Der Entscheid zu diesem Vorstoss war beim Ständerat im Berichtsjahr noch hängig [32].
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minimale Garantiedauer im Kauf- und Werkvertragsrecht[33]
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Gesellschaftsrecht
Das Parlament hatte auch im Jahre 2011 Mühe, sich inhaltlich und in der Form auf eine kohärente Gegenvorschlags-Strategie zur bereits 2008 eingereichten Abzocker-Initiative zu einigen. Dennoch nahm der indirekte Gegenvorschlag ohne Bonussteuer im Verlauf des Berichtjahres sukzessive Kontur an. Dieser beinhaltete eine Revision des Aktienrechts, der gewisse Forderungen der Initiative aufnahm.
Im Dezember 2010 hatte der Ständerat mit klarer Mehrheit einem indirekten Gegenvorschlag auf Gesetzesebene inklusive der der sogenannten Bonussteuer zugestimmt. Diese sah vor, dass Unternehmen Boni von über drei Millionen Franken versteuern müssen. Der Ständerat unterbreitete dem Nationalrat den indirekten Gegenvorschlag in zwei Varianten – mit oder ohne Bonussteuer. In der Märzsession 2011 beschloss die grosse Kammer, mit 97 zu 92 Stimmen nicht auf den indirekten Gegenverschlag mit Bonussteuer einzutreten. Dieser Entscheid kam durch eine geschlossene Allianz aus SVP, FDP und BDP zu Stande, die sich kategorisch gegen die Einführung einer neuen Unternehmenssteuer zur Wehr setzte. Die Vertreter der SP, der Grünen und der CVP (bei einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen) plädierten vergeblich dafür, der Initiative einen attraktiven Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Hingegen sprach sich eine Mehrheit von 100 zu 88 Stimmen für das Eintreten zum indirekten Gegenvorschlag ohne Bonussteuer aus. In der Detailberatung schuf der Nationalrat zahlreiche Differenzen zur kleinen Kammer, indem er auf strafrechtliche Bestimmungen verzichtete, keine Stimmbeteiligungspflicht von Personalvorsorgeeinrichtungen an Generalversammlungen beschloss und sich auf weniger einschränkende Regelung bei den Ausnahmen zum grundsätzlichen Verbot und Abgangsentschädigungen und Vorauszahlungen einigte. Der Nationalrat insistierte jedoch darauf, dass nicht nur die Bezüge des Verwaltungsrates, sondern auch jene der Geschäftsleitung zwingend einer Aktionärsabstimmung zu unterliegen haben. Zudem sah er eine Sonderregelung für Finanzdienstleister vor, die eine Abstimmung über den konzernweiten Bonuspool verlangte.
In der Herbstsession übernahm der Ständerat einige Punkte der nationalrätlichen Version. So beschloss die kleine Kammer, auf strafrechtliche Bestimmungen bei exzessiven Vergütungen zu verzichten. Auch liess der Ständerat die Stimmbeteiligungspflicht von Personalvorsorgeeinrichtungen bei Aktionärsversammlungen fallen. In anderen Bereichen blieben allerdings wichtige Differenzen bestehen. Im Gegensatz zum Nationalrat, der dafür eintrat, dass an der Generalversammlung jährlich zwingend nicht nur über die Vergütungen des Verwaltungsrates, sondern auch über jene der Geschäftsleitung abzustimmen wäre, beharrte der Ständerat darauf, dass die Statuten davon abweichen könnten. Der Ständerat lehnte auch eine zwingende Abstimmung über den konzernweiten Bonuspool für Finanzdienstleister ab. Was das Grundsatzverbot von Abgangsentschädigungen und Vorauszahlungen betraf, waren sich beide Räte darin einig, dass die Generalversammlung Ausnahmen beschliessen konnte. Während der Nationalrat der Meinung war, dass eine einfache Mehrheit dazu genügte, erachtete der Ständerat jedoch eine Zweidrittelmehrheit als erforderlich. Schliesslich blieb die Bonussteuer umstritten, da der Ständerat diesbezüglich an seinem Eintretensentscheid festhielt.
In der Wintersession näherte sich der Nationalrat dem Ständerat etwas an. Zum einen verzichtete eine Mehrheit der grossen Kammer auf die Bestimmung, dass Finanzdienstleister zwingend eine jährliche Aktionärsabstimmung über ihren gesamten Bonuspool durchführen mussten. Somit schloss sich der Nationalrat dem Ständerat an, welcher sich einer Sonderbehandlung dieser Branche im Aktienrecht widersetzte. Zum anderen setzte sich bezüglich der Vergütungen der Geschäftsleitung ein Kompromissvorschlag durch. Der erfolgreiche Einzelantrag von Martin Bäumle (glp, ZH) sah zwar eine zwingende Aktionärsabstimmung über die Bezüge der Geschäftsleitung vor, doch die Statuten sollten festlegen, ob solche Beschlüsse bindende oder konsultative Wirkung hätten. Die Ratslinke setzte sich vergebens gegen diese weniger einschränkende Bestimmung ein. In Bezug auf die Bonussteuer beschloss der Nationalrat zum zweiten Mal Nichteintreten. Somit stand fest, dass die Bonussteuer definitiv nicht Bestandteil des indirekten Gegenvorschlags war [34].
Am 21. März 2011 reichten die JungsozialistInnen Schweiz (Juso) ihre Volksinitiative «1:12 - Für gerechte Löhne» mit 113 005 gültigen Unterschriften ein. Diese forderte, dass der höchste Lohn in einem Unternehmen den tiefsten nicht um das Zwölffache übersteigen darf. Somit war abzusehen, dass die Frage der Managergehälter die Bundespolitik auch in den folgenden Jahren beschäftigen würde [35].
Im Rahmen der Änderung des Aktien- und Rechnungslegungsrechts beschäftigte sich das Parlament mit dem Rechnungslegungsrecht (Vorlage 2) und dem Revisionsrecht (Vorlage 3) und schloss beide ab. Wie in den vorangehenden Jahren wurde die Aktienrechtsrevision im Bereich der Corporate Governance (Vorlage 1) zurückgestellt, da noch kein Entscheid zur Abzocker-Initiative getroffen wurde. Die Vorlage zum Rechnungslegungsrecht beabsichtigte eine Modernisierung von veralteten Bestimmungen. Das Hauptziel der Vorlage bestand darin, allgemeine Kriterien festzulegen, die unabhängig von der Rechtsform der Unternehmungen gelten soll. Nach Ansicht von Experten blieb das Parlament dabei auf halbem Weg stehen. Aus Rücksicht auf die KMUs weichten die Räte viele der vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen auf. Die beiden Parlamentskammern konnten sich nicht in allen Fragen einigen. Insgesamt blieben vier Differenzen bestehen, sodass eine Einigungskonferenz eingesetzt werden musste. Schliesslich setzte sich in allen Punkten die Version des Ständerats durch. Es wurde beschlossen, dass Verbindlichkeiten in der Buchhaltung zum Nennwert bilanziert werden mussten. Weiter einigten sich die Räte darauf, dass zehn Prozent der Aktionäre einen Geschäftsbericht nach internationalen Standards anfordern konnten. Ausserdem sah die Revision vor, dass zehn Prozent der GenossenschafterInnen oder 20 Prozent der Vereinsmitglieder eine Konzernrechnung nach anerkannten Standards verlangen durften, wenn eine Genossenschaft oder ein Verein eine Firmengruppe kontrollierte. Letztlich wurde dem Bundesrat die Kompetenz zugesprochen, auch für börsenkotierte Firmen die Rechnungslegungsstandards zu bestimmen. Der Nationalrat wollte diese Befugnis ursprünglich der Börse übertragen. In der Schlussabstimmung wurde die Revision im Nationalrat mit 129 zu 62 und im Ständerat mit 44 zu 0 Stimmen angenommen. Im Nationalrat wurde sie von SVP-Fraktion geschlossen abgelehnt [36].
In Bezug auf das Revisionsrecht trat der Ständerat im Gegensatz zum Vorjahr und gegen die Empfehlung des Bundesrats auf die Vorlage gemäss Antrag Ineichen (fdp, LU) ein. Dieser Entscheid kam in der Frühjahrssession mit 21 zu 19 Stimmen allerdings nur knapp zu Stande. Der Nationalrat hatte im Dezember 2010 an seinem Eintretensentscheid festgehalten, um die Revisionspflicht für kleine und mittlere Unternehmen zu lockern. In der Detailberatung erhöhte der Ständerat in Übereinstimmung mit dem Nationalrat die Schwellenwerte, wobei dazu der Stichentscheid des Ratspräsidenten erforderlich war. Allerdings schuf der Ständerat eine Differenz zum Nationalrat, indem er den Bundesrat damit beauftragte, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen. Nachdem der Nationalrat noch in der Frühjahrssession beschloss, die Vorlage per 1. Januar 2012 in Kraft treten zu lassen, beugte er sich letztlich in der Sommersession dem Entscheid des Ständerates. Widerstand regte sich vor allem aus den Reihen der SVP. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage im Nationalrat mit 147 zu 34 Stimmen und im Ständerat mit 34 zu 5 Stimmen angenommen. Damit mussten Gesellschaften ihre Jahresrechnung und gegebenenfalls ihre Konzernrechnung neu durch eine Revisionsstelle prüfen lassen, sofern sie in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren zwei der folgenden drei Schwellenwerte überschritten: Bilanzsumme von 20 Millionen Franken, Umsatzerlös von 40 Millionen Franken oder 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt [37].
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Die 2001 durch den Swissair-Untergang ausgelöste Debatte über eine Modernisierung des Sanierungsverfahrens animierte den Bundesrat, ein Gesetzesprojekt zur Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) auszuarbeiten. In der Herbstessesion beschloss der Nationalrat mit 97 zu 42 Stimmen, nicht auf die Gesetzesvorlage einzutreten. Angesichts der Tatsache, dass die Vorlage bereits in der Vernehmlassung zum Teil auf heftige Kritik gestossen war, überraschte dieser Entscheid wenig. Grund für dieses klare Ergebnis war die Ablehnung der SP, der Grünen und der SVP. Während die Linke Verschlechterungen für die Arbeitnehmenden befürchtete, argumentierte die SVP, dass Konkurse nicht um jeden Preis verhindert werden sollen. Dagegen erachteten die unterlegenen Vertreter der CVP und der FDP das Gesetzesprojekt als vernünftige Diskussionsgrundlage. Der Eintretensentscheid des Ständerats stand noch aus [38].
Im Jahre 2009 hatte der Nationalrat einer Motion Bischof (cvp, SO) zugestimmt, welche in Anlehnung an das in den Vereinigten Staaten vorhandene Chapter 11 die Schaffung eines Sanierungsrechts im SchKG zeitlich vorziehen wollte. In der Sommersession lehnte der Ständerat diesen Vorstoss ab. Begründet wurde dieser negative Entscheid mit dem Umstand, dass der Bundesrat eine entsprechende Revision in der Zwischenzeit in die Wege geleitet hatte [39].
Nachdem im Vorjahr der Nationalrat eine Motion Rutschmann (svp, ZH) guthiess, stimmte ihr im Berichtsjahr auch der Ständerat zu. Somit wurde der Bundesrat beauftragt, eine Änderung von Artikel 27 des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) zu unterbreiten, die den freien Zugang zum Markt gesamtschweizerisch für gewerbsmässige Gläubigervertretungen gewährleistete. Im Speziellen beabsichtigte die Motion, elektronische Eingaben im SchKG-Verfahren auf gesamtschweizerischer Ebene zu ermöglichen [40].
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Weiterführende Literatur
Breiding, R. James / Schwarz, Gerhard, Wirtschaftswunder Schweiz, Zürich 2011.
Brunetti, Aymo, Wirtschaftskrise ohne Ende? US-Immobilienkrise, globale Finanzkrise, europäische Schuldenkrise, Bern 2011.
Flückiger, Stefan / Schwab, Martina, Globalisierung, die zweite Welle: Was die Schweiz erwartet, Zürich 2011.
Kappeler, Beat, Wie die Schweizer Wirtschaft tickt: die letzten 50 Jahre, und die nächsten Zürich, 2011.
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Die Volkswirtschaft, 2011, Nr. 9, S. 4-33 (Monatsthema: „Administrative Entlastung von Unternehmen“).
Die Volkswirtschaft, 2011, Nr. 9, S. 4-45 (Monatsthema: „Standortförderung des Bundes 2012−2015“).
Müller, Hansruedi, Tourismuspolitik: Wege zu einer nachhaltigen Entwicklung, Glarus 2011.
OECD, Examen territorial de la Suisse 2011 / Territorialexamen Schweiz 2011, Paris 2011.
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Amstutz, Marc / Hochreutener, Inge / Stoffel, Walter A., Die Praxis des Kartellgesetzes im Spannungsfeld von Recht und Ökonomie / La loi sur les cartels dans la pratique: entre droit et économie, Zürich 2011.
von Büren, Roland / Stoffel, Walter A. / Weber, Rolf H., Grundriss des Aktienrechts: mit Berücksichtigung der laufenden Revision, Zürich 2011.
Eichenberger, Stefan, Entschädigungsausschüsse im Schweizer Aktienrecht: Unter Einbezug der Situation in der Europäischen Union, Deutschland, Grossbritannien und den USA (Dissertation), Zürich 2011.
Osterloh, Margit / Rost, Katja, Der Anstieg der Management-Vergütung: Markt oder Macht?, Baden-Baden 2011.
Watter, Rolf (Hrsg.), Die grosse Schweizer Aktienrechtsrevision: eine Standortbestimmung per Ende 2010, Zürich 2010.
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[1] IWF: IMF World Economic Outlook Database.
[2] NZZ, 25.6., 15.7., 23.7. und 18.12.11.
[3] OECD: StatExtracts, Harmonized Unemployment Rates.
[4] OECD: StatExtracts, Consumer Price Indices.
[5] Zur BIP-Schätzung: Medienmitteilung SECO vom 31.5.12; Zum Aussenhandel: Medienmitteilung der Eidg. Zollverwaltung vom 2.2.2012; Zu den Schwierigkeiten der Maschinenindustrie: Medienmitteilung Swissmem vom 15.11.12.
[6] Zur Beschäftigung:, Medienmitteilung BFS vom, 28.2.12; Zur Arbeitslosigkeit: Medienmitteilung SECO vom 9.1.12.
[7] Medienmitteilung BFS vom 28.2.12.
[8] Po. 11.3461: AB NR, 2011, S. 1504.
[9] Medienmitteilung Seco vom 24.8. 12; Die Volkswirtschaft (Nr. 9/2011); NZZ, 25.8.11.
[10] BRG 11.019: AB NR, 2011, S. 806 ff.; AB SR, 2011, S. 1609 ff.; BBl, 2011, S. 2337 ff.; NZZ, 23.9.11.
[11] Po. 11.3466: AB NR, 2011, S. 819.
[12] Lit. OECD; NZZ und SGT, 22.1.11.
[13] Po. 11.3697: AB NR, 2011, S. 1844.
[14] Mo. 09.3938: AB NR, 2011, S. 756 f.
[15] BBl, 2011, S. 8067 f.
[16] Mo. 10.3946: AB NR, 2011, S. 528; AB SR, 2011, S. 805.
[17] Mo. 10.3949: AB NR, 2011, S. 529; AB SR, 2011, S. 933.
[18] Mo. 10.3792; SPJ 2010, S. 112.
[19] Zu den Logiernächten: Medienmitteilung BFS, 21.2.12. Zum Massnahmenpaket zur Abfederung der Frankenstärke: BRG 11.048: AB SR, 2011, S. 774 ff.; AB NR, 2011, S. 1525 ff.; NZZ, 1.9.11; TA, 15.9.11.
[20] Mo. 11.3950: AB NR, 2011, S. 2221.
[21] Mo. 09.4060: AB SR, 2011, S. 206.
[22] BRG 10.093: AB SR, 2011, S. 2 ff.; AB NR 2011, S. 1610ff.; BBl, 2011, S. 7398 ff.; BBl, 2011, S. 7991; Lib., 1.3.11; NZZ, 15.2.1 und 29.9.11; vgl. SPJ 2010, S. 112 f.
[23] Pa.Iv. 09.456: AB SR, 2011, S. 870 f.; NZZ 22.9.11.
[24] Medienmitteilung EJPD vom 22.6.11.
[25] SPJ 2010, S. 113; BBl, 2011, S. 3082 ff.; NZZ 31.3.11.
[26] BBl, 2011, S. 3082; NZZ, 31.3. LT und NZZ, 24.9.11.
[27] BBl, 2011, S. 7289; Medienmitteilung Seco vom 16.11.11
[28] BRG 09.069: AB NR, 2011, S. 220 ff.; AB SR 2011, S. 304 ff.; BaZ und NZZ, 9.3.11; NZZ, 18.3., 1.6., 7.6., 15.6. und 16.6.11; vgl. SPJ 2010, S. 114.
[29] Mo. 11.3984: AB NR, 2011, S. 2222.
[30] Pa.Iv. 10.538.
[31] Pa.Iv. 11.321; ausführlich zu Cassis de Dijon berichten wir in Teil I, 4c (Produits alimentaires).
[32] Mo. 10.3382: AB NR, 2011, S. 1497.
[33] Pa.Iv. 06.490: AB NR, 2011, S. 1423 ff.; AB SR 2011, S. 1050ff.; BBl, 2011, S. 2899 f.; NZZ, 15.9. und 6.12.11.
[34] Pa.Iv. 10.044: AB NR, 2011, S. 253 ff.; AB SR, 2011, S. 725 ff.; NZZ, 10.3., 13.9. und 8.12.11.
[35] BBl, 2011, S. 3725 f.
[36] BRG 08.011: AB SR, 2011, S. 256 ff.; AB NR, 2011, S. 876 ff.; NZZ, 8.12.11; sda, 15.12.11.
[37] BRG 08.011: AB SR, 2011, S. 5 ff.; AB NR, 2011, S. 252 ff.; SPJ 2010, S. 119; BBl, 2011, S. 4843 f.; NZZ, 1.3.11.
[38] BRG 10.077: AB NR, 2011, S. 1699ff.; vgl. SPJ 2010, S. 120; LT, 30.9.11.
[39] Mo. 09.3716: AB NR, 2011, S. 357.
[40] Mo. 10.3780: AB SR, 2011, S. 356.
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