Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS gab Anfang 2015 bekannt, dass sie ihre Richtlinien einer Teilreform unterziehen werde. Damit reagierte sie auf die anhaltende Kritik an den Richtlinien. Weitere Gründe für eine Teilreform seien, dass die letzte Anpassung bereits zehn Jahre zurückliege und dass es nun Anlass zu einer Verarbeitung der inzwischen gewonnenen Erfahrungen gebe. Auf Jahresbeginn 2016 sollten die neuen Richtlinien Gültigkeit erlangen und darauf hinzielend eröffnete die SKOS eine verbandsinterne Vernehmlassung, welche zwischen Februar und März 2015 vonstatten ging. Über 900 Mitglieder wurden dazu eingelanden.

Grundsätzliche Ansatzpunkte der Revision betrafen den Grundbedarf, die finanziellen Möglichkeiten und die Sanktionsmöglichkeiten. Ein fundamentaler Umbau der Sozialhilfe oder eine Totalrevision der Richtlinien sei gegenwärtig nicht angezeigt, jedoch gebe es einen gesamtschweizerischen Koordinationsbedarf. Einheitliche Richtlinien helfen, einerseits Rechtsgleichheit zu garantieren und andererseits einen „sozialpolitisch schädlichen Standortwettbewerb” zu verhindern, so die SKOS in ihrer Medienmitteilung zum Auftakt der Vernehmlassung. Man lasse den Kantonen und Gemeinden Möglichkeiten offen, die Richtlinien nach eigenen Bedürfnissen und gemessen an lokalen Rahmenbedingungen auszulegen. Kernpunkt und Ziel der Sozialhilfe sei die Existenzsicherung, so soll den Empfängerinnen und Empfängern die Teilnahme am Sozial- und Erwerbsleben ermöglicht werden. Das „soziale Existenzminimum” diene dafür als Bemessungsgrundlage, erklärte die SKOS weiter. Offen war der Umgang mit den Kriterien zur Ermittlung des Grundbedarfs und die Weiterführung von Anreizelementen, wie dem Einkommensfreibetrag, der Integrationszulage und der minimalen Integrationszulage, die in den Kantonen unterschiedlich angewendet wurden. Ein sehr entscheidender Schritt sollte bezüglich der Verantwortlichkeit umgesetzt werden: Die neuen Richtlinien sollten dereinst nicht mehr von der SKOS erlassen werden, sondern von der SODK. Dies würde neue Zuständigkeiten begründen: Die SKOS bliebe als Fachorganisation weiterhin Ansprechpartnerin, die politische Verantwortung würde jedoch an die SODK abgetreten. Dadurch sollte die politische Legitimation der Richtlinien gestärkt werden.

An der Vernehmlassung beteiligten sich von den rund 960 eingeladenen Parteien fast 660. Es galt zu den Bereichen Höhe des Grundbedarfs, Höhe der Leistungen für grosse Familien, Höhe der Leistungen für junge Erwachsene, Anwendung der Leistungen mit Anreizcharakter, Ausmass der Sanktionen, Gestaltung situationsbedingter Leistungen sowie zu den Schwelleneffekten Stellung zu nehmen. Der Vorstand der SKOS kam zum Schluss, dass es sich anbieten würde, die Richtlinien in zwei Etappen zu revidieren, respektive in einer dritten Etappe eine Neugestaltung der gesamten Richtlinien anzustreben.
So lauteten die Empfehlungen der SKOS zu Handen der SODK per 2016, über die Höhe des Grundbedarfs zu befinden (tiefere Ansätze für junge Erwachsene), eine Verschärfung der Sanktionen zu bestimmen sowie die Nothilfe genauer zu definieren. Der Fortbestand der Integrationszulage sollte vorerst zwar debattiert werden, deren Präzisierung sollte jedoch gemeinsam mit weiteren Änderungen erst in einer zweiten Etappe umgesetzt werden. Die Verabschiedung der Richtlinien oblag in der Folge der SODK.

Dossier: Revision der SKOS-Richtlinien

Nach dem Grundsatzentscheid, die Richtlinien zur Sozialhilfe durch die SODK erstellen zu lassen und sie einer Teilreform zu unterziehen, lag der Ball bei den Kantonen respektive ihren Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren. Zuvor hatte die SKOS noch federführend eine Vernehmlassung durchgeführt, ihre Schlüsse daraus gezogen sowie Empfehlungen formuliert.
Es wurde Mai, bis die SODK eine erste Stellungnahme publizierte: An einer Tagung in Thun wurden die Eckwerte der Revision bestimmt, wobei die Neuausrichtung deutlich bemerkbar war. So soll etwa Grossfamilien ein reduzierter Grundbedarf attestiert werden, der jedoch auch für junge Erwachsene gelten würde. Zudem wurde eine Verschärfung der Sanktionen sowie eine Überarbeitung des Anreizsystems beschlossen. Um die Inkraftsetzung der neuen Richtlinien per Anfang 2016 zu ermöglichen, sollen diese Änderungen im Herbst 2015 beschlossen werden.

In der Presse wurde der generell als härter bezeichnete Kurs der Kantone breit diskutiert. „Die Schraube werde angezogen“, titelte etwa das St. Galler Tagblatt und die NZZ ortete ein Straffen der Zügel durch die Kantone, wobei die bemängelte Legitimation der zuvor federführenden SKOS angetönt wurde. Der nächste Schritt war dann die Einigung mit den Akteuren, wobei es um Geldbeträge ging.

Dossier: Revision der SKOS-Richtlinien

Die Teilreform der Richtlinien zur Sozialhilfe wurde im September konkretisiert und beschlossen. In einer zweiten Sozialkonferenz verabschiedeten die Mitglieder der SODK die neuen Richtlinien. Der bereits im Frühjahr beschlossene strengere Kurs wurde nun in den Richtlinien festgehalten. Der Grundbedarf für Grossfamilien wurde um CHF 76 pro Person reduziert. Ebenso wurde jungen Erwachsenen der Ansatz um 20% auf noch CHF 789 monatlich gekürzt. Bezüglich Sanktionsmöglichkeiten wurde neu beschlossen, dass Leistungen bis zu 30% gekürzt werden dürfen. Die Integrationszulage wurde beibehalten, jedoch entfiel eine Festsetzung des Minimums der Zulage.
Die SODK legte Wert darauf zu kommunizieren, dass die neuen Bestimmungen in Zusammenarbeit mit den Gemeinden und Städten sowie der SKOS zustande gekommen seien. Allein mit der Revision könne der Kostendruck in der Sozialhilfe jedoch nicht abgefedert werden, weswegen weitere Massnahmen notwendig sein werden – genannt wurden der Sozialhilfe vorgelagerte Systeme oder das Unterhaltsrecht im ZGB.

In der Presse schlugen die neuen Bestimmungen hohe Wellen; die Kommentare reichten von relativer Zustimmung (Weltwoche) bis zu einem „Wendepunkt für Sozialhilfeempfänger“ (Neue Luzerner Zeitung). Freilich wurde auch die Ablehnung der SP oder auch der Caritas wiedergegeben; beide Akteure sprachen von Willkür und Druck von rechts. Die SKOS rechnete mit einer Ersparnis von CHF 50 Mio. oder 2% durch die neuen Eckwerte. SODK-Präsident Gomm (SO, sp) wollte aber in der NLZ nicht von monetären Anreizen sprechen, sondern sah in den neuen Richtlinien Massnahmen, die verbessern sollten, was politisch nicht funktionierte. Das Co-Präsidium der SKOS zeigte sich enttäuscht: Die Massnahmen träfen die Schwächsten, erklärte Felix Wolffers und auch Therese Frösch gab ihre Enttäuschung zu Protokoll, erklärte aber auch, dass die Sozialhilfe unter Beschuss sei und es daher nötig sei, Mehrheiten zu schaffen.

Dossier: Revision der SKOS-Richtlinien

Nachdem erste Massnahmen per Anfang 2016 in Kraft gesetzt worden waren, galt es im Verlauf des Jahres, die zweite Etappe der Revision der SKOS-Richtlinien anzugehen. Im Zuge der Teilrevision dieser Richtlinien hatten sich SKOS und SODK geeinigt, den Prozess in zwei Schritten umzusetzen. Dieser zweite Schritt umfasste die Revision der situationsbedingten Leistungen (SIL), die Formulierung von Empfehlungen zur Verminderung von Schwelleneffekten, eine genauere Definition der Trennlinie zwischen Sozial- und Nothilfe sowie die Erstellung von Vorgaben für Mietzinsmaxima sowie Möglichkeiten zur besseren Arbeitsintegration von Müttern. Zudem wurde beschlossen, dass die Teuerungsanpassung für den Grundbedarf der Sozialhilfe auch weiterhin zeitgleich und im gleichen prozentualen Umfang erfolgen soll wie beim Lebensbedarf der Ergänzungsleistungen zur AHV und IV.

Im Mai wurden diese Teilbereiche konkretisiert und verabschiedet, sie sollen auf den 1. Januar 2017 von den Kantonen umgesetzt werden. Darüber hinaus einigte man sich an einer Sozialkonferenz über Empfehlungen für unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendliche aus dem Asylbereich – Asylgesuche aus dieser Kategorie haben merklich zugenommen im vergangenen Jahr – und formulierte Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendpolitik in den Kantonen. Rückblickend wurde auch festgehalten, dass die beschlossenen Massnahmen aus der ersten Etappe der Teilrevision von 20 Kantonen umgesetzt werden; dies wurde als grosser Beitrag zur Harmonisierung der Sozialhilfe gewertet. Die übrigen Kantone waren bereits früher auf einem ähnlich strengen Kurs oder hatten den eigenen Umsetzungsentscheid noch vertagt.

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