Vorstösse mit mehreren Ratsmitgliedern als Urhebende (Pa.Iv. 22.406)

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Seit einigen Jahren häuften sich im Parlament die Zahl exakt gleichlautender Vorstösse von unterschiedlichen Urheberinnen und Urhebern. Einen Grund hierfür sah die SPK-NR im Umstand, dass es mit der aktuellen Regelung nicht möglich sei, deutlich zu machen, dass Abgeordnete fraktionsübergreifend hinter einem Anliegen stünden. In der Tat ist es laut Parlamentsgesetz lediglich Kommissionen, Fraktionen oder Einzelpersonen erlaubt, einen Vorstoss einzureichen. Stehen mehrere Parlamentsmitglieder aus unterschiedlichen Fraktionen für eine Idee ein, so können sie dies nur demonstrieren, wenn sie je einen gleichlautenden Vorstoss einreichen. Es sei aber «verfahrensökonomisch sinnvoller» – so die SPK-NR in der Begründung ihrer parlamentarischen Initiative –, wenn die Möglichkeit für Vorstösse mit mehreren Ratsmitgliedern als Urhebende geschaffen würde. Weil dies auch ihre Schwesterkommission so sah und der Kommissionsinitiative mit 8 zu 0 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) Folge gab, wird die SPK-NR eine entsprechende Änderung des Parlamentsgesetz ausarbeiten. Die SPK-SR gab freilich zu bedenken, dass mit dieser Änderung im Nationalrat eine Reihe von Folgeproblemen, wie etwa die Redezeit oder die Reihenfolge von Voten bei unterschiedlichen Urheberinnen und Urhebern, zu lösen sei.

Ende Juni legte die SPK-NR ihren Entwurf für eine Revision des Parlamentsgesetzes und des Geschäftsreglements des Nationalrats vor, mit der Vorstösse mit mehreren Ratsmitgliedern als gleichzeitig Urhebende möglich gemacht werden sollen. Bisher können Vorstösse und parlamentarische Initiativen lediglich von einem Ratsmitglied, einer Fraktion oder einer Kommissionsmehrheit eingereicht werden. Zwar kann durch Mitunterzeichnen Unterstützung signalisiert werden, hat aber eine Parlamentarierin oder ein Parlamentarier das gleiche Anliegen wie ein anderes Parlamentsmitglied, so kann derzeit nur ein eigener gleichlautender Vorstoss oder eine gleichlautende parlamentarische Initiative eingereicht werden. Dies soll mit der Revision, die nur für den Nationalrat gilt, geändert werden. Neu sollen Postulate, Motionen und parlamentarische Initiativen von mehreren Parlamentsmitgliedern gemeinsam eingereicht werden können, wobei alle als Miturhebende gekennzeichnet werden. In der Kommission umstritten war, ob das Rederecht zur Begründung eines Vorstosses, das bisher alleine dem urhebenden Parlamentsmitglied zukam, unter alle gemeinsamen Urheberinnen und Urheber aufgeteilt werden oder für alle einzeln gelten soll. In ersterem Fall müssten sich die Urhebenden die Redezeit teilen oder aber eine Sprecherin oder einen Sprecher bestimmen. Neben dieser Neuregelung umfasste die Vorlage der SPK-NR auch einige Präzisierungen. Zudem sollen etwa während Sondersessionen keine neuen Vorstösse eingereicht werden dürfen. Gegen diese Regelung gab es Widerstand einer Kommissionsminderheit, was wohl – voraussichtlich in der Wintersession 2024 – im Nationalrat noch zu diskutieren geben dürfte.

In der Wintersession 2024 diskutierte der Nationalrat, ob er künftig Vorstösse mit mehreren Ratsmitgliedern als gleichzeitig Urhebende ermöglichen will. Für die SPK-NR, welche die Idee in Form einer parlamentarischen Initiative lanciert hatte, sprachen Céline Widmer (sp, ZH) und Piero Marchesi (svp, TI). Gemäss der Vorlage können künftig maximal sechs Parlamentsmitglieder gemeinsam einen Vorstoss einreichen. Mitunterzeichnen werde von dieser Regel nicht tangiert und es ändere sich nichts daran; auch sei es weiterhin möglich, gleichlautende Vorstösse einzureichen, so die Kommissionssprecherin, dies werde «einfach obsolet». Um den Ratsbetrieb effizient zu halten, werde die Redezeit aber nicht verlängert, so die Kommissionssprecherin. Die zur Verfügung stehenden fünf Minuten müssten unter den Miturhebenden aufgeteilt werden. Dies sei eine Effizienzsteigerung, stünden doch bisher allen Urhebenden gleichlautender Vorstösse jeweils fünf Minuten zur Verfügung.

In der Kommission war umstritten, ob der Entscheid über den Rückzug eines Vorstosses allen Miturhebenden gemeinsam obliegen soll oder ob dieses Recht, wie von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagen, lediglich der ersten miturhebenden Person obliegen soll. Im Namen der Minderheit warb Nadine Masshardt (sp, BE) für das «Konsensprinzip» und gegen einen Automatismus.
Da mit dieser Forderung auch das Parlamentsrecht bzw. das Geschäftsreglement des Nationalrats revidiert wurde, nahm die SPK-NR drei zusätzliche Punkte in die Revision mit auf, die mit dem ursprünglichen Anliegen nichts zu tun hatten. Neben zwei Präzisierungen ging es dabei insbesondere um ein Verbot des Einreichens neuer Vorstösse während Sondersessionen – eine Idee, die auf eine parlamentarische Initiative von Gregor Rutz (svp, ZH; Pa.Iv. 22.433) zurückging, der zwar im Nationalrat, nicht aber im Ständerat Folge gegeben worden war. Gegen die Änderung stemmte sich allerdings eine zweite Kommissionsminderheit: Beat Flach (glp, AG) sprach von einer «Selbstkasteiung in der allergrössten Art und Weise». Es sei nicht nur ein Recht, sondern die Pflicht eines Parlamentsmitglieds, Vorstösse einzureichen. Freilich müsse damit verantwortlich umgegangen werden und nicht alles, was in «20 Minuten» stehe, müsse gleich in ein neues Gesetz fliessen, so Flach. Das Recht dürfe aber nicht beschnitten werden und Parlamentsmitglieder müssten selber entscheiden können, wann sie Vorstösse einreichen und wann nicht.
Eine letzte Kommissionsminderheit beantragte schliesslich, gar nicht auf die Vorlage einzutreten. Minderheitensprecher Gerhard Pfister (mitte, SZ) argumentierte, dass es effizienter und aufgrund das gemeinsamen Votums – «das dauert länger (als 5 Minuten), wenn sich diese Personen da alle aufreihen müssen, um nacheinander sprechen zu können» – wohl auch praktikabler sei, die bestehende Lösung mit vielen gleichlautenden Vorstössen beizubehalten. Auch ein Verbot der Einreichung von Vorstössen während Sondersessionen sei «völlig illusorisch», weil die entsprechenden Ideen einfach in der nachfolgenden Session zusätzlich eingereicht würden.

Auch der Bundesrat hatte sich ein paar Wochen vor der Parlamentsdebatte in einer Stellungnahme zu Wort gemeldet. Er betonte, dass die Parlamentsorganisation Sache der Legislative sei. Er beantrage freilich, auf die Vorlage einzutreten und sie anzunehmen, weil er einen geringeren Aufwand für die Verwaltung erwarte, wenn weniger gleichlautende Vorstösse eingereicht würden.

Die grosse Kammer entschied sich in der Folge mit 161 zu 28 Stimmen (4 Enthaltungen) und entgegen der Minderheit Pfister, die nur in der eigenen Fraktion zu überzeugen vermochte, auf das Geschäft einzutreten. Das Bundesgesetz über die Bundesversammlung wurde gleich anschliessend mit 167 zu 26 Stimmen in der Gesamtabstimmung gutgeheissen. Auch hier kam die Opposition ausschliesslich aus der Mitte-Fraktion. Auf das nationalrätliche Geschäftsreglement trat der Nationalrat ebenfalls unter Opposition der Mitte ein (18 zu 126 Stimmen). In der Folge lehnte der Nationalrat den Antrag Masshardt auf geteilte Rechte hinsichtlich Abschreiben (115 zu 77 Stimmen, 3 Enthaltungen) sowie den Antrag Flach gegen das Verbot des Einreichens von Vorstössen während Sondersessionen (168 zu 44 Stimmen, 1 Enthaltung) ab. Die links-grüne Minderheit, im ersten Fall unterstützt von der GLP-Fraktion, unterlag beide Male der bürgerlichen Mehrheit. In der Gesamtabstimmung wurde das Geschäftsreglement mit 179 zu 15 Stimmen (1 Enthaltung) angenommen. Die Gegenstimmen stammten dabei erneut aus der Mitte-Fraktion.

Da es sich beim Geschäftsreglement um ein rein nationalrätliches Anliegen handelt, ging lediglich das Bundesgesetz über die Bundesversammlung an den Ständerat.

In der Frühjahrssession 2025 nahm auch der Ständerat das revidierte Parlamentsgesetz an. Kommissionssprecher Daniel Fässler (mitte, AI) erklärte, dass die Vorlage die kleine Kammer «nicht oder zumindest nicht direkt» betreffe. Die SPK-SR habe aber trotzdem ausgiebig und teilweise skeptisch diskutiert. Zum einen sei der Handlungsbedarf hinterfragt, zum anderen die Befürchtung geäussert worden, dass die künftige Möglichkeit, gemeinsam Vorstösse einzureichen, auch zu «gemeinsamen Fraktionsvorstössen» führen könnte. Die Mitglieder der kleinen Kammer würden damit potenziell noch stärker unter Druck geraten, im Sinne der eigenen Fraktion abzustimmen. Da die Änderungen aber letztlich nur den Nationalrat beträfen, sei kein Minderheitenantrag ausgearbeitet worden, so Fässler.
Entsprechend trat der Ständerat stillschweigend auf das Geschäft ein und stimmte dem Entwurf der grossen Kammer einstimmig (mit 32 zu 0 Stimmen) zu. Freilich kam es zu sieben, vorwiegend von Mitgliedern der Mitte stammenden Enthaltungen.

Tags darauf stimmte die kleine Kammer dem neuen Parlamentsgesetz auch in der Schlussabstimmung mit 42 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) zu. Der Nationalrat seinerseits verabschiedete das Gesetz in der Schlussabstimmung mit 162 zu 28 Stimmen. Das Geschäftsreglement, über das nur der Nationalrat zu befinden hatte, passierte die Schlussabstimmung mit 187 zu 4 Stimmen. Die Gegenstimmen stammten aus der Mitte-Fraktion.