Im Eisenbahnverkehr wurden 1985 mit dem Konzept «Bahn 2000», der Wiederaufnahme der Diskussion um eine neue Alpentransversale und der Botschaft des Bundesrates über den neuen Leistungsauftrag an die SBB die Grundlagen der künftigen Politik für den öffentlichen Verkehr geschaffen. Nachdem das Projekt des Baus neuer Haupttransversalen (NHT) zwischen Lausanne und St. Gallen und von Basel nach Olten im Vernehmlassungsverfahren zwiespältig aufgenommen worden war, beschlossen die Bahn-Verantwortlichen, ihre ursprünglichen NHT-Pläne zu einem Angebotskonzept für den gesamten Eisenbahnverkehr umzugestalten. Dieses Bahnleitbild der Zukunft stellten sie der Öffentlichkeit im Berichtsjahr unter dem Titel «Bahn 2000» vor. Im Kern geht es darum, die vorgesehenen Schnellbahnlinien bescheidener zu bauen und besser mit den übrigen Eisenbahnverkehrsbedürfnissen – vor allem jener anderer Regionen zu verknüpfen. Landesweit soll ein qualitativ hochstehendes Bahnangebot mit häufigeren und zusätzlichen direkten Verbindungen, besseren Anschlüssen und dadurch kürzeren Gesamtreisezeiten verwirklicht werden. Das Projekt umfasst das gesamte Bahnnetz inklusive Privatbahnen und überregionale Buslinien und schafft auch die Voraussetzungen für bessere Anschlüsse und durchgehende Zugsläufe im internationalen Verkehr.

Im Gegensatz zum NHT-Konzept sind für «Bahn 2000» nicht mehr möglichst hohe Zugsgeschwindigkeiten auf den Hauptachsen die erste Priorität; Ziel ist vielmehr, dass die Züge so rasch als nötig fahren, um auf möglichst vielen Umsteigebahnhöfen bei einem Minimum an Wartezeiten ein Maximum an Anschlüssen anbieten zu können. Dazu ist vorgesehen, dass an den Knotenbahnhöfen die Züge von allen Seiten her kurz hintereinander eintreffen und wieder ausfahren, wobei sich diese sogenannten «Spinnen» wegen der leichteren Merkbarkeit des Fahrplans zu jeder vollen Stunde wiederholen sollen. Damit die heutigen Fahrzeiten, die alle um 7-30 Prozent über der gewünschten Stunde liegen, verkürzt werden können, muss das bestehende Netz modernisiert und im Bereich der zentralen überlasteten Netzteile um vier Neubaustrecken von total 120~km Länge ergänzt werden. Diese vier neuen Abschnitte (Vauderens-Villars-sur-Glâne auf der Strecke Lausanne-Bern, Mattstetten-Rothrist im Raum Olten mit einer Verbindúngsstrecke Richtung Luzern, Olten-Muttenz (BL) sowie Zürich Flughafen-Winterthur) haben gleichsam «Rückgratfunktion» für die «Bahn 2000», da ohne sie weder eine optimale Verknüpfung der Zugsläufe in den Knotenbahnhöfen noch das erhöhte Zugsangebot möglich ist. Die beiden Neubaustrecken zwischen Basel und Bern erhöhen zudem die Leistungsfähigkeit der Transitachse Bern-Lötschberg-Simplon für den Güterverkehr und ermöglichen damit die volle Nutzung der Investition in den Doppelspurausbau der Lötschbergbahn.

Das ganze Vorhaben soll schrittweise bis zum Jahr 2000 verwirklicht werden. Die Investitionen in die festen Anlagen der SBB belaufen sich nach heutigem Planungsstand auf insgesamt CHF 5 bis 5.1 Mia., wovon CHF 2.3 bis CHF 2.4 Mia auf die Neubaustrecken entfallen. Daneben ist für den Ausbau der Privatbahnen ebenfalls mit erheblichen Investitionen zu rechnen, für die voraussichtlich rund CHF 1 Mia an Bundesmitteln bereitzustellen ist.

Im Dezember verabschiedete der Bundesrat zuhanden des Parlaments drei separate Bundesbeschlüsse über die Realisierung dieses neuen Bahnkonzepts. Gleichzeitig entschied er sich in seiner Botschaft zur «Bahn 2000» bezüglich der umstrittenen Linienführung zwischen Mattstetten und Rothrist für die «Variante Süd» via Koppigen, welcher als ursprünglicher NHT-Strecke wegen des beträchtlichen Kulturlandverlustes schon frühzeitig Opposition erwachsen war. Die Landesregierung stellte zwar fest, dass auch die vom VCS vorgeschlagene «Variante Nord» entlang der Autobahn N1 und der bestehenden SBB-Linie Biel-Olten das Ziel verkürzter Fahrzeiten erfiillen würde, gab aber der billigeren und technisch einfacher zu erstellenden «Variante Süd» den Vorzug; dabei plädierte sie dafür, durch Projektverbesserungen die Eingriffe in die IIandschaft auf ein Minimum zu beschränken. Während das Konzept der «Bahn 2000» als wichtiger und notwendiger Schritt auf dem Weg zu einem umweltfreundlichen, attraktiven öffentlichen Verkehrswesen der Zukunft mehrheitlich begrüsst wurde, fühlten sich die Betroffenen, vor allem der Kanton Bern, vom Variantenentscheid des Bundesrates brüskiert. Auf Unverständnis stiess insbesondere, dass sich die Exekutive bei ihrer Wahl weitgehend an den zu erwartenden Baukosten orientierte, obwohl die von Umweltschutzkreisen geforderte Variante entlang der N 1 neben dem Vorteil der Bündelung der Verkehrsimmissionen auch eine Aufwertung der Jurasüdfusslinie – wie sie die Westschweizer Stände wünschten – zur Folge hätte. Der Entscheid über die definitive Streckenführung liegt nun beim Parlament und untersteht dem fakultativen Referendum.

Dossier: Rail 2000

Mit der deutlichen Zustimmung zum Konzept «Bahn 2000» bestätigten die eidgenössischen Räte die im Vorjahr eingeleitete Neuorientierung im Eisenbahnverkehr. Das Projekt legt das Schwergewicht auf die intensive Förderung des öffentlichen Verkehrs durch eine Attraktivitätssteigerung des Bahnangebots mit häufigeren und vermehrt umsteigefreien Verbindungen sowie besseren Anschlüssen. Das bestehende Netz soll dazu durch örtliche Ausbauten modernisiert und durch vier Neubaustrecken ergänzt werden. Im Hinblick auf die Verkürzung der Gesamtreisezeiten räumt «Bahn 2000» der Integration des regionalen Angebots in das übergeordnete regionenverbinde Netz der Intercity- und Schnellzüge einen hohen Stellenwert ein. Damit werden die Weichen vom bisherigen Liniendenken auf eine klare Netzstrategie gestellt.

Dossier: Rail 2000

Während das Konzept einer «Bahn 2000» sowohl von den interessierten Kreisen und Behörden als auch vom Parlament mehrheitlich begrüsst wurde, entbrannte bezüglich der Linienführung der Neubaustrecke zwischen Mattstetten (BE) und dem Raum Olten eine heftige Diskussion um nicht weniger als fünf Varianten. Im Sinne einer Kompromisslösung zwischen der vom Bundesrat und den SBB bevorzugten «Variante Süd» und der vom VCS vorgeschlagenen und von den Kantonen Aargau, Bern und der Westschweiz unterstützten «Variante Nord» entschied sich das Parlament schliesslich für die Linienführung «Süd Plus». Diese ergänzt die «Variante Süd» um eine Verbindung Herzogenbuchsee–Solothurn und gewährleistet dadurch eine bessere Integration der Jurasüdfusslinie in das neue Konzept. Entsprechend erhöhten beide Räte den Finanzierungsrahmen zur Verwirklichung der «Bahn 2000» von CHF 5.1 auf CHF 5.4 Mia. Neben dem «Süd Plus» (CHF 130 Mio) und dem Ausbau der Linie Solothurn–Biel (CHF 120 Mio) sollen damit auch zusätzliche Umweltschutzmassnahmen bei der Streckenführung «Süd» (CHF 50 Mio) finanziert werden. Angesichts der grossen Aufwendungen des Bundes für «Bahn 2000» bemängelte die FDP-Fraktion das Fehlen eines klaren Finanzierungskonzepts und forderte in einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat (Po. 86.925) die Abklärung der Finanzierungsfrage. Entgegen dem bundesrätlichen Antrag unterstellte das Parlament ferner das Gesamtkonzept mit den vier Neubaustrecken einem einzigen referendumspflichtigen Bundesbeschluss, da «Bahn 2000» nur mit diesen Netzerweiterungen realisiert werden kann. Rückweisungsanträgen von Berner und Solothurner Parlamentariern, die angesichts der Opposition in der betroffenen Region eine nochmalige Überprüfung der verschiedenen Varianten oder gar einen Verzicht auf jede neue Bahnstrecke durch das Mittelland verlangt hatten, wurde von den Räten nicht stattgegeben. Vom parlamentarischen Entscheid zugunsten der Linienführung «Süd Plus» zeigte sich die Berner Regierung befriedigt. Dagegen ergriffen die Gegner einer neuen Bahnlinie durch das Mittelland das Referendum, so dass der Souverän das letzte Wort zur Realisierung der «Bahn 2000» haben wird.

Dossier: Rail 2000

Wie unmittelbar nach dem Parlamentsbeschluss von Ende 1986 angekündigt, wurde gegen die Vorlage «Bahn 2000» das Referendum ergriffen. Die Opposition richtete sich nicht gegen eine Angebotsverbesserung bei der Bahn an sich, sondern gegen die Neubaustrecken und den mit ihnen verbundenen Kulturlandverlust. Die Gegnerschaft war geografisch auf das von der geplanten Neubaustrecke Mattstetten–Olten betroffene Gebiet des bernischen Oberaargaus und des Kantons Solothurn konzentriert. Entsprechend fiel denn auch das Sammelergebnis aus: Von den gut 80'000 Unterschriften kamen über 50'000 aus dem Kanton Bern und weitere 18'000 aus dem Kanton Solothurn.

In der Kampagne vor der Abstimmung erhielten die Gegner nur wenig zusätzliche Unterstützung. Von den Parteien sprachen sich auf nationaler Ebene einzig die äussere Rechte (NA, OFP und EDU) und die Auto-Partei gegen die «Bahn 2000» aus, wobei sich lediglich die letztere aktiv dagegen einsetzte. In den Kantonen Bern und Solothurn gaben zudem die SVP bzw. die FDP und die CVP die Nein-Parole aus. Ähnlich schwach fiel die Unterstützung durch Interessenorganisationen aus: Nur gerade die dem Strassentransportgewerbe nahestehende "Aktionsgemeinschaft Strassenverkehr" propagierte die Ablehnung, Vertreter des TCS und des ACS äusserten sich hingegen eher positiv. Auch der Schweizerische Gewerbeverband sprach sich – trotz Otto Fischers Warnungen vor einem Finanzdebakel und einer Mehrbelastung der Steuerzahler – knapp zugunsten von «Bahn 2000» aus.

Die Organisationen des Umweltschutzes befanden sich in einem gewissen Dilemma: Zum einen befürworteten sie die Vorlage als Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Verkehrs, zum andern stellten sie jedoch die grundsätzliche Frage, ob damit wirklich ein Umsteigeeffekt erzielt werden könne oder ob nicht vielmehr der Tendenz zu einer weiteren Zunahme der Mobilität mit ihren negativen Auswirkungen auf die Umwelt Vorschub geleistet werde. Der VCS und der Naturschutzbund stimmten dem Konzept «Bahn 2000» trotz dieser Bedenken zu, andere Organisationen wie zum Beispiel der WWF und die SGU verzichteten auf eine Parole. An der bezahlten Werbung in den Medien war auffallend, dass die Quantität der Ja-Propaganda diejenige der Gegner um ein Mehrfaches übertraf und dass dabei vor allem versucht wurde, die Automoblisten anzusprechen.

Bahn 2000. Abstimmung vom 6. Dezember 1987

Beteiligung: 47.7%
Ja: 1'140'857 (56.7%)
Nein: 860'893 (43.3%)

Parolen:
– Ja: FDP*, CVP*, SP, SVP*, GPS, LP*, LDU, EVP, POCH*, PDA; SGB, CNG, Vorort, SGV, SBV; SGU, VCS.
– Nein: NA, AP.
*abweichende Kantonalsektionen

In der Volksabstimmung vom 6. Dezember wurde das Konzept «Bahn 2000» mit einer Mehrheit von 57 Prozent gutgeheissen. Neben Schwyz und Appenzell Innerrhoden lehnten die von den Neubaustrecken betroffenen Kantone Solothurn, Bern und Freiburg die Vorlage ab. Sehr positiv fiel das Ergebnis demgegenüber in den verkehrsungünstig gelegenen Kantonen der Jurakette und der Ostschweiz sowie im Tessin aus. In einer repräsentativen Nachbefragung zeigte sich, dass die Verbesserung des Verkehrsangebotes bei den Befürwortern eine grosse Rolle gespielt hatte. Ein noch wichtigeres Motiv war allerdings der Schutz der Umwelt und dabei insbesondere die von der «Bahn 2000» erhoffte Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr. Bei den von den Gegnern genannten Gründen hielten sich die Einwände gegen den Landverschleiss und gegen die hohen Kosten die Waage.

Mit der Zustimmung des Souveräns zur «Bahn 2000» trat auch der vom Parlament 1986 gutgeheissene Bundesbeschluss zur Realisierung des Konzepts in Kraft. Die SBB werden darin ermächtigt, Verpflichtungen im Umfang von CHF 5.4 Mia für Infrastrukturvorhaben einzugehen.

Dossier: Rail 2000