Sowohl in den Parteien als auch in den Medien gaben die Listenverbindungen für die Nationalratswahlen 2023 viel zu reden. Aus wahlarithmetischer Sicht sind diese ein Mittel, um Verzerrungen durch die meist kleinen Nationalratswahlkreise entgegenzuwirken: Zwar gilt bei den Nationalratswahlen in allen 20 Kantonen mit mehr als zwei Mandaten das Proporzsystem, doch die meist kleine Wahlkreisgrösse – nur in 6 Kantonen sind mehr als 10 Mandate zu vergeben – bedeutet, dass kleinere Parteien in den meisten Kantonen praktisch keine Aussichten auf einen Sitz haben, wenn sie alleine antreten; ihre Stimmen gehen in der Konsequenz verloren. Mit Listenverbindungen können sie teilweise Abhilfe schaffen, weil dadurch für die Sitzverteilung die Stimmen aller Partnerlisten zusammengezählt werden. Doch auch für grössere Parteien sind Listenverbindungen angesichts der kleinen Wahlkreise beziehungsweise der vielen resultierenden Reststimmen ein «probate[s] Mittel, um für die eigene Partei Restmandate zu holen oder doch mindestens dafür zu sorgen, dass sie einer nahestehenden Partei zugutekommen», wie die NZZ festhielt. Rein arithmetisch sind somit breite Verbindungen aus mehreren Parteien in der Regel vorteilhaft, Alleingänge hingegen nachteilig. Eine Auswertung des Tages-Anzeigers kam zum Schluss, dass die Listenverbindungen 2019 für die Sitzverteilung eine erhebliche Rolle spielten: Die GLP habe dank geschickten Listenverbindungen landesweit fünf zusätzliche Sitze geholt, während die vielerorts isolierte SVP insgesamt sieben Sitze mehr erhalten hätte, wenn auch alle anderen Parteien überall alleine angetreten wären.
Entsprechend verbreitet war das Instrument der Listenverbindungen auch bei den Nationalratswahlen 2023. Eine Übersicht des Bundesamts für Statistik zeigt, welche Parteien ihre Listen am häufigsten miteinander verbanden. Zu beachten ist dabei, dass nur in jenen 20 Kantonen, denen mehr als ein Nationalratssitz zusteht, Listenverbindungen überhaupt in Frage kamen. In diesen wurden insgesamt 80 parteiübergreifende Listenverbindungen geschlossen, 2019 waren es 81 gewesen. Unter Ausklammerung von Verbindungen mit (Unter-)Listen der eigenen Partei ergeben sich für die acht wählendenstärksten Parteien 2023 folgende Allianzmuster: SP und Grüne verbanden ihre Listen ohne Ausnahme in all diesen 20 Kantonen. In 5 Kantonen nahmen diese beiden Parteien auch die GLP an Bord, in 4 Kantonen die PdA, in 3 Kantonen SolidaritéS und in je einem Kanton die EVP, die CSP, die AL oder andere Parteien. – Häufigste Listenverbindungspartnerin der GLP war derweil die Mitte (in 10 Kantonen), gefolgt von EVP (8), SP und Grünen (je 5) sowie FDP und anderen (je 1). – Die EVP verband ihre Listen am meisten mit der Mitte (in 13 Kantonen), gefolgt von der GLP (8), der FDP (2) sowie der SP, Grünen und anderen (je 1). – Für die Mitte war ihrerseits die EVP die häufigste Partnerin (in 13 Kantonen), gefolgt von der GLP (10), der FDP (5) sowie der SVP, dem MCG und anderen (je 1). – Die FDP spannte am häufigsten mit der SVP zusammen (in 9 Kantonen), vor der Mitte (5), der EVP und der EDU (je 2) sowie der GLP und dem MCG (je 1). – Für die SVP war umgekehrt ebenfalls die FDP die häufigste Listenverbindungspartnerin (in 9 Kantonen), gefolgt von der EDU (7), Mass-voll (2), der Mitte, der Lega, dem MCG und anderen (je 1). – Die EDU schliesslich setzte am häufigsten auf eine Allianz mit der SVP (in 7 Kantonen), vor der FDP und den SD (je 2) sowie anderen Parteien (1).
Für die heftigsten Diskussionen und Kontroversen in den Medien sowie innerhalb der betroffenen Parteien sorgten dabei nicht die am häufigsten vorkommenden Allianzen, sondern jene zwischen FDP und SVP sowie jene zwischen SVP und Mass-voll. Diese Kontroversen sind Ausdruck davon, dass Listenverbindungen für eine Partei auch einen Preis haben können: Eine Partei signalisiert damit, welche andere Partei(en) sie als nahestehend betrachtet und im Zweifelsfall mit ihren Reststimmen begünstigen will. Dies kann eine eigenständige Profilierung erschweren und Teile der eigenen potenziellen Wählerschaft abschrecken, wenn diese mit den Listenverbindungspartnern so wenig anfangen können, dass sie diesen keinesfalls ihre Stimme zugutekommen lassen möchten. In genau diesem Spannungsfeld bewegten sich denn auch die Diskussionen im Wahlkampf 2023: Während jeweils von der einen Seite die entsprechenden Partnerschaften als Ausverkauf der eigenen politischen Werte kritisiert und die inhaltliche Kompatibilität der Partnerparteien in Zweifel gezogen wurden, verteidigte die andere Seite sie jeweils als rein arithmetische Zweckbündnisse, die bloss der Stimmenaggregation dienten und nicht inhaltlich interpretiert werden sollten.
Für die Kooperationen zwischen FDP und SVP gab SVP-Präsident Marco Chiesa an einer Delegiertenversammlung im Januar 2023 das Ziel aus, «flächendeckende Listenverbindungen» seiner Kantonalparteien mit den Freisinnigen anzustreben; es gehe darum, einen Vormarsch der Linken zu verhindern. Noch bis 2007 waren Allianzen zwischen FDP und SVP bei den Nationalratswahlen auch recht verbreitet gewesen, zwischen 2011 und 2019 war es aber nie in mehr als drei Kantonen dazu gekommen – gemäss NZZ nicht nur weil von einer Listenverbindung grundsätzlich häufiger der grössere Partner – also die SVP – profitiert, sondern auch weil die meisten freisinnigen Kantonalparteien ihr eigenständiges Profil schärfen und sich von der SVP abgrenzen wollten. FDP-Präsident Thierry Burkart verwies denn auch diesmal auf die Autonomie der Kantonalparteien in dieser Frage. Dabei sagte er gegenüber der NZZ, für ihn seien «Listenverbindungen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Wahlarithmetik [zu] beurteilen und weniger mit Blick auf die inhaltliche Zusammenarbeit». In den Kantonen zeigte sich jedoch, dass es für viele Freisinnige um mehr ging als um nüchterne Arithmetik – die möglichen Liaisons mit der SVP waren gemäss einem NZZ-Bericht vom Juli innerhalb des Freisinns «überall» umstritten. Exemplarisch dafür war die Zürcher FDP, deren Delegierte sich nach einer intensiven Auseinandersetzung letztlich hauchdünn, mit 82 zu 81 Stimmen, erstmals seit 2007 wieder für eine Listenverbindung mit der SVP entschieden (während der SVP-Kantonalvorstand einstimmig Ja sagte). Auf der einen Seite warb der FDP-Kantonalparteipräsident für eine solche «Zweckgemeinschaft», auch wenn es für eine Zusammenarbeit «nicht hilfreich» sei, dass die SVP im Zusammenhang mit dem Credit-Suisse-Niedergang von FDP-Filz spreche und «dumme und haltlose Vorwürfe» gegen die FDP erhebe, wie er im Tages-Anzeiger sagte. Verzichte man auf eine Allianz, profitierten davon jedoch die Linken. Auf der anderen Seite wandten Gegnerinnen und Gegner laut NZZ ein, die SVP habe sich zuletzt «radikalisiert». Wenn die SVP einen rassistischen Wahlkampf gegen Asylsuchende führe, muslimische Schweizer Soldaten verunglimpfe oder Bundesratsmitglieder als «Saboteure» bezeichne, werde «ein Teil des Schmutzes» auch auf die FDP als Listenverbindungspartnerin abfallen. Die Wählenden würden die arithmetischen Überlegungen hinter einer Listenverbindung nicht verstehen. Das Risiko sei gross, Stimmen und die politische Glaubwürdigkeit zu verlieren sowie einen Imageschaden davonzutragen. Zudem erinnerten sie an frühere Angriffe und Beleidigungen der SVP auf FDP-Exponentinnen und -Exponenten. Mit ähnlichen Argumenten entschied sich etwa in St. Gallen oder Solothurn eine Mehrheit der FDP gegen eine Wahlallianz mit der SVP. Besonders war die Ausgangslage in Basel-Stadt, wo eine Listenverbindung nicht an der FDP scheiterte, sondern an der LDP – welche zwar ebenfalls Mitglied der FDP.Liberalen Schweiz ist, auf kantonaler Ebene aber unabhängig von der Basler FDP politisiert. Die LDP argumentierte gemäss Basler Zeitung, bei lokalen Themen könne man mit der SVP zwar durchaus zusammenarbeiten, aber auf nationaler Ebene vertrete die Volkspartei einen Stil und Werte, die «man als liberale Partei nicht teilen kann» – etwa mit dem Kampf für ein Verhüllungsverbot oder gegen die Personenfreizügigkeit und Immigration. Weil die LDP als Listenverbindungspartnerin der FDP in Basel gesetzt war, kam nach ihrem Veto auch für letztere eine Allianz mit der SVP nicht mehr in Frage. Derweil kam es nebst Zürich unter anderem auch in Bern, Aargau und der Waadt zu FDP-SVP-Listenverbindungen.
Die von den parteiinternen Kritikerinnen und Kritikern vorausgesagten Vorwürfe gegenüber der Allianzpolitik der FDP liessen nicht auf sich warten und wurden medial auch weit über die neun betroffenen Kantone hinaus aufgenommen (ähnlich gelagerte Kritik, dass sich die FDP zu sehr an die SVP anlehne und damit ihr moderates Profil verliere, wurde im Übrigen auch im Zusammenhang mit den Ständeratswahlen laut): Wer die FDP wähle, wähle nun die SVP mit, warnten Linke und Grünliberale. Mit Blick auf den Kanton Aargau schrieb auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister, dass jede Stimme für die FDP somit eine Stimme für Andreas Glarner (svp, AG) sei. Und ein umstrittener Wahlkampf-Sticker der Kampagnenorganisation Campax etikettierte nebst der SVP auch die FDP als «Nazis». Doch auch die traditionell FDP-nahe NZZ konstatierte im Sommer, «die Nähe zur SVP» in der öffentlichen Wahrnehmung werde für die FDP «zunehmend zum Problem». FDP-Präsident Burkart verteidigte sich im Tages-Anzeiger und der Aargauer Zeitung, man sei aufgrund des Wahlsystems praktisch gezwungen, trotz inhaltlicher Unterschiede Verbindungen einzugehen. In mehreren Kantonen habe die FDP Verbindungen mit der Mitte eingehen wollen, habe von dieser jedoch einen Korb bekommen. Burkart vermutete dahinter ein Manöver von Mitte-Präsident Pfister: Indem er die FDP faktisch zu Kooperationen mit der SVP zwinge, könne sich stattdessen die Mitte als «die vernünftige Kraft der Mitte» positionieren. Dieses «Spiel» von Pfister scheine «aufgrund der linken Polemik und dank Mithilfe der Medien» aufzugehen. Im Übrigen sei die Kritik insbesondere von Seiten der GLP «scheinheilig»: Dass diese in mehreren Kantonen mit SP und Grünen zusammenspanne, sei ebenso kritikwürdig wie die Verbindungen von FDP und SVP; man könne Stimmen für die GLP mit gleichem Recht auch als «Stimmen für Juso und Klimakleber» bezeichnen, sagte Burkart.
Ganz ähnliche Argumentationsmuster waren auch in der SVP zu beobachten, allerdings in Bezug auf die Listenverbindungen mit Mass-voll. Zwar räumte die SVP überall dort, wo die FDP wollte, dieser Partnerschaft den Vorrang ein und hielt sich an die FDP-Bedingung, dass es für Mass-voll keinen Platz in den entsprechenden Verbindungen geben dürfe (wobei Mass-voll seinerseits verlauten liess, dass man «niemals» gemeinsam mit der FDP in die Wahlen gehen würde, weil diese eine «menschenverachtende Corona-Politik» unterstützt habe). In mehreren Kantonen, in denen sich die FDP gegen eine Listenverbindung mit der SVP entschieden hatte, prüfte die SVP in der Folge aber ein Zusammengehen mit den Covid-Massnahmengegnerinnen und -gegnern. In Solothurn und Luzern kamen entsprechende Listenverbindungen schliesslich zustande – wobei die jeweiligen SVP-Spitzen in der Presse betonten, es handle sich um reine «Zweckgemeinschaften». Es gehe schlicht darum, zu verhindern, dass die Stimmen der am rechten Rand zu verortenden Mass-voll-Bewegung einfach verloren gingen. Ganz ähnlich wie bei der FDP, wenn auch in geringerem Umfang, kursierten aber auch hier SVP-interne Stimmen in der Presse, die befürchteten, der Schuss könne selbst bei einer arithmetischen Betrachtungsweise nach hinten losgehen, weil eigene Wählende abgeschreckt werden. Auch wisse man «gar nicht so recht, auf wen man sich da jetzt einlässt. Diese Bewegung ist einigermassen unberechenbar, ihre Mitglieder sind in unserem Kanton ein unbeschriebenes Blatt», wie es ein anonymes Mitglied der Solothurner SVP-Parteileitung in der Solothurner Zeitung ausdrückte. Trotz solcher Bedenken und gemäss Solothurner Zeitung «lautstarker» interner Kritik entschied sich die Parteileitung der Solothurner SVP mit 17 zu 4 Stimmen letztlich aber deutlich zugunsten der Allianz. Laut Basler Zeitung jagte dieser Entscheid «Schockwellen durchs ganze Land». Die SVP-Präsidenten von Basel-Stadt und Basel-Landschaft äusserten in der Presse die Sorge, die Solothurner Allianz könnte auch in ihren Kantonen moderatere SVP-Wählende verschrecken. Die Juso wiederum forderte von der SVP in einer Medienmitteilung «mehr Verantwortung im Umgang mit demokratischen Werten»; Mass-voll könne nicht zum bürgerlichen Lager gezählt werden, sondern hege «rechtsextremes und antidemokratisches Gedankengut», wie sich etwa mit der Teilnahme von «Mass-voll»-Chef Nicolas Rimoldi an einer «Remigrations»-Demonstration der Identitären Bewegung in Wien gezeigt habe. Der Wahlkampfleiter der SVP Schweiz, Marcel Dettling (svp, SZ), erachtete die Allianz indessen als sinnvoll, um keine Stimmen an Mass-voll zu verlieren. In Luzern wiederum sprach die SVP-Kantonalpräsidentin selbst in der Presse von einem «Abwägen», ob eine Verbindung mit Mass-voll der SVP mehr schade als nütze. Letztlich sei man zum Schluss gekommen, aus arithmetischer Sicht sei in Luzern eine Listenverbindung nötig, damit die SVP ihr Ziel eines Sitzgewinns erreichen könne. Zudem argumentierte die Präsidentin, man wolle damit jene, «die sich in der Corona-Zeit von den etablierten Parteien nicht mehr verstanden gefühlt haben», abholen. Um eine «Liebesheirat» handle es sich bei der Verbindung aber nicht. In Schwyz wiederum schloss die SVP eine Verbindung mit Mass-voll dezidiert aus, ging jedoch eine Allianz mit der «Freien Liste» von Josef Ender ein, der sich ebenfalls im Rahmen der Bewegung gegen die Covid-19-Massnahmen einen Namen gemacht hatte. Hier war es Ender, der sich veranlasst sah in der Presse zu betonen, die Kooperation mit der SVP sei eine rein wahltaktische, punktuelle Angelegenheit ohne inhaltliches Gewicht, die ihm vom Wahlsystem quasi aufgezwungen werde. Die Äusserungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass Ender seine Unabhängigkeit und Distanz zu allen Parteien zu betonen pflegte, um Wählende aus «möglichst allen Lagern» anzusprechen, die ihre Stimme keiner etablierten Partei mehr geben wollten. Gemäss einer NZZ-Analyse nach den Wahlen kamen die Ender-Stimmen letztlich aber tatsächlich der SVP zugute, denn diese habe ihren zweiten Schwyzer Nationalratssitz dank der Verbindung mit der Freien Liste verteidigen können.
Überregionale mediale Aufmerksamkeit, wenn auch in deutlich geringerem Ausmass, erhielten auch einige weitere Allianzen. So gaben die nationalen Zentralen von Mitte, GLP und EVP im Frühling bekannt, grundsätzlich überall Listenverbindungen zwischen diesen drei Parteien anzustreben. Tatsächlich kam eine solche Zentrumsallianz in acht Kantonen zustande. Zu den Gegenbeispielen gehörten jene fünf Kantone, in denen sich die GLP stattdessen zu einer sogenannten Klimaallianz mit Grünen und SP verband. In Genf wiederum bildete sich eine ausserordentlich breite Verbindung, die das bürgerliche Lager von der Mitte über die FDP und die MCG bis zur SVP umfasste. Eine derart breite Kooperation hatten die Genfer Bürgerlichen letztmals 1987 zustande gebracht, wie es in der Tribune de Genève hiess. Sie erstreckte sich zudem auch auf die Ständeratswahlen, für die sich die vier Partnerparteien verpflichteten, nach dem ersten Wahlgang geschlossen die zwei stimmenstärksten Kandidaturen aus ihren Reihen zu unterstützen – eine Strategie, die die Wahl von MCG-Kandidat Mauro Poggia auf Kosten von Lisa Mazzone (GE, grüne) erst ermöglicht haben dürfte.
Insgesamt waren die unmittelbaren rechnerischen Auswirkungen der Listenverbindungen auf die Nationalratswahlergebnisse 2023 geringer als noch vier Jahre davor. Zu diesem Schluss kam jedenfalls eine Analyse des Tages-Anzeigers, die freilich die Annahme traf, dass in einem System ohne Listenverbindungen alle Wählenden ihre Stimmen an dieselben Parteien verteilt hätten, wie sie es im existierenden System taten; sie blendete also aus, dass potenzielle Wählende durch für sie unwählbare Listenverbindungspartner davon abgehalten werden können, ihre eigentlich bevorzugte Partei zu wählen. Unter besagter Annahme wären ohne jegliche Listenverbindungen insgesamt 12 Sitze in 11 Kantonen anders vergeben worden; unter dem Strich und über alle Kantone hinweg hätten die SVP und die Mitte in diesem Szenario je zwei Sitze mehr verbuchen können als in der Realität, die FDP einen. Weniger Mandate hätte es ohne Listenverbindungen für die Grünen (2), die SP, die GLP und die EDU (je 1) gegeben. Ausserdem ergab die Simulationsrechnung des Tages-Anzeigers, dass ein flächendeckendes Zusammenspannen von FDP und SVP in allen Kantonen quasi ein Nullsummenspiel gewesen wäre: Die SVP hätte dadurch schweizweit einen Sitz mehr gewinnen können, die FDP hingegen einen weniger.
Die mitunter heftige interne und externe Kritik, die insbesondere FDP und SVP an ihrer Allianzpolitik gewärtigen mussten, aber auch Bedenken wegen der schweren Überschaubarkeit der zahlreichen Listenverbindungen für die Wählenden, führten vor und nach den Wahlen zu Vorschlägen und parlamentarischen Vorstössen für eine Reform der institutionellen Spielregeln. Auf der einen Seite forderten FDP und SVP, Listenverbindungen künftig schlicht zu verbieten. Die beiden Parteien dürften – wie es auch die Simulationsrechnung des Tages-Anzeigers nahelegt – von einem solchen Schritt profitieren, da er die grösseren Parteien bevorteilen würde. Auf der anderen Seite propagierten insbesondere die GLP und die EVP einen Wechsel zum sogenannten Doppelten Pukelsheim (Doppelproporz): Dieses System, das neun Kantone für die kantonalen Wahlen kennen, macht Listenverbindungen obsolet, weil es das Problem der «verlorenen» Stimmen in kleinen Wahlkreisen anderweitig löst. Es würde gegenüber heute insbesondere die Aussichten kleinerer Parteien – wie der GLP und der EVP selbst – verbessern. Die NZZ schätzte die Mehrheitsfähigkeit beider Reformoptionen zurückhaltend ein; grössere Erfolgsaussichten schrieb sie aber dem Vorschlag für den Doppelten Pukelsheim zu. Versagten SVP und FDP diesem wie schon in der Vergangenheit ihre Unterstützung, würden diese beiden Parteien «in vier Jahren wieder schimpfen, wie mühsam das heutige System doch sei», prognostizierte die NZZ.
Listenverbindungen für die Nationalratswahlen 2023