Diverse regionale Forderungen bezüglich des Linienführungsentscheides der NEAT

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Keineswegs befriedigt vom Projekt «Bahn 2000» zeigte sich die Tessiner Regierung. Sie besteht darauf, dass mit dem vorgesehenen Ausbau der Ost-West-Achse eine neue Eisenbahn-Alpentransversale verbunden wird und hält das Konzept eines Eisenbahnnetzes des 21. Jahrhunderts für unvollständig, wenn der Wunsch nach einer schnelleren Alpendurchquerung nicht einbezogen wird. Nachdem Bundesrat und Parlament ein neues Alpenbahnprojekt vorläufig zurückgestellt hatten, da die Transportkapazitäten mit dem Ausbau der Lötschberglinie auf Doppelspur bis nach der Jahrtausendwende genügten, kritisierten sowohl die Regierungen der Kantone im Einzugsgebiet des Gotthards als auch diejenigen der Ostschweiz diesen Entscheid als verfehlt: Der Bau einer neuen Alpentransversale dürfe nicht allein von Verkehrsprognosen und dem finanziellen Ertrag abhängen; entscheidend sei die neue Konkurrenzfähigkeit einer solchen Bahn gegenüber der Strasse und die Verminderung der sozialen Kosten vor allem in bezug auf die Belastung der Umwelt. Weil zudem die Kapazität der Gotthard-Autobahn wegen des rasch zunehmenden Schwerverkehrs in absehbarer Zeit voll ausgelastet sei und sich das Problem einer zweiten Autotunnelröhre stelle, drängten sie auf einen raschen Entscheid, denn nur mit einem vorher spruchreifen Bahn-Basistunnel könne der weitere Ausbau der N 2 und somit eine noch stärkere Abwanderung des Verkehrs auf die Strasse verhindert werden. Bezüglich der Linienführung (Gotthard- oder Splügen-Basistunnel) gingen die Meinungen allerdings nach wie vor auseinander. Mit einer Eingabe an den BR forderten die Ostschweizer Kantone (AI, AR, GL, GR, SG, SH, TG), die Planungsgrundlagen für die Splügenbahn voranzutreiben, damit beide Varianten vergleichbar werden und bald ein Entscheid getroffen werden könne.

Dossier: Histoire des nouvelles lignes ferroviaires à travers les Alpes (NLFA)

Mit einer parlamentarischen Initiative (Pa.Iv. 85.236) unterbreitete Ständerat Cavelty (cvp, GR) eine nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch politisch gezielte Verständigungslösung: das «Alpen-Y», das die Vorteile der beiden umstrittenen Varianten in einem einzigen, billigeren Projekt vereinen soll. Dieser Y-Tunnel würde im Süden oberhalb Biasca im Bleniotal beginnen und sich südlich von Disentis in zwei Aste, einen westlichen nach Amsteg (UR) und einen östlichen nach Trun (GR), aufteilen. Zwischen Amsteg und Erstfeld würde an die bestehende Gotthardbahn, in Trun an eine neu zu erstellende Normalspurstrecke Disentis–Chur angeschlossen. Während die an der Gotthardstrecke liegenden Kantone diesen Vorschlag mindestens für prüfenswert hielten, zeigten sich die Ostschweizer ablehnend und kritisierten insbesondere, dass mit der Y-Variante der gesamte Nord-Süd-Verkehr nach Biasca geführt und sich in den Raum Bellinzona–Chiasso–Mailand ergiessen würde. Die Anhänger der Splügenbahn wiesen daher einmal mehr auf die Vorteile einer Linienführung über Chur nach Chiavenna–Mailand hin, welche auch von Vorarlberg und der Lombardei bevorzugt wird (Siehe auch Po. 85.518). Nachdem die vier Bundesratsparteien in ihrem gemeinsamen Aktionsprogramm zur Förderung des öffentlichen Verkehrs (siehe auch Mo. 84.551) für die stärkere Verlagerung des Nord-Süd-Transit-Schwerverkehrs auf die Schiene plädiert und auf einen möglichst raschen Linienentscheid bezüglich einer neuen Eisenbahn-Alpentransversale gedrängt hatten (siehe auch Mo. 85.592), fand auch im Nationalrat ein Meinungsumschwung statt, wobei vor allem verkehrspolitische und ökologische Argumente ausschlaggebend waren: Gegen den Willen des Bundesrates überwiesen die Volksvertreter in ihrer Dezembersession mit 107 zu 32 Stimmen eine Motion (Mo. 84.452) des Tessiner Freisinnigen Salvioni, die das Vorantreiben der Planungsarbeiten und – in einem nur als Postulat überwiesenen Teil – einen beschleunigten Baubeginn der neuen Alpendurchquerung verlangte.

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Die im Zusammenhang mit dem Konzept «Bahn 2000» wieder aufgeworfene Frage einer neuen Eisenbahn-Alpentransversale beschäftigte Parlament und Öffentlichkeit im Berichtsjahr weiter. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Schnellbahnvorhaben Deutschlands und Italiens und die damit verbundene Gefahr einer Umfahrung der Schweiz, sofern diese weiter als «Bremsklotz» im internationalen Nord-Süd-Verkehr wirke, war man sich einig über die Dringlichkeit eines Schweizer Alpenbahnprojekts. Mit einer auch von der kleinen Kammer gutgeheissenen Motion des Tessiner Nationalrats Salvioni (fdp) (Mo. 84.452) wurde die Landesregierung aufgerufen, die Verhandlungen für die notwendige Koordination und die Finanzierung auf europäischer Ebene in die Wege zu leiten und die Frage des Nord-Süd-Transits auf der Schiene als vorrangige Aufgabe der Aussenpolitik zu behandeln. Eine vom Nationalrat als Postulat überwiesene Motion Schmidhalter (cvp, VS) ( Mo. 86.597) forderte den Bundesrat ebenfalls auf, den Linienführungsentscheid für eine neue Alpenbahntransversale voranzutreiben und zwar auf der Grundlage eines zusammen mit den Nachbarländern zu entwerfenden Konzepts «Eurorail 2000». Die Transportminister Deutschlands, Österreichs, Italiens und der Schweiz setzten einen gemeinsamen Ausschuss ein, der Vorstellungen über die Zukunft der Alpenbahnen und allfälliger neuer Basistunnels bis Ende 1987 ausarbeiten soll. Auch der Europarat unterstützte zur Verlagerung des Gütertransitverkehrs von der Strasse auf die Schiene den Bau neuer Alpenbahntransversalen.

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Bezüglich der Linienführung einer neuen Nord-Süd-Verbindung durch die Schweiz gingen die Meinungen nach wie vor auseinander, wobei Italien zusammen mit den Ostschweizer Kantonen die Splügenvariante forcierte. Eine im Auftrag der Ständeratskommission erstellte Expertise über die Realisierbarkeit eines «Alpen-Y» als Alternative zu einem Splügen- oder Gotthard-Basistunnel kam zum Schluss, dass eine solche Y-Linienführung sich gut in das bestehende und geplante europäische Schienennetz einfügen würde. Nachdem der Bündner Standesvertreter Cavelty (cvp) seine diesbezügliche parlamentarische Initiative zurückgezogen hatte, überwiesen beide Räte gleichlautende Kommissionsmotionen. Danach sollen die Entscheidungsgrundlagen für die neue Alpenbahntransversale unter Einbezug des Y-Vorschlags und der Ausbaumöglichkeiten der Simplonlinie (siehe auch Mo. 85.490) so aufgearbeitet werden, dass ein Baubeschluss im Anschluss an die parlamentarische Verabschiedung der «Bahn 2000» gefällt werden kann. Der Bundesrat beauftragte in der Folge eine Expertenkommission, die vier diskutierten Varianten bis Ende 1987 einer vergleichenden Analyse zu unterziehen.

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