Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten (Pa.Iv. 20.505)

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Damit auch Menschen mit Beeinträchtigungen die per Internet live übertragenen Diskussionen in den beiden Kammern verfolgen können, forderte Gabriela Suter (sp, AG) Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten (Pa.Iv. 20.505). In der Tat können hörbeeinträchtigte Personen diese Debatten nicht mitverfolgen, weshalb die Sozialdemokratin einen Abbau der Hürden in Form von Untertiteln und Übersetzungen mittels Gebärdensprache forderte.
Das Büro-NR empfahl in einer ersten Beratung im Mai 2021 einstimmig (mit 12 zu 0 Stimmen), der Initiative Folge zu geben. Menschen mit Behinderungen müssten besser eingebunden werden – so die Begründung. Zudem habe ein Pilotversuch der Parlamentsdienste in der Wintersession 2020 gut funktioniert. Es sei allerdings noch zu klären, in welchen Sprachen Untertitel verfasst werden müssten und ob mittels Gebärdensprache Simultanübersetzungen angeboten werden sollten.
Weil das Büro-SR dieser Empfehlung allerdings im August 2021 nicht zustimmen wollte, beriet sich das Büro-NR im Februar 2022 ein zweites Mal. Das Nein der ständerätlichen Kommission beruhte auf der Überlegung, dass die Kosten von mehreren CHF 100'000 zu hoch seien. Die spezielle Situation im Ständerat – vor allem die Kultur der Mehrsprachigkeit, aber auch die technische Ausstattung – habe die kleine Kammer zudem bereits 2015 dazu bewogen, auf eine Simultanübersetzung der ständerätlichen Debatten zu verzichten. Das Büro-NR hielt allerdings an seinem Entscheid fest. Mit 11 zu 1 Stimme begründete es, dass hohe Kosten möglicher Lösungen kein Grund dafür sein dürften, hörbehinderte Menschen von der politischen Teilnahme auszuschliessen.
Der Nationalrat folgte in der Frühjahrssession mit 180 zu 7 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) sehr deutlich seinem Büro. Zwar lag ein schriftlicher Antrag von Erich Hess (svp, BE) gegen Folgegeben vor – der Berner monierte die Kosten, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stünden, da die Ratsdebatten ja sehr zeitnah auch schriftlich in Form des Amtlichen Bulletins vorlägen –, der Vorstoss wurde aber diskussionslos auch von der Mehrheit der Fraktionskolleginnen und -kollegen von Erich Hess angenommen.

Obwohl der Nationalrat der parlamentarischen Initiative von Gabriela Suter (sp, AG) für Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten mit 108 zu 7 Stimmen deutlich Folge gegeben hatte, insistierte das Büro-SR einstimmig auf seinen ursprünglichen Entscheid, dem Anliegen keine Folge zu geben. Barrierefreiheit – die Initiative verlangte insbesondere, dass die Internetübertragung der Ratsdebatten mit Untertiteln versehen wird, damit auch hörgeschädigte Menschen ihnen folgen können – sei wichtig, so die Sprecherin des Büros, Brigitte Häberli-Koller (mitte, TG); die Kosten für die hier vorgesehene Umsetzung (z.B. mittels Live-Untertitelung in mehrere Sprachen oder Simultanübersetzung in Gebärdensprache) seien aber nicht verhältnismässig. Der Ständerat habe bereits 2015 einen Vorschlag für eine Simultanübersetzung in die Landessprachen abgelehnt, der es einem grossen Teil der Bevölkerung erlaubt hätte, die Debatten in der jeweiligen Muttersprache zu verfolgen. Auch damals sei man vor den Kosten von über CHF 600'000 jährlich zurückgeschreckt. Eine Untertitelung oder eine «Verdolmetschung in Gebärdensprache» via Livestream sei auch deshalb nicht nötig, weil die provisorischen Ratsprotokolle wenige Minuten nach den Voten im Internet publiziert würden. Wenn Barrierefreiheit angestrebt werden solle, müsse eine Gesamtschau angestrebt werden, mit der Übersetzungs- und Untertitelungsfragen mit technischen Mitteln gelöst würden, die nicht derart hohe Kosten verursachten – so die Sprecherin des Büros.
Der Empfehlung des Büros stand ein Antrag von Maya Graf (gp, BL) gegenüber, welcher der parlamentarischen Initiative Folge geben wollte. Die UNO-Behindertenrechtskonvention verpflichte die Schweiz, die politische Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen zu sichern. Untertitel seien aber auch für Menschen mit Migrationshintergrund wichtig, um Ratsdebatten folgen zu können. Mit Folgegeben würde den beiden Büros ja lediglich der Auftrag erteilt, eine gut umsetzbare und nicht zu kostenintensive Lösung zu finden. Graf zeigte sich zudem zuversichtlich, dass mit der immer besser funktionierenden automatischen Spracherkennung die Kosten mit der Zeit abnehmen würden, da etwa Untertitelung nicht mehr von Dolmetschenden, sondern von Computern übernommen werden könne. Isabelle Chassot (mitte, FR) brachte zudem den Vorschlag ins Spiel, ein neues System zuerst einmal lediglich im Nationalrat anzuwenden und erst nach einiger Zeit und einer Evaluation auf den Ständerat zu übertragen. Mit 24 zu 16 Stimmen (4 Enthaltungen) entschied sich der Ständerat gegen sein Büro und gab der Initiative Folge. Damit wird das Büro-NR beauftragt, rechtliche Grundlagen für mehr Barrierefreiheit zu schaffen.

Das auf eine parlamentarische Initiative von Gabriela Suter (sp, AG) zurückgehende Anliegen für Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten war vom Büro-NR Mitte November 2023 in einem Entwurf umgesetzt worden, der in der Frühjahrssession 2024 vom Nationalrat beraten wurde. Die Forderung, die Liveübertragungen der parlamentarischen Debatten fortan mit Untertiteln zu versehen, damit auch hörbeeinträchtigte Menschen den Ratsversammlungen folgen können, stiess in der grossen Kammer auf keinen nennenswerten Widerstand. Roland Rino Büchel (svp, SG) berichtete für das Büro, dass Abklärungen gezeigt hätten, dass mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und «vorläufig noch notwendig[er]» manueller Korrektur relativ kostengünstig «brauchbare Qualität» für Untertitelung erreicht werden könne. Die ursprüngliche Kostenschätzung von CHF 600'000 pro Jahr sei revidiert worden und liege nun deshalb noch bei maximal CHF 250'000 und einem einmaligen Anschaffungspreis von rund CHF 50'000 bis CHF 100'000. Die genaue Budgetierung werde jedoch erst in Angriff genommen werden, wenn der Entwurf in beiden Räten gutgeheissen worden sei, so Büchel weiter. Es sei zudem wichtig festzuhalten, dass die in drei Sprachen geplante Sprachverschriftlichung lediglich bei der Live-Übertragung zur Anwendung komme, bei den später archivierten Videos aber nicht mehr angezeigt werde und einzig die Verschriftlichung im Amtlichen Bulletin rechtsverbindlich sei, so Büchel. Die in der parlamentarischen Initiative geforderte Gebärdensprache, die parallel zur Untertitelung ebenfalls angeboten werden soll, sei vorläufig nicht Gegenstand des aktuellen Umsetzungsentwurfs. Sie soll aber zu einem späteren Zeitpunkt angegangen oder punktuell umgesetzt werden können, so die von Büchel vorgebrachte Meinung des Büros.
Weil Eintreten ohne Gegenantrag beschlossen wurde und niemand das Wort ergriff, schritt der Nationalrat sogleich zur Gesamtabstimmung und hiess den Entwurf mit 181 zu 5 aus der SVP-Fraktion stammenden Gegenstimmen ohne Enthaltungen gut.

Auch im Ständerat war die auf eine parlamentarische Initiative von Gabriela Suter (sp, AG) zurückgehende Idee, gesetzliche Grundlagen für mehr Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten zu schaffen, unbestritten. In der Sommersession 2024 berichtete Andrea Caroni (fdp, AR) in der kleinen Kammer für das Büro-SR: Aufgrund einer Vorstudie sei nun auch das ständerätliche Büro, das zuerst noch gegen Folge geben gewesen war, der Überzeugung, dass es diese neue Gesetzesgrundlage brauche. Die erwähnte Vorstudie habe auf der einen Seite die Nützlichkeit von Untertiteln nicht nur für Personen mit Hörbehinderung, sondern ganz generell auch in Situationen, in denen nicht auf die Tonspur zurückgegriffen werden könne, gezeigt. Auf der anderen Seite sei in dieser Studie deutlich gemacht worden, dass mittels künstlicher Intelligenz (KI) der Aufwand für eine Untertitelung gering gehalten werden könne – auch wenn eine manuelle Korrektur nach wie vor nötig sei. Die Untertitelung in der Sprache der jeweiligen Rednerin oder des jeweiligen Redners generiere voraussichtlich einmalige Projektkosten von maximal CHF 100'000 sowie jährliche Betriebs- und Unterhaltskosten zwischen CHF 100'000 und CHF 250'000. Dies sei – dank KI – deutlich günstiger als die ursprünglich prognostizierten CHF 600'000 pro Jahr und mit ein Grund, weshalb das Büro-SR die Vorlage nun einstimmig zur Annahme empfehle. Dieser Empfehlung folgte die kleine Kammer, die sogleich zur Gesamtabstimmung schritt, ebenfalls einstimmig (39:0 Stimmen ohne Enthaltung).

In den Schlussabstimmungen hiess der Ständerat die entsprechende Verordnung der Bundesversammlung zum Parlamentsgesetz und über die Parlamentsverwaltung mit 35 zu 0 Stimmen (keine Enthaltungen) und der Nationalrat mit 197 zu 1 Stimme (keine Enthaltungen) gut. Einzig Erich Hess (svp, BE) stellte sich gegen die Vorlage.