Parteien, Verbände und Interessengruppen
Verbände und übrige Interessenorganisationen
La récession oblige les partenaires sociaux à une collaboration plus suivie — Réserves des associations patronales à propos d'une intervention accrue de l'Etat — L'USAM adhère à l'interventionnisme dans le cadre de la politique conjoncturelle — Tensions persistantes dans l'Union des paysans — Activisme retenu des syndicats; début de la rationalisation des grandes organisations nationales.
Die veränderte wirtschaftliche Lage prägte auch das Verhalten der Verbände. Sie förderte namentlich die
Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern. Diese mochte zwar bedroht erscheinen, als der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) um die Monatswende Februar/März in der ganzen Schweiz Kundgebungen für die Sicherheit der Arbeitsplätze und die Respektierung der Gesamtarbeitsverträge durchführte. Bereits waren jedoch die Unterhändler beider Lager zu einer Einigung in der Frage des Vorgehens bei Betriebsschliessungen und Entlassungen gelangt, so dass die Spitzenverbände — wie wir an anderer Stelle berichtet haben — Ende April eine Vereinbarung unterzeichnen konnten. Ausgangspunkt für die Verhandlungen war die Verabredung über Betriebsschliessungen in der Maschinenindustrie von 1974 gewesen ; auf Verlangen der Gewerkschaften hatte man dann auch konjunkturbedingte Entlassungen einbezogen. Parallel dazu einigten sich der Zentralverband der Arbeitgeberorganisationen und der SGB auf einen raschen Ausbau der Arbeitslosenversicherung, wie ihn der Bundesrat noch im April dem Parlament vorschlug
[1]. Ausdruck einer sozialpartnerschaftlichen Politik war ausserdem eine grundsätzliche Verständigung über die Arbeitszeit. Da die Leitung des SGB einräumte, dass während der Rezession eine weitere Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich nicht in Betracht falle, für eine neue Aufschwungphase jedoch dem Übergang zur 40-Stunden-Woche den Vorzug vor Reallohnerhöhungen gab, erklärte sich der Arbeitgeberverband im November bereit, zu einer schrittweisen Verwirklichung dieses Ziels auf dem Vertragsweg Hand zu bieten
[2],
Die Tragfähigkeit der Sozialpartnerschaft für politische Lösungen war umstritten. Als nachteilig wurde vermerkt, dass sich einerseits die Gewerkschaften radikalisierten, um Mitglieder zu gewinnen und sich gegenüber Konkurrenzorganisationen besser zu profilieren, während es anderseits den Arbeitgeberverbänden sowohl an Geschlossenheit wie an einem Konzept zur Bewältigung des sozialen Wandels fehle
[3]. Optimistisch äusserte sich Prof. Leo Schürmann, der die Institutionalisierung der Sozialpartnerbeziehungen in einem konsultativen Wirtschafts- und Sozialrat befürwortete, um die Verbände, ohne welche Wirtschafts- und Sozialpolitik ohnehin nicht möglich sei, zur Verantwortung heranzuziehen, ein Konzept, das vom Christlichnationalen Gewerkschaftsbund unterstützt wurde
[4]. Prof. W. Schluep, Nachfolger L. Schürmanns im Präsidium der Schweizerischen Kartellkommission, verwies auf die Tendenz zur Bürokratie und Oligarchie in den Grossverbänden und postulierte ein Höchstmass an Mitgestaltungsrecht für die Mitglieder
[5].
Unternehmer
Die Wortführer der
Unternehmerverbände von Industrie und Handel stellten im allgemeinen die Selbsthilfe der Wirtschaft in den Vordergrund, riefen zur Zusammenarbeit der Firmen auf und äusserten Bedenken gegen ein grösseres Engagement des Staates. Der Präsident des Vororts, E. Junod, erklärte Strukturbereinigungen für notwendig und räumte der Inflationsbekämpfung den Vorrang ein. Den Arbeitnehmern wurde verschiedentlich eine verständnisvolle Haltung bescheinigt, der gegenüber eine « Herr-im-Haus »-Politik verfehlt sei ; anderseits wandte man sich gegen eine « systemsprengende » Mitbestimmung und warnte vor einer Überlastung der Unternehmungen durch zusätzliche Sozialleistungen oder durch einen uneingeschränkten Teuerungsausgleich
[6]. In den von der Rezession stark betroffenen Wirtschaftszweigen war allerdings die Neigung zu staatlichen Förderungsmassnahmen grösser
[7]. Um einem gesteigerten Informationsbedürfnis zu entsprechen, stellte sich der Schweizerische Handels- und Industrie-Verein in einer Orientierungsschrift vor
[8]. Nicht nur zurückhaltend, sondern entschieden abwehrend zeigte sich der Präsident der Bankiervereinigung, A. E. Sarasin, gegenüber der Tendenz zu weiteren Staatseingriffen ; er wandte sich namentlich gegen Einschränkungen des Bankgeheimnisses und gegen die Kreditbegrenzung
[9].
Von der abwägend distanzierten Haltung, welche die Spitzenorganisationen von Industrie und Handel gegenüber den Behörden einnahmen
[10], unterschied sich weiterhin die Oppositionspolitik des
Gewerbeverbandes (SGV). Dieser bekämpfte nicht nur den Konjunkturartikel und das Raumplanungsgesetz, sondern entschied sich auch gegen eine Mehrwertsteuer und für die Zurückstellung der beruflichen Altersversicherung
[11]. Als aber das Baugewerbe nach öffentlichen Investitionen zu rufen begann, begnügten sich die Repräsentanten des SGV nicht mehr mit dem Verlangen nach Abbau aller Dämpfungsmassnahmen und nach einer Erweiterung der Geldmenge, sondern verlangten eine globale Stützung der rückläufigen Nachfrage
[12]. Man glaubte allerdings im Juni eine Absetzung der Bauwirtschaft vom SGV erkennen zu können, als deren Verbände eine Dachorganisation gründeten und drei von ihnen dem Bundesrat ein gemeinsames Förderungsprogramm vorlegten, in welchem sie eine kontinuierliche Konjunkturpolitik bejahten. Der Präsident der neuen Organisation, W. Messmer, zugleich Vizepräsident des SGV, wies jedoch eine solche Deutung zurück
[13]. Mit Genugtuung stellte Verbandsdirektor Fischer nach den Wahlen eine Verstärkung der Gewerbevertretung in der Volkskammer fest
[14].
Landwirtschaft
Die Bauernorganisationen hielten sich angesichts der Belastung der Konsumenten durch die Rezession im Vergleich zum Vorjahr etwas zurück. Als sich freilich der
Schweizerische Bauernverband (SBV) im Herbst bereit erklärte, für 1976 auf Preisforderungen zu verzichten, wenn die Löhne nicht weiter anstiegen, opponierten das Schweizerische bäuerliche Aktionskomitee und die mit ihm verbundene Union des producteurs suisses und drohten mit Kampfmassnahmen. Sie warfen dem SBV Abhängigkeit von den Bundesbehörden vor und zogen auch seine Berechnung des landwirtschaftlichen Einkommens in Zweifel. Aus Kreisen der deutschschweizerischen bäuerlichen Komitees wurde aber betont, dass man den SBV nicht spalten, sondern aktivieren wolle ; die Bewegung ist nur lose organisiert und besitzt keine geschlossene Mitgliederschaft. Man verlangte eine Verjüngung der Verbandsleitung und schlug dafür eine Amtszeitbeschränkung vor. Auch der Innerschweizer Bauernbund kritisierte den Dachverband ; er verlangte mehr Härte und eine Verbesserung des Informationswesens
[15].
Arbeitnehmer
Den Arbeitnehmerverbänden brachte die unsichere Beschäftigungslage eine starke Zunahme ihrer Mitgliederbestände
[16]. Der Präsident des
Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), E. Canonica, stellte aber' trotz diesem Wachstum eine Schwächung der Verhandlungskraft der Gewerkschaften infolge der Rezession fest. In der gewerkschaftlichen Aktivität war deutlich eine Spannung zwischen Kämpfertum und Selbstbeschränkung zu erkennen. Allgemein waren die defensiven Forderungen nach 'Sicherung der Arbeitsplätze, vollem Teuerungsausgleich und Respektierung der Gesamtarbeitsverträge ; ihnen galten die grossen Frühjahrskundgebungen, die ersten dieser Art seit 1954. Der Präsident des SGB proklamierte darüber hinaus das Konzept einer « solidarischen Marktwirtschaft », an deren Führung der Staat durch ein konjunkturpolitisches Instrumentarium und die Arbeitnehmer durch die Mitbestimmung beteiligt wären. Radikalere Branchenverbände, insbesondere der Typographenbund (STB) und der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD), drangen ausserdem auf die gesetzliche Einführung der 40-Stunden-Woche und auf die Herabsetzung des AHV-Alters, zwei Postulate, denen Volksinitiativen der Neuen Linken eine gewisse Werbekraft verliehen. Wiederholt wurde auch der Arbeitsfriede in Frage gestellt
[17]. Doch am SGB-Kongress im November setzte sich eine gemässigte Politik durch. Die Initiativen der äussersten Linken wurden abgelehnt, wobei Präsident Canonica ihren Urhebern die Legitimation zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen bestritt. Die 40-Stunden-Woche sollte in Verhandlungen mit den Sozialpartnern angestrebt werden ; für diese erhielt die Verbandsleitung ein Druckmittel in Form einer Vollmacht zur Lancierung einer eigenen Volksinitiative
[18].
Für die 1972 in Aussicht genommene Strukturreform des SGB fasste der Kongress einige Vorentscheide aufgrund der Arbeiten einer Kommission. Anstelle der anfänglich von E. Canonica ins Auge gefassten radikalen Zentralisation beschränkte man sich angesichts der sich regenden Widerstände auf eine gewisse Rationalisierung in bezug auf Presse, Funktion der regionalen Kartelle und Bildungsarbeit. Zugleich soll in den Verbandsorganen die Basis gegenüber den Funktionären verstärkt werden
[19]. Als ehemaliger Gewerkschafter mahnte Bundesrat Ritschard den Kongress, den Verband wieder mehr zur geistigen Heimat der Arbeiter werden zu lassen
[20]. Einer breiteren Öffentlichkeit präsentierte sich der SGB durch eine Orientierungsschrift und eine Ausstellung
[21]. Einen besonderen Akzent setzte der erste Frauenkongress des SGB, dem ein solcher des Metall- und Uhrenarbeitnehmerverbandes (SMUV) vorangegangen war. Im Verband der Arbeitnehmer in Handels-, Transport- und Lebensmittelbetrieben (VHTL) löste P. W. Küng den bisherigen Präsidenten E. Gygax ab
[22].
Einen Teil der vom SGB an die Hand genommenen Strukturreform verwirklichte der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) schon auf den Beginn des Jahres 1975 : durch die Herausgabe einer gemeinsamen Zeitung, der die traditionellen Blätter der beteiligten Branchenverbände als Beilagen angegliedert wurden. Nur das Organ der Bundespersonalverbände des CNG blieb selbständig. Unter den Angestelltenorganisationen publizierte der Kaufmännische Verein (SKV) ein eigenes Programm für die Rezessionsbekämpfung ; zugleich distanzierte er sich von den Gewerkschaften, indem er zur Mitbestimmungsinitiative die Stimme freigab
[23].
[1] Vgl. dazu oben, Teil I, 7a und c (Marché du travail, Assurance-chômage), ferner Bericht über Handel und Industrie der Schweiz in: Jahre 1974 sowie Mitteilungen über die im Vereinsjahr 1974/75 vom Vorort behandelten Geschäfte (abgekürzt : Bericht Vorort), S. 116 f. ; NZZ, 98, 29.4.75 sowie SPJ, 1974, S. 176.
[2] SAZ, 70/1975, S. 801 f. Vgl. oben, Teil I, 8a (Temps de travail).
[3] E.-B. Blümle in Mitteilungen der Vereinigung Christlicher Unternehmer der Schweiz, 27/1975, S. 42 ff.
[4] Vgl. oben, Teil I, 4a (Einleitung), ferner NZ, 372, 29.11.75. CNG : TA (ddp), 218, 20.9.75 ; LNN, 292, 16.12.75.
[5] Bund, 272, 20.11.75. Vgl. auch NZZ, 84, 12.4.75.
[6] Junod : NZZ, 212, 13.9.75. Arbeitnehmer : Zentralverband schweiz. Arbeitgeber-Organisationen, Bericht des Vorstandes, 67/1974, S. 7 ff. ; SAZ, 70/1975, S. 355 ff.; 24 Heures, 149, 30.6.75. Vgl. auch Bericht Vorort, 1974/75, S. 11 ff. ; JdG, 81, 9.4.75 ; 290, 12.12.75 ; NZZ, 104, 7.5.75 ; 212, 13.9.75 ; TG, 147, 27.6.75 ; Bund, 285, 5.12.75, ferner oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[7] Tat, 137, 12.6.75 (Gesamtverband der schweiz. Bekleidungsindustrie) ; NZZ (sda), 208, 9.9.75 (Verein schweiz. Textilindustrieller) ; NZZ, 214, 16.9.75 (Gruppe der schweiz. Bauindustrie) ; NZ (sda), 379, 5.12.75 (Schweiz. Uhrenkammer).
[8] B. Wehrli, Der Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins, (Zürich 1975).
[9] BN, 224, 26.9.75 ; NZZ, 224, 27.9.75. Vgl. oben, Teil I, 4b (Geld- und Kreditpolitik, Banken).
[10] Der Vorort befürwortete den Konjunkturartikel und eine Mehrwertsteuer ; gegenüber dem Raumplanungsgesetz und der beruflichen Altersversicherung hielt er sich zurück (Bericht Vorort, 1974/75, S. 115, 129 f., 135 f. ; NZZ, 159, 12.7.75). Vgl. dazu oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik), 4d (Mehrwertsteuer), 6c (Raumplanung) und 7c (Prévoyance professionnelle).
[11] Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 3, 16.1.75 (Konjunkturartikel) ; 28, 10.7.75 (Mehrwertsteuer) ; 38, 18.9.75 (Raumplanung, berufliche Altersversicherung).
[12] Baugewerbe : NZZ, 74, 1.4.75. SGV : vgl. Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 17, 24.4.75 ; 20, 15.5.75 ; 28, 10.7.75 sowie Amtl. Bull. NR, 1975, S. 708 f.
[13] Die « Schweizerische Bauwirtschaftskonferenz » umfasst sowohl Verbände, die dem SGV, als auch solche, die dem Vorort angeschlossen sind : Bund, 131, 9.6.75 ; TA, 131, 10.6.75 ; NZZ, 132, 11.6.75 ; 134, 13.6.75. Eingabe : Schweiz. Baumeisterverband, Gruppe der Schweiz. Bauindustrie, Verband Schweiz. Generalunternehmer, Die Bauwirtschaft in der Rezession, 1975.
[14] Schweiz. Gewerbe-Zeitung, 45, 6.11.75. NR Fischers Kandidatur war in der Berner FDP erfolglos angefochten worden (Bund, 146, 26.6.75).
[15] Zum Verzicht auf Preisforderungen vgl. oben, Teil I, 4c (Politique des prix), ferner 24 Heures (ats), 248, 25.10.75. Bäuerliche Aktionskomitees : Vat. (sda), 3, 6.1.75 ; Tat, 69, 22.3.75 ; Ww, 12, 26.3.75. Innerschweizer Bauernbund : Vat., 108, 12.5.75.
[16] SGB : Zunahme von 455 235 (Ende 1974) auf 471 562 (Ende 1975) ; ausser der Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) nahmen alle grösseren Branchenverbände zu (gk, 16, 29.4.76). CNG : von 99 785 (1974) auf 106 061 (1975) (Aktiv, 8, 13.4.76).
[17] Verhandlungskraft : Tat, 183, 6.8.75. Kundgebungen : Tw, 34, 11.2.75 ; vgl. oben, Teil I, 7a (Marché du travail) und oben. Solidarische Marktwirtschaft : Gewerkschaftliche Rundschau, 68/1975, S. 351. Radikalere Forderungen : AZ, 220, 20.9.75 (VPOD) ; NZ, 362, 364, 367, 20.-24.11.75 ; vgl. auch Aktiv, 20, 8.10.75 (Christlicher Holz- und Bauarbeiterverband, CHB). Initiativen : vgl. oben, Teil I, 7 (Temps de travail, Assurance-vieillesse et survivants). Arbeitsfriede : Aktiv, 20, 8.10.75 (CHB) ; gk, 34, 23.10.75 (Canonica).
[18] NZ, 363, 364, 367, 21.-24.11.75 ; NZZ, 271-273, 21.-24.11.75 ; gk, 38, 24.11.75 ; Gewerkschaftliche Rundschau, 68/1975, S. 337 ff. Vgl. oben, Verbände.
[19] Zur Strukturreform vgl. Gewerkschaftliche Rundschau, 68/1975, S. 193 ff.
[20] Gewerkschaftliche Rundschau, 69/1976, S. 3 ff.
[21] Orientierungschrift : Die Gewerkschaften in der Schweiz, Bern 1975 (Schriftenreihe des SGB). Ausstellung : Tw, 268, 15.11.75.
[22] Zum SGB-Frauenkongress vgl. oben, Teil I, 7d (Situation de la femme). SMUV : 24 Heures (ats), 252, 7.10.75. VHTL : NZZ, 207, 8.9.75.
[23] CNG : Aktiv, 1, 7.1.75. SKV : Ziele des SKV in der Rezession, Zürich 1975 ; vgl. auch NZZ, 174, 30.7.75 ; Ww, 50, 17.12.75.