Dies scheint allerdings nicht für die Kontroverse um den äusserst umstrittenen, dem Opus Dei nahestehenden Churer Bischof Wolfgang Haas zu gelten, dessen Einsetzung führende Kirchenjuristen nach wie vor für widerrechtlich halten. Die Schweizer Bischöfe wurden mehrfach im Vatikan vorstellig und gaben ihrer Sorge über die unhaltbaren Zustände in der Diözese Chur Ausdruck, die durchaus zu einer Kirchenspaltung führen könnten. Der Papst schickte zwar einen Vermittler in die Schweiz und kündigte konkrete Schritte an, liess aber keinen Zweifel daran, dass mit einer Abberufung Haas nicht gerechnet werden könne.

In den Kantonen, die zum Bistum Chur gehören, traten nach dem Amtsantritt von Haas rund doppelt so viele Katholiken aus der Kirche aus wie in den Jahren zuvor.

Der "Fall Haas" beschäftigte den Nationalrat in der Frühjahrssession, wo mehrere diesbezügliche Vorstösse behandelt wurden. In den meisten Wortmeldungen wurde dabei dem Bundesrat vorgeworfen, beim Vatikan zu wenig energisch die demokratischen Rechte der katholischen Landeskirche verteidigt zu haben. Bundespräsident Felber verwies in diesem Zusammenhang auf die Kantonshoheit in Glaubensfragen und die entsprechend limitierten Möglichkeiten der Bundesbehörden. Er versicherte aber, dass der Bundesrat der Kurie seine Besorgnis über die Vorgänge im Bistum Chur deutlich ausgedrückt habe. Die im Vorjahr vorgenommene Ernennung eines Botschafters in Sondermission beim Heiligen Stuhl sei erfolgt, um inskünftig ohne den Umweg über den Nuntius die Interessen der Schweizer Katholiken in Rom vorbringen zu können. Mit Ausnahme prononciert protestantischer Vertreter, welche dem Bundesrat mangelndes Fingerspitzengefühl im Umgang mit der reformierten Kirche vorwarfen, sich für eine Abberufung des Sonderbotschafters einsetzten oder gar mit einer Volksinitiative auf Trennung von Kirche und Staat drohten, stimmte der Rat der Politik des Bundesrates zu und überwies mit klarer Mehrheit ein Postulat Pini (fdp, TI), welches eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zum Kirchenstaat anregt.

Nachdem bereits die meisten Kantone der Churer Diözese ihren jährlichen Beitrag an die Bistumskasse sistiert haben, riefen die Zürcher und Innerschweizer Dekane die Pfarreien dazu auf, das diesjährige Opfer für das Churer Priesterseminar und die angegliederte theologische Fakultät nicht mehr einzuziehen, da sie es angesichts der bischöflichen Umgestaltung der Churer Ausbildungsstätte in eine Traditionalistenschule nicht mehr verantworten könnten, Studenten des Bistums nach Chur zu schicken. Der Zahlungsboykott blieb allerdings ohne grosse Auswirkungen, weil die Bistumsbeiträge nur rund einen Fünftel des Diözesansbudgets ausmachen und sich zudem nicht alle Bistumsstände und Pfarreien am Boykott beteiligten.

Das theologische Seminar Dritter Bildungsweg, welches Haas aus Chur verbannt hat, soll ab Mitte 1993 in Luzern seinen Lehrbetrieb aufnehmen. Zudem strich neu auch die Bündner Landeskirche ihren Beitrag an die Bistumskasse.

In einem von der Römisch-katholischen Zentralkonferenz (RKZ) — der Vereingung der Kantonalkirchen — in Auftrag gegebenen Gutachten kamen namhafte Juristen, Politikwissenschafter und Theologen zum Schluss, die Einsetzung von Haas als Weihbischof mit Nachfolgerecht sei 1988 in Verletzung völkerrechtlicher und innerkirchlicher Bestimmungen erfolgt. Insbesondere seien die Konkordatsrechte des Kantons Schwyz verletzt und gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossen worden. Sie vertraten die Ansicht, eine Reform der Bischofswahlen dränge sich zwingend auf, da sonst entsprechend umstrittene Ernennungen in den Bistümern Basel und St. Gallen folgen könnten.

Die katholische Bischofskonferenz, welche nach wie vor ihre Hoffnungen in eine persönliche Intervention des Papstes setzt, distanzierte sich vom Gutachten der RKZ, welcher sie vorwarf, damit ihre Kompetenzen überschritten zu haben. Die Bündner Regierung gab ihrerseits ein Gutachten in Auftrag.

Die eskalierenden Spannungen im Bistum Chur veranlassten den Bundesrat nach Rücksprache mit den betroffenen Kantonsregierungen gegen Ende Jahr erstmals, in dieser Angelegenheit offiziell in Rom vorstellig zu werden. Der Sonderbotschafter beim Vatikan übermittelte dem Papst eine Botschaft, in welcher die Landesregierung der Sorge der sieben Bistumskantone (Graubünden, Glarus, Zürich, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden) Ausdruck verlieh. Der Bundesrat bezog in der Intervention selber aber keine Stellung, da er die Affäre Haas nach wie vor als innerkirchliche Angelegenheit betrachtet.

In der Kontroverse um den Churer Bischof Wolfgang Haas zeigte sich der Papst erstmals offensichtlich auf Ausgleich bedacht. Mit dem Jesuiten Peter Henrici und dem Marianisten Paul Vollmar stellte er Haas zwei Weihbischöfe zur Seite, von denen sich die Kirchenbasis eine offenere Haltung erhoffte. Die Bischofskonferenz der Schweizer Katholiken nahm diese Ernennung sehr positiv auf und verband sie mit der Zuversicht, dass damit in das arg gebeutelte Bistum Chur, zu dem auch die Innerschweiz sowie der Kanton Zürich gehören, wieder etwas Ruhe einkehren werde. Bischof Haas tat sich dann allerdings schwer mit der Definition des Pflichtenhefts der neuen Weihbischöfe. Schliesslich wurde bekanntgegeben, dass Henrici und Vollmar Generalvikare für das ganze Bistum sein und in dieser Funktion die bisher von Haas gegen den Willen der Ortskirche eingesetzten Generalvikare ablösen werden.

Bischof Haas spaltete mit seiner Personalpolitik und seiner Verweigerung jeglichen Dialogs weiterhin das Bistum Chur. Die Bündner Kirchenbasis reagierte auf die unerfreuliche Situation mit der Einberufung einer Tagsatzung, an der 100 der 131 katholischen Kirchgemeinden Graubündens vertreten waren. Anders als Haas, der jede Zusammenarbeit mit der Tagsatzung ablehnte, stellte sich Weihbischof Vollmar voll hinter deren Zielsetzung, im Bistum Chur wieder Frieden und Einheit herzustellen. Aber auch ausserhalb Graubündens ging die Kirchenbasis immer weiter auf Distanz zu Haas. Der Entscheid der Urschweizer Landeskirchen, welche seit Jahren Haas den Bistumsbeitrag verweigern, das gesperrte Geld teilweise freizugeben, allerdings nicht, um es an Chur abzuliefern, sondern ausdrücklich zur Schaffung eines Urschweizer Generalvikarensekretariats, wurde allgemein als erster Schitt in Richtung einer Abspaltung von der Diözese Chur gewertet.

Immer wieder auftauchende Gerüchte, wonach Papst Johannes Paul II zur Einsicht gelangt sei, die Ernennung von Haas sei ein Fehler gewesen, weshalb er ihm den Rücktritt nahelege, wurden von Chur, dem päpstlichen Nuntius im Bern und vom Vatikan stets dementiert.