Bundesfeier auf dem Rütli

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Seit den neunziger Jahren finden sich jeweils auch einige Hundert Rechtsradikale an der Bundesfeier auf dem Rütli am Vierwaldstättersee ein. Dieser Festakt wird von einem privaten, mehrheitlich aus Innerschweizer Politikerinnen und Politikern zusammengesetzten Komitee organisiert. Dabei störten die Rechtsextremen mehrmals mit Protestrufen die Ansprachen von Bundesräten. Zudem machten sie mit dem abgewandelten Hitlergruss (so genannter Kühnen–Gruss mit drei statt fünf ausgestreckten Fingern), mit den Frontisten-Fahnen aus den dreissiger Jahren und mit Sprechchören auf sich aufmerksam. In diesem Jahr fielen die Störaktionen der rund 700 mehrheitlich jugendlichen Skinheads und anderer Personen aus dem rechtsradikalen Umfeld gegen die Ansprache von Bundespräsident Schmid besonders laut aus. Als Reaktion darauf mehrten sich die Rufe nach organisatorischen oder polizeilichen Vorkehrungen für künftige 1. August-Feiern auf dem Rütli.

Nach den rechtsradikalen Störmanövern 2005 an der Bundesfeier auf dem Rütli ergriffen die Behörden und die Organisatoren dieses Jahr strenge Sicherheitsmassnahmen. Mit einem Ticketsystem versuchten sie, den Zugang zu limitieren und unliebsame Elemente fernzuhalten. Zusammen mit den polizeilichen Kontrollen der Anfahrts- und Anmarschwege funktionierte dies gut. Organisierte Rechtsextreme waren auf dem Festgelände nicht anzutreffen, und die Ansprachen konnten ungestört gehalten werden. Im Gegensatz zu früheren Jahren trat auch kein Bundesrat als Redner auf. Der eingeladene Bundespräsident Leuenberger hatte im Einverständnis mit dem Gesamtbundesrat auf eine Teilnahme verzichtet; er wollte damit auch zum Ausdruck bringen, dass in der Schweiz keine zentrale 1.-August-Feier stattfindet, sondern allen lokalen Anlässen die selbe Bedeutung zukommt (vgl. Anfrage Fehr, svp/ZH, A 06.1055).

Seit die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) 2013 ihre strengen Nutzungsbedingungen für die von ihr verwaltete Rütli-Wiese gelockert hat, sind Parteien und andere Organisationen berechtigt, politische Veranstaltungen bei der Wiege der Nation abzuhalten. Dies war bis anhin strikte untersagt gewesen. Allerdings will die SGG nach wie vor verhindern, dass der bedeutende Standort für Propaganda-Aktivitäten, partikuläre politische Ziele oder kommerzielle Zwecke missbraucht wird. Besuchergruppen mit mehr als 50 Personen benötigen deshalb nach wie vor eine Bewilligung durch die SGG, und Veranstaltungen zu Themen, über die in den folgenden drei Monaten abgestimmt wird, oder Parteiversammlungen in den sechs Monaten vor eidgenössischen oder kantonalen Wahlen bleiben verboten. Ebenfalls untersagt bleiben sollen Anlässe, die sich gegen bestimmte Gruppen richten, die gesellschaftlich-kulturelle Vielfalt nicht akzeptieren oder thematisch polarisieren. Die SGG hatte das vorher geltende Parteiverbot seit dem Zweiten Weltkrieg konsequent durchgesetzt. Für Probleme hatte über längere Zeit die rechtsextreme Szene gesorgt, die das Rütli immer wieder für Propaganda-Zwecke missbraucht hatte. Wirbel hatten im Mai 2011 zudem ein unbewilligter Anlass der SVP auf dem Rütli sowie das kurz darauf erteilte Verbot an verschiedene Innerschweizer CVP-Kantonalparteien verursacht, die Wiese für eine Rede von Bundesrätin Doris Leuthard zur Verfügung zu stellen. Es waren just diese zwei Parteien, die beim Bundesrat Druck für eine Öffnung des Rütlis für politische Organisationen machten. Zwar wurde eine Motion der SVP in den Räten nicht behandelt, ein Postulat Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) brachte die Regierung und die SGG aber an einen gemeinsamen Tisch, worauf die Rütli-Verwalterin schliesslich einlenkte. Glanzmann-Hunkeler zeigte sich froh ob dem neuen Reglement. Weniger zufrieden war die SVP, die – wie in einer im März 2014 eingereichten Interpellation von Peter Keller (svp, NW) angedeutet – befürchtete, zur auf der Wiege der Nation unerwünschten Partei erklärt zu werden, da sie als Partei notwendigerweise polarisierende Themen anpacke. Ob der Antwort des Bundesrates, er vertraue als Oberaufsicht über die SGG, dass die Gesellschaft die Benutzerordnung mit dem notwendigen Augenmass anwenden werde, zeigte sich der Interpellent nicht befriedigt. Im November 2014 ärgerte sich alt-Bundesrat Christoph Blocher in der Sonntagspresse über den durch die SGG verhängten „Maulkorb für Politiker“.

2015 wurden auf dem Rütli einige Neuerungen umgesetzt. Das Restaurant wurde von einem neuen Pächter übernommen und die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) plante, den Besuchern des historischen Ortes mit jährlichen Ausstellungen mehr zu bieten. Die erste Ausstellung war dem Thema Identität und Rassismus gewidmet und startete im Juni.
Freilich war die Wiese auch 2015 Ort politischer Debatten. Ende Juli führte die Schweizerische Offiziersgesellschaft eine Gedenkfeier zum 75-Jahr-Jubiläum des so genannten Rütlirapports durch. Am 25. Juli 1940 hatte General Guisan den Wehrwillen der Schweiz beschwört und gleichzeitig seine Reduit-Idee öffentlich bekannt gegeben. Die geladenen Redner waren sichtlich bemüht, den Reduit-Gedanken nicht wiederzubeleben. Bundesrat Ueli Maurer plädierte allerdings mit Bezug auf Gusians Rede für einen stärkeren Glauben an die Armee und eine höhere Bereitschaft, die Freiheit und Unabhängigkeit der Schweiz zu verteidigen. Dafür seien allerdings auch die nötigen finanziellen Mittel für die Armee zu sprechen.
Bei der traditionellen 1.-August-Feier, die unter dem Motto "Gastfreundschaft" stand, trat Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga als Festrednerin auf. Ihre Rede setzte sozusagen den Kontrapunkt, indem sie nicht eine Konzentration auf die Innenpolitik, sondern eine lösungsorientierte Auseinandersetzung mit der EU forderte.
Der in der Presse von Peter Keller (svp, NW) angekündigte Vorstoss mit dem Ziel, die "linksfreisinnige" SGG vom Rütli-Mandat zu entbinden, blieb bis anhin Makulatur.