Jahresrückblick 2024: Institutionen und Volksrechte

Der Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» war geprägt von den Auswirkungen der eidgenössischen Wahlen 2023. Wie stets nach eidgenössischen Wahlen zerpflückte das neu konstituierte Parlament die Legislaturplanung und reichte zahlreiche Vorstösse für eine Reform des Wahlverfahrens ein. Die neue Zusammensetzung brachte allerdings auch neue Mehrheiten bei einigen schon jahrelang diskutierten und bisher erfolglosen Forderungen.

Die Legislaturplanung wird zu Beginn einer neuen Legislatur stets als Möglichkeit für Grundsatzdiskussionen genutzt und die von der Regierung vorgeschlagenen Leitlinien und Massnahmen mit zahlreichen Punkten ergänzt, was alle vier Jahre zu einem eigentlichen Redemarathon führt. Auch 2024 war die Legislaturplanung das Geschäft mit den mit Abstand meisten Wortmeldungen im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte», obwohl das bundesrätliche Planungsinstrument eigentlich nur dazu dient, Prioritäten in der Verwaltung zu setzen und für Kohärenz bei der Gesetzgebungsarbeit zu sorgen, ansonsten aber keine weitreichenderen Folgen hat und deshalb lediglich als einfacher Bundesbeschluss vom Parlament verabschiedet wird (vgl. APS-Analyse der Wortmeldungen).

Nach eidgenössischen Wahlen werden zudem seit einigen Jahren jeweils zahlreiche Vorstösse für Wahlrechtsreformen eingereicht. Auch 2024 bildete hier keine Ausnahme. Gefordert wurden etwa ein eigener Wahlkreis für Auslandschweizerinnen und -schweizer, die Einführung des doppelten Pukelsheim oder Verbote von Listen- und Unterlistenverbindungen. Im Gegensatz zu früheren Jahren könnten einige Forderungen diesmal allerdings zu Änderungen führen, weil sie von den zuständigen Kommissionen beider Räte in eine Gesamtvorlage gegossen und als parlamentarische Initiative weiterverfolgt werden.

Neben diesen direkt mit den eidgenössischen Wahlen in Verbindung stehenden Themen diskutierte das Parlament aber auch über andere Evergreens, etwa über die sogenannte «Vorstossflut». Bisher waren zwar alle Vorschläge für eine Einschränkung der Einreichung von parlamentarischen Initiativen und Vorstössen stets chancenlos geblieben. Auch dies könnte sich ändern, gab der Nationalrat doch 2024 einer parlamentarischen Initiative für eine Limitierung der Anzahl parlamentarischer Initiativen und Vorstösse Folge und überlegte sich, ob er sein Geschäftsreglement ändern und ein Verbot der Einreichung von Vorstössen während Sondersessionen einführen soll.

Erneut nicht einführen wollte das Parlament hingegen mehr Transparenz bei Einkünften aus Nebentätigkeiten von Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Von den Medien stark kritisiert, gab der Ständerat einer entsprechenden parlamentarischen Initiative keine Folge, obwohl seine Kommission vor den eidgenössischen Wahlen 2023 noch positive Signale ausgesendet und Folgegeben empfohlen hatte.

Obwohl beide Räte nach jahrelanger Diskussion 2022 auf die Einführung einer Obergrenze für Abgangsentschädigungen für Topkader in der Bundesverwaltung verzichtet hatten, nahm das Thema 2024 erneut Fahrt auf. Das Parlament gab einer neuen entsprechenden parlamentarischen Initiative Folge – wohl auch, weil in den Medien über einige Fälle von «goldenen Fallschirmen» in der Bundesverwaltung berichtet worden war. Viel Tinte floss insbesondere wegen der Abgangsentschädigung der ehemaligen Chefin der Bundespolizei. In den Medien war denn auch von einer möglichen «Lex della Valle» die Rede.

Dass sich Entscheidungen mitunter ändern, wenn sich das Parlament nach eidgenössischen Wahlen neu zusammensetzt, zeigte auch die ebenfalls viel mediales Echo auslösende Debatte um das Stimmrechtsalter 16. Obwohl die nationalrätliche Kommission von ihrem Rat bereits dreimal dazu aufgefordert worden war, eine Vorlage für die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 16 Jahre auszuarbeiten, forderte sie im Frühjahr 2024 erneut die Abschreibung des Geschäfts. Und in der Tat folgte der neu zusammengesetzte Nationalrat diesmal knapp dem Kommissionsanliegen, was in den Medien mit «Neue Legislatur, neues Glück» (NZZ) kommentiert wurde.

Überdurchschnittlich viele parlamentarische Wortmeldungen im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» provozierte auch die Debatte um den Aufbau einer Swiss Government Cloud (vgl. APS-Analyse der Wortmeldungen). Um eine effiziente Digitalisierung der Bundesverwaltung zu ermöglichen, soll eine hybride Infrastruktur geschaffen werden, die aus bundesinternen, aber auch aus externen Cloud-Diensten besteht und ebenfalls von Kantonen und Gemeinden genutzt werden kann. Eigentlich hätten die Räte lediglich über einen Verpflichtungskredit befinden sollen, die nationalrätliche Finanzkommission wollte allerdings einen Zweckartikel anhängen, dessen Details breit diskutiert und der letztlich von beiden Räten in der Wintersession gutgeheissen wurde.

Auch im Bereich der Rechtsprechung wurden früher verworfene Entscheidungen wieder neu diskutiert. Rezykliert werden sollen Teile der 2020 versenkten Bundesgerichtsgesetz-Revision. Dies kündigte der Bundesrat im Rahmen eines Berichts zu einem Postulat an, das Vorschläge für eine Entlastung des Bundesgerichts forderte. In der damaligen Revision seien zahlreiche, politisch mehrheitsfähige Ideen verpackt gewesen, die man in einen neuen Entwurf packen wolle, so der Bundesrat, der Anfang Dezember eine entsprechende Vernehmlassung startete. Kurzfristige Entlastung für die Bundesgerichte sollten bereits die 2024 von den Räten befristet gutgeheissenen Aufstockungen von Richterinnen- und Richterstellen am Bundesstrafgericht und am Bundesverwaltungsgericht bringen.

Manchmal entwickelt die Mischung aus medial stark beachteten Ereignissen, parlamentarischer Betriebsamkeit und bundesrätlichen Berichten eine ganz eigene Dynamik. So löste eine Recherche in den Medien über möglicherweise gefälschte Unterschriften bei der Sammlung von Initiativen und Referenden nicht weniger als 20 Vorstösse und drei parlamentarische Initiativen aus. Dabei wurden einerseits Regelungen und gar Verbote für bezahltes Sammeln von Unterschriften und andererseits die Einführung von E-Collecting gefordert. Mit einem runden Tisch und dem Vorlegen eines Postulatsberichts zur Einführung von E-Collecting nahm sich der Bundesrat dieses Themas rasch an.

Wie wichtig Unterschriftensammlungen sind, zeigte sich 2024 auch in der rege genutzten Direkten Demokratie, die vor den vier Abstimmungsterminen jeweils Ausschläge in der Zeitungsberichterstattung evozierte (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse). An vier Abstimmungswochenenden wurde insgesamt über je sechs Volksinitiativen und fakultative Referenden abgestimmt. Mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente wurde das insgesamt 26. Volksbegehren in der Geschichte der modernen Schweiz angenommen. Keinen direkten Erfolg an der Urne hatten hingegen die Renteninitiative, die Prämien-Entlastungs-Initiative, die Kostenbremse-Initiative, die Initiative «für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» und die Biodiversitätsinitiative. Von den Referenden waren gar vier erfolgreich: Abgelehnt wurden die Reform der beruflichen Vorsorge, der Ausbau des Autobahnnetzes und zwei Mietrechtsrevisionen (Eigenbedarf und Untermiete). Unterstützung durch die Stimmbevölkerung erfuhren 2024 einzig die beiden Vorlagen zum Stromgesetz und zur einheitlichen Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen.

Dossier: Jahresrückblick 2024