Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“

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Die Komplementärmedizin soll politisch und rechtlich verankert und der Schulmedizin gleichgestellt werden. Das verlangt eine Volksinitiative, die Ende September lanciert wurde. Bund und Kantone sollen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die umfassende Berücksichtigung der Komplementärmedizin sorgen. Das Volksbegehren will die alternativen Heilmethoden definitiv in der Grundversicherung nach KVG verankern und den Stellenwert der Komplementärmedizin in der Ausbildung, in Lehre und Forschung verbessern. Hinter dem Begehren stehen Organisationen der ärztlichen und nichtärztlichen Komplementärmedizin, Patientenorganisationen, Wissenschafter, Exponenten von Krankenversicherern und Vertreter der nationalen und kantonalen Politik, so etwa die Nationalräte Günter (sp, BE) und Müller (gp, AG), Nationalrätin Hollenstein (gp, SG), Ständerätin Sommaruga (sp,BE) sowie alt Bundesrat Otto Stich.

Mit 138'724 gültigen Unterschriften wurde im September die im Vorjahr lancierte Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“ bei der Bundeskanzlei eingereicht. Sie will die Alternativmedizin der Schulmedizin gleichstellen. Bund und Kantone sollen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die umfassende Berücksichtigung der Komplementärmedizin sorgen.

Der Bundesrat sprach sich gegen eine umfassende Berücksichtigung der Komplementärmedizin im Gesundheitswesen aus. Er empfahl die 2005 eingereichte Volksinitiative "Ja zur Komplementärmedizin" dem Parlament ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Er begründete dies damit, zahlreiche Forderungen der Initiantinnen und Initianten seien schon erfüllt und die Komplementärmedizin könne unter den geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen bereits angemessen berücksichtigt werden; sie habe inzwischen einen bedeutenden Platz im Versorgungssystem erreicht. Alternative Heilmethoden und Arzneimittel könnten jederzeit auf Antrag in den Leistungskatalog der Grundversicherung aufgenommen werden, müssten aber nachweisen, dass sie die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen. Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung würde auf Kosten der herkömmlichen wissenschaftlichen Medizin gehen oder zu einem massiven Kostenschub im Gesundheitswesen führen.

(Die GPK des Nationalrates beschloss, die Umstände zu überprüfen, die 2005 zum umstrittenen Entscheid von Bundesrat Couchepin geführt hatten, fünf komplementärmedizinische Methoden wieder aus dem Leistungskatalog der Grundversicherung nach KVG zu nehmen.)

Im Vorjahr hatte der Bundesrat dem Parlament beantragt, die 2005 eingereichte Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“ dem Volk ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Im Nationalrat anerkannten sowohl die Sprecher der Kommissionsmehrheit als auch die Rednerinnen und Redner aus dem bürgerlichen Lager die Bedeutung der Komplementärmedizin für die Gesundheitsversorgung. Sie übernahmen aber vollumfänglich die Auffassung des Bundesrates, wonach die Alternativmedizin bereits mit der heutigen Gesetzgebung berücksichtigt werden könne. Sofern die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit einzelner Methoden nachgewiesen werde, sei eine Aufnahme in den Leistungskatalog der Grundversicherung möglich. Die vom Initiativtext verlangte „umfassende Berücksichtigung“ eröffne aber einen zu grossen Spielraum für Interpretationen, was zu nicht absehbaren Kosten führen könnte. Die Kommissionsminderheit aus SP und GP führte dagegen ins Feld, es gehe in erster Linie um eine angemessene Berücksichtigung der Komplementärmedizin in Lehre und Forschung sowie um das Bewahren der Heilmittelvielfalt, konnte sich aber nicht durchsetzen. Mit 93 zu 78 Stimmen lehnte der Nationalrat die Initiative ab.

Auch im Ständerat sprach sich niemand grundsätzlich gegen die Komplementärmedizin aus. Das Anliegen sei zwar sympathisch, die vorberatende Kommission lehne die Volksinitiative aber mehrheitlich ab, weil sie erheblich zu weit gehe, führte deren Sprecher aus. Büttiker (fdp, SO) schlug vor, das Wort „umfassend“ im Initiativtext zu streichen und die Formulierung „Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin“ als direkten Gegenvorschlag dem Volk zu unterbreiten. Er sei der Ansicht, dass Schul- und Komplementärmedizin vermehrt zusammenarbeiten sollten. Ein Verfassungsartikel sei nötig, weil die Komplementärmedizin sonst weiterhin an den Rand gedrängt würde. Der Vorteil seiner Formulierung liege darin, dass die Interpretation, wonach alle ärztlichen und nichtärztlichen Methoden in die Grundversicherung aufgenommen werden müssten, nicht mehr möglich sei. Ein zuvor von der Kommissionsminderheit eingebrachter Gegenvorschlag, der einen direkten Bezug zur Krankenversicherung herstellte, wurde zugunsten von Büttikers Variante zurückgezogen. Sommaruga (sp, BE), selber Mitglied des Initiativkomitees, unterstützte den Antrag Büttiker „im Sinne einer guten und auch mehrheitsfähigen Lösung“. Sie versprach, sich nach einer Annahme des Gegenvorschlags für einen Rückzug der Initiative einzusetzen. Bundesrat Couchepin blieb auch gegenüber dem neuen Vorschlag skeptisch und bezeichnete diesen als unnötig. Er befürchtete, dass Büttikers Formulierung in der Praxis ähnliche Schwierigkeiten bereite wie die Initiative selbst. Der Rat lehnte schliesslich die Initiative einstimmig ab, unterstützte aber den Gegenvorschlag Büttiker mit 36 zu 4 Stimmen. Gleichzeitig wurde die Behandlungsfrist um ein Jahr bis März 2009 verlängert, ein Vorgehen, welchem auch der Nationalrat zustimmte.

Die Diskussion zur 2005 eingereichten Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“, welche 2006 vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen worden war, wurde in diesem Jahr im Parlament zu Ende geführt. Der Ständerat hatte im vorhergehenden Jahr einen direkten Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet, der vorschlug, das Wort „umfassend“ im Initiativtext zu streichen und die Formulierung „Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin“ dem Volk zu unterbreiten. Der Gegenvorschlag war als Antrag Büttiker (fdp, SO) im Ständerat angenommen worden und auch Sommaruga (sp, BE), welche Mitglied des Initiativkomitees war, unterstützte den Antrag und versprach, sich nach einer Annahme des Gegenvorschlages im Parlament für den Rückzug der Initiative einzusetzen.

Die Kommission des Nationalrates sprach sich mit 11 zu 9 Stimmen knapp dafür aus, dem Ständerat zu folgen und den direkten Gegenvorschlag zur Initiative anzunehmen. Eine starke Minderheit der Kommission stellte sich gegen dieses Vorhaben. Bundesrat Couchepin hielt an seinem Antrag fest und empfahl, sowohl die Initiative als auch den direkten Gegenvorschlag abzulehnen. Der Nationalrat aber folgte der Mehrheit seiner Kommission und stimmte dem direkten Gegenvorschlag mit 95 zu 60 Stimmen zu. In der Schlussabstimmung nahm der Ständerat den Gegenvorschlag einstimmig und der Nationalrat mit 152 zu 16 Stimmen an. Daraufhin zog das Initiativkomitee, wie bereits von Sommaruga (sp, BE) angekündigt, die Eidgenössische Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“ zurück.

Am 17. Mai stimmte das Volk mit einer Mehrheit von 67% für den Verfassungsartikel „Zukunft mit Komplementärmedizin“. Dieser Gegenentwurf, den das Parlament zu der in der Folge zurückgezogenen Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“ ausgearbeitet hatte, war vom Bundesrat, dem Parlament und sämtlichen Parteien, ausser der SVP und der EDU, zur Annahme empfohlen worden. Von diesen Parolen wichen allerdings namentlich bei der FDP und SVP einige kantonale Sektionen und Jungparteien ab. Auch der SGB, der SGV und der Schweizerische Bauernverband befürworteten den Verfassungsartikel. Zu den Gegnern der Vorlage zählten neben der SVP und der EDU auch der Schweizerische Arbeitgeberverband und Economiesuisse.

Alle Kantone stimmten dem Verfassungsartikel zu. Besonders deutlich wurde er im Kanton Waadt angenommen, wo ihm vier von fünf Stimmenden zustimmten. Die Vox-Analyse ergab, dass politische Merkmale beim Stimmentscheid stärker ins Gewicht fielen als soziodemographische Aspekte. Der Zivilstand, das Geschlecht und der Landesteil wirkten sich zwar tendenziell auf die Entscheidung aus, ausschlaggebend waren jedoch die Identifizierung mit einer Partei und die Positionierung auf der Links-Rechts-Achse. Anhänger der SP, CVP und in geringerem Ausmasse der FDP nahmen die Vorlage ebenso an, wie diejenigen, die sich selbst links oder links aussen einstuften.


Abstimmung vom 17. Mai 2009

Beteiligung: 38,3%
Ja: 1 283 838 (67%) / Stände: 20 6/2
Nein: 631 908 (33%) / Stände: 0

Parolen:
– Ja: FDP (5)*, CVP (1)*, SP, EVP, CSP, PdA, GP, SD, Lega, GLP, BDP (1)*; SGV, SGB, TravS.
– Nein: SVP (6)*, EDU, FP; eco.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen