Grundlagen der Staatsordnung
Föderativer Aufbau
Der Nationalrat gewährleistete das neue Schwyzer Wahlrecht nicht. – Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) feierte ihr 20-jähriges Bestehen. – Der Nationale Finanzausgleich wird immer stärker kritisiert und zahlreiche Änderungsvorschläge stehen zur Debatte. – Die Zahl der Gemeinden erreichte erneut einen Tiefststand, der Trend zu Gemeindefusionen hielt unvermindert an. – Die Fusionsinitiativen in den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt kamen zustande, die Diskussionen darüber verliefen eher leidenschaftslos. – Der Berner Jura und der Kanton Jura starten kein Verfahren über eine mögliche Fusion: In der Volksabstimmung wurde der Vorschlag zwar vom Kanton Jura angenommen, vom französischsprachigen Gebiet des Kantons Bern aber verworfen.
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen
Nachdem 2012 bereits die Kantone Genf, Jura, Wallis, Tessin, Bern und Basel-Stadt eine Stelle für ein
Kantonslobbying geschaffen hatten, richtete im Berichtsjahr auch der Kanton Luzern einen entsprechenden, der kantonalen Verwaltung unterstellten Posten ein. Durch systematische Informationsbeschaffung, Identifikation von Schlüsselgeschäften für den Kanton, Aufbereitung dieser Informationen für die kantonalen Behörden sowie dem Aufbau und der Pflege von Netzwerken in Bundesbern erhoffte sich der Innerschweizer Kanton zusätzliche Kompetenzen und Einflussnahme
[1].
Die Staatspolitische Kommission des Ständerats hatte noch Ende 2012 beschlossen, die Vorschläge eines Berichtes der „Arbeitsgruppe Bund-Kantone“ im Rahmen einer eigenen parlamentarischen Initiative ausarbeiten zu wollen, um die
Mitwirkung der Kantone im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zu verbessern. Insbesondere hätte die Idee einer zwingenden Anhörung der Kantone in den jeweiligen Parlamentskommissionen bei Entscheidungen mit erheblichen Auswirkungen auf die Gliedstaaten geprüft werden sollen. Die nationalrätliche Schwesterkommission wollte jedoch mit 11 zu 6 Stimmen bei 5 Enthaltungen nicht auf die Initiative eingehen. Die Kantone hätten ohnehin bereits grossen Einfluss auf die Gesetzgebung und das anerkannte Problem der Vollzugstauglichkeit könne nicht mit neuen Regeln gelöst werden
[2].
Nachdem im Vorjahr zwei parlamentarische Vorstösse mit der Idee, ein
Mitspracherecht der Kantone bei der Frage nach der geologischen Tiefenlagerung wieder einzuführen, gescheitert waren, ereilte eine Standesinitiative des Kantons Nidwalden das gleiche Schicksal. Der Ständerat hatte in der Frühjahrssession den Nidwaldner Antrag mit 21:16 Stimmen knapp abgelehnt, die grosse Kammer hiess ihn hingegen gegen die Kommissionsmehrheit im Herbst mit 111: 68 Stimmen gut. In der Zwischenzeit hatte auch der Kanton Schaffhausen einen Vorstoss eingereicht, mit dem ebenfalls eine Änderung des Kernenergiegesetzes verlangt wird, damit einem Kanton oder einer Region nicht gegen ihren Willen ein Tiefenlager aufgezwungen werden kann. Der Ständerat hielt noch in der Wintersession 2013 an seinem abschlägigen Entscheid fest und erteilte gleichzeitig auch dem neuen Schaffhauser Anliegen eine Abfuhr – in beiden Fällen mit 23: 17 Stimmen
[3].
In einem jährlichen Monitoring soll aufgezeigt werden, wie sich der Schweizer Föderalismus entwickelt. Der von den Kantonen finanzierte, von der CH-Stiftung verfasste und Mitte 2013 erschienene Bericht „Föderalismus 2012“ beurteilte die
Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen grundsätzlich positiv. Bemängelt wurde aber der bisweilen zu kurzfristige Einbezug in aussenpolitische Entscheide, etwa bei der Ventilklausel. Auch bei den Stromverhandlungen mit der EU seien die Kantone zu wenig gut in die Beratungen einbezogen worden. Zudem stellte der Bericht einen generell zunehmenden Zentralisierungsdruck fest, der sich in parlamentarischen Vorstössen, in der Medienberichterstattung aber auch in lancierten Volksinitiativen manifestiere. In einem gemeinsamen Positionspapier forderten Parlamentarier der IPK (Innerparlamentarische Konferenz der Nordwestschweiz aus den Kantonen BL, BS, BE, SO, AG) eine Grundsatzdiskussion über die ideale Aufgabenverteilung. Sie fürchteten eher zunehmende Lastenabwälzungen vom Bund auf die Kantone, die zu verhindern seien. Für eine weitere Aufgabenentflechtung im Sinne eines „NFA 2“ machte sich Mitte Mai Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf stark
[4].
Die totalrevidierte Verfassung des Kantons Schwyz bzw. die darin enthaltene Wahlrechtsreform hatte bereits 2012 zu einigen Diskussionen bei der sonst in der Regel in den Räten kaum debattierten
Gewährleistung kantonaler Verfassungen geführt. Der Bundesrat hatte, gestützt auf einen Bundesgerichtsentscheid, der das neue Wahlrecht des Kantons Schwyz als verfassungswidrig beurteilte, beantragt, das neue Proporzwahlverfahren aufgrund des hohen natürlichen Quorums in den Einerwahlkreisen nicht zu gewährleisten. Der Ständerat widersetzte sich Ende 2012 dieser Empfehlung und stimmte knapp einem Minderheitsantrag auf vollständige Gewährleistung der neuen Verfassung des Kantons Schwyz zu. Das Geschäft kam in der Frühjahrssession in den Nationalrat. Auch dort kam es zu einer ausführlichen Debatte, in der sich wie im Ständerat zwei Argumentationsmuster gegenüberstanden: Eine vorwiegend bürgerliche Seite setzte sich für eine direktdemokratisch legitimierte Kantonsautonomie ein. Die andere Seite – die geschlossenen SP, GP und GLP-Fraktionen, die Hälfte der FDP Liberale Fraktion, einige Abweichler von CVP und FDP sowie Heinz Brand (GR) als einziger Abweichler der SVP – betonte, dass der Nationalrat einen Verfassungsauftrag habe und quasi eine justiziale Verantwortung übernehmen müsse, wenn eine kantonale Verfassung nicht bundesrechtkonform sei. Weil die Stimme eines Wahlberechtigten im Kanton Schwyz nicht überall ein ähnliches Gewicht habe, verletze die neue Schwyzer Verfassung Bundesrecht. Mit 94 zu 92 Stimmen bei drei Enthaltungen folgte die grosse Kammer äusserst knapp dem Vorschlag des Bundesrates und gewährleistete die Verfassung des Kantons Schwyz mit Ausnahme des neuen Wahlrechts (Paragraf 48, Absatz 3). Im Ständerat wurde anschliessend und ebenfalls noch in der Frühjahrssession nur noch über den umstrittenen Paragrafen debattiert. Die kleine Kammer beharrte mit 24 zu 18 Stimmen bei einer Enthaltung auf ihrem positiven Entscheid, mit dem auch das neue Wahlrecht gewährleistet werden sollte. In der Debatte wurde auch darauf verwiesen, dass man die Nationalratswahlen, die ja ebenfalls in Einerwahlkreisen mit Quasi-Majorz durchgeführt würden, auch nicht moniere, und dass dies eine über hundertjährige Praxis darstelle. Weil allerdings auch der Nationalrat, diesmal mit 100 zu 91 Stimmen, erneut auf seinem wenige Tage zuvor gefällten Entscheid beharrte, wurde Paragraf 48 Absatz 3 der neuen Schwyzer Kantonsverfassung nicht gewährleistet. Konkret bedeutete dies, dass der Kanton Schwyz ein neues Wahlgesetz ausarbeiten muss. Bis Ende Jahr lagen hierfür nicht weniger als zehn verschiedene Vorschläge vor. Der abschlägige Entscheid des Nationalrats verhinderte zwar einen Konflikt zwischen nationaler Legislative und Judikative, löste aber in der Innerschweiz grosse Empörung aus. In den Kantonen Zug, in dem ebenfalls eine Reform des Wahlrechts anstand, und Graubünden, wo das in juristischen Kreisen ebenfalls umstrittene, reine Majorzverfahren gilt, wurde sogar laut über eine Standesinitiative nachgedacht, die eine Änderung der Bundesverfassung fordert, damit sich der Bund und das Bundesgericht nicht mehr in kantonale Angelegenheiten einmischen können. Allerdings nahm die Zuger Bevölkerung entgegen der Empfehlung der bürgerlichen Parteien Ende September das bundesrechtskonforme Doppelproporzverfahren an (so genannter doppelter Pukelsheim). Dieselbe Entscheidung fiel auch im Kanton Nidwalden. Die bisher als Formsache geltende Gewährleistung kantonaler Verfassungsänderungen dürfte auch in Zukunft zu reden geben, da im Berichtsjahr in einzelnen Kantonen verfassungsrechtlich heikle Initiativen angenommen wurden – so etwa das Burkaverbot im Kanton Tessin oder die Einbürgerungsinitiative im Kanton Bern (vgl. dazu auch Kapitel 1c)
[5].
Mit dem Familienartikel kollidierte zum neunten Mal bei einer eidgenössischen Abstimmung das Volksmehr mit dem
Ständemehr, d.h. obwohl die Mehrheit der Stimmenden die Verfassungsänderung gutgeheissen hätte, kam sie aufgrund einer Mehrheit von ablehnenden Kantonen nicht zustande (zum Inhalt der Vorlage vgl. Kapitel 7d). Zu den Verlierern zählten dabei zum wiederholten Male die französischsprachigen und bevölkerungsstarken Kantone (ZH, BE, BL, GE, VD). Die anschliessend einsetzenden Diskussionen über mögliche Reformen des Ständemehrs brachten keine neuen Ideen. Vorschläge für neue Mehrheitsregeln, die proportionale Verteilungen der Standesstimmen, vorgebracht von Nationalrat Roger Nordmann (sp, VD) und der vom Berner Stadtpräsidenten, Alexander Tschäppät (sp), und dem ehemaligen Stadtpräsidenten von Zürich, Elmar Ledergerber (sp), ins Spiel gebrachte Vorschlag spezieller Gewichtungen und Einbezug von urbanen Zentren, wurden schon seit einigen Jahren breit diskutiert. Bereits im Februar hatten die Vorsteher der Städte Zürich und Basel – Corine Mauch (sp) und Guy Morin (gp) – einen Ständeratssitz für die Städte gefordert. Die Diskussionen verstummten zwar relativ rasch wieder, im Parlament wurde aber eine Ende Berichtsjahr noch hängige parlamentarische Initiative Nordmann (sp, VD) eingereicht, die eine bessere Ausbalancierung des Ständemehrs fordert
[6].
Der Walliser Regierungsrat Jean-Michel Cina (VS, cvp) wurde an der Plenumsveranstaltung der
Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) zu deren Präsident gewählt. Das Amt wird jeweils für vier Jahre vergeben. Cina löst per 1. Januar 2014 Pascal Broulis (VD, fdp) ab. Am 8. Oktober feierte die 1993 gegründete KdK ihr 20-jähriges Bestehen. Sie dient als wichtiges Koordinationsgremium der Kantone, mit dem kantonale Interessen auf Bundesebene vereint vertreten werden sollen. Einer der Hauptgründe ihrer Schaffung war das EWR-Nein, das auch deutlich machte, wie stark die nationale Europa-Politik die Kompetenz der Kantone beeinflusst. Die KdK dient seither den kantonalen Regierungen als Plattform für Meinungsaustausch und Interessenbündelung, um in Verhandlungen mit dem Bund mit einer Stimme sprechen zu können. Die Konferenz gilt mittlerweile als wichtige Akteurin, wobei umstritten ist, wie stark der Einfluss der Kantone auf Bundesebene tatsächlich ist. Die kontinuierlich zunehmende Zahl an interkantonalen Konkordaten könne zwar Doppelspurigkeiten verhindern und sei ein Zeichen von Professionalisierung der kantonalen Politik. Gleichzeitig werden dieser zusätzlichen Staatssphäre allerdings auch mangelnde Transparenz und fehlende demokratische Legitimation vorgeworfen. Die drohende Nationalisierung der kantonalen Gesetzgebung bedrohe zudem letztlich auch den Föderalismus in Form von kantonaler Autonomie und lebendiger Differenz
[7].
Der neue
Nationale
Finanzausgleich (NFA), in Kraft seit 2007, gilt als wichtiges Instrument für einen funktionierenden Föderalismus. Er setzt sich zusammen aus dem Ressourcenausgleich, dem Lastenausgleich und dem Härteausgleich. Die Anfang Juli präsentierten provisorischen Zahlen für 2014, die Ende Oktober offizialisiert wurden, zeigten keine Veränderungen hinsichtlich der Namen der Geber- und Nehmerkantone. Wie schon im Berichtjahr werden die Kantone Zürich, Zug, Genf, Schwyz, Basel-Stadt, Waadt, Nidwalden, Basel-Landschaft und Schaffhausen mehr in den Finanzausgleich einzahlen, als dass sie daraus erhalten. Der Kanton Zürich wird mit CHF 367 Mio. rund 16 Mio. weniger bezahlen müssen als 2013. Pro Kopf bezahlt allerdings der Kanton Zug mit CHF 2 500 auch 2014 wieder am meisten. Die 17 restlichen Kantone wurden erneut als Nettoempfänger ausgewiesen, wobei der Kanton Bern mit CHF 1,23 Mrd. den höchsten Beitrag erhalten wird, rund CHF 68 Mio. mehr als 2013. Relativ zur Bevölkerungszahl erhalten 2014 allerdings die Kantone Uri, Jura, Glarus, Wallis und Freiburg noch mehr Geld als der Kanton Bern. Weil sich die Unterschiede zwischen den Nettozahlern und den Nettoempfängern in den letzten Jahren leicht akzentuiert hatten, monierten die Geberkantone auch 2013 das System. Die schwierige budgetäre Situation – praktisch alle Kantone mussten Defizite von insgesamt rund CHF 765 Mio. budgetieren – befeuerte die Debatte zusätzlich. Neu war, dass sich die Geberkantone unter der Führung der Zürcher Finanzdirektorin Ursula Gut (fdp) in ihrem Protest zu koordinieren begannen. Sie kritisierten die Nehmerkantone teilweise harsch, betonten, dass sie mit ihrer Solidarität langsam am Ende seien, reichten ein Manifest mit sechs zentralen Forderungen für nötige Reformen ein und schalteten eine Webseite unter dem Titel „fairer NFA“ auf. Verlangt wurde unter anderem die Abschaffung der Solidarhaftung oder die Einrichtung einer neutralen Zone bzw. die Hilfe für lediglich sehr schwache Kantone. Zusätzlichen Zündstoff erhielt die Diskussion durch die Debatte über die falsch bezahlten Krankenkassenprämien (vgl. Kapitel 7c). So drohte etwa der Kanton Genf – Nettozahler und Kanton mit zu viel bezahlten Krankenkassenprämien – offen mit einem Boykott des NFA, falls die Prämien nicht zurückerstattet würden. Vor der Diskussion um die Transferzahlungen trat jedoch häufig in den Hintergrund, dass der Hauptzahler im Finanzausgleich der Bund selber ist. Mit CHF 3,2 Mrd. kommt er für rund zwei Drittel der Zahlungen auf. Am Horizont zeichnete sich zudem die aufgrund des Drucks aus der EU mutmassliche Abschaffung der kantonalen Steuerprivilegien für Spezialgesellschaften ab, was voraussichtlich zu neuen Kompensationen im Finanzausgleich führen wird (vgl. auch die Diskussion zur Unternehmenssteuerreform III im Kapitel 5)
[8].
Auch 2013 gab es wie bereits in den Vorjahren einige Vorstösse, die auf eine
Änderung der Organisation des Finanzausgleichs zielten. Die im Vorjahr vom Ständerat abgelehnte Schwyzer Standesinitiative wurde 2013 vom Nationalrat sistiert, bis der für Frühling 2014 erwartete zweite Wirksamkeitsbericht zum NFA vorliegt. Der Schwyzer Vorschlag sieht eine neutrale Zone vor: Ressourcenschwache, aber über genügend Eigenmittel verfügende Kantone, sollten keine Gelder erhalten. Für die Interessen der Geberkantone und vor allem für eine verbesserte Wirksamkeit des NFA will sich auch eine Ende 2013 eingereichte Standesinitiative des Kantons Nidwalden einsetzen. Eine noch nicht behandelte Motion Pezzatti (fdp, ZG) verlangt Mindestanforderungen für den Erhalt von NFA-Geldern und den Zwang der Empfängerkantone zu einem rigideren Finanzhaushalt. Der Bundesrat empfiehlt die Motion zur Ablehnung. Der NFA könne nur funktionieren, wenn die Mittel ohne Zweckbindung ausgerichtet würden. Die kantonale Finanzpolitik müsse autonom bleiben. Zwei bereits 2011 eingereichte Motionen Carobbio (sp, TI) und Fluri (fdp, SO) wurden im Berichtsjahr abgeschrieben. Erstere hätte eine progressive Gestaltung der Ausgleichsbeiträge der ressourcenstarken Kantone verlangt während zweitere die Städte in die Evaluation des NFA einbeziehen wollte. Zwei Ende 2012 bzw. im März 2013 eingereichte Motionen Gössi (fdp, SZ) und Aeschi (svp, ZG), die unter anderem eine Neuberechnung des Ressourcenindex unter Berücksichtigung der tatsächlichen Ressourcenstärke (z.B. unter Berücksichtigung von Einnahmequellen, Bundessubventionen und Lebenskosten) verlangen, wurden 2013 hingegen noch nicht behandelt. Ende Jahr räumte der Bund Fehlanreize beim NFA ein, die mit dem neuen Wirksamkeitsbericht im Frühjahr 2014 erörtert werden würden. Geprüft werde insbesondere die Solidarhaftung
[9].
Mitte Mai wurde der Zuger Finanzdirektor Peter Hegglin (cvp) als Nachfolger von Christian Wanner (SO, fdp) zum Präsidenten der
Finanzdirektorenkonferenz (FDK) gewählt. Mit Hegglin steht neu ein Vertreter eines reichen NFA-Geberkantons an der Spitze des Gremiums. Er wolle sich für einen fairen Finanzausgleich einsetzen, gab Hegglin zu Protokoll. Der Zuger Magistrat war 2012 als starker Kritiker des grössten Empfängerkantons Bern aufgefallen: Die Angestellten gingen im Hauptstadtkanton mit 63 in Pension, was die anderen Kantone berappen müssten. Der vielfach kritisierte Kanton Bern selber verwies auf den Umstand, dass er zwar in absoluten Zahlen am meisten vom NFA profitiere, pro Kopf aber nur an sechster Stelle liege (siehe oben). Zudem lud die Finanzdirektorin des Kantons Bern, Beatrice Simon (bdp), die Finanzdirektoren zweier potenter Geberkantone – Peter Hegglin (ZG) und Kaspar Michel (SZ) – nach Bern ein, um sie für die Strukturprobleme des Hauptstadtkantons zu sensibilisieren
[10].
Die eidgenössische Finanzverwaltung erstellte auf Anfrage der NZZ am Sonntag eine Liste, die Aufschluss über die von den Kantonen erhaltenen
Subventionen gab und eine interessante Ergänzung zur Diskussion rund um den Finanzausgleich bot. Rund CHF 35 Mrd. schüttete die öffentliche Hand im Jahr 2012 an die Kantone aus, etwa für Strassen, Universitäten, Landwirtschaftsbetriebe oder Lawinenverbauungen. Als grösster Nutzniesser zeigte sich dabei der Kanton Graubünden, in den im Jahr 2011 pro Kopf CHF 3 183 flossen. Auf den Plätzen zwei und drei folgten die Kantone Uri (CHF 2 659 pro Kopf) und Jura (CHF 2 562 pro Kopf). Relativ gesehen am wenigsten Subventionen erhielten die Kantone Aargau (CHF 817 pro Kopf) und Basel-Landschaft (CHF 908 pro Kopf)
[11].
Mit der seit 2000 in Kraft getretenen neuen Bundesverfassung war auch ein
Städte- und Gemeindeartikel eingeführt worden. In Artikel 50 BV wurde nicht nur die Gemeindeautonomie verankert, sondern der Bund wird verpflichtet, bei seinem Handeln Auswirkungen auf die Gemeinden zu beachten und Rücksicht auf die besondere Situation der Städte, Agglomerationen und Berggebiete zu nehmen. Zwei identische, vom Bundesrat zur Annahme beantragte Postulate Germann (svp, SH) und Fluri (fdp, SO) verlangen eine Evaluation zur Wirkung dieses Artikels. Die Vorstösse wurden in der Wintersession 2013 von der betreffenden Kammer überwiesen
[12].
Der Trend zu immer weniger Gemeinden hielt auch 2013 weiter an. Im Berichtjahr verringerte sich die Anzahl Gemeinden vor allem durch
Gemeindefusionen von 2408 auf 2352. Die Zahl von 56 Gemeinden, die damit von der Landkarte verschwanden, war leicht höher als der seit dem Jahr 2000 (2899 Gemeinden) verzeichnete Schnitt von minus 40 Gemeinden pro Jahr. In diesen dreizehn Jahren hat sich der Bestand der Gemeinden also um 19% verringert. Der Trend zu Gemeindefusionen hat sich in den letzten 20 Jahren deutlich verstärkt. 1860 wies die Schweiz noch 3146 Gemeinden auf. Die Tendenz dürfte auch in Zukunft anhalten: Eine von der Gewerkschaft VPOD lancierte Volksinitiative im Kanton Tessin fordert etwa die Reduktion der Anzahl Gemeinden im Südkanton von 135 auf 11. Eine Reformkommission im Kanton Wallis, die die kantonale Verfassung revidieren soll, schlug die Halbierung der Gemeindezahl von 135 auf 40 bis 60 Gemeinden vor. Im Kanton Graubünden wurde eine von einer Allianz aus linken Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden lancierte Initiative zurückgezogen, die eine Reduktion der mehr als 150 Gemeinden auf 50 gefordert hätte. Grund für den Rückzug seien die zahlreichen im Kanton bereits angestossenen Reformen, die in die erwünschte Richtung gingen. Das im Nationalrat schon 2012 eingereichte Postulat Lehmann (cvp, BS), welches einen Bericht über mögliche Gemeindefusionen über Kantonsgrenzen hinweg fordert, ist noch hängig. Der Bundesrat, der das Postulat zur Ablehnung empfiehlt, machte geltend, dass eine entsprechende nationale Regelung einen Eingriff in die Kantonsautonomie darstellen würde und die wichtigsten Hindernisse für Gemeindezusammenschlüsse zudem nicht rechtlicher Natur seien, sondern emotionale und politische Elemente beträfen, wie etwa Heimatgefühl oder Steuerhoheit. In der öffentlichen Debatte wurden Gemeindefusionen als mögliche Lösung für die mit zunehmendem Desinteresse an lokaler Politik einhergehende, wachsende Schwierigkeit, Gemeindeämter zu besetzen, vorgeschlagen
[13].
Der
Städteverband, der die Interessen der Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern verbandlich organisiert, wählte Ende August mit Nationalrat Kurt Fluri (fdp, SO) einen neuen Präsidenten. Fluri ist Stadtpräsident von Solothurn und löste den bisherigen Marcel Guignard (fdp), den scheidenden Stadtpräsidenten von Aarau ab, welcher den Verband während acht Jahren präsidiert hatte. Die Wahl Fluris versprach nicht nur eine bessere Vernetzung auf Bundesebene, sondern der Verband erhoffte sich auch, dass die Anliegen der Städte in der nationalen Politik stärker vertreten werden
[14].
Territorialfragen
Kantonsfusionen haben zwar in der Schweiz einen schweren Stand – 1969 war eine Volksabstimmung für eine Fusion beider Basel und 2002 für eine Fusion der Kantone Waadt und Genf mit grosser Mehrheit abgelehnt worden – blieben aber auch 2013 Medienthema. So wurden etwa weiterhin die Idee eines Kantons Zentralschweiz oder im Rahmen der Jurafrage (siehe unten) das Gebilde eines Kantons Nordwestschweiz (Arc jurassien) diskutiert. Auch im Rahmen der 500-Jahr-Feiern der beiden Appenzell war eine Wiedervereinigung Thema zumindest abstrakt-theoretischer Erörterungen. Insbesondere die Fusionsbemühungen von Basel-Stadt und Basel-Landschaft waren aber handfester und bereits 2012 durch die Lancierung von Fusionsinitiativen in beiden Gliedstaaten angestossen worden. Ende März des Berichtjahrs wurden die Initiativen mit 4 171 (BL) bzw. 3 621 Unterschriften (BS) eingereicht. Im Kanton Basel-Landschaft wären 1 500 und im Kanton Basel-Stadt 3 000 Unterschriften nötig; beide Unterschriftszahlen wurden aufgrund der ursprünglichen Euphorie nicht als Glanzresultate gewertet. Die Abstimmung dürfte voraussichtlich im Jahr 2014 stattfinden. Bei einem Ja würde ein Verfassungsrat eingesetzt, der dann die Rahmenbedingungen ausarbeiten würde, die in einen anschliessenden Zusammenschluss führen sollen. Die Debatte verlief im Berichtjahr eher verworren und ziemlich leidenschaftslos. Gewarnt wurde vor einer Spaltung der Bevölkerung in der Frage und vor grossem administrativem Mehraufwand. Kritisiert wurde zudem, dass keine Vorstudien zur Verfügung stünden, mit denen z.B. die Kostenfolgen einer Fusion abgeschätzt werden könnten. Eine Simulationsstudie war von beiden Kantonsregierungen noch 2012 abgelehnt worden; eine private Initiative durch den Verein „Regio Basilensis“ für eine ebensolche Evaluation scheiterte an fehlenden Finanzen. Gleichzeitig mit den Fusions-Initiativen wurde auch über drei von alt-Nationalrat Hans-Rudolf Gysin (fdp, BL) angekündigte Initiativen diskutiert, mit denen eine verstärkte überkantonale Zusammenarbeit, die Aufwertung beider Basel zu einem Stand bzw. die Kombination dieser beiden Forderungen durchgesetzt werden sollen. Gysin verstand seine Begehren als Gegenvorschläge zur Fusionsinitiative, die er im Falle von echten Gegenvorschlägen auch wieder zurückziehe. Allerdings schob Gysin die angekündigte Einreichung der Initiativen immer wieder hinaus, was ihm den Vorwurf der Verschleppung des Fusionsprozesses einbrachte und für reichlich Verwirrung sorgte. Ende August empfahl die Regierung des Kantons Basel-Landschaft die Fusions-Initiative schliesslich mit 3:2 Stimmen (Reber, gp und Wüthrich, sp sprachen sich dafür aus) zur Ablehnung, nachdem sie kurz über einen von Gegnern wie Befürwortern eher kritisch betrachteten und überraschenden Gegenvorschlag nachgedacht, diese Idee aber als zu kompliziert wieder verworfen hatte. Man wolle lieber auf eine vertiefte Partnerschaft setzen. Diese Entscheidung, die aufgrund der verbreiteten Fusionsskepsis im Kanton Basel-Landschaft nicht wirklich überraschte, wurde von den Fusionsbefürwortern und den meisten Parteien im Kanton Basel-Stadt mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Ein Ja wäre als Signal für einen Prozess interpretiert worden, mit dem auch die zukünftige Zusammenarbeit beider Basel hätte diskutiert werden können. Mitte September beauftragte der Grosse Rat des Stadtkantons die Regierung mit 73 zu 1 Stimmen bei einer Enthaltung deutlich, einen Bericht zur Fusionsinitiative auszuarbeiten. Die Regierung selber machte keinen Hehl daraus, dass sie das Begehren unterstützte. Auf eidgenössischer Ebene wurde ein Ende 2012 eingereichtes, vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlenes Postulat Lehmann (cvp, BS), das von der Regierung eine Studie fordert, mit der Vor- und Nachteile von Gebietsreformen aufgezeigt werden, im Plenum noch nicht behandelt
[15].
Im Berichtjahr stand die 2012 von der Assemblé Interjurassienne (AIJ), der 1994 gegründeten Tripartiten Konferenz bestehend aus den Kantonen Jura und Bern und einer Vertretung des Bundes, vorgeschlagene erneute Juraabstimmung an. Konkret ging es um die Frage, ob ein Verfahren, das in die Gründung eines neuen Kantons mündet, der das Gebiet des heutigen Kantons Jura und des französischsprachigen Teils des Kantons Bern – den Berner Jura – umfasst, eingeleitet werden sollte. Mitte 2012 bereiteten die Regierungen der beiden betroffenen Kantone die entsprechenden Verfassungsänderungen vor – die Absichtserklärung der beiden Kantone war noch im Februar 2012 unterzeichnet worden. Im Kanton Bern war dabei die Idee des vorgesehenen zweistufigen Verfahrens umstritten. Nach einer ersten kantonalen (Jura) bzw. gesamtregionalen Abstimmung (Berner Jura) sollten die Gemeinden innert zweier Jahre eine kommunale Abstimmung durchführen können, mit der sie abhängig vom Ausgang der Gesamtabstimmung über einen Verbleib beim Kanton Bern oder einen Wechsel zum Kanton Jura entscheiden können. Noch Ende 2012 hatte die SVP des Kantons Bern im Grossen Rat eine Motion eingereicht, mit der dieser zweite Schritt verhindert werden sollte. Die Motionäre argumentierten, dass die Gefahr eines Flickenteppichs bestünde und die Initiative für eine erneute Abstimmung zur Jurafrage gar nicht von der Bernjurassischen Bevölkerung eingereicht worden sei, sondern von oben oktroyiert würde. Die Jurafrage sei schon lange geklärt und eine Abstimmung deshalb eine unnötige Zwängerei. Die Motion war zwar mit Hilfe der BDP und der EDU noch in der Wintersession letzten Jahres angenommen worden, die Jura-Delegation des Grossen Rates – aufgrund eines Sonderstatuts haben die französischsprachigen Parlamentarier ein Vetorecht – hatte aber einen Rückkommensantrag eingelegt, so dass Ende Januar 2013 erneut darüber befunden werden musste. Eine Annahme des Vorstosses hätte Neuverhandlungen zwischen den involvierten Kantonen bedingt. Diesmal wurde die Motion allerdings mit 78 zu 74 Stimmen knapp zurückgewiesen. Die Gegner sahen es als undemokratisch an, wenn die Bernjurassier nicht selber über ihre Zukunft entscheiden könnten. Die Änderung des Gesetzes zum Sonderstatut des Berner Juras, die die Grundlage für die Juraabstimmung auf Berner Seite schuf, wurde anschliessend mit 94 zu 51 Stimmen bei 8 Enthaltungen angenommen. Im Jurassischen Parlament passierte der Verfassungsartikel 139 als Grundlage für die Juraabstimmung im Nordkanton zwei Tage nach dem Berner Entscheid einstimmig und ohne Enthaltungen. Damit war der Weg frei für einen gemeinsamen Urnengang, der auf den 24. November angesetzt wurde.
Im Kanton Jura befürworteten alle Parteien mit Ausnahme der SVP einen Zusammenschluss, im Berner Jura standen vor allem autonomistische Gruppierungen für einen Kantonswechsels ein. Die Berner Kantonalparteien waren hingegen – mit Ausnahme der PSA, die für eine Fusion eintrat und den Grünen, die Stimmfreigabe beschlossen – alle für einen Verbleib der französischsprachigen Region beim Kanton Bern. Der Conseil du Jura Bernois (CJB), das Bernjurassische Regionalparlament mit Kompetenzen in Kultur- und Bildungsfragen, sprach sich Ende Juni mit 15:9 Stimmen für einen Verbleib beim Kanton Bern aus. Die Regierungen empfahlen jeweils ein Ja (Jura) bzw. ein Nein (Bern). Die in der Jurafrage seit jeher stark engagierten und in der Wahl der Mittel häufig unzimperlichen Béliers und Sangliers – erstere streben einen Grosskanton Jura an, letztere wollen den Verbleib des Berner Juras beim Kanton Bern – störten den Dialog kaum. Sie weigerten sich allerdings auch, die Charta der AIJ zu unterzeichnen (siehe unten). Eine im September vom Handels- und Industrieverein Bern durchgeführte Umfrage kam zum Schluss, dass rund drei Viertel der Gewerbetreibenden im Berner Jura den Verbleib im Kanton Bern bevorzugten. Die wichtigsten Argumente für den Anstoss eines Fusionsprozess war das politische Gewicht, welches der Berner Jura gewinnen könnte. Während der Kanton Jura von je zwei französischsprachigen National- und Ständeräten vertreten sei, werde die französischsprachige Bevölkerung des Kantons Bern durch deutschsprachige Parlamentarier beim Bund vertreten. Umstritten war, wo der Berner Jura wirtschaftlich besser aufgehoben sei. Im Kanton Jura waren seit 2000 mehr Firmen und Arbeitsplätze geschaffen worden als im Berner Jura, die Arbeitslosigkeit und die Steuerbelastung waren aber im Norden höher als im Süden. Die Staatsschulden pro Kopf lagen mit CHF -101 im Kanton Jura tiefer als im Kanton Bern (CHF -197), die wirtschaftliche Attraktivität des Kantons Bern wurde aber als höher eingeschätzt als jene des Kantons Jura. Während die Bevölkerungszahl im Kanton Jura in den letzten Jahren zunahm (Mitte 2013 wohnten rund 71 000 Personen im Kanton Jura), stagnierte das Bevölkerungswachstum im Berner Jura (52 000 Einwohner; 5.3% der Gesamtbevölkerung von Bern). Vor allem im Kanton Jura wurde zudem betont, dass ein Ja leidglich einen Prozess für einen allfälligen neuen Kanton anstosse. Ein solcher Prozess könne auch eine grosse Chance für ein modernes Kantonsgebilde sein. Die Gegner wiesen auf die Bedeutung der Region als Sprachbrücke hin. Der Kanton Bern habe in der gesamten Schweiz mit dem französischsprachigen Norden eine zentrale kulturelle und politische Brückenfunktion inne, die mit einem Ja am 24. November verloren ginge. Die Gegner warnten zudem vor der Idee eines Warmlaufens. Ein Ja im November wäre nicht bloss eine Einleitung für einen möglichen Fusionsprozess, sondern eine entscheidende Weichenstellung. Ein Nein könnte zudem die Stärkung der Autonomierechte in der Region nach sich ziehen.
Die im Spätfrühling langsam einsetzende Abstimmungskampagne verlief – anders als noch in den 1970er Jahren – auffallend sachlich. Ein Umstand der auch von der AIJ, die ihrerseits mit einer Charta für politischen Anstand warb, lobend hervorgehoben wurde. Im März war das finanzielle Engagement der beiden Kantonsregierungen ein Medienthema. Beide Exekutiven wollten sich nach den Grundsätzen der Objektivität, Transparenz und Verhältnismässigkeit für den Verbleib des Berner Juras beim Kanton Bern bzw. für einen Fusionsprozess engagieren und vor allem ihre Informationspflicht wahrnehmen. Eine Finanzierung von Abstimmungskampagnen käme nicht in Frage. Das Jurassische Pro-Komitee „construire ensemble“ gab – nach einigem Wirbel – gar eine Spende von der so genannten Wiedervereinigungsstiftung zurück. Die Stiftung hatte Ende der 80er Jahre Geld vom Kanton Jura erhalten. Die Sensibilität des Themas hat historische Wurzeln: Aus den so genannten Schwarzen Kassen hatte die Berner Regierung bei den 1970er-Plebisziten heimlich probernische Gruppierungen finanziert, was in den 1980er Jahren zum Berner Finanzskandal führte. Die Geschichte wurde auch im Berichtjahr wieder breit diskutiert. Bereits im Juni 2013 durchgeführte, erste Umfragen liessen darauf schliessen, dass die Meinungen früh gemacht waren. Es zeichnete sich ein relativ deutliches Nein im Berner Jura und ein ebenso deutliches Ja im Kanton Jura ab. Mitte Juli verschärfte sich der Ton ein wenig. Die SVP, die junge SVP und die Sangliers machten mit provokativen Plakaten auf sich aufmerksam („non à la mafia, non au Jura“), mit denen auch Behördenmitglieder aus dem Kanton Jura diffamiert wurden; so wurde etwa Elisabeth Baume-Schneider (sp) als Hexe karikiert, die dem Berner Jura einen vergifteten Apfel überreicht. Derweil luden die Béliers ein, via Facebook Ideen für Artikel für eine neue Verfassung zu entwerfen. Im September versprach der Bund für die Abstimmung 15 unabhängige Beobachter zu entsenden, die den fairen Verlauf des Urnengangs sicherstellen sollten. Ende September veranstaltete eine Gruppe von Antiseparatisten einen Umzug auf den Pierre Pertuis, einen Pass zwischen Tavannes und Sonceboz. Trotz emotionalen und markigen Aufrufen – etwa zu „totaler Mobilisation“ – blieb die Situation friedlich. Im Kanton Jura bemühten sich die Spitzen der Politik, für ein Ja zu werben. Der Abstimmungskampf blieb aber dennoch lau; die Jurassierinnen und Jurassier schienen sich gar nicht sonderlich für die Frage zu interessieren. Eine Mitte Oktober veröffentlichte Studie zeigte anhand von Abstimmungsresultaten zu eidgenössischen Abstimmungen, dass der Berner Jura im Stimmverhalten grössere Ähnlichkeit mit dem Kanton Jura als mit dem restlichen Kanton Bern zeigt. Allerdings wurden dabei auch thematische und vor allem kommunale Nuancen sichtbar. Die grösste Übereinstimmung zeigte sich wenig überraschend in Moutier. Für etwas Wirbel sorgte eine Mitte Oktober an alle Haushalte im Berner Jura verschickte Broschüre von „construire ensemble“, in der mit einem finanziellen Gewinn für den Berner Jura geworben wurde, der sich bei einer Fusion dank höherer Zahlungen aus dem Finanzausgleich einstellen würde. Auch die Béliers machten auf sich aufmerksam, indem sie regionale Einrichtungen symbolisch mit Ketten verschlossen, um darauf hinzuweisen, dass diese vom Kanton Bern zu wenig unterstützt würden. Für einiges Aufsehen sorgte zudem die in einem Interview mit Le Temps Anfang September gemachte Aussage der Freiburger Regierungsrätin Isabelle Chassot (cvp), die ein Zusammengehen empfahl. Dies hatte – nach einer Interpellation im Berner Grossrat – gar einen interkantonalen Briefwechsel auf Regierungsebene zur Folge. Zwei weitere rund einen Monat vor der Abstimmung durchgeführte Umfragen bestätigten die Trends vom Juni: Einem massiven Ja im Kanton Jura (rund 70 bis 75%) stand ein allerdings nicht mehr so deutliches Nein (rund 55 bis 60%) im Berner Jura gegenüber. Darüber hinaus liess sich eine sehr knappe Entscheidung im Städtchen Moutier absehen. Die Umfrageprognosen bestätigten sich am Abstimmungssonntag vom 24. November. Allerdings war das Nein im Berner Jura wesentlich massiver als erwartet: 71,8% der Bernjurassier verwarfen die Fusionspläne. Die Stimmbeteiligung lag bei hohen 72,7%. Noch deutlicher war das Resultat im Kanton Jura, wo sich 76,6% der teilnehmenden Stimmberechtigten – die Beteiligung lag hier bei 64,2% – für einen Fusionsprozess aussprachen. Alle Jurassischen Gemeinden wiesen Ja-Mehrheiten auf. Die Enttäuschung auf Jura-Seite und die Freude auf Berner Seite waren gross. Damit war die Jurafrage, wie von vielen gewünscht, allerdings nicht vom Tisch, da sich Moutier mit 55% Ja-Stimmenanteil für einen Fusionsprozess aussprach und sich in der Nachbargemeinde Belprahon ein Patt ergab: je 110 Stimmberechtigte stimmten für bzw. gegen den Prozess. Dadurch haben beide Gemeinden die Möglichkeit, eine kommunale Abstimmung zu organisieren, mit der über eine gemeindeweise Fusion mit dem Kanton Jura entschieden werden soll. Das genaue Verfahren war allerdings noch offen. Am Abend der Abstimmung kam es zwar vereinzelt zu Provokationen der Pro-Berner in Moutier, insgesamt wurde der Abstimmungsprozess aber sowohl von den Abstimmungsbeobachtern des Bundes als auch in der internationalen Presse als vorbildlich bezeichnet. Das deutliche Nein warf bereits seine Schatten auf die im März 2014 anstehenden Kantonalberner Gesamterneuerungswahlen voraus. Allgemein wird erwartet, dass die Regierungsratswahlen aufgrund des Jura-Sitzes entschieden werden. Der Berner Jura hat dank seines Autonomiestatus einen garantierten Regierungssitz
[16].
Der Conseil du Jura Bernois (CJB), ein mit dem Sonderstatut gebildetes, gewähltes Bernjurassisches Regionalparlament mit Kompetenzen in Kultur- und Bildungsfragen reagierte Anfang Berichtjahr auf den Umstand, dass seit den nationalen Wahlen 2011 kein Vertreter des Berner Juras mehr im Bundesparlament sitzt. Damals war Jean-Pierre Graber (svp) abgewählt worden. Der CJB forderte die Kantonalparteien auf, Kandidierende aus dem Berner Jura für die nationalen Wahlen 2015 doppelt auf die Wahllisten zu setzen. Das Berner Kantonsparlament hatte noch 2012 eine Standesinitiative eingereicht, die eine
Sitzgarantie für sprachliche Minderheiten mehrsprachiger Kantone verlangt. Der Nationalrat gab der Initiative in der Herbstsession keine Folge und auch die Staatspolitische Kommission des Ständerats empfahl das Begehren zur Ablehnung (vgl. auch Kapitel 1c)
[17].
Weiterführende Literatur
Alt, Denis, Dezentralität, Föderalismus und Wachstum: eine international vergleichende Analyse, Frankfurt a.M. 2013
Dlabac, Oliver, Demokratische Optionen, demokratische Herausforderungen: vergleichende Analyse der Schweizer Kantone, Baden-Baden 2013.
Jacot-Descombes, Caroline, A la croisée des modèles du fédéralisme fiscal et coopératif : les résultats des réformes de répartition des tâches cantons-communes en Suisse, Lausanne 2013.
Rühli, Lukas, Irrgarten Finanzausgleich: Wege zu mehr Effizienz bei der interkommunalen Solidarität, Zürich 2013.
Schweizerischer Städteverband, Sichere Schweizer Städte 2025: Gefährdungen, Strategien, Handlungsoptionen, Bern 2013.
Thränhardt, Dietrich, Immigration and federalism in Europe: federal, state and local regulatory competencies in Austria, Belgium, Germany, Italy, Russia, Spain and Switzerland, Osnabrück 2013.
Willener, Rahel, Erfolgreiches legislatives Lobbying in der Schweiz: zentrale Methoden und Faktoren, Bern 2013.
Bühlmann, Marc / Caroni, Flavia, Similis simili gaudet. Die politische Kultur des Berner Juras im Vergleich mit dem Kanton Jura und dem Kanton Bern, Bern 2013.
Chouleur, Stéphanie, Les fêtes du peuple jurassien : films amateurs et séparatistes (1949-1982), Lausanne 2013.
Galliker, Hans-Rudolf, Wege zum neuen Glarnerland. Die Glarner Gemeindestrukturreform aus historischer und juristischer Sicht, Glarus 2013.
Jaquet, Sabine, Identité, projet, changement: des représentations sociales aux leviers de l'action publique : pour un mode de gouvernance axé sur le développement territorial : étude de cas: Canton du Jura (Suisse), Lausanne 2013.
Nussbaumer, Jean-François et al., Jura et Jura bernois...: aviation civile et militaire, guerre aérienne 1900-2012, Delémont 2013.
Schaub, Hans, Schuldig geboren: eine Familiensaga aus dem Jura, Zürich 2013.
[1]
NLZ, 8.6.13;
NZZ, 4.10.13.
[2] Pa.Iv. 12.486; Medienmitteilung SPK-N vom 22.2.13; vgl. Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe Bund-Kantone zuhanden des Föderalistischen Dialogs vom 16.3.2012;
NZZ, 25.2.13.
[3] St.Iv. 12.319 (Nidwalden):
AB SR, 2013, S. 257 ff., 1054 ff.;
AB NR, 2013, 1403 ff.;
NWZ, 28.2.13; St.Iv. 13.302 (Schaffhausen):
AB SR, 2013, S. 1054 ff.
[4]
BaZ, 26.1.13;
NZZ, 17.5.13; Bericht:
NZZ, 21.7.13;
BaZ und
NZZ, 30.7.13;
BLZ und
BZ, 26.10.13;
Bund, 28.10.13.
[5] BRG 12.070:
AB NR, 2013, S. 187 ff. und 342 ff.;
AB SR, 2013, S. 176 ff.;
BBl. 2013, S. 3621; weitere, im Berichtsjahr nicht umstrittene Gewährleistungen: BRG 12.077 (GL, AI, AG, TG, VD, NE, GE); BGR 12.094 (SO, BL, AI, GR, AG); BRG 13.047 (UR, SO, BL, GR, AG, NE, GE); BRG 13.089 (GE);
NZZ, 11.3., 12.3., 15.3., 16.3., 19.3., 30.3., 6.4., 3.5., 4.9., 23.9., 14.10. und 30.11.13.
[6] Pa.Iv. 13.417:
SO, 10.2.13;
BaZ,
NLZ,
NZZ, 6.3.13;
WW, 7.3.13;
NZZ, 10.3.13;
BaZ, 18.3.13;
Exp, 16.5.13; zur 2012 von Pfister (cvp, ZG) geäusserten Idee einer fallweisen Ausserkraftsetzung des Ständemehrs vgl.
SPJ 2010, S. 75.
[7] Medienmitteilung KdK vom 13.12.13;
BZ,
NZZ und
TG, 4.10.13;
NZZ, 6.10. und 16.12.13.
[8]
NZZ, 17.1. und 18.1.13;
NLZ, 26.1.13; Presse vom 3.7.13;
LT, 2.9.13;
NZZ, 9.10.13; Presse vom 31.10.13;
NZZ, 14.11.13;
SGT, 20.12.13.
[9] St.Iv. 11.320 (Schwyz):
AB NR, 2013, S. 1740; Mo 13.3170 (Pezzatti); Mo. 11.3262 (Carobbio); Mo. 11.3504 (Fluri); Mo.12.3890 (Gössi); Mo. 13.3095 (Aeschi ); vgl.
SPJ 2012, S. 74;
SGT, 23.3.13;
NZZ, 23.4.13;
NLZ, 15.5.13;
NZZ, 17.5.13;
NLZ, 25.5.13;
NZZ, 19.12.13;
LZ, 27.12.13;
SGT und
LZ, 28.12.13.
[10]
TA, 23.3.13;
NLZ, 15.5.13;
NZZ, 17.5.13; Presse vom 25.5.13; NZZ, 4.7.13; AZ, 5.7.13.
[11]
NZZS, 1.12.13; Presse vom 2.12.13;
BaZ, 3.12.13;
SN, 19.12.13.
[12] Po. 13.3835 (Germann):
AB SR, 2013, S. 1143 f.; Po. 13.3820 (Fluri):
AB NR, 2013, S. 2208.
[13] Po. 12.3203;
NZZ, 5.6.13 (TI);
NZZ, 3.9.13 (VS);
NZZ, 24.4. und 22.5.13 (GR);
SGT, 18.3.13;
BZ, 13.4. und 22.4.13;
AZ, 30.10.13;
NZZ, 12.12.13; vgl.
SPJ 2012, S. 74 f.
[14]
NZZ, 30.8.13; vgl. SPJ 2012, S. 75.
[15] Po. 12.4182 (Lehmann);
BaZ, 7.1.13;
BLZ, 22.1.13;
BLZ, 24.2.13;
BaZ, 9.2., 20.2.13;
NZZ und
TA, 22.3.13; Presse vom 23.3.13;
LT, 9.4.13;
BaZ, 28.5., 26.6.13;
BaZ und
BLZ, 27.6.13;
TA, 2.7.13;
NZZ, 25.7.13;
BLZ, 2.8.13;
BaZ, 8.8. und 10.8.13;
NZZ, 22.8.13; Presse vom 28.8.13;
BaZ, 5.9.13;
BaZ und
BLZ, 12.9.13;
BaZ, 25.9., 4.10.13;
NZZ und
TZ, 26.10.13;
BLZ, 4.12.13;
BaZ, 30.12.13; vgl.
SPJ 2012, S. 75 f.
[16]
LT, 8.1.13;
QJ, 15.1. und 17.1.13;
NZZ, 18.1.13; Presse vom 29.1. und 31.1.13;
QJ, 7.2.13;
BZ, 28.2.13;
QJ, 16.3. und 21.3.13;
Bund und
QJ, 13.4.13;
Bund, 16.4.13;
QJ, 22.4.;
LT und
QJ, 24.4.13;
QJ, 16.5.13; Presse vom 18.5.13;
NZZ und
QJ, 5.6.13;
BZ, 11.6.13; Presse vom 12.6.13;
QJ, 26.6.13; Presse vom 28.6., 2.7. und 9.7.13;
BZ, 14.8.13;
Bund, 2.9.13; Presse vom 3.9.13;
QJ, 5.9.13;
LT, 9.9.13;
NZZ, 10.9.13; Presse vom 12.9. und 13.9.13;
Bund, 24.9., 30.9.13;
BZ und
QJ 10.10.13;
Lib. 15.10.13;
QJ, 17.10.13;
BaZ, 18.10.13;
QJ, 22.10.13;
NZZ, 23.10.13;
Bund und
BZ, 24.10.13; Presse vom 26.10.13;
NZZ und
QJ, 28.10.13; Presse vom 30.10.13;
NZZ, 2.11.13; Presse vom 5. und 6.11.13;
LT, 9.11.13;
CdT, 12.11.13;
QJ, 14.11.13;
LT, 15.11.13;
NZZ, 20.11.13; Presse vom 25. und 26.11.13;
NZZ, 28.11.13;
QJ, 4.12.13;
BZ, 5.12.13;
QJ, 7.12. und 24.12.13; das Postulat 12.4256 (Joder), das vom Bundesrat die Überprüfung des Verfahrens für die Juraabstimmung verlangte, wurde im Berichtjahr noch nicht behandelt (
SPJ 2012, S. 77;
Bund 9.2.13);
Lit. Bühlmann/Caroni.
[17] Kt.Iv. 12.314 (Bern):
AB NR, 2013, S. 1402 f.;
Bund und
NZZ, 10.1.13;
QJ, 4.5.13;
BZ, 17.9.13.