Pas de prescription pour les crimes les plus graves (Iv. ct. 19.300)

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Mittels Standesinitiative deponierte der St. Galler Kantonsrat bei der Bundesversammlung das Anliegen, die Verjährungsfrist für die schwersten Verbrechen, die eine lebenslängliche Freiheitsstrafe nach sich ziehen, aufzuheben. Die heutigen technischen Hilfsmittel zur Ermittlung und Fahndung ermöglichten es, vermehrt auch lange zurückliegende Straftaten aufzuklären, was durch die dreissigjährige Verjährungsfrist verhindert werden könnte, so die Begründung für die Initiative. Die RK-SR beantragte ihrem Rat mehrheitlich die Ablehnung der Initiative, da sie das Prinzip der Verjährung als wichtigen Teil unseres Rechtssystems und als «zentral für die Wiederherstellung des Rechtsfriedens» erachtete. Die strafrechtliche Beweisführung erweise sich mit zunehmendem Zeithorizont – auch mit moderner Technologie – noch immer als schwierig. Der technische Fortschritt trage sogar dazu bei, dass Verbrechen schneller aufgeklärt werden können. Eine Minderheit argumentierte hingegen, die Änderung betreffe nur die Tatbestände Mord und qualifizierte Geiselnahme und damit nur sehr wenige Fälle, womit das Konzept der Verjährung an sich nicht in Frage gestellt, aber etwas für die Einzelfallgerechtigkeit getan würde. Der Ständerat führte in der Frühjahrssession 2020 eine lebhafte Debatte über das Anliegen. Von der Gegnerseite wurde angeführt, die Abschaffung der Verjährung wecke bei Angehörigen von Mordopfern falsche Hoffnungen und die Gesellschaft brauche die Möglichkeit, mit einem Ereignis abzuschliessen. Die Befürworterinnen und Befürworter waren indes der Ansicht, in solchen Fällen heile die Zeit die Wunden nicht und die Bevölkerung würde es nicht verstehen, wenn ein nach Jahrzehnten zweifelsfrei identifizierter Mörder nicht bestraft werden könne. Die Kantonskammer sprach sich schliesslich mit 20 zu 18 Stimmen knapp gegen Folgegeben aus.

Die RK-NR kam im April 2021 wie schon ihre Schwesterkommission mehrheitlich zum Schluss, dass die Verjährungsfristen auch bei schwersten Verbrechen beibehalten werden sollten. Diese erfüllten im Rechtssystem wichtige Funktionen, namentlich zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens, zur Vermeidung von Justizirrtümern und zur Beschleunigung der Verfahren. Mit 13 zu 8 Stimmen beantragte sie, der Standesinitiative des Kantons St. Gallen für die Aufhebung der Verjährungsfrist für lebenslange Strafen keine Folge zu geben. Die Kommissionsminderheit plädierte für Folgegeben und verwies auf die angenommene Unverjährbarkeitsinitiative, mit der die Stimmbevölkerung bekräftigt habe, dass die allerschlimmsten Straftaten nicht verjähren sollten. Der Nationalrat zeigte sich in der Frage in der Sommersession 2021 gespalten: Äusserst knapp – mit 90 zu 89 Stimmen bei 10 Enthaltungen – folgte er dem Minderheitsantrag und gab der Initiative Folge. Dafür sprach sich mehrheitlich das bürgerliche Lager aus, während auf der links-grünen Ratsseite die Ablehnung überwog.

Nachdem die Räte unterschiedliche Urteile über die Unterstützungswürdigkeit der St. Galler Standesinitiative für die Aufhebung der Verjährungsfrist für die schwersten Verbrechen gefällt hatten, prüfte die RK-SR das Anliegen im Oktober 2021 zum zweiten Mal. Sie blieb bei ihrem Standpunkt und empfahl die Initiative mit 8 zu 5 Stimmen ein zweites Mal zur Ablehnung, während die Minderheit wiederum Folgegeben beantragte. Im Ständeratsplenum in der Wintersession 2021 schloss Minderheitssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) sein Votum mit der Feststellung, dass die Zeit heute auf der Seite der Mörderinnen und Mörder sei; die Standesinitiative wolle dagegen, dass die Zeit auf der Seite der Opfer sei. Auf der Gegenseite argumentierte Beat Rieder (mitte, VS), es sei ein «Märchen, dass Cold Cases nach dreissig, vierzig Jahren aufgeklärt werden könnten». Mathias Zopfi (gp, GL) fügte an, es sei fast unmöglich, nach so langer Zeit einen Mord zu beweisen, weil es für die Qualifizierung einer Tötung als Mord eine Absicht, ein Motiv brauche, was mit einer DNA-Spur nicht nachgewiesen werden könne. Am Ende einer engagierten Debatte gab die Ständekammer der Standesinitiative mit 21 zu 20 Stimmen knapp Folge. Die zuständige Kommission wird nun eine entsprechende Gesetzesvorlage ausarbeiten.

Nachdem in der Wintersession 2021 auch der Zweitrat der St. Galler Standesinitiative zur Aufhebung der Verjährungsfrist für die schwersten Verbrechen knapp zugestimmt hatte, beantragte die für die Ausarbeitung einer entsprechenden Gesetzesvorlage zuständige RK-SR eine Fristverlängerung. Diese wurde von Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) damit begründet, genügend Zeit für eine öffentliche Vernehmlassung zu ermöglichen. Der Ständerat folgte dem Antrag seiner Kommission in der Wintersession 2023 stillschweigend und verlängerte die Frist um zwei Jahre.

Die RK-SR schickte im Januar 2024 ihren Entwurf zur Aufhebung der Verjährungsfrist für die schwersten Verbrechen in die Vernehmlassung. Der Vernehmlassungsentwurf sah dabei einzig die Unverjährbarkeit von Mord im StGB und MStG vor, wogegen die Standesinitiative ursprünglich die Unverjährbarkeit aller Delikte mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe vorgesehen hatte. Weiter hielt die Kommission daran fest, die Unverjährbarkeit von Mord im Jugendstrafrecht nicht einzuführen.

Bis zum Ablauf der Frist im April 2024 gingen insgesamt 39 Stellungnahmen ein, darunter diejenigen von 25 Kantonen, vier politischen Parteien und zehn Organisationen, wie dem im Oktober 2024 veröffentlichten Ergebnisbericht zu entnehmen war. Eine Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden lehnte die Einführung der Unverjährbarkeit von Mord ab, darunter 17 Kantone (AG, AI, AR, BL, BS, FR, GE, GL, GR, NW, OW, SH, SO, TI, UR, VD, ZH) sowie die Grünen und die SP. Als Argumente für die Ablehnung fungierten unter anderem die Gefahr, dass mit der Unverjährbarkeit von Mord zu hohe Erwartungen bei Opferangehörigen geweckt werden, der technologische Fortschritt heute Delikte schneller aufklären liesse und der Verjährung eine wichtige Rolle bei der Wiederherstellung des Rechtsfriedens zukomme. Während sechs Teilnehmende, darunter der Kanton Neuenburg und die KKPKS, explizit auf eine Stellungnahme verzichteten, begrüsste eine Minderheit von acht Kantonen (BE, JU, LU, SG, SZ, TG, VS, ZG) sowie die FDP.Die Liberalen und die SVP den Vorentwurf. Zudem äusserten diverse Stellungnehmende, darunter 13 Kantone und die KKJPD den Wunsch, dass die Verjährungsfristen bei schweren Straftaten generell überprüft werden sollten.

Unter Kenntnis des Vernehmlassungsberichtes entschied die RK-SR mit 5 zu 4 Stimmen, dem Ständerat den Entwurf zur Verankerung der Unverjährbarkeit von Mord im StGB und MStG unverändert zu unterbreiten. Eine Minderheit beantragte, nicht auf die Vorlage einzutreten. Gleichzeitig entschied die Kommission, die Beratung der Motion Egger (svp, SG) bezüglich Unverjährbarkeit von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen vorerst auszusetzen. Dies mit der Begründung, zuerst die Stellungnahme des Bundesrates zur Standesinitiative abzuwarten.