Differenzen in der SP führen zum Umsturz an der Spitze

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Ende Oktober traf sich die Parteileitung zu einer ersten Nachanalyse der eidgenössischen Wahlen. Grundsätzlich zufrieden zeigte man sich über das eigene Resultat, das bei einem leicht verbesserten Wähleranteil den Verlust von drei Nationalratssitzen gebracht hatte. In Zürich war Parteipräsidentin Ursula Koch mit einem Spitzenresultat neu in den Nationalrat gewählt worden. In verschiedenen Medien wurde der SP der Vorwurf gemacht, sie hätte einen wenig attraktiven Wahlkampf geführt. Kritische Stimmen ertönten auch aus den eigenen Reihen. Nationalrat Andrea Hämmerle (GR) sprach vom Scheitern der Wahlkampf-Leitung und Pressechef Peter Peyer, der seinen Abgang bereits angekündigt hatte, griff die Parteiführung direkt an: Diese habe vor lauter Grundsatzdiskussionen keine Themen mehr in der Hand. Es herrsche ein Klima des Misstrauens innerhalb der Parteileitung und Kritik sei unerwünscht. Peter Peyer wurde tags darauf von der Geschäftsleitung suspendiert. Ursula Koch bekräftigte an einer Pressekonferenz, sie habe keinerlei Zweifel, dass die Basis der Partei hinter der Parteipräsidentin stehe. Sie fühle sich nach der Aussprache mit der Geschäftsleitung bestärkt. Gerüchte um einen inszenierten Sturzversuch der Präsidentin wurden von Peter Peyer zurückgewiesen und Tage später auch von Andrea Hämmerle bestritten.

Dossier: Les présidents du PS depuis 2000

Im Januar wählte der SP-Zentralvorstand die Bernerin Ursula Dubois zur Zentralsekretärin und Pressesprecherin. Ihr Vorgänger, Peter Peyer, war vor Jahresende aus seinem Amt suspendiert worden, nachdem er die Parteileitung öffentlich kritisiert hatte.

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Im Februar zog sich die SP-Geschäftsleitung zu einer Retraite nach Muri bei Bern zurück und beriet über die politischen Schwerpunkte der kommenden Legislatur aber auch über die parteiinternen Probleme. Die Partei verabschiedete ein Strategiepapier: Der «extreme» Steuerföderalismus müsse überwunden, die Sozialversicherungen den veränderten Lebensbedingungen angepasst, KMU’s mit günstigem Risikokapital unter die Arme gegriffen werden und ein EU-Beitritt dürfe nicht aus den Augen verloren werden. Parteipräsidentin Ursula Koch und Generalsekretär Jean-François Steiert demonstrierten im Anschluss an die Gespräche Einigkeit. Aus internen Dokumenten ging jedoch hervor, dass der Geschäftsleitung ein viermonatiges Ultimatum gesetzt worden war. Bis zum Juni sollten die internen Differenzen beigelegt werden. Eine ganze Kette an Rücktrittsvermutungen und Rücktrittsforderungen machte die darauffolgenden Tage die Runde. Jean-François Steiert brach als erster das Eis und erklärte, er stünde keiner Lösung im Wege. Ursula Koch beteuerte dagegen, sie werde auf keinen Fall zurücktreten.

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Ende Februar traf sich die SP-Fraktion ebenfalls zur Krisenberatung. Die Parlamentarier setzten mit Ursula Koch (ZH), Fraktionspräsident Franco Cavalli (TI) und der Genfer Ständerätin Christiane Brunner eine dreiköpfige Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Strukturreformen ein. Versuche, Ursula Koch zu Fall zu bringen, wurden abgewiesen. Ursula Koch gab sich optimistisch und erklärte, dass sie unter den gegebenen Umständen am Parteitag vom Oktober wieder kandidieren wolle.

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Die SP befand sich im vergangenen Jahr in einer ihrer schwersten finanziellen Krisen seit Bestehen. Zum Jahresbeginn gab ihre Finanzdelegation bekannt, dass die Partei aufgrund von Zahlungsrückständen grosser Kantonalsektionen in Zahlungsnot stecke. Die Sektionen schuldeten der Parteizentrale aus dem Vorjahr noch rund CHF eine Million. Allein aus Bern und Zürich standen Zahlungen über CHF 700'000 aus. Der Leiter der Finanzdelegation, Edwin Knuchel, erklärte, der Mitgliederrückgang und die Überalterung unter der Mitgliedschaft hätten Mindereinnahmen bei den meist progressiv nach Einkommen festgelegten Mitgliederbeiträgen zur Folge. Parteisekretär Jean-Philippe Jeannerat warnte, dass das Eigenkapital der Partei bis 2001 aufgebraucht sein werde, sollte keine nennenswerte Besserung eintreten. Als Sofortmassnahme wurde ein Fundraising-Konzept ausgearbeitet. Ende März versandte die Parteileitung 150'000 persönliche Briefe an ausgewählte Adressaten mit dem Aufruf, eine nicht näher definierte Kampagne «Soziale Schweiz» mittels Spenden und Leserbriefen tatkräftig zu unterstützen.

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Anfangs Mai brachte die Dreierkommission für die Strukturreform, in welcher Bundesrätin Ruth Dreifuss Ursula Koch ersetzt hatte, ihre Arbeit zum Abschluss. Sie schlug vor, die Führungsgremien (Geschäftsleitung und Parteivorstand) stark zu verkleinern und die Basis mit der Einführung einer Delegiertenversammlung (zusätzlich zum bisherigen Parteitag) konsequenter miteinzubeziehen. Als chancenreichste Nachfolgerin für das Parteipräsidium wurde inzwischen Ständerätin Christiane Brunner gehandelt. Generalsekretär Jean-François Steiert trat noch im Mai aus seinem Amt zurück. Mit seinem Rücktritt wolle er die Personaldebatte entkrampfen und seiner Partei die Rückkehr zu den Sachthemen erleichtern.

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Mitte April trat Ursula Koch aus gesundheitlichen Gründen mit sofortiger Wirkung als Parteipräsidentin und Nationalrätin zurück. Dies teilte sie dem SP-Parteivorstand in einem Brief mit und entzog sich sodann der Öffentlichkeit. Vizepräsident Pierre Aeby (FR) übernahm interimistisch das Präsidium.

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Ende Mai bereinigte der SP-Vorstand die Anträge zur internen Strukturreform. Auf eine Streichung der Sitze von SP-Frauen und Jungsozialisten in der Geschäftsleitung wurde verzichtet, nachdem die Betroffenen harsche Kritik geübt hatten. Die Fraktion ist jedoch nur noch mit ihrem Präsidenten darin vertreten. Dieses Leitungsgremium wurde von bislang 18 auf neun Mitglieder halbiert. Der Vorstand hiess ausserdem die Einsetzung einer Delegiertenversammlungen gut. Im September beschloss dann der Parteivorstand, der mit seinen gut 100 Mitgliedern bisher als eine Art Mini- Parteiparlament wichtige Funktionen der neuen Delegiertenversammlung wahrgenommen hatte (zum Beispiel Parolenfassung zu eidgenössischen Abstimmungen), sich abzuschaffen. Neu wurde eine ähnlich wie der alte Vorstand zusammengesetzte Koordinationskommission geschaffen, welche vor allem die Zusammenarbeit zwischen den Kantonalsektionen und der nationalen Partei verbessern soll.

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An der Vorstandsitzung von Ende Mai hatte sich Christiane Brunner bereit erklärt, im Oktober den SP-Vorsitz zu übernehmen. Mitte Juli äusserten Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SH) und seine Ratskollegin Christine Goll (ZH) Interesse am Vizepräsidium der Partei. Für das Präsidialamt war Christiane Brunner noch keine ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Allein Hildegard Fässler (SG) stand lange im Gespräch, verzichtete aber Mitte August auf eine Kampfkandidatur. In der Vorstandssitzung vom September wurde das Dreierteam nominiert.

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Erwartungsgemäss wurden Christiane Brunner, Christine Goll und Hans-Jürg Fehr Mitte Oktober von den Delegierten als Dreierteam ins Parteipräsidium gewählt. Die neue Parteipräsidentin Christiane Brunner bekannte sich in ihrer Antrittsrede zum linken Kurs der SP. Es sei nicht die Aufgabe ihrer Partei, die Defizite in der politischen Mitte auszugleichen. Auch die Strukturreform der Partei wurde klar genehmigt. In die redimensionierte Geschäftleitung neu aufgenommen wurden der Berner Grossrat Michael Kaufmann, Rudolf Rechsteiner (BS) und der Waadtländer Jungsozialist Philipp Müller.

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Im Dezember wurde der Urner Reto Gamma vom Parteivorstand zum neuen Generalsekretär gewählt. Der Journalist Reto Gamma hatte das Amt im Herbst interimistisch vom zurückgetretenen Jean-François Steiert übernommen, aber lange auf eine eigene Kandidatur verzichtet. Der Favorit von Präsidentin Christiane Brunner setzte sich in der Ausmarchung gegen Peter Bosshard, Sekretär bei der Erklärung von Bern, durch.

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