Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts sollen strafbar werden (Pa.Iv. 21.513, 21.514, 21.515, 21.516, 21.522, 21.527)

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Ende 2021 reichten sechs Nationalrätinnen verschiedenster Parteien sechs identische parlamentarische Initiativen ein, die forderten, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm (Art. 261bis StGB) unterstellt werden. Die Initiantinnen – Min Li Marti (sp, ZH; Pa.Iv. 21.513), Marianne Binder-Keller (mitte, AG; Pa.Iv. 21.514), Jacqueline De Quattro (fdp, VD; Pa.Iv. 21.515), Sibel Arslan (basta, BS; Pa.Iv. 21.516), Lilian Studer (evp, AG; Pa.Iv. 21.522) und Kathrin Bertschy (glp, BE; Pa.Iv. 21.527) begründeten ihr Anliegen mit der weiten Verbreitung von Gewalt und Hass an Frauen, der mit einem klaren Signal – wie demjenigen der Unterstellung unter die Antirassismus-Strafnorm – Einhalt geboten werden könnte. Ob neben der sexuellen Orientierung auch Diskriminierungen und Hass aufgrund der Geschlechtsidentität in die Antirassismus-Strafnorm aufgenommen werden sollten, war auch bereits während der Beratungen zur Umsetzung der parlamentarischen Initiative Reynard (sp, VS; Pa.Iv. 13.407) diskutiert worden, die im Februar 2020 an der Urne bestätigt worden war. Die erstberatende RK-NR, die sich Ende Juni 2022 über die sechs neuen parlamentarischen Initiativen beugte, gab diesen mit 16 zu 6 Stimmen Folge.

Während sich die RK-NR im Vorjahr noch grossmehrheitlich dafür ausgesprochen hatte, sechs parlamentarischen Initiativen Folge zu geben, die fordern, dass Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm unterstellt werden sollen, entschied sich ihre Schwesterkommission im Mai 2023 anders: Mit 6 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung gab die RK-SR dem durch sechs Parlamentarierinnen unterschiedlichster politischer Couleur portierten Anliegen keine Folge. Somit wird sich der Nationalrat im Vorprüfungsverfahren mit der Frage auseinanderzusetzen haben.

In der Wintersession 2023 stellte sich der Nationalrat hinter seine Kommissionsmehrheit und beschloss mit 123 zu 65 Stimmen, sechs parlamentarischen Initiativen Folge zu geben, die Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm unterstellen wollten. Mit Ausnahme der SVP-Fraktion, die geschlossen gegen Folgegeben votierte, stellten sich alle anderen Fraktionen ebenso geeint hinter das Anliegen.

Nachdem sich die RK-NR und der Nationalrat mehrheitlich positiv zu sechs parlamentarischen Initiativen gestellt hatten, welche Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts der Antirassismus-Strafnorm unterstellen wollen, plädierte die RK-SR erneut für Nichtfolgegeben. Mit 6 zu 3 Stimmen war die Mehrheit der Kommission der Ansicht, dass von einer erneuten Ausweitung der Antidiskriminierungsstrafnorm – an der Volksabstimmung vom Februar 2020 hatte die Stimmbevölkerung beschlossen, die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter die Strafnorm zu fassen – abgesehen werden soll. Dies nicht zuletzt, um die Justiz nicht zu überlasten und um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, wie Beat Rieder (mitte, VS) in der Wintersession 2024 für die Kommissionsmehrheit im Rat ausführte. Zudem sei das Strafrecht als äusserstes Mittel und nicht als «erzieherisches Instrument» gedacht, «das soziale Normen und Verhaltensweisen regulieren soll», so der Walliser Ständerat weiter. Die Minderheit, vertreten durch Mathilde Crevoisier Crelier (sp, JU), machte hingegen geltend, dass Hassreden gegen Frauen – gerade online – stark zunähmen. Das Argument einer überforderten Justiz liess sie nicht gelten und wertete es als Eingeständnis der Ohnmacht, wenn sich die Justiz aus diesem Grund nicht in der Lage sehe, schwerwiegende Handlungen zu bestrafen. Nicht zuletzt hätten die Gerichte in der Vergangenheit nur sehr zurückhaltend auf die Strafnorm zurückgegriffen, weswegen die Minderheitssprecherin nicht mit einer Explosion der Fälle rechnete. Mit 21 zu 18 Stimmen (2 Enthaltungen) schloss sich der Ständerat schliesslich der Minderheit an und gab den Initiativen Folge. Neben den links-grünen Ständeratsmitgliedern, die die Initiativen fast geschlossen unterstützten, kam dieser Entscheid insbesondere dadurch zustande, dass ausnahmslos jedes weibliche Mitglied der kleinen Kammer für Folgegeben votierte.