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Allgemeine Chronik
Überblick
Die zwei für die Schweiz wohl wichtigsten Ereignisse des politischen Jahres 2002 waren der Uno-Beitritt und die Durchführung der Landesausstellung Expo.02.
Als nahezu letzter Staat der Erde wurde die Schweiz am 10. September in die Vereinten Nationen aufgenommen. Nachdem noch 1986 die Stimmberechtigten einen Beitritt mit überwältigendem Mehr abgelehnt hatten, stimmten sie am 3. März dem Uno-Beitritt zu. Bei einer relativ hohen Beteiligung von 58% fiel der Volksentscheid mit einem Ja-Stimmenanteil von 54,6% recht deutlich aus. Die Klippe des Ständemehrs wurde allerdings mit dem knappsten möglichen Resultat (12:11) gemeistert. Die Volksinitiative, welche den Uno-Beitritt verlangt hatte, war in der Abstimmungskampagne von Regierung und Parlament sowie von allen Parteien ausser der SVP und den kleinen Rechtsaussenparteien unterstützt worden. Im Gegensatz zu 1986 waren sich die FDP und die CVP in ihrer Unterstützung einig. Wohl noch wichtiger als das geschlossene Auftreten dieser beiden Parteien war aber die Haltung der Wirtschaft, welche sich diesmal vorbehaltlos hinter einen Uno-Beitritt stellte und auch einen grossen Teil der Kampagnekosten übernahm.
In Anbetracht der massiven Ablehnung der Volksinitiative für einen EU-Beitritt im Vorjahr und der unverändert negativen Haltung der Stimmberechtigten bei Meinungsumfragen ist eine Integration der Schweiz in die Europäische Union in naher Zukunft nicht zu erwarten. Wichtig ist deshalb die Pflege der bilateralen Beziehungen, um mit dem Abschluss von auf Gegenseitigkeit beruhenden Verträgen Diskriminierungen und andere negative Folgen des schweizerischen Alleingangs zu vermeiden. Die sieben vom Schweizer Volk im Jahr 2000 gutgeheissenen bilateralen Abkommen (unter anderem zu den Bereichen Personenfreizügigkeit, Luftverkehr und Strassengütertransit) traten nach einigen durch das komplexe Ratifikationsverfahren der EU bedingten Verzögerungen im Sommer in Kraft. Die im Vorjahr aufgenommenen Verhandlungen über ein zweites Paket (unter anderem zu den Themen Asylpolitik und polizeilicher Informationsaustausch) kamen aber nur harzig voran. Grund dafür war insbesondere die Forderung der EU nach der Aufhebung des schweizerischen Bankgeheimnisses bei Steuerhinterziehung.
Nachdem das Parlament gegen den Widerstand der SVP, der CVP und der GP einen vierten Nachtragskredit für die Landesausstellung Expo.02 bewilligt hatte, öffnete diese am 15. Mai termingerecht ihre Tore. Sie erzielte einen grossen Publikumserfolg und wurde im In- und Ausland grösstenteils sehr positiv beurteilt. Zu diesem guten Urteil beigetragen hat sicher auch die Qualität der Architektur und ihre gelungene Einbettung in die landschaftlich reizvolle, aber vielen Schweizern wenig bekannte Drei-Seen-Region an der Sprachgrenze zwischen der Deutschschweiz und der Romandie. Kommentatoren in den ausländischen Medien zeigten sich überrascht über die „sinnliche“, „spielerische“ und „phantasievolle“ Landesausstellung, welche ihrer Ansicht nach so wenig den über die Schweiz verbreiteten Clichés entsprach.
Die Verbesserung des Images der Schweiz im Ausland war ein wichtiger Hintergedanke bei der Lancierung der Idee der Schaffung einer Solidaritätsstiftung gewesen. Diese hätte aus einem Teil der Erträge der nicht mehr für die Währungspolitik benötigten Goldreserven der Nationalbank gespiesen werden sollen. Das Konzept war vom Bundesrat 1997 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen der Schweiz und ihrer Wirtschaft einerseits und der US-Regierung und jüdischen Organisationen andererseits über Konten von Holocaustopfern bei schweizerischen Banken ins Spiel gebracht worden. Dieser Konnex mit den zum Teil ungerechtfertigten Vorwürfen und Anschuldigungen gegenüber der Schweiz wirkte sich in der Volksabstimmung vom 22. September negativ aus. Das Volk lehnte den von Bundesrat und Parlament vorgeschlagenen Verteilungsschlüssel für die Erträge der überschüssigen Goldreserven (je ein Drittel für die Solidaritätsstiftung, die AHV und die Kantone) ebenso ab, wie die in Form einer Volksinitiative von der SVP vertretene Auffassung, diese Gelder seien vollumfänglich an die AHV zu übertragen.
Zu den wenigen vom Parlament im Berichtsjahr verabschiedeten umfassenden Reformen gehört die Armeereform (Armee XXI). Sie beinhaltet ein teilweises Abrücken von der traditionellen Leitlinie der Territorialverteidigung mit einem Massenheer. Angestrebt werden flexiblere Verbände und an neue Einsatzmöglichkeiten und -doktrinen angepasste Dienstzeiten (z.B. Zeitsoldaten). Definitiv ist dieser Parlamentsbeschluss allerdings noch nicht, da einige Offiziere, welche am bisherigen Konzept festhalten möchten, dagegen das Referendum ergriffen haben.
Die im Sommer 2001 eingeläutete konjunkturelle Talfahrt setzte sich im Berichtsjahr uneingeschränkt fort. Das Wirtschaftswachstum lag unter der Einprozent-Marke und die Arbeitslosenquote stieg erstmals seit 1999 wieder auf über 3%. Das Rezept der Linken, die Beschäftigungslage mit einer Reduktion der Arbeitszeit zu verbessern, vermochte die Stimmbürgerinnen und -bürger aber nicht zu überzeugen. Ihre während der Wirtschaftskrise der 90er Jahre lancierte Volksinitiative für die 36-Stunden-Woche erlitt in der Volksabstimmung eine deutliche Abfuhr. Erfolgreicher waren die SP und die Gewerkschaften in ihrem Kampf gegen die Liberalisierung und Globalisierung der Wirtschaft. In einer von ihnen mit einem Referendum verlangten Volksabstimmung lehnten die Stimmenden eine neue, liberalere Marktordnung für den Elektrizitätssektor ab. Dabei reichte die Front der Opposition bis weit ins bürgerliche Lager hinein: am deutlichsten abgelehnt wurde die Deregulierung des Elektrizitätsmarktes nicht etwa von den Anhängern der politischen Linken, sondern von den Sympathisanten der SVP.
Die anhaltend schlechte Wirtschaftslage und vor allem die Einbrüche auf den Aktienmärkten wirkten sich sofort auf die öffentlichen Finanzen aus, indem die Steuereinnahmen deutlich unter den Erwartungen blieben. Die Staatsrechnung des Bundes für das Jahr 2002 schloss mit einem Fehlbetrag von 3,3 Mia Fr. ab, und auch für das kommende Jahr musste ein Defizit budgetiert werden. Die schlechten Finanzprognosen waren mit ein Grund, weshalb sich die beiden Parlamentskammern im Berichtsjahr noch nicht über das Steuererleichterungspaket für Familien, KMU und Hauseigentümer einigen konnten. Ebenfalls unter dem Vorzeichen der knappen Finanzmittel stand die Diskussion über die 11. AHV-Revision, wo der Ständerat die von der grossen Kammer beschlossene Subventionierung der Frühpensionierung für Personen mit niedrigem Einkommen ablehnte. Auf besserem Weg befindet sich hingegen die Neuauflage der Mutterschaftsversicherung, welcher der Nationalrat zustimmte. Mit ihrem Ja zur Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch und der gleichzeitigen Ablehnung einer Volksinitiative für ein nahezu absolutes Abtreibungsverbot beendeten die Stimmberechtigten nicht nur eine lange, sehr emotional geführte Debatte, sondern auch einen unbefriedigenden Rechtszustand, welcher zu einer stark divergierenden Praxis in den Kantonen (von der Fristenlösung bis zum Verbot) geführt hatte.
Laufend neue Probleme ergeben sich in der Asylpolitik. Entsprechend häufig sind denn auch Revisionen der gesetzlichen Rahmenbedingungen erforderlich. Im Berichtsjahr beantragte der Bundesrat dem Parlament eine weitere Gesetzesanpassung, welche unter anderem die Fluggesellschaften, welche Personen ohne ausreichende Abklärung ihrer Reisedokumente transportieren, stärker in die Pflicht nehmen will. Dass der Unmut in der Bevölkerung über die Zustände im Asylbereich recht gross ist, zeigte die Volksabstimmung über die Initiative der SVP „gegen den Asylrechtsmissbrauch“, welche nur knapp verworfen wurde.
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