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Bildung, Kultur und Medien
Kultur, Sprache, Kirchen
Institution d'une commission d'experts pour les questions de politique culturelle suisse — Crise au sein de la Société suisse des écrivains — Suppression de la censure cinématographique dans plusieurs cantons — Mesures d'encouragement aux minorités linguistiques — La Conférence des évêques suisses publie les lignes directrices d'un décret sur les mariages mixtes.
Kulturpolitik
In der Kulturpolitik übte der Bund weiterhin grosse Zurückhaltung; das Schwergewicht der Aktivität lag bei Gemeinden und Kantonen. Wohl . konstituierte sich die eidgenössische Expertenkommission für Fragen der schweizerischen Kulturpolitik (Kommission Clottu); von ihrer Tätigkeit drang indessen wenig an die Öffentlichkeit [1]. Durch von den eidgenössischen Räten bewilligte Subventionserhöhungen an Pro Helvetia und an die Stiftung Schweizer Volksbibliothek unterstrich der Bund sein Interesse für kulturelle Belange [2]. Im Frühling konnte dem Publikum ein Legat von Oskar Reinhart an die Eidgenossenschaft zugänglich gemacht werden: die Sammlung am Römerholz, die Meisterwerke europäischer Malerei im Privathaus des Kunstmäzens zeigt [3].
Die Frage nach der Stellung der Kulturschaffenden und nach der Funktion des Theaters in der modernen Gesellschaft rief Diskussionen auf gesamtschweizerischer Ebene hervor. Eine Auseinandersetzung über die Frage, ob sich der einzelne Schriftsteller wie auch seine Organisation politisch engagieren müsse, löste im Schweizerischen Schriftstellerverband eine Krise aus, die zur Demission von 22 Mitgliedern (darunter Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch) führte. Eine Minderheit, welche die Frage bejahte, fühlte sich durch den Verbandspräsidenten wegen seiner aktiven Mitarbeit an der französischen Fassung des Zivilverteidigungsbuchs nicht mehr repräsentiert [4]. Zahlreiche Schwierigkeiten an städtischen Bühnen, insbesondere der zunehmende Besucherschwund, riefen nach einer Besinnung auf die Aufgaben modernen Theaters. Eine Tagung von Sachverständigen im Stapferhaus sprach den Wunsch aus, dass Pro Helvetia die Organisation einer permanenten Theaterkonferenz übernehmen solle [5].
Mit der Inkraftsetzung des revidierten Filmgesetzes war es erstmals möglich, Bundesbeiträge an Spielfilme auszurichten. Dabei gab die Auszeichnung des Films « Krawall » zu einer Kritik im Nationalrat Anlass. Der Bundesrat befürwortete die Förderungswürdigkeit auch von Filmen, die die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zur Diskussion stellen [6]. Vorstösse, die sich mit einer weitergehenden Filmförderung befassten, überwies der Bundesrat der Kommission Clottu zur Prüfung [7]. In der Diskussion um eine Aufhebung der Filmzensur wirkte ein Bundesgerichtsentscheid richtungweisend. Er betraf den Kanton Bern, der zwar keine Filmzensur kennt, in dem jedoch das Obergericht den schwedischen Sexfilm «Ich bin neugierig» aufgrund einer Strafklage verboten hatte; das Bundesgericht gab den beanstandeten Streifen zur Vorführung frei [8]. Der aargauische Regierungsrat hob die Verordnung über die Vorführung von Filmen und damit die Filmzensur formell auf, und die Zürcher stimmten dem neuen Filmgesetz, das als Gegenvorschlag zu einer Initiative gegen die Filmzensur ausgearbeitet worden war, deutlich zu. Der Luzerner Grosse Rat hiess ein neues Lichtspielgesetz, das keine Zensurvorschriften mehr enthält, in erster Lesung gut [9]. Auseinandersetzungen ergaben sich aus dem wachsenden Angebot pornographischer Schriften; behördliche Massnahmen, auch solche des Jugendschutzes, stiessen verschiedentlich auf Ablehnung [10].
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Sprachen
Der in einer Motion geforderten besseren Berücksichtigung der italienischen Sprache in der Bundesversammlung entsprach der Bundesrat mit Antrag auf Änderung des Geschäftsverkehrsgesetzes: für die Promulgation von Gesetzen sollte auch ein italienisches Original vorliegen. Das in der Verfassung verankerte Recht des Parlamentariers auf Gebrauch seiner Muttersprache bei der Gesetzgebung sollte durch die Bereitstellung der Texte in den drei Amtssprachen für jede Session gewährleistet werden. Bisher war der italienische Text nur zu Beginn eines Gesetzgebungsverfahrens vorgelegt worden, ohne dass Textänderungen nachgetragen worden wären. An der faktischen Zweisprachigkeit des Parlaments würde sich jedoch nichts ändern [11].
Zur Förderung sprachlicher Minderheiten wurden weitere Massnahmen getroffen: Eine von der Ligia Romantscha patronierte Dieta Romantscha diskutierte Massnahmen zur Stärkung des Romanischen; sie sollte alle zwei Jahre zusammentreten [12]. Die bemische Kommission, die sich mit der Gründung eines jurassischen Kulturzentrums befasst, machte, nachdem grundlegende Meinungsverschiedenheiten beseitigt werden konnten, erste Vorschläge [13]. Einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben verschiedener Sprachgruppen leistete der Kanton Freiburg mit einer Sprachencharta, die als Basisdokument für ein modernes Sprachenrecht bezeichnet wurde [14]. Einige Kritik erwuchs aus der mit dem Prinzip der Universalität der auswärtigen Beziehungen begründeten Nichtbeteiligung der Schweiz an der Konferenz von Niamey. Obwohl eine Mitgliedschaft in der neugegründeten « Agence de coopération culturelle et technique dans le cadre de la francophonie» abgelehnt wurde, wäre es nach Ansicht des Bundesrates möglich, an einzelnen Aktionen teilzunehmen [15].
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Kirchen
Die Diskussion, ob die Kirchen sich politisch engagieren sollten, wurde durch den Beschluss des Weltkirchenrates angeregt, an Organisationen, die den Rassismus bekämpfen, Beiträge auszurichten [16]. Dass auch die interkonfessionelle Konferenz « Schweiz - Dritte Welt », die während zweier Tagungen ein Konzept schweizerischer Entwicklungspolitik zu erarbeiten versuchte, beschloss, den Weltkirchenrat in seinem Kampf gegen den Rassismus zu unterstützen, stiess in weiten Kreisen auf Ablehnung [17]. Im Herbst veröffentlichte die schweizerische Bischofskonferenz Richtlinien zum Mischehendekret des Papstes, die wegen ihres offenen und ökumenischen Inhalts von der protestantischen Kirche günstig aufgenommen wurden; diese erklärte sich zu weiteren Gesprächen bereit [18]. Die eidgenössischen Räte ermächtigten den Bundesrat, die mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossene Vereinbarung über die Abtrennung der Apostolischen Administratur des Tessins vom Bistum Basel und ihre Umwandlung in ein Bistum zu ratifizieren [19]. Ein Schritt zur Annäherung der Rechtsstellung der fast einen Drittel der Bevölkerung umfassenden katholischen Kirche an die protestantische vollzog der Kanton Waadt. Das neue Katholiken-Statut wurde trotz starker Opposition insbesondere der Sozialdemokraten, die sich gegen die Staatskirche aussprachen, in der Volksabstimmung angenommen [20].
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[1] Vgl. SPJ, 1969, S. 141; Gesch.ber., 1970, S. 43.
[2] Vgl. Gesch.ber., 1970, S. 45 f.; BBI, 1970, II, S. 1611 f.; NZZ, 108, 6.3.70; 172, 15.4.70; 518, 6.11.70; 519, 7.11.70.
[3] Vgl. Lb, 53, 6.3.70; 54, 7.3.70; 55, 9.3.70; JdG, 56, 9.3.70; 61, 14./15.3.70.
[4] Vgl. AZ, 118, 27.5.70; 122, 1.6.70; 124, 3.6.70; Bund, 119, 26.5.70; GdL, 232, 7.10.70; JdG, 115, 21.5.70; 116, 22.5.70; NZ, 229, 25.5.70; 231, 26.5.70; NZZ, 233, 24.5.70; 245, 31.5.70; 478, 14.10.70; Sonntags-Journal, 21, 23./24.5.70.
[5] Vgl. NZZ, 511, 3.11.70. Zu den Krisen an einzelnen Bühnen vgl. Bund, 275, 24.11.70; NZZ, 252, 4.6.70; 254, 5.6.70; 257, 7.6.70; 578, 11.12.70; Vat., 42, 20.2.70; 45, 24.2.70; AZ, 122, 1.6.70; 126, 5.6.70; NBüZ, 109, 15.4.70; 110, 16.4.70; 112, 17.4.70; 114, 20.4.70; 118, 23.4.70. Vgl. auch « Theater im Kanton Zürich », Bericht einer Arbeitsgruppe, die forderte, dass städtische Bühnen in allen Bevölkerungszentren des Kantons spielen sollten (NZN, 147, 27.6.70). Vgl. weiter Bemühungen von zehn Städten um kulturellen Austausch (NZZ, 186, 23.4.70.)
[6] Vgl. Bund, 293, 15.12.70.
[7] Motion Rasser (LdU, AG) und Motion Ziegler (soz., GE) wurden als Postulate vom NR überwiesen; vgl. Verbandl. B.vers., 1970, 1I, S. 32 u. S. 41 f. Der Bundesrat erhöhte den Beitrag an die Schweizerische Filmwochenschau, vgl. NZZ, 58, 5.2.70; 85, 20.2.70.
[8] Vgl. Bund, 109, 13.5.70; 174, 29.7.70; NZZ, 360, 6.8.70; NZ, 372, 16.8.70. Zu einem weiteren Filmverbot in Bern vgl. Bund, 7, 11.1.70; 13, 18.1.70; 19,25.1.70; 23, 29.1.70; Tw, 23, 29.1.70. Vgl. auch Aufhebung des Verbots, den antimilitaristischen Film « Wege zum Ruhm » zu zeigen, durch den Bundesrat, in NZZ, 95, 26.2.70.
[9] Vgl. NZZ, 482, 16.10.70 (AG); 63, 8.2.71 (ZH); 44, 28.1.71 (LU).
[10] Vgl. Lb, 163, 17.7.70; NZ, 474, 15.10.70 (Kritik an Zensurmassnahmen der Bundesanwaltschaft); TdG, 175, 29.7.70; Lib., 256, 8./9.8.70 (Antwort auf kleine Anfrage im Walliser Parlament); NZ, 416, 10.9.70 (Debatte über Pornographie im Berner Grossen Rat); Tat, 78, 4.4.70; NZZ, 463, 6.10.70 (Ablehnung eines Jugendschutzparagraphen im Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch durch den Zürcher Kantonsrat).
[11] Vgl. SPJ, 1969, S. 142. Botschaft des Bundesrates über den italienischen Text der Erlasse in BBl, 1970, II, S. 136 ff.
[12] Vgl. Lb, 264, 12.11.70; NZZ, 527, 12.11.70.
[13] Vgl. Lib., 274, 20./21.6.70; 34, 19.11.70; TdG, 154, 4./5.7.70; NZ, 302, 6.7.70; PS, 245, 26.10.70.
[14] Vgl. Lb, 2, 5.1.70; NZZ, 11, 8.1.70.
[15] Vgl. PS, 14, 2.4.70; TdG, 158, 9.7.70; JdG, 158, 10.7.70; NZZ, 315, 10.7.70; ferner oben, S. 40.
[16] Vgl. NZZ, 413, 6.9.70; Bund, 225, 27.9.70; 260, 6.11.70; 273, 22.11.70; NZ, 483, 20.10.70; 559, 3.12.70.
[17] Vgl. oben, S. 44; Lib., 46, 23.11.70; 48, 25.11.70; JdG, 274, 24.11.70; 275, 25.11.70; Ostschw., 275, 24.11.70; BN, 495, 24.11.70; NZZ, 560, 1.12.70.
[18] Vgl. GdL, 222, 24.9.70; 223, 25.9.70; Lib., 296, 24.9.70; TLM, 268, 25.9.70; TdG, 224, 25.9.70; 261, 7./8.11.70; JdG, 227, 30.9.70; 248, 24./25.10.70; NZN, 223, 24.9.70; NZ, 438, 24.9.70; NZZ, 443, 24.9.70.
[19] Vgl. BBl, 1970, II, S. 998 f.
[20] Vgl. unten, S. 183; GdL, 107, 11.5.70; TLM, 131, 11.5.70; PS, 103, 11.5.70. Zu den konfessionellen Ausnahmeartikeln vgl. oben, S. 16 f.
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