Mit 80 eingegangenen Stellungnahmen stiess die Vernehmlassung zur Einführung eines Straftatbestandes «Stalking» im StGB und im MStG auf reges Interesse. Bis zum Ablauf der Frist im September 2023 äusserten sich alle 26 Kantone, 7 Parteien und 47 weitere Teilnehmende zum Entwurf, wie dem im Oktober 2023 veröffentlichten und im Februar 2024 ergänzten Ergebnisbericht zu entnehmen ist. Explizit auf eine Stellungnahme verzichtet haben die Bundesanwaltschaft, das BGer, das BStGer, der SAV, das SKJV und das Schweizerische Polizeiinstitut (SPI). Die grosse Mehrheit der Rückmeldungen fiel grundsätzlich positiv aus und besonders die Einführung einer eigenständigen Strafnorm zum Stalking wurde von fast allen Teilnehmenden sowohl aus strafrechtlichen als auch aus symbolischen Überlegungen heraus begrüsst. Drei Stellungnahmen (SVP, die Schweizerische Kriminalistische Gesellschaft und die Interessegemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer) lehnten den Gesetzesentwurf insgesamt ab. Alle drei vereinte die grundsätzliche Haltung, dass die bestehenden straf- und zivilrechtlichen Tatbestände bereits ausreichten und ein neuer Straftatbestand keine Lücke schliesse, sondern höchstens zu Abgrenzungsproblemen führe. Rund ein Drittel der Stellungnahmen forderte die Umbenennung des Randtitels «Nachstellung» auf «Stalking», da dieser Begriff in der Alltagssprache etabliert und auch in juristischen Abhandlungen bereits gebräuchlich sei. Knapp die Hälfte der Stellungnehmenden, darunter diverse Frauenrechtsorganisationen, kritisierte den im Vorentwurf verwendeten Begriff «beharrlich» zur Beschreibung von wiederholten Einzelhandlungen. Sie forderten, diesen durch «wiederholt» zu ersetzen, weil «wiederholt» der Istanbul-Konvention entspreche und objektiver definiert sei. Uneinigkeit herrschte zudem bei der vorgeschlagenen Formulierung der Tathandlung (Verfolgen, Belästigen und Bedrohen), wobei diverse Anregungen für eine Erweiterung der Tathandlungsliste eingereicht wurden. Unter anderem die SP forderte die Aufnahme des Begriffs «Nachstellen», um einen gewissen gerichtlichen Spielraum zu ermöglichen, falls Fälle über die «klassischen» Tathandlungen bei Stalking hinausgehen sollten. Ebenfalls umstritten war die Einordnung des neuen Straftatbestandes als Erfolgsdelikt, weil die tatsächlichen Konsequenzen für die betroffene Person präzisierungsbedürftig und sehr subjektiv seien. Bei Erfolgsdelikten würde die Strafe anhand des «Erfolgs» durch das Stalking bewertet. Darum bevorzugte rund ein Viertel der Stellungnehmenden eine Umwandlung des Straftatbestandes in ein Gefährdungsdelikt, wo die blosse Gefährdung der betroffenen Person durch die Handlung bereits als Straftat ausreicht. 11 Teilnehmende, darunter 9 Kantone und die Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz (SSK), befürworteten hingegen die Ausgestaltung der Strafnorm als Tätigkeitsdelikt, um einen besseren Opferschutz zu ermöglichen. Somit würde die Handlung an sich bereits strafbar.
Nach Auswertung und Diskussion der Vernehmlassungsergebnisse entschied sich die RK-NR dazu, die neue Strafnorm grundsätzlich als Antragsdelikt auszugestalten und somit die Strafverfolgung von einer Anzeige abhängig zu machen. Jedoch sollen diejenigen Taten von Amtes wegen verfolgt werden, die in einer Paarbeziehung begangen wurden. In allen anderen Punkten blieb die Kommission bei ihrer ursprünglichen Variante und nahm den revidierten Erlassentwurf im Februar 2024 mit 22 zu 2 Stimmen an.
Dossier: Amélioration de la protection des victimes de harcèlement