Teilrevision des Asylgesetzes (BRG 02.060)

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Seit seinem Amtsantritt hatte der Direktor des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF), Jean-Daniel Gerber, immer wieder die Frage in den Raum gestellt, warum im Flüchtlingsbereich nicht stärker nach dem Bonus-Malus-Prinzip gearbeitet werde. Die Arbeitsgruppe „Finanzierung Asylwesen“, in welcher Bund und Kantone gleichermassen vertreten sind, nahm diese Anregung auf und stellte in einem Bericht neue Massnahmen im Asylbereich vor, die zu einer Teilrevision des Asylgesetzes führen sollen. Mit finanziellen Anreizen will man das Verhalten der Asylsuchenden beeinflussen und die Behörden dazu bringen, Ausschaffungen rascher zu vollziehen. Eine Arbeitserlaubnis soll nur noch erhalten, wer seine Identität dokumentiert darlegt oder durch glaubwürdige Angaben die nötigen Voraussetzungen schafft, um die entsprechenden Papiere zu erhalten. Zudem schlug die Arbeitsgruppe vor, den nicht mit den Behörden kooperierenden Asylsuchenden den Bezug einer eigenen Wohnung oder die Unterbringung bei Verwandten zu verweigern. Für Asylbewerber, die sich trotz abgelehntem Gesuch hartnäckig weigern, bei der Beibringung von Ausweispapieren zu helfen, um sich so der Ausschaffung zu entziehen, soll die Sozialhilfe auf ein Minimum reduziert werden. Die Kantone sollen allerdings auch verstärkt in die Pflicht genommen werden. Zögert ein Kanton mit der Ausschaffung, muss er die Fürsorgekosten, die ihm im Normalfall vom Bund über eine Globalpauschale entschädigt werden, selber tragen. Im Bereich der Sozialversicherungen wurde vorgeschlagen, dass Asylbewerber, die nicht arbeiten können oder dürfen, keine Beiträge mehr an AHV und IV leisten müssen, dafür aber auch später keinen Anspruch auf Leistungen haben. Um dies zu realisieren, müssten die Sozialversicherungsabkommen mit der Türkei und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens geändert werden. Die Arbeitsgruppe erwog zudem, Asylbewerber vom Obligatorium in der Krankenversicherung auszunehmen und die medizinischen Leistungen auf akute Erkrankungen zu beschränken.

Mitte Juni präsentierte Bundesrätin Metzler den Vernehmlassungsentwurf für eine neuerliche Revision der Asylgesetzgebung. Inhaltlich wich er nur in unwesentlichen Punkten von den im Vorjahr zur Diskussion gestellten Vorschlägen ab. Im Vordergrund steht eine konsequente Drittstaatenregelung: Wenn sich ein Asylbewerber vor seiner Ankunft in der Schweiz einige Zeit in einem aus menschenrechtlicher Sicht „sicheren“ Staat (in erster Linie einem westeuropäischen Land) aufgehalten hat und dorthin zur Beantragung von Asyl zurückkehren kann, soll auf sein Gesuch in der Regel nicht mehr eingetreten werden. Bei der Präsentation bemühte sich Metzler, die Lösung des Bundesrates gegen die ähnlichlautende hängige Volksinitiative der SVP („gegen Asylrechtsmissbrauch“) abzugrenzen, die verlangt, dass jeder Aufenthalt in einem Drittland automatisch zu einem Ausschluss aus dem Asylverfahren führt. Als zweite zentrale Massnahme ist ein neues Finanzierungssystem für die Sozialhilfe geplant, mit dem Kosten eingespart werden sollen. Durch die heute geltende Pauschalabgeltung profitieren jene Kantone, die viele Asylbewerber haben und diese knapp halten, weshalb sie wenig daran interessiert sind, abgewiesene Personen rasch wegzuweisen. Neu sollen die Kantone Globalpauschalen für die Aufwendungen im Asylbereich erhalten, die zum Teil an eine Leistungskomponente gekoppelt sind: damit die Pauschalen ausgerichtet werden, müssen gewisse „asyl- und sozialpolitische Ziele“ erreicht werden.Im Gegenzug zu diesen Verschärfungen will der Bundesrat eine einheitliche Aufenthaltsregelung für die sogenannten Härtefälle schaffen: Personen, deren Asylverfahren ohne eigenes Verschulden nach sechs Jahren nicht abgeschlossen ist, die sich deswegen in einer schweren persönlichen Notlage befinden und nicht kriminell wurden, sowie Personen, deren Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat sechs Jahre seit Anordnung der vorläufigen Aufnahme nicht erfolgen kann, sollen neu den Anspruch auf eine Jahresbewilligung erhalten. Seinen früheren Vorschlag auf Ausweitung des Arbeitsverbotes verfolgte der Bundesrat nicht weiter, da sich gezeigt hatte, dass damit enorme Mehrkosten verbunden sind und die Arbeitsmigration nicht effizient eingedämmt werden kann. Hingegen nahm er sein altes Anliegen wieder auf, die Asylbewerber und vorläufig Aufgenommenen aus dem für den Risikoausgleich der Krankenkassen massgebenden Bestand auszunehmen und die Kantone zu ermächtigen, die Krankenversicherung sowie die freie Arzt- und Spitalwahl dieses Personenkreises auf HMO- und andere Sparmodelle einzuschränken.

Die Stellungnahmen der Parteien und Interessengruppen zu diesen Vorschlägen zeigten die bekannte Polarisierung in Asylfragen. Der SP und den Hilfswerken ging die Drittstaatenregelung zu weit; sie wollten an der bisherigen Praxis festhalten, wonach ein maximal dreiwöchiger Aufenthalt in einem Transitland nicht als Ausschlussgrund gilt. Die CVP stimmte der Neuregelung explizit zu, die FDP durch Stillschweigen ebenfalls. Die SVP bezeichnete sie als halbherzig und beharrte auf den Forderungen ihrer Volksinitiative, wonach auch Asylsuchende, die in keinem Transitland ein Gesuch stellen können, vom Verfahren ausgeschlossen und damit höchstens vorläufig aufgenommen werden. Bezüglich der pauschalen Abgeltung der kantonalen Fürsorgeleistungen durch den Bund lagen die Positionen näher beieinander, doch wurden Fragen der Umsetzung kontrovers beurteilt. Breit opponiert wurde von bürgerlicher Seite den neuen Ansprüchen auf Aufenthaltsrechte. Widerstand kam hier auch von den Kantonen, die für eine allfällige Sozialhilfe an Jahresaufenthalter aufzukommen hätten.

Die mit der Asylgesetzrevision vorgesehene Ausgliederung der Asylbewerber und vorläufig Aufgenommenen aus dem Risikoausgleich der Krankenkassen war in den Vorjahren im Parlament gescheitert. Im Berichtsjahr wurde eine Motion Raggenbass (cvp, TG), welche die medizinischen Leistungen für diesen Personenkreis einschränken und Karenzfristen einführen wollte, abgelehnt; gutgeheissen wurde eine Motion Borer (svp, SO), die verlangte, deren Krankenversicherung sei zulasten des BFF zu verselbständigen. Ebenfalls mit dem Hinweis auf die laufende Revision beantragte der Bundesrat erfolgreich die Umwandlung einer Motion Aeppli (sp, ZH), die Leistungsvereinbarungen mit den Kantonen für die Betreuung der Asylbewerber forderte, in ein Postulat.

Eine im Vorjahr vom Nationalrat angenommene Motion Borer (svp, SO), die eine gesonderte Krankenversicherung für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene verlangt hatte, wurde vom Ständerat lediglich als Postulat angenommen.

Im September leitete der Bundesrat dem Parlament seinen Entwurf für die Revision des Asylgesetzes zu. Zentrales Element ist die sogenannte Drittstaatenregelung. Grundsätzlich soll auf Gesuche von Asylsuchenden, die sich vor der Einreise in die Schweiz in einem sicheren Drittstaat aufgehalten haben und dorthin zurückkehren können, gar nicht eingetreten werden. Eine Ausnahme soll nur für Asylsuchende gemacht werden, die enge Familienangehörige in der Schweiz haben. Die von Experten als völkerrechtswidrig kritisierte bloss 24-stündige Beschwerdefrist im beschleunigten Asylverfahren und an den Flughäfen soll auf fünf Arbeitstage ausgedehnt werden. Als weitere wichtige Neuerung will die Regierung einen besonderen Rechtsstatus für vorläufig aufgenommene Bürgerkriegsflüchtlinge und Härtefälle einführen. Erscheint deren Wegweisung nach abschlägig beantwortetem Asylgesuch auf lange Sicht unzumutbar oder völkerrechtlich unzulässig, soll es künftig eine „integrative Aufnahme“ geben. Der neue Status gewährt den Betroffenen einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt und stellt sie in Bezug auf den Familiennachzug Ausländern mit einer Aufenthaltsbewilligung grundsätzlich gleich. Zudem erhalten sie Unterstützung beim Erlernen einer Landessprache und eines Berufes. Ursprünglich hatte der Bundesrat vorgesehen, ihnen nach sechs Jahren eine reguläre Aufenthaltsbewilligung zu gewähren, doch hatten sich die Kantone quergestellt, weil sie damit für die Fürsorgekosten zuständig geworden wären. Um Druck auf die Kantone auszuüben, Wegweisungen von abgewiesenen Asylbewerbern konsequent zu vollziehen, erhalten die Kantone künftig vom Bund nur noch Globalpauschalen für die von den Asylsuchenden verursachten Fürsorgekosten. Nach einem Wegweisungsentscheid will der Bund die Kantone nur noch für eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer entschädigen; bleibt der Abgewiesene länger, muss der Kanton für die Kosten aufkommen. Bei der Präsentation der Botschaft bestritt Bundesrätin Metzler jeglichen Zusammenhang mit der abstimmungsreifen SVP-Initiative; dennoch wiesen fast alle Medien und Kommentatoren auf Parallelen hin.

Um ein kohärenteres Vorgehen sicherzustellen, beschloss die Staatspolitische Kommission des Nationalrats, das neue Ausländergesetz (AuG), auf das sie bereits im Vorjahr eingetreten war, und die Revision des Asylgesetzes parallel zu behandeln, also nicht wie ursprünglich vorgesehen zuerst das AuG zu bereinigen, um sich erst nachher der Asylgesetzrevision zuzuwenden. Dieses Vorziehen des Asylgesetzes wurde als Folge der SVP-Asylinitiative gesehen, die im Vorjahr nur äusserst knapp gescheitert war. Die SVP hatte ihren relativen Abstimmungserfolg zum Anlass genommen, ein Aussetzen der Beratungen zum AuG und die prioritäre Behandlung der Asylgesetzrevision spätestens in der Herbstsession zu verlangen, drang damit aber nicht durch, ebenso wenig wie die CVP, welche die Verschärfungen beider Gesetze herausgreifen und im Schnellverfahren in der Sommersession durch beide Räte bringen wollte. Obgleich die Kommission zusätzliche Sitzungen anberaumte, gelang es nicht, die beiden Vorlagen noch vor Ende Jahr ins Plenum zu tragen.

Ebenfalls in seiner Sondersession im Mai trat der Nationalrat nach längerer Debatte mit 147 zu 28 Stimmen und gegen einen Antrag Bühlmann (gp, LU), der die Unterstützung von welschen SP-Parlamentarierinnen fand, auf die Teilrevision des Asylgesetzes ein. Zwei Rückweisungsanträge Zisyadis (pda, VD) und Hess (sd, BE) wurden mit einem noch klareren Stimmenverhältnis verworfen. Die Hauptpfeiler der Vorlage bilden die Bestimmungen über die Drittstaatenregelung, das Asylverfahren und die Beschwerdemöglichkeit an den Empfangsstellen und Flughäfen, die neuen Finanzierungsmodelle im Asylbereich sowie Änderungen im Gesundheits- und AHV/IV-Bereich. FDP und CVP sprachen sich für die Vorlage aus, der SVP gingen die Verschärfungen zu wenig weit, und die SP machte deutlich, dass sie nur auf den Entwurf eintrete, weil damit die gängige Praxis der humanitären Aufnahme durch das Gesetz legalisiert werden soll, dass sie sich in der Detailberatung aber für die Erhaltung der humanitären Tradition einsetzen werde, welche gewissen Einzelbestimmungen der Vorlage widerspreche. Bundesrat Blocher verteidigte den Entwurf, obwohl er seiner Meinung nach keine effiziente Bekämpfung des Missbrauchs ermögliche. Deshalb kündigte er bereits eine Revision dieses Gesetzes zuhanden der Beratungen im Ständerat an.
Der Nationalrat sprach sich mit 103 zu 66 Stimmen gegen den geschlossenen Widerstand des rot-grünen Lagers für die Drittstaatenregelung aus, welche vorsieht, dass die Schweiz nicht mehr auf Asylgesuche von Personen eintritt, die sich vor der Einreichung ihres Gesuchs in einem als sicher geltenden Drittland aufgehalten haben. Voraussetzung für die Anwendung dieser Regelung ist die Bereitschaft des Drittstaates, die asylsuchende Person zurückzunehmen. Das Gesuch wird jedoch auch weiterhin in der Schweiz behandelt, wenn die Person über nahe Angehörige in der Schweiz verfügt oder ihre Flüchtlingseigenschaft offensichtlich ist. Ebenfalls gegen den Willen der Ratslinken wurde mit 118 zu 58 Stimmen beschlossen, die im Rahmen des Entlastungsprogramms des Bundes eingeführten Neuerungen im Gesetz beizubehalten. Die Schweiz wird demzufolge nicht mehr auf Asylgesuche eintreten, wenn Asylsuchende in einem Land der EU oder des EWR einen ablehnenden Asylentscheid erhalten haben. Des Weiteren sprach sich der Nationalrat für die Erfassung der biometrischen Daten der Asylbewerber aus.
Mit 114 zu 67 Stimmen lehnte es der Rat hingegen ab, dem Bund die Befugnis zu erteilen, Kollektivunterkünfte für renitente Asylsuchende zu schaffen und die Bewegungsfreiheit der betreffenden Personen einzuschränken. Ebenfalls im Verhältnis zwei zu eins stimmte er dem neuen Konzept der humanitären Aufnahme zu und folgte somit weder der SVP-Fraktion, die eine Verschärfung der Aufnahmebedingungen wollte, noch der Linken, die eine weitergehende Lockerung anstrebte. Gemäss dem von der grossen Kammer verabschiedeten Text soll die humanitäre Aufnahme nur dann gewährt werden, wenn die Wegweisung nicht zulässig oder unzumutbar ist oder sich die betreffende Person in einer schwerwiegenden persönlichen Notlage befindet. Mit der humanitären Aufnahme würde das Recht auf Familiennachzug unter bestimmten Bedingungen (angemessene Wohnung, kein Bezug von Sozialhilfe) gewährt und der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert.
Ferner beschloss der Nationalrat mit 74 zu 80 Stimmen, dass der Bundesrat die Entwicklungshilfe an Staaten, die bei der Rückführung ihrer abgewiesenen Staatsangehörigen nicht kooperieren, kürzen oder streichen kann. Ausserdem sollen Asylsuchende auch künftig während der ersten drei bis sechs Monate nach dem Einreichen eines Asylgesuchs keine Erwerbstätigkeit ausüben dürfen. Als Erwerbstätige müssen sie dann bis zu 10% ihres Erwerbseinkommens für die Rückerstattung der verursachten Kosten zahlen. Diese Sonderabgabe wurde mit 91 zu 56 Stimmen beschlossen. Um die kantonalen Behörden zu einer Beschleunigung der Asylverfahren anzuhalten, stimmte der Rat einem System der Pauschalabgeltung der Kantone durch den Bund zu, dies gegen den Willen des rot-grünen Lagers, welches die effektiven und nicht die voraussichtlichen Kosten hätte berücksichtigen wollen. In der Absicht der Verfahrensbeschleunigung folgte der Nationalrat dem Antrag der Mehrheit seiner Kommission und beschränkte die Zahl der über eine Beschwerde entscheidenden Richter der Asylrekurskommission (ARK) auf eine statt bisher drei Personen. Mit 110 zu 69 Stimmen ermächtigte die grosse Kammer die Schweizer Behörden, bereits nach einem erstinstanzlich negativen Entscheid mit dem Heimatstaat der asylsuchenden Person Kontakt aufzunehmen.
In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer die Revision des Asylgesetzes mit 98 zu 49 Stimmen bei 30 Enthaltungen an. CVP und FDP votierten ausnahmslos dafür, die Grünen ebenso geschlossen dagegen. Zwei Drittel der SP-Fraktion stimmte zu, ein Drittel lehnte ab. Die SVP sprach sich mehrheitlich dagegen aus; von ihr kamen auch die meisten Enthaltungen. Die Änderung des KVG, mit welcher Asylsuchende vom massgebenden Versichertenbestand für den Risikoausgleich ausgenommen werden, wurde oppositionslos angenommen; weitere Änderungen im Asylgesetz zum Gesundheitsbereich sehen vor, dass die Wahl der Versicherer und der Leistungserbringer bei Asylsuchenden, welche Sozialhilfe erhalten, eingeschränkt werden kann. Die Änderung des AHVG, wonach im Fall von nicht erwerbstätigen Asylsuchenden der Beitragsbezug sistiert wird, bis die Anwesenheit der betreffenden Person in der Schweiz geregelt ist, worauf dann Beiträge innerhalb der Grenzen der Verjährung rückwirkend erhoben werden, wurde ebenfalls einstimmig gutgeheissen.

In der Frühlingssession behandelte der Ständerat als Zweitrat die Revision des Asylgesetzes. Namens der vorberatenden SPK stellte Heberlein (fdp, ZH) klar, dass die Beratung der Vorlage erschwert werde, da der Bundesrat nach der Beratung im Nationalrat eine Reihe von Änderungen vorgenommen habe. Kernpunkte der Verschärfungen bildeten strengere Zwangsmassnahmen (Einführung der Durchsetzungshaft und Erhöhung der Maximaldauer der Ausschaffungshaft), ein neues Konzept für die humanitäre Aufnahme, der Sozialhilfestopp nicht nur für Asylsuchende mit Nichteintretensentscheid, sondern für alle Personen mit einem negativen Asylentscheid sowie die mögliche Kürzung oder Streichung der Nothilfe bei unkooperativem Verhalten. In der Eintretensdebatte zeigten sich die Ständeräte ausgesprochen verärgert über die mangelhafte Dokumentation; das Fehlen einer aktualisierten Botschaft erschwere insbesondere Nicht-Kommissions-Mitgliedern die Meinungsbildung. Sie lehnten einen Antrag Sommaruga (sp, BE), die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, deren Völkerrechts- und Verfassungskonformität sowie EU-Kompatibilität zu prüfen, mit 30:10 Stimmen ab. In der Detailberatung scheiterte die Linke und einzelne sie unterstützende Bürgerliche mit ihren Anliegen, die beantragten Verschärfungen des Gesetzes abzuschwächen. So ersetzte die kleine Kammer die vom Nationalrat beschlossene humanitäre und provisorische Aufnahme durch eine einheitlich geregelte vorläufige Aufnahme. Als Gründe für die Aufnahme gelten weiterhin Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit der Wegweisung, weiter eine (durch den Kanton zu beurteilende) schwere persönliche Notlage. Im Gegensatz zur humanitären Aufnahme ist in diesen Fällen der Familiennachzug jedoch erst nach drei Jahren möglich, verbessert wird hingegen der Zugang zum Arbeitsmarkt, der unter gewissen Bedingungen unabhängig von der Konjunkturlage offen ist. Um Missbräuche zu vermindern, beschloss der Rat, dass auf Gesuche von Asylsuchenden, die den Behörden keine gültigen Identitätspapiere vorweisen, nicht eingetreten wird, ausser, es liegen entschuldbare Gründe vor. Er weitete den seit April 2004 für Personen mit Nichteintretensentscheid geltenden Sozialhilfestopp auf alle Personen mit negativem Asylentscheid aus. Diese illegal anwesenden Ausländer könnten jedoch, falls sie in eine Notlage gerieten, um Nothilfe ersuchen. Gemäss einem Antrag Inderkum (cvp, UR) kann die Nothilfe eingeschränkt oder verweigert werden, wenn die Wegweisung rechtskräftig verfügt wurde und die betroffene Person die Ausreise verweigert, obwohl diese zumutbar ist. Mit ihrer Zustimmung zu dieser von nationalen und internationalen Flüchtlingsorganisationen heftig kritisierten Bestimmung ging es der Ständekammer darum, dass der Nationalrat die Einschränkung der Nothilfe in Kenntnis eines diesbezüglichen, noch ausstehenden Urteils des Bundesgerichts nochmals beraten kann. Bei den Zwangsmassnahmen im Rahmen des Ausländergesetzes verdoppelte der Rat die maximale Haftdauer auf insgesamt zwei Jahre: Er verlängerte die Vorbereitungshaft auf sechs und die Ausschaffungshaft auf 18 Monate, zudem kann gegen Personen, die sich weigern, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, eine Durchsetzungshaft von bis zu 18 Monaten verhängt werden. Schliesslich verschärfte der Rat die vom Bundesrat beantragten Änderungen im Krankenversicherungsgesetz, welche für Asylsuchende bereits eine Einschränkung bei der Wahl der Krankenversicherer erlaubten, dahingehend, dass auch die Leistungen der Grundversicherungen eingeschränkt werden können. Die Notfallversorgung soll allerdings weiterhin gewährleistet sein. Das Asylgesetz passierte die Gesamtabstimmung mit 27:11, das Krankenversicherungsgesetz (KVG) mit 26:5 und das Alters- und Hinterlassenengesetz (AHVG) diskussionslos mit 29:0 Stimmen.

Im Laufe des Sommers äusserten sich der Kommissar für Menschenrechte des Europarats, Alvaro Gil-Robles, die Schweizerische Flüchtlingshilfe und die Eidg. Kommission gegen Rassismus besorgt über die Verschärfungen des Asylrechts. In Bern fand eine nationale Demonstration mit 5000 Teilnehmenden zu diesem Thema statt
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Im Herbst verwarf der Nationalrat in zweiter Lesung die Anträge der Ratslinken und der Liberalen, die weitere Behandlung der Vorlage auszusetzen, bis der Bundesrat eine Zusatzbotschaft zu seinen im Laufe des parlamentarischen Verfahrens eingebrachten Änderungen vorgelegt habe resp. eine ausführliche statt der in diesem Stadium der Beratung üblichen verkürzten Debatte abzuhalten. In der Detailberatung schloss sich die grosse Kammer weitgehend den von Bundesrat und Ständerat vorgeschlagenen Verschärfungen des Asylrechts an und billigte auch die von ihrer GPK kritisch beleuchteten Zwangsmassnahmen. Entgegen ihrem Beschluss vom Mai 2004 sprach sie sich zugunsten der vorläufigen (und gegen die humanitäre) Aufnahme aus. Dabei berücksichtigte sie die Einwände des Menschenrechtsexperten Prof. Kälin, indem nicht mehr eine „existentielle“, sondern eine „konkrete“ Gefährdung im Heimatstaat vorliegen muss. Bezüglich des Sozialhilfestopps sollen die Kantone für jede Person, für die ein rechtskräftiger Wegweisungsentscheid vorliegt und welche die Schweiz aber noch nicht verlassen hat, eine einmalige Pauschale von 15 000 Fr. (gegenüber 5000 Fr. in der Version des Ständerates) zur Finanzierung der Nothilfe erhalten. Anders als von der kleinen Kammer vorgesehen darf die Nothilfe jedoch bei nicht kooperationswilligen Personen nicht eingeschränkt werden. Mit dieser Bestimmung trug der Nationalrat einem Bundesgerichtsentscheid Rechnung, welcher ein entsprechendes Vorgehen des Kantons Solothurn als verfassungswidrig beurteilt hatte. Gegen den Willen von Bundesrat Blocher und der SVP verpflichtete der Rat die Kantone, Gesuche um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung von vorläufig aufgenommenen Ausländerinnen und Ausländern, die sich seit mehr als fünf Jahren in der Schweiz aufhalten, vertieft zu prüfen, wobei die Integration, die familiären Verhältnisse und die Zumutbarkeit der Rückkehr in das Herkunftsland zu berücksichtigen seien. Beim KVG lehnte der Nationalrat den Beschluss der kleinen Kammer ab, die Pflichtleistungen der Krankenversicherung für Asylsuchende und Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung einzuschränken.

Im Laufe des restlichen Differenzbereinigungsverfahrens einigten sich die Räte darauf, dass eine Person bei der Ermittlung der Voraussetzungen für die Nothilfe mitzuwirken habe, für den Bezug von Leistungen ihre Notlage jedoch nicht glaubhaft machen müsse. Bei der Frage, wann die Weg- oder Ausweisung unzumutbar ist, optierten sie für die Formulierung des Nationalrats „konkret gefährdet“ (statt „in seiner Existenz gefährdet“), um den Schutz von Folteropfern sicherzustellen. Die Asylgesetzrevision passierte die Schlussabstimmung im Nationalrat mit 108:69 Stimmen bei 12 Enthaltungen, im Ständerat mit 33:12 Stimmen, das KVG mit 119:64 Stimmen bei 5 Enthaltungen (NR) und 42:0 Stimmen bei 2 Enthaltungen (SR), das AHVG mit 117:63 Stimmen bei 6 Enthaltungen (NR) resp. 43:0 Stimmen bei 2 Enthaltungen (SR).

Im November entschied der Bundesrat, den ersten Teil des revidierten Asylgesetzes bereits im Januar 2007 in Kraft zu setzen. Zu den Neuerungen die im ersten Schritt umgesetzt werden, gehören die Verschärfung der Vorschrift über die Abgabe von Identitätspapieren und die Ausdehnung der Zwangsmassnahmen gegen Weggewiesene sowie die Härtefallregelung und die Verbesserungen für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge. Erst 2008 wird der Sozialhilfestopp für abgewiesene Asylsuchende in Kraft treten.