Unnötige und schädliche Beschränkungen des Zweitwohnungsgesetzes in Sachen Abbruch und Wiederaufbau von altrechtlichen Wohnungen aufheben (Pa.Iv 20.456)

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Martin Candinas (mitte, GR) reichte im Juni 2020 eine parlamentarische Initiative zum Zweitwohnungsgesetz (ZWG) ein. Mit der Initiative forderte Candinas, dass die Bestimmungen im ZWG bezüglich des Abbruchs und Wiederaufbaus von altrechtlichen Wohnungen – Wohnungen, die 2012, im Jahr der Abstimmung über die Zweitwohnungsinitiative, bereits bestanden hatten – in dreierlei Hinsicht gelockert werden sollen. Erstens sollen bei der gesetzlich bereits jetzt erlaubten maximal 30-prozentigen Erweiterung der Hauptnutzfläche neu auch zusätzliche Wohnungen geschaffen werden dürfen. Damit könnte gemäss dem Initianten die aktuelle Wohnfläche effizienter genutzt werden, ohne zusätzliche Fläche an Zweitwohnungen zu schaffen. Zweitens soll neu auch bei einem Abbruch und Wiederaufbau eines betroffenen Objekts eine Erweiterung der Hauptnutzfläche um 30 Prozent möglich sein. Und drittens soll bei wiederaufgebauten Gebäuden der Standort innerhalb des Grundstücks frei gewählt werden dürfen, denn die derzeitige Bestimmung beschränke die Eigentumsfreiheit unnötig. Ohne die Änderungen seien die erwähnten drei Dinge in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent derzeit nicht uneingeschränkt möglich, da die Bauten sonst ihren Status als Gebäude, in denen die Art der Wohnnutzung frei wählbar ist, verlieren würden. Laut dem Initianten seien diese Änderungen aber wichtig, denn die aktuellen Bestimmungen zu den altrechtlichen Bauten würden in den betroffenen Gebieten «enormen Schaden für die Wirtschaft [anrichten]». So würden deswegen etwa dringend notwendige Investitionen in Altliegenschaften nicht getätigt. Seine Initiative achte zudem die Grundanliegen des Initiativkomitees der Zweitwohnungsinitiative, nämlich dass keine neuen Zweitwohnungen auf der grünen Wiese mehr gebaut werden sollen und dass es keine Kulturlandverschwendung und keine weitere Zersiedelung mit Zweitwohnungen mehr geben soll.

Die UREK-NR nahm sich die Initiative im Mai 2021 vor. Sie beschloss dabei mit 13 zu 10 Stimmen, der Initiative Folge zu geben. Die Mehrheit der Kommission war der Meinung, dass die Auflagen des Zweitwohnungsgesetzes zu streng seien und Investitionen in bestehende Erstwohnungsbauten hemmten. Weiter sei es gerade in Dörfern, die gegen Abwanderung kämpfen, wichtig, dass die einheimische Bevölkerung in Bauten investieren könne. Die Kommissionsmehrheit teilte zudem die Ansicht des Initianten, dass die Änderungen mit der Zweitwohnungsinitiative kompatibel seien. Die Kommissionsminderheit hingegen erachtete die aktuellen Erweiterungsmöglichkeiten als ausreichend und plädierte dafür, den bei der Ausarbeitung des ZWG erreichten Kompromiss zu respektieren. Im August 2021 beschäftigte sich die UREK-SR mit der Initiative. Die dabei hervorgebrachten Argumente waren sehr ähnlich zu denen in ihrer Schwesterkommission. Die Befürworterinnen und Befürworter fügten zusätzlich an, dass mit den Änderungen sinnvolle energetische Sanierungen erleichtert werden könnten. Die Gegnerschaft nannte die geforderten Änderungen derweil «teilweise verfassungswidrig». Am Schluss stimmte eine klare Mehrheit von 8 zu 2 Stimmen für Folgegeben. Als nächstes ist es nun an der UREK-NR, auf Basis der Initiative einen Erlassentwurf zu erarbeiten.

Die UREK-NR gab Anfang November 2022 bekannt, dass sie einen von ihr ausgearbeiteten Entwurf basierend auf der parlamentarischen Initiative Candinas (mitte, GR) für eine Änderung des Zweitwohnungsgesetzes in die Vernehmlassung gibt. Der Entwurf betrifft Wohnhäuser in Gemeinden mit einem Zweitwohnungsanteil von über 20 Prozent. Ziel sei es, für altrechtliche Wohnhäuser – sprich Wohnhäuser, die vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative im Jahr 2012 gebaut worden sind – neue Möglichkeiten bei der Erweiterung der Hauptnutzfläche und der Unterteilung in verschiedene Wohnungen zu schaffen. Konkret dürften solche Wohnhäuser neu ohne Nutzungsbeschränkungen gleichzeitig vergrössert und in verschiedene Erst- oder Zweitwohnungen unterteilt werden. Ausserdem soll die Hauptnutzfläche im Rahmen von Ersatzneubauten gegenüber dem abgerissenen Gebäude um 30 Prozent grösser gebaut werden dürfen, ohne dass die Nutzung beschränkt wird.

Der Entwurf wurde von der Kommission mit 14 zu 10 Stimmen verabschiedet. Die Kommissionsmehrheit zeigte sich überzeugt, dass die Änderungen eine verdichtete Bauweise und die Entwicklung der Bergregionen erlauben und so der einheimischen Bevölkerung zu Gute kommen werden. Ausserdem erhoffte sie sich, dass die neuen Möglichkeiten energetische Sanierungen attraktiver machen würden. In den Augen der ablehnenden Kommissionsminderheit sind die vorgeschlagenen Änderungen jedoch verfassungswidrig und würden den Umnutzungsdruck auf altrechtliche Erstwohnungen erhöhen. Eine zweite Minderheit hatte zudem vorgeschlagen, die Neuregelung auf Gemeinden zu beschränken, die durch das kantonale Recht explizit bezeichnet werden. Damit könnte ihrer Ansicht nach die Kompetenz der Kantone gestärkt und die raumplanerische Qualität gefördert werden. Die Vernehmlassungsfrist wurde auf den 17. Februar 2023 angesetzt.

Im April 2023 präsentierte die UREK-NR die Ergebnisse der Vernehmlassung sowie ihren Bericht zu der von ihr ausgearbeiteten Vorlage betreffend eine Änderung des Zweitwohnungsgesetzes, dank welcher Änderungen und Erweiterungen von altrechtlichen Wohnungen (sprich: Wohnungen, welche vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative bereits standen) erleichtert werden sollen. Gemäss dem Ergebnisbericht zur Vernehmlassung sprachen sich die meisten Kantone für die Vorlage aus. Von den 20 Kantonen, welche eine Stellungnahme einreichten, befürworteten 14 die Vorlage, vier begrüssten sie mit Vorbehalten und zwei waren der Meinung, sie sei verfassungswidrig und lehnten sie deshalb ab (BS, JU). Der gleichen Meinung waren auch drei Parteien (GP, SP, GLP), welche allesamt befanden, dass bereits mit der aktuellen Regelung die verfassungsmässige Begrenzung nach einem maximalen Zweitwohnungsanteil von 20 Prozent stark abgeschwächt werde. Es brauche deshalb nicht noch weitere Abschwächungen. Durch die Änderung werde der Druck zur Umwandlung in Zweitwohnungen steigen, die einheimische Bevölkerung verdrängt und die Zahl der kalten Betten erhöht. Trotzdem befand die Kommission, eine mehrheitsfähige Vorlage ausgearbeitet zu haben. Sie hielt entsprechend an ihrem Entwurf fest und beschloss, diesen inhaltlich unverändert dem Nationalrat zu unterbreiten.

In der Herbstsession 2023 beugte sich der Nationalrat über einen Entwurf seiner UREK zur Änderung des Zweitwohnungsgesetzes basierend auf einer parlamentarischen Initiative Candinas (mitte, GR). Erstens sollen auf Antrag der UREK-NR altrechtlich erbaute Zweitwohnungen um bis zu 30 Prozent erweitert und gleichzeitig auch auf dieser Fläche in weitere Wohnungen unterteilt werden können. Nach geltendem Recht existieren bereits ebendiese Optionen, allerdings können sie nicht simultan angewendet werden. Zweitens soll auch bei einem Wiederaufbau eine Erweiterung von 30 Prozent geltend gemacht werden können. Drittens soll dieser Wiederaufbau – bei Einhaltung der baugesetzlichen Vorschriften – fortan auf der gesamten Parzelle erlaubt sein.

Eintreten auf die Vorlage wurde in der grossen Kammer ausgiebig diskutiert. Eine Minderheit Suter (sp, AG) beantragte dem Rat, nicht auf die Vorlage einzutreten. Sie verletze verfassungsmässige Vorgaben, welche im Zuge der Annahme der Zweitwohnungsinitiative entstanden seien. Insbesondere sei in der Verfassung verankert, dass der neue Bau und die Erweiterung von Zweitwohnungen zu unterlassen sei, was aber bereits durch das geltende Recht verletzt werde. Die Vorlage der UREK-NR würde den Verfassungsartikel noch weiter abschwächen was nach Ansicht von Rechtsexperten und Rechtsexpertinnen eine «hochproblematische» Entwicklung sei. Unterstützung erhielt der Minderheitsantrag Suter seitens der Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen. Unter anderem würde mit einer entsprechenden Änderung des Gesetzes die einheimische Bevölkerung aus touristisch hochattraktiven Ortschaften gedrängt werden. Weiter würde die Gesetzesvorlage Anreize zum Abbruch von Liegenschaften schaffen, womit viel nicht rezyklierbarer Abfall einhergehe, bemängelte Grünen-Fraktionssprecher Kurt Egger (gp, TG). Die Mitte-Fraktion unterstützte dagegen den Entwurf der UREK-NR, da auf diese Weise das Bauen in der Bauzone effizient genutzt werden könnte. Auch die FDP-Fraktion sah in der Vorlage ein Mittel, eine höhere Verdichtung im Sinne der ersten Etappe der RPG-Revision zu erreichen. Eine Mehrheit der Fraktion beabsichtige folglich, auf die Vorlage einzutreten und in der Detailberatung den Anträgen der Mehrheit zu folgen, so Fraktionssprecherin Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR). Die gleichen Absichten hegte auch die SVP-Fraktion, die sich laut Fraktionssprecher Michael Graber (svp, VS) für Eintreten ausspreche. Schliesslich konnten sich die geschlossen stimmenden Fraktionen der SVP, FDP und Mitte gegen eine links-grüne Minderheit behaupten und die grosse Kammer beschloss mit 109 zu 78 Stimmen (bei 6 Enthaltungen), auf die Vorlage einzutreten.

In der Detailberatung fanden sich drei Minderheitenanträge sowie ein Einzelantrag, welche jedoch in der grossen Kammer allesamt erfolglos blieben. Darunter fand sich eine Minderheit Beat Flach, die sich an der Fassung des Bundesrats orientieren wollte, dass lediglich für zusätzlich entstandene Wohnungen eine Nutzungsbeschränkung gelten solle. Wenn im Zuge von Sanierungen und Abbruch zusätzliche Wohnungen geschaffen würden, sollten diese zumindest im Rahmen der erweiterten Wohnfläche als Erstwohnung dienen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Martina Munz (sp, SH), die mit ihrem Einzelantrag forderte, dass mindestens die Hälfte der zusätzlich entstandenen Wohnungen als Erstwohnungen genutzt werden müssten. Eine Minderheit Clivaz (gp, VS) wollte einerseits die parzelleninterne Standortverschiebung strenger reguliert haben, als dies im Entwurf der UREK-NR vorgesehen sei. Andererseits solle die Möglichkeit, im Zuge einer Sanierung oder Wiederaufbaus neue Wohnungen zu schaffen, nur in bestimmten Gemeinden zum Zuge kommen.

In der Gesamtabstimmung sprachen sich die geschlossenen Fraktionen der SVP und der Mitte sowie eine grosse Mehrheit der FDP-Fraktion für die Vorlage aus, womit der Entwurf mit 105 zu 80 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) angenommen wurde.

In der Frühjahrssession 2024 beugte sich der Ständerat über den Entwurf der UREK-NR zur Änderung des Zweitwohnungsgesetzes, welcher unter anderem eine Erweiterung altrechtlich erbauter Zweitwohnungen vorsah, wobei in diesem Rahmen auch neue Wohnungen geschaffen werden dürften. Dies solle ebenfalls beim Abbruch und Wiederaufbau von Zweitwohnungen angewendet werden können. In der Eintretensdebatte stellte Kommissionssprecher Beat Rieder (mitte, VS) die Absicht der Mehrheit der UREK-SR, in allen Belangen dem nationalrätlichen Beschluss zu folgen, vor und bat die Mitglieder des Stöcklis, auf die Vorlage einzutreten. Die Kommissionsmehrheit begründete ihren Entscheid damit, dass mit einer entsprechenden Anpassung des Zweitwohnungsgesetzes unter anderem die Entwicklung der Bergregionen gefördert werden könne und in den betroffenen Gemeinden altrechtlich erbaute Wohnbauten einfacher energetisch modernisiert werden könnten. Eine Minderheit Crevoisier Crelier (sp, JU) stellte dagegen einen Antrag auf Nichteintreten. Die Kommissionsminderheit sah in der Vorlage einen Verfassungsverstoss, da somit Zweitwohnungen in betroffenen Gemeinden anzahl- und flächenmässig erhöht werden könnten. Die kleine Kammer trat mit 32 zu 11 Stimmen, auf die Vorlage ein.
In der Detailberatung entschied der Ständerat lediglich über einen Einzelantrag Z'graggen (mitte, UR), welcher sich an der Fassung des Bundesrats orientierte und eine Zweckbindung von allfällig neu erschaffenen Wohnbauten forderte. Die Antragstellerin hob hervor, dass es eine erwiesene Wohnungsknappheit in Berggebieten gebe, welche durch den Bau neuer Zweitwohnungen nur weiter verschärft werden würde. Infolgedessen sollten neu geschaffene Wohnungen im Zuge der Erweiterung altrechtlich erbauter Zweitwohnungen ausschliesslich als Erstwohnungen gebraucht werden, forderte Z'graggen. Ihr Einzelantrag konnte im Stöckli allerdings nur mässig überzeugen. Sie Unterlag dem Antrag der UREK-SR mit 26 zu 17 Stimmen. In der Gesamtabstimmung sprach sich der Ständerat mit 27 zu 11 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) für den Entwurf aus.

Am Ende der Session standen die Schlussabstimmungen über die Vorlage an. Der Nationalrat stimmte mit 121 zu 64 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) und der Ständerat mit 28 zu 14 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) dem Entwurf zu.

Nachdem die Referendumsfrist für die Änderung des Zweitwohnungsgesetzes am 4. Juli 2024 ungenutzt verstrichen war, setzte der Bundesrat das abgeänderte Gesetz auf den 1. Oktober 2024 in Kraft. Neu dürfen beim Umbau und Wiederaufbau nach Abbruch altrechtlicher Wohnungen auch zusätzliche Wohneinheiten geschaffen werden. Die Wohnraumfläche darf in diesem Fall um bis zu dreissig Prozent erweitert werden.