Giftgaskatastrophe im italienischen Seveso (Ip. 76.429)

Grosse Bestürzung rief in der Schweiz die Giftgaskatastrophe im italienischen Seveso hervor. Nach Ansicht der Landesregierung könnten sich allerdings ähnliche Unglücksfälle in der Schweiz wegen der stengeren Sicherheitsvorschriften kaum ereignen; immerhin soll die Frage, ob für Chemiewerke eine obligatorische Haftpflichtversicherung einzuführen sei, überprüft werden.

Giftgaskatastrophe Seveso – Forderung nach einer Veschärfung bestehender Vorschriften (Pa.Iv. 77.201)

Unter dem Eindruck der Giftgaskatastrophe, welche sich im Vorjahr im italienischen Seveso ereignet hatte, wurde die Frage gestellt, ob eine wirksame Kontrolle über gefährliche Produktionsprozesse bei uns gewährleistet sei. Der Grosse Rat des Kantons Genf scheint davon nicht vollständig überzeugt zu sein, fordert er doch mit einer Standesinitiative eine Verschärfung der bestehenden Vorschriften.

Gerüchte über den Verbleib der Seveso-Fässer

Dossier: Mieux réguler la présence des PFAS, des PCB et de la dioxine dans l'environnement

1976 hatte sich in der oberitalienischen Stadt Seveso ein Chemieunfall ereignet, bei dem hochgiftiges Dioxin an die Umwelt gelangte. Als Muttergesellschaft der betroffenen Icmesa AG war der Schweizer Chemiekonzern Hoffmann-La Roche verantwortlich für die von schädlichen Abfällen verursachte Umweltkatastrophe. 1983 wurde die Öffentlichkeit durch die Frage beunruhigt, wo die 41 Fässer mit 215 g Dioxin und rund 2.5 t verseuchter Erde aus Seveso verblieben seien. Zu Jahresanfang mehrten sich die Hinweise, dass die ursprüngliche Version, das Material lagere in einer offiziellen Giftdeponie Europas, nicht stimmte und der genaue Standort den Verantwortlichen nicht bekannt war. Erschreckt durch diesen neuen Skandal tauchten in den Medien einem Schwarzpeterspiel vergleichbar verschiedene Gerüchte über den Verbleib der Seveso-Fässer auf. Mit dem Vorwurf des Vertrauensbruchs riefen verschiedene in- und ausländische Organisationen zu Boykottmassnahmen gegen die Firma Hoffmann-La Roche auf.

Aufforderung der Bonner Regierung über den Verbleib der Seveso-Fässer zu informieren

Diese wurde von der Bonner Regierung aufgefordert, die Öffentlichkeit über den Verbleib der Fässer zu informieren. Sie lehnte jedoch die Verantwortung ab und verwies auf die bundesdeutsche Firma Mannesmann, welche sich als Hauptgesellschaft für die ordnungsgemässe Lagerung der Abfälle verpflichtet habe. Später musste der Basler Chemiekonzern jedoch eingestehen, die Beseitigung sei seiner Kontrolle entglitten. Aus dem Berner Bundeshaus konnte man nach einer Umfrage bei den Kantonen mitteilen, es hätten sich keinerlei Hinweise für eine unbewilligte Lagerung in der Schweiz ergeben. Hingegen befänden sich weitere 133 Fässer mit nur schwach verseuchter Seveso-Erde zu Experimentierzwecken in Dübendorf. Nur zwei Tage später erfuhr die gespannte europäische Öffentlichkeit, das gesuchte Gift sei in Nordfrankreich gefunden worden. Während eines halben Jahres hätten die Fässer, als Teer deklariert, unbeaufsichtigt in einem alten Schlachthof in Angouilcourt bei Saint-Quentin gestanden. Parallel zur Suche der Fässer liefen die letzten Vorbereitungen für den Prozess gegen die fünf Hauptverantwortlichen der Icmesa AG, der jedoch zweimal vertagt werden musste.

Moralische Verantwortung der Schweiz für die Übernahme der Zwischenlagerung der Seveso-Fässer

Dossier: Mieux réguler la présence des PFAS, des PCB et de la dioxine dans l'environnement

Von verschiedener Seite wurde nach dieser Entdeckung die moralische Verantwortung der Schweiz für die Übernahme der Zwischenlagerung betont. Die Basler Chemieunternehmungen meldeten, die Verbrennung des Dioxins biete keine grundsätzlichen Schwierigkeiten mehr. Der Bundesrat und die Basler Regierung gaben hierauf die Einwilligung für die vorläufige Lagerung bei der Firma Hoffmann-La Roche. Unter der Oberaufsicht des BUS begannen unverzüglich die Vorarbeiten für die Entsorgung. Eine für Frühjahr 1984 angekündigte Vernichtung in Basel wurde jedoch noch vor Jahresende abgesagt, da beim Verbrennungsofen der Ciba-Geigy Kapazitätsprobleme auftauchten und die benötigten Bewilligungen der eingesetzten Expertenkommissionen nicht vorlagen.

Nachlassendes Interesse der Öffentlichkeit an Dioxin-Fässern aus dem Seveso-Unfall

Dossier: Mieux réguler la présence des PFAS, des PCB et de la dioxine dans l'environnement

Spürbar nachgelassen hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gegenüber den Dioxin-Fässern aus dem Seveso-Unfall, die in Basel gelagert wurden. Zwar wurde zu Jahresbeginn ein Zeitplan erstellt, wonach im Anschluss an eine Testphase zwischen Oktober und Dezember sämtliches Gift und die verwendeten Hilfsmittel verbrannt werden sollten. Bald schon zeigte sich aber, dass die Annahmen bezüglich der Kapazität und der Sicherheit des Verbrennungsofens nicht genügten, so dass 1984 noch keine Bewilligung für die Vernichtung des gesamten Inhalts der 41 Seveso-Fässer erteilt werden konnte.

Sondermülldeponie in Kölliken(AG) wegen Geruchsimmissionen und Sickerwasserbelastung geschlossen

Dossier: Mieux réguler la présence des PFAS, des PCB et de la dioxine dans l'environnement

Nachdem Ende April die einzige öffentliche Sondermülldeponie in Kölliken(AG) wegen Geruchsimmissionen und Sickerwasserbelastung geschlossen werden musste, wurde das Problem der Sondermüllentsorgung akut. Eine gesamtschweizerische Standortplanung für solche Deponien war versäumt worden. Angesichts des Widerstandes betroffener Regionen, Sondermüll auf ihrem Gebiet zu lagern, wurde die Erstellung spezieller Verbrennungsanlagen erwogen. Dass auch hochgiftiger Abfall unweltgerecht entsorgt werden kann, zeigte das Beispiel des aus dem Chemieunfall im italienischen Seveso stammenden Dioxins, welches – ohne mehr grosses Interesse zu erregen – in einem Spezialofen der Basler Chemie verbrannt wurde. Einen Teilaspekt der Abfallproblematik soll die Verordnung über den Verkehr mit gefährlichen Abfällen (VVGA) regeln, für welche 1985 die Vernehmlassung abgeschlossen wurde. Auf internationaler Ebene beschäftigte sich die OECD-Konferenz in Basel mit diesem Problem; die 22 teilnehmenden Länder beschlossen, noch vor Ende 1987 Richtlinien zur besseren Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs mit gefährlichen Abfällen zu schaffen.

Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen

Zur Überwachung des Verkehrs mit Sonderabfällen, einschliesslich der Ein-, Aus- und Durchfuhr, setzte der Bundesrat eine entsprechende Verordnung (VVS) auf den 1. April 1987 in Kraft. Die VVS ermöglicht die Kontrolle von Sondermüll vom Ort seiner Entstehung bis zur endgültigen Entsorgung, indem sie eine genaue Deklaration der abgegebenen Abfälle vorschreibt und von Betrieben, die Sondermüll zur Behandlung annehmen, eine kantonale Bewilligung verlangt. Damit will die VVS die Entsorgungswege von teilweise hochtoxischen Abfällen transparent machen und Gewähr für eine fachlich qualifizierte Entsorgung bieten. Irrfahrten wie im Fall der Seveso-Dioxinfässer sollten künftig nicht mehr möglich sein.

Am 1. April wurde die Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen (VVS) rechtswirksam. Sie verlangt das lückenlose Erfassen des Weges, den diese Abfälle zu rücklegen, und kontrolliert deren umweltgerechte Entsorgung. Dadurch will sie sicherstellen, dass sich Irrfahrten und illegales Deponieren oder Verschwindenlassen von Sonderabfällen nicht mehr ereignen können. Noch nicht gelöst ist jedoch das Problem der Bewältigung der wachsenden Sondermüllberge. Eine neu gegründete «Schweizerische Gesellschaft der Entsorgungsunternehmen für Sonderabfälle» (Geso) will deshalb in Zusammenarbeit mit Bund und Kantonen für die in der Schweiz jährlich anfallenden 300'000 Tonnen Sondermüll eine langfristig befriedigende, umweltgerechte Lösung erarbeiten. In einem ersten Schritt ist neben einer umfassenden Bestandesaufnahme der Aufbau eines Beratungsdienstes für umweltgerechte Entsorgung vorgesehen. Ein internationales Übereinkommen über die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs mit gefährlichen Abfällen wird auf Antrag der Schweiz derzeit ausgearbeitet.