Chancen von «Civic Tech» nutzen

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Die Chancen von «Civic Tech» nutzen will Damian Müller (fdp, LU). Der Luzerner Kantonsvertreter bemängelt die Strategie des Bundesrates für eine digitale Schweiz, die im gleichnamigen Bericht lediglich E-Voting als Instrument für eine Bereicherung der politischen Partizipation mittels Digitalisierung betrachte. Der Begriff «Civic Technology» bezeichnet Informationstechnologien mit denen das politische Engagement und die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern gefördert werden soll. Müller regte an, dass der Bundesrat in einem durch sein Postulat verlangten Bericht darlegt, welche weiteren Möglichkeiten es gäbe: Digitale Technologien könnten zum Beispiel auch die Anhörungen und Vernehmlassungen oder die Interaktion mit Behörden sowie mit Politikerinnen und Politikern vereinfachen. Eine Weiterentwicklung des demokratischen Systems, auch ausserhalb von E-Voting und E-Government, sei zwingend nötig.
Der Bundesrat begrüsste das Postulat und schlug vor, einen gemeinsamen Bericht zum Postulat Müller und zum im Nationalrat bereits im Mai 2017 angenommenen Postulat Hausammann (Po. 17.3149) zu verfassen. Markus Hausammann (svp, TG) hatte damals angeregt, die Vernehmlassungsverfahren effizienter zu machen. Bundeskanzler Thurnherr machte in der Debatte freilich darauf aufmerksam, dass Digitalisierung kein Selbstzweck sei und man immer auch abwägen müsse, was an Zeit zu gewinnen und an Gehalt zu verlieren sei. Demokratie dürfe nicht mit dem «Messen der politischen Tageslaune» verwechselt werden. Der Rat nahm das Postulat stillschweigend an.

Dossier: Vote électronique

Anfang Mai legte der Bundesrat seinen Bericht zur Erfüllung der Postulate Müller (fdp, LU; Po. 17.4017) und Hausammann (svp, TG; Po. 17.3149) vor, mit dem die Möglichkeiten für eine Verbesserung der politischen Teilnahme von Bürgerinnen und Bürgern mittels Digitalisierung ausgelotet werden sollten. Im Bericht wurde präzisiert, dass die Postulate die Betrachtung lediglich eines Teilbereichs von «Civic Tech» verlangten – das Postulat Müller trug diesen Begriff im Titel –, nämlich die so bezeichnete «e-discussion», also die digitalisierte Teilhabe an der politischen Meinungsbildung. Der Bericht selber wollte aber einen weiteren Fokus einnehmen und auch die Chancen des elektronischen Abstimmens («E-Voting»), der digitalen Unterschriftensammlung («E-collecting») oder der digitalisierten Dienstleistungen des Staates («E-Government») beleuchten. Das politische System der Schweiz biete verschiedene Elemente, deren Digitalisierung Anreize für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger setzen könnten – so die Prämisse des Berichtes. Grundsätzlich habe Digitalisierung das Potenzial, Hürden etwa für Informationsbeschaffung oder Koordination zu senken. Eine durch Digitalisierung mögliche frühere und stärkere Einbindung von politisch Interessierten berge aber auch Risiken, da politisches Vertrauen und Legitimität stets auch transparente Prozesse und repräsentative Institutionen voraussetzten: Die Digitalisierung werde die politische Kultur zwar verändern und rechtliche sowie institutionelle Anpassungen nötig machen, das politische Vertrauen dürfe dadurch aber nicht untergraben werden. Es handle sich dabei um eine Gratwanderung.
Gestützt auf den in der Politikwissenschaft gebräuchlichen Policy-Zyklus lotete der Bericht Anwendungsmöglichkeiten für Digitalisierung aus. Bei allen Etappen des Entscheidungszyklus' seien dank Digitalisierung vor allem Vereinfachungen in den Bereichen der Informationsgewinnung und -verbreitung sowie bei der Koordination zwischen Akteuren möglich. Ad-hoc-Netzwerke könnten etwa einfacher Einfluss auf das Agenda-Setting nehmen, Bürgerinnen und Bürger könnten bei der Problemanalyse leichter auf Experteninformationen zurückgreifen und so etwa mittels E-Vernehmlassungen auch Lösungsvorschläge einbringen, wobei die Auswertung der Stellungnahmen ebenfalls digitalisiert und vereinfacht werden könnte. Möglichkeiten beschrieb der Bericht auch für die Etappe des formellen Entscheidungsprozesses: E-Voting und E-Collecting könnten die Beteiligung nachhaltig stärken, Informationen aus der parlamentarischen Debatte könnten digital einfacher und komprimiert zur Verfügung gestellt werden und gar neue, innovative Entscheidungsverfahren seien denkbar, mit denen etwa die Stärke einer Präferenz ausgedrückt werden könnte («quadratic voting»). Die Möglichkeit für mehr Transparenz bei der Phase der Umsetzung eines Entscheids und die Chancen, die «Big Data» bei der Politikevaluation böten, wurden vom Bericht ebenfalls als mögliche positive Folgen der Digitalisierung hervorgehoben.
Auch auf die Risiken der Digitalisierung ging der Bericht ausführlich ein. Die Auswirkungen dürften kurzfristig eher überschätzt, langfristig aber unterschätzt werden. So sei dauerhafter politischer Einfluss nach wie vor von einem genügend grossen Organisationsgrad eines politischen Akteurs abhängig, auch wenn durch Digitalisierung die Organisationskosten gesenkt würden. Es stelle sich zudem die Frage einer behördlichen Kontrolle privater digitaler Plattformen, die politische Informationen zur Verfügung stellten. Digitalisierung könne zudem der Personalisierung und Polarisierung der Politik Vorschub leisten, zu einer «Zersplitterung der Öffentlichkeit» und zu «Echokammern» führen, also zu einer nur noch sehr spezifischen und einseitigen Information. Zentral sei zudem die Diskussion um Datenschutz und -sicherheit.
In vier Bereichen machte der Bericht Handlungsbedarf aus: Erstens müssten Daten zu politischen Geschäften integriert werden. «Es ist zum heutigen Zeitpunkt nicht möglich, ein Geschäft – beispielsweise eine Volksinitiative oder eine Botschaft des Bundesrates an das Parlament – über die verschiedenen Etappen des Policy-Zyklus aus einer einzigen Quelle zu verfolgen», kritisierte der Bericht. Zweitens solle die Diskussion um E-Voting und E-Collecting weitergeführt werden. Drittens solle ein bundeseigenes Online-Portal für Petitionen sowie eine E-Volksmotion geprüft werden. Als vierter Punkt erhielt im Bericht das Vernehmlassungsverfahren viel Aufmerksamkeit; dieses stehe «etwas im Schatten der direktdemokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten». Es sei prüfenswert, ob eine Digitalisierung des Verfahrens zu stärkerer Teilnahme, vermehrtem Austausch und gar zu mehr Transparenz bei der Auswertung der Stellungnahmen durch die Verwaltung führen könne.
Gestützt auf die Überlegungen wurden im Bericht schliesslich drei Massnahmen formuliert: Erstens soll die Bundeskanzlei zusammen mit dem Informatiksteuerungsorgan des Bundes, dem Bundesamt für Statistik, dem Bundesarchiv und den Parlamentsdiensten ein Datenmodell für politische Geschäfte entwickeln, mit dem alle relevanten Informationen, Daten und Quellen an einem Ort zusammengefasst werden. Zweitens soll die Bundeskanzlei «E-Vernehmlassungs»-Projekte initiieren, die zu administrativen Vereinfachungen und einer Anreicherung des Vernehmlassungsverfahrens führen sollen. Drittens soll die Bundeskanzlei prüfen, ob eine Publikationsplattform für Petitionen geschaffen werden soll.

Dossier: Vote électronique

Mit dem Postulatsbericht zu «Civic Tech» erachtete der Bundesrat nicht nur das Postulat von Damian Müller (fdp, LU), sondern auch jenes von Markus Hausammann (svp, TG) zur Vereinfachung der Vernehmlassung (Po. 17.3149) durch Digitalisierung als erfüllt. Dies sahen auch die beiden Kammern so und schrieben die beiden Vorstösse ab.

Dossier: Vote électronique