Keine Hafturlaube und Ausgänge für Verwahrte (Mo. 11.3767)

Dossier: Révision du code de procédure pénale (mise en œuvre de la mo. 14.3383)

Die Flucht des in der neuenburgischen Strafanstalt Bellevue verwahrten Sexualstraftäters Jean-Louis B. im Zuge eines begleiteten Ausgangs am 27.6.2011 provozierte eine Motion Rickli (svp, ZH), die eine Änderung des StGB fordert, nach welcher Hafturlaube und Ausgänge für alle Verwahrten ausgeschlossen sind. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da Vollzugsöffnungen für die Erstellung von Prognosen über die Gemeingefährlichkeit von Tätern unerlässlich seien. Rickli hat zusätzlich zusammen mit dem Sekretariat der SVP-Schweiz einen Mustervorstoss verfasst, der an die SVP-Fraktion in sämtlichen Kantonsparlamenten gehen wird. Darin wird die jeweilige Regierung aufgefordert, einen Bericht über die Zuständigkeiten bei der Gewährung von Ausgängen zu erstellen und Ausgänge im geschlossenen Vollzug zu streichen. In Reaktion auf den Fall Jean-Louis B. hatte der Kanton Bern vorläufig sämtliche begleiteten Ausgänge und Urlaube für Gemeingefährliche gestrichen.

Vor dem Hintergrund der beiden Mordfälle überwies der Nationalrat zwei Motionen an die kleine Kammer. Zum einen handelte es sich um eine Motion Rickli (svp, ZH; Mo. 11.3767), die Hafturlaube und Ausgänge für Verwahrte künftig ausschliessen wollte. Zum anderen forderte eine Motion Amherd (cvp, VS; Mo. 11.3911), dass gefährliche Straftäter – und nicht nur Wiederholungstäter – immer in Untersuchungshaft bleiben müssen.

Im Herbst 2013 hatte der Nationalrat eine Motion Rickli (svp, ZH) angenommen, welche Hafturlaube und Ausgänge für Verwahrte in Zukunft ausschliessen wollte. Der Ständerat ergänzte den Motionstext auf Antrag seiner Kommissionsmehrheit dahingehend, dass nur unbegleitete Hafturlaube und Ausgänge für Verwahrte ausgeschlossen werden sollen. Mit 26 zu 14 Stimmen bei 0 Enthaltungen nahm der Zweitrat in der Wintersession 2015 die Motion in geänderter Fassung an.

Nachdem der Ständerat die Motion dahingehend abgeändert hatte, dass es keine unbegleiteten Hafturlaube und Ausgänge für Verwahrte mehr geben soll, musste sich der Nationalrat noch einmal mit Natalie Ricklis (svp, ZH) Anliegen befassen. Die RK-NR beantragte ihrem Rat mit 12 zu 11 Stimmen die Ablehnung der Motion und schloss sich damit der Ansicht des Bundesrates an. Während die Minderheit, welche sich für die Annahme des Vorstosses aussprach, verwahrte Personen als „potenziell sehr gefährlich“ einstufte und die Gesellschaft keinem „vermeidbaren Risiko“ in der Begegnung mit solchen Personen aussetzen wollte, zweifelte die Mehrheit am sicherheitsfördernden Charakter der Massnahme. Bundesrätin Simonetta Sommaruga begründete die Bedenken damit, dass Verwahrte – nicht: lebenslänglich Verwahrte – dereinst entlassen werden können, wenn sie keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellen. Hierzu sei ein schrittweiser Vollzug nötig, in dem Sinne, dass sich die verwahrte Person zuerst in begleiteten, dann in unbegleiteten Ausgängen bewähren müsse, bevor eine bedingte Freilassung in Frage komme. Es sei nicht einleuchtend, dass es der öffentlichen Sicherheit dienlich sei, hier den Schritt des unbegleiteten Urlaubs herauszubrechen und vom begleiteten Ausgang direkt zur bedingten Entlassung überzugehen. Die Mehrheit der grossen Kammer liess sich von dieser Argumentation jedoch nicht überzeugen und überwies die Motion mit 100 zu 71 Stimmen bei 10 Enthaltungen an den Bundesrat.

Einheitliche Bestimmungen zum Strafvollzug bei gefährlichen Tätern (Mo. 16.3002)

Dossier: Exécution des peines et mesures des délinquants dangereux

Nachdem der Bericht in Erfüllung eines Postulates Amherd (cvp, VS; Po. 11.4072) aufgezeigt hatte, dass zwischen den Kantonen erhebliche Unterschiede in der Ausführung des Strafvollzugs bestehen, reichte die RK-NR Anfang 2016 eine Motion zur Vereinheitlichung der Bestimmungen zum Strafvollzug bei gefährlichen Tätern ein. Obschon im Rahmen der KKJPD Harmonisierungsschritte in diesem Bereich im Gang sind, war die Kommission der Ansicht, dass gewisse Defizite auf das fehlende Bundesgesetz zurückzuführen seien. Der Bundesrat beantragte hingegen die Ablehnung der Motion, da der Strafvollzug im Verantwortungsbereich der Kantone liege; der Bund solle nicht eingreifen und die Regelung der KKJPD überlassen. Die grosse Mehrheit im Nationalrat teilte diese Ansicht jedoch nicht und nahm den Vorstoss im März mit 156 zu 3 Stimmen bei einer Enthaltung an.

Nach dem Nationalrat nahm im Herbst 2016 auch der Ständerat eine Motion der RK-NR für einheitliche Bestimmungen zum Strafvollzug bei gefährlichen Tätern an. Die Minderheit der vorberatenden RK-SR, bestehend aus Daniel Jositsch (sp, ZH), Robert Cramer (gp, GE) und Thomas Minder (parteilos, SH) konnte – mit Hilfe eines flammenden Plädoyers von Karin Keller-Sutter (fdp, SG) – eine Ratsmehrheit von 28 zu 14 Stimmen davon überzeugen, dass mit der Überweisung dieses Vorstosses ein Beitrag an die öffentliche Sicherheit geleistet werden kann. Damit ist der Bund beauftragt, Kriterien und Mindeststandards für den Umgang mit gefährlichen Tätern festzulegen.

Mit der Annahme einer Motion der RK-NR im Herbst 2016 hatten die eidgenössischen Räte den Bundesrat beauftragt, einheitliche Bestimmungen zum Strafvollzug bei gefährlichen Tätern festzulegen. Infolgedessen analysierte das Bundesamt für Justiz in Zusammenarbeit mit der KKJPD die kantonalen Vollzugspraktiken und erarbeitete Vorschläge für verschiedene gesetzgeberische Massnahmen. Der entsprechende Bericht wurde im November 2018 am ersten Forum des Schweizerischen Kompetenzzentrums für den Justizvollzug (SKJV) in Freiburg vorgestellt. In vier Bereichen wurden uneinheitliche Systeme oder Funktionsweisen als möglicherweise problematisch erkannt: bei den Fachkommissionen zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit, beim Risikomanagement, beim Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten sowie beim Verfahren zur nachträglichen Anordnung oder Änderung einer Sanktion bzw. zur Verlängerung einer Massnahme. Der bedeutendste Neuerungsvorschlag sieht die Schaffung einer Aufsichtsmassnahme als Zwischenform zwischen einer therapeutischen und einer sichernden Massnahme – z.B. einer Verwahrung – vor, die nach Ende der Sanktion bei gefährlichen Straftätern mit erhöhtem Rückfallrisiko angeordnet werden könnte. Damit soll verhindert werden, dass gefährliche Straftäter am Ende der Sanktion ohne Vorbereitung, Betreuung oder Auflagen freigelassen werden, falls das Gericht einen Antrag auf nachträgliche Anordnung oder Änderung der Sanktion bzw. Verlängerung der Massnahme ablehnt.

Sicherheitslücke im Jugendstrafrecht schliessen (Mo. 16.3142)

Nach geltendem Jugendstrafrecht können jugendliche Täter in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden, um sie persönlich zu schützen, um eine psychische Störung zu behandeln oder um Dritte vor schwerwiegender Gefährdung zu schützen. Wie alle jugendstrafrechtlichen Massnahmen endet jedoch auch diese jugendstrafrechtliche Verwahrung zwingend, wenn der Täter die Altersgrenze von 25 Jahren – mit der Revision des Sanktionenrechts wurde die Altersgrenze von 22 auf 25 Jahre angehoben – überschreitet. Im Falle von Selbstgefährdung oder psychischer Störung können anschliessend vormundschaftliche Massnahmen angeordnet werden, im Falle reiner Drittgefährdung jedoch nicht. In diesem ersatzlosen Wegfallen der jugendstrafrechtlichen Massnahme bei Tätern, von denen eine schwerwiegende Gefährdung für Dritte ausgeht, sah Andrea Caroni (fdp, AR) eine Sicherheitslücke, die geschlossen werden müsse. Mit einer Motion forderte er den Bundesrat auf, die Möglichkeit zu schaffen, die entfallende jugendstrafrechtliche Massnahme durch die geeignete erwachsenenstrafrechtliche Massnahme abzulösen. Die eidgenössischen Räte überwiesen das Anliegen im Herbst 2016 oppositionslos an den Bundesrat.

Längeres Prüfungsintervall nach drei negativen Prüfungen der Verwahrung (Mo. 17.3572)

Gemäss geltendem Recht wird bei jedem nach Art. 64 Abs. 1 StGB verwahrten Straftäter mindestens einmal jährlich mittels Gutachten geprüft, ob und wann eine bedingte Entlassung in Frage kommt. Diese jährlichen Gutachten verursachten enorme Kosten und verkämen bei über mehrere Jahre verwahrten Straftätern zur «Alibiübung», kritisierte Nationalrat Guhl (bdp, AG) und forderte mit einer Motion ein längeres Prüfungsintervall nach drei negativen Prüfungen der Verwahrung. So soll nach drei negativen Gutachten die nächste Überprüfung erst nach drei Jahren durchgeführt werden, ausser eine frühere Prüfung wird von der verwahrten Person beantragt. Der Nationalrat nahm die Motion in der Herbstsession 2017 stillschweigend an, nachdem auch der Bundesrat deren Annahme beantragt hatte.

Auch der Ständerat hiess die Motion von Bernhard Guhl (bdp, AG) für ein längeres Prüfungsintervall nach drei negativen Prüfungen der Verwahrung ohne Diskussion gut. Kommissionssprecher Robert Cramer (gp, GE) erwähnte einzig, dass sich die Motion ausschliesslich auf die Prüfung von Amtes wegen beschränke, da bereits heute die Möglichkeit bestehe, bei unveränderten Verhältnissen auf eine erneute Begutachtung zu verzichten. Dadurch läge eine mögliche Umsetzung dieser Motion im Rahmen der zu gewährleistenden Minimalrechte der EMRK. Justizministerin Simonetta Sommaruga hatte dem nichts beizufügen.

Massnahmenpaket Sanktionenvollzug (BRG 22.071)

Im März 2020 gab der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Verbesserung der Sicherheit im Straf- und Massnahmenvollzug in die Vernehmlassung, das zwei Vorlagen zu Änderungen im Strafgesetzbuch und im Jugendstrafgesetz beinhaltete. Gemäss Tages-Anzeiger sollten die vorgeschlagenen «Mindeststandards im Umgang mit hochgefährlichen Straftätern» den «Wildwuchs im kantonalen Strafvollzug» eindämmen. Dieser sei in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich angeprangert worden, nachdem Täterinnen und Täter während des Urlaubs oder auf Bewährung Verbrechen begangen hätten. Mit den Anpassungen im Strafgesetzbuch beabsichtigte der Bundesrat, die Motionen Rickli (svp, ZH; Mo. 11.3767), Guhl (bdp, AG; Mo. 17.3572) und der RK-NR (Mo. 16.3002) umzusetzen. So sollen verwahrte Straftäterinnen und Straftäter nur noch in Begleitung von Sicherheitspersonal in gesetzlich vorgesehene Urlaube entlassen werden und die Weiterführung der Verwahrung nur noch alle drei Jahre – statt wie bisher jedes Jahr – von Amtes wegen überprüft werden, wenn die bedingte Entlassung zuvor dreimal in Folge abgelehnt wurde. Zudem sollen die Zuständigkeiten bei der Aufhebung, Änderung oder Verlängerung einer therapeutischen Massnahme schweizweit vereinheitlicht und die Rolle der Fachkommission zur Beurteilung der Gefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern gestärkt werden. Gewalt- und Sexualstraftäterinnen und -täter, die nach Verbüssung der Strafe oder stationären Therapie immer noch als gefährlich gelten, sollen in Freiheit enger betreut und kontrolliert werden können. Dazu sollen neu auch elektronische Fussfesseln eingesetzt werden können. Im Jugendstrafrecht sah die Regierung vor, dass bei gefährlichen jugendlichen Straftäterinnen und Straftätern im Anschluss an die jugendstrafrechtliche Sanktion künftig eine Massnahme des Erwachsenenstrafrechts angeordnet werden kann, wie es eine Motion Caroni (fdp, AR; Mo. 16.3142) gefordert hatte. Damit soll verhindert werden, dass sie bei Erreichen der Altersobergrenze des Jugendstrafrechts trotz Gefährlichkeit in die Freiheit entlassen werden müssen.

Nachdem die Rückmeldungen in der Vernehmlassung – insbesondere vonseiten der Kantone – zu einigen der vorgeschlagenen Änderungen im Strafgesetzbuch überwiegend kritisch ausgefallen waren, nahm der Bundesrat diese nicht in den Entwurf zum «Massnahmenpaket Sanktionenvollzug» auf. So sollen weder die Bewährungshilfe und Weisungen am Ende des Straf- oder Massnahmenvollzugs im Strafgesetzbuch ausgebaut noch die Zuständigkeiten bei der Aufhebung, Änderung oder Verlängerung einer therapeutischen Massnahme schweizweit vereinheitlicht werden. Stattdessen schlug die Regierung ein Beschwerderecht für die Vollzugsbehörde bei entsprechenden Gerichtsentscheiden vor. Zudem soll die Zusammensetzung der Fachkommission zur Beurteilung der Gefährlichkeit von Straftäterinnen und Straftätern angepasst werden. Die Neuerung, dass verwahrte Straftäterinnen und Straftäter künftig nur noch in Begleitung von Sicherheitspersonal in gesetzlich vorgesehene Urlaube entlassen werden dürfen, war in der Vernehmlassung indessen breit begrüsst worden. Ebenso positiv aufgenommen worden war die Anpassung des automatischen Überprüfungsrhythmus bei Verwahrungen. Diese beiden Vorschläge wurden daher unverändert in den Entwurf aufgenommen.
Bei der zweiten Vorlage zur Änderung des Jugendstrafgesetzes ruderte der Bundesrat gegenüber dem Vorentwurf ebenfalls ein Stück zurück. Die Möglichkeit, an eine jugendstrafrechtliche Sanktion eine Verwahrung gemäss Erwachsenenstrafrecht anzuschliessen, soll gemäss Botschaft nur für Fälle geschaffen werden, in denen der oder die betreffende Jugendliche mindestens 16 Jahre alt ist und einen Mord begangen hat.

Im Februar 2023 befasste sich die RK-SR als vorberatende Kommission des Erstrates mit den beiden Entwürfen des Massnahmenpakets Sanktionenvollzug. Auf den ersten Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches trat die Kommission mit 7 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung ein. Dieser sieht vor, dass Straftäterinnen und Straftäter im geschlossenen Vollzug einer Freiheitsstrafe oder Verwahrung nicht mehr unbegleitet in Urlaube entlassen werden können. Mit dem zweiten Entwurf wollte der Bundesrat das Jugendstrafrecht dahingehend anpassen, dass für jugendliche Mörderinnen und Mörder künftig eine Verwahrung angeordnet werden kann. Auf dieses Vorhaben trat die Kommission mit 7 zu 5 Stimmen allerdings nicht ein. Der Kommissionsmehrheit erschien es ungerechtfertigt, aufgrund sehr weniger Fälle das bewährte Jugendstrafrecht umzukrempeln. Eine mittel- bis langfristige Prognosestellung bezüglich der Gefährlichkeit sei bei jugendlichen Straftäterinnen und -tätern ausserdem gar nicht möglich, weil deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen sei. Eine Minderheit Caroni (fdp, AR) erachtete den bundesrätlichen Vorschlag indessen als ausgewogen und beantragte Eintreten.

In der Frühjahrssession 2023 erklärte Lisa Mazzone (gp, GE) als Berichterstatterin der vorberatenden RK-SR dem Ständeratsplenum, der Entwurf des Bundesrates zur Anpassung des Jugendstrafrechts sei nicht mit den Prinzipien und Zielen desselben vereinbar. Die Regierung hatte vorgesehen, dass Jugendliche, die zwischen 16 und 18 Jahren einen Mord begehen, künftig nach dem Ende der jugendstrafrechtlichen Massnahmen – letztere enden mit Vollendung des 25. Altersjahrs – verwahrt werden können, wenn sie immer noch als gefährlich für Dritte gelten. Im Unterschied zum Erwachsenenstrafrecht, das strafe, um den öffentlichen Frieden zu wahren, wolle das Jugendstrafrecht die Jugendlichen erziehen und schützen, um sie vom kriminellen Weg abzubringen. Für dieses Ziel und für die Jugendlichen selber sei es «verheerend», ihnen eine Verwahrung anzudrohen, so Mazzone. Erfahrungsgemäss sei es «für eine Person, wenn sie einmal verwahrt ist, äusserst schwierig [...], da wieder herauszukommen», fügte Kommissionskollege Beat Rieder (mitte, VS) an. Wenn ein Täter schon nach der jugendstrafrechtlichen Massnahme verwahrt werde, müsse überdies jemand auf seine Gefährlichkeit überprüft werden, «der nie die Gelegenheit hatte, zu ‹beweisen›, dass er nicht gefährlich ist». Zum Zeitpunkt der Verurteilung befänden sich die Jugendlichen noch in der Persönlichkeitsentwicklung, weshalb es gar nicht möglich sei, eine Gefährlichkeitsprognose zu erstellen, führte Mazzone weiter aus. Aus diesen Gründen beantragte die Kommissionsmehrheit (7 zu 4 Stimmen, 1 Enthaltung) Nichteintreten.
Eine Minderheit um Andrea Caroni (fdp, AR) – der mit seiner Motion «Sicherheitslücke im Jugendstrafrecht schliessen» (Mo. 16.3142) gewissermassen «Vater der Reform» war, wie ihn die Aargauer Zeitung betitelte – wollte dagegen auf die Vorlage eintreten. Der Antragssteller argumentierte, die betroffenen Personen seien zum Zeitpunkt, an dem sie allenfalls in die Verwahrung kämen, bereits erwachsen, auch wenn sie den Mord als Jugendliche begangen hätten. Die Verwahrung sei die ultima ratio und komme erst in Frage, nachdem man zuerst alle anderen Massnahmen greifen lassen habe. Irgendwann sei die betroffene Person aber 25 Jahre alt und man könne «nicht mehr bis zum Ende aller Tage mit Jugendschutzinstrumenten verfahren». Heute wisse ein junger Mörder, dass er mit 25 Jahren freikomme, wenn er sich «in der Therapie etwas blöd anstelle», sodass diese als wirkungslos wegfalle, so Caroni weiter. Sukkurs erhielt er etwa von Stefan Engler (mitte GR), der betonte: «Jeder Fall, in dem jemand zu Unrecht auf freien Fuss gesetzt wird, weil man die notwendigen Massnahmen nicht treffen konnte, und ein zweites Unglück geschieht, ist ein Fall zu viel.» Heidi Z'graggen (mitte, UR) fügte an, es handle sich um «ein Werkzeug [...] für absolute Einzelfälle, die wir leider, leider nicht ausschliessen können». Gemäss heute geltendem Recht müsse eine Massnahme aufgrund Erreichen der Altersgrenze abgebrochen werden und man müsse «quasi auf eine neue Straftat warten, um die Gesellschaft vor dem nun erwachsenen Straftäter schützen zu können». Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider bat den Rat ebenfalls, auf die Vorlage einzutreten, die sie als «bescheiden» und «sehr ausgewogen» bezeichnete. Man habe die Kritik aus der Vernehmlassung berücksichtigt, sodass der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Regelung eng begrenzt sei. Sie schliesse eine Lücke in Bezug auf sehr seltene, aber gleichzeitig sehr schwerwiegende Fälle.
Von diesen Überlegungen liess sich die Mehrheit der Ständekammer überzeugen. Sie trat mit 22 zu 17 Stimmen bei einer Enthaltung gegen den Willen ihrer Kommissionsmehrheit auf den Entwurf ein. Gegen Eintreten stimmten die Fraktionen der SP und der Grünen sowie einige Mitglieder aus der FDP- und der Mitte-Fraktion. Nachdem Eintreten beschlossen war, stimmte der Ständerat der Abschreibung der vier Motionen 11.3767, 16.3002, 16.3142 und 17.3572 stillschweigend zu.

Nachdem der Ständerat in der Frühjahrssession 2023 entgegen dem Antrag seiner Rechtskommission auf den Entwurf zur Änderung des Jugendstrafrechts eingetreten war, trat er in der darauffolgenden Sommersession auch auf den Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches ein. Die beiden Vorlagen bilden zusammen das Massnahmenpaket Sanktionenvollzug, das der Ständerat als Erstrat behandelte. Am Entwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches nahm die kleine Kammer eine inhaltliche Anpassung vor: Der Bundesrat wollte mit dem Entwurf unter anderem eine Motion Guhl (bdp, AG; Mo. 17.3572) umsetzen, die ein längeres Intervall zur Überprüfung der Verwahrung forderte. Konkret sollte die Verwahrung nach drei ablehnenden Entscheiden nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle drei Jahre von Amtes wegen überprüft werden. Auf Antrag seiner Kommission – die diesen Entscheid mit 6 zu 6 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten Carlo Sommaruga (sp, GE) fällte – strich der Ständerat diese Neuerung stillschweigend und blieb stattdessen bei der jährlichen Überprüfung. In der Gesamtabstimmung hiess die Ständekammer diese Vorlage mit 27 zu 9 Stimmen gut. Den Entwurf zur Änderung des Jugendstrafrechts nahm der Ständerat unverändert mit 28 zu 11 Stimmen an. Die ablehnenden Stimmen stammten bei beiden Entwürfen hauptsächlich aus dem links-grünen Lager, das im Frühjahr schon gegen Eintreten auf das Jugendstrafrecht votiert hatte.

In der Wintersession 2024 behandelte die Volkskammer als Zweitrat das Massnahmenpaket Sanktionenvollzug, welches sich aus zwei Entwürfen – einem zur Änderung des Strafgesetzbuches und einem zur Änderung des Jugendstrafrechts – zusammensetzt. Anders als noch die Schwesterkommission empfahl die RK-NR dem Nationalrat, auf beide Entwürfe einzutreten. Wie Beat Flach (glp, AG) für die Kommission erläuterte, seien die geplanten Anpassungen notwendig, um eine Lücke in der Gesetzgebung zu schliessen. So sorgten die Abschaffung des unbegleiteten Hafturlaubes von Personen im Straf- oder geschlossenen Vollzug und die Möglichkeit der Verwahrung von jugendlichen Straftäterinnen und -tätern, die im Alter zwischen 16 und 18 Jahren einen Mord begehen, für eine Verbesserung der gesellschaftlichen Sicherheit. Eine Minderheit Brenzikofer (gp, BL) wollte aus grundsätzlichen Überlegungen auf beide Vorlagen nicht eintreten: Das Schweizer Jugendstrafrecht sei ein Erfolgsmodell, es gebe daher keinen Handlungsbedarf und die angestrebten Änderungen seien ein drastischer Schritt hin zu einem Präventionsstrafrecht mit Fokus auf Bestrafung statt Resozialisierung. Bundesrat Beat Jans bat den Rat, auf die Vorlage einzutreten, welche fachlich und politisch ausgewogen sei, die Motion Caroni (fdp, AR; Mo. 16.3142) aufnehme sowie die Kritik aus der Vernehmlassung ernst genommen habe. So werde eine Rechtsgrundlage für sehr seltene, sehr schwere Fälle geschaffen, ohne das Jugendstrafrecht grundsätzlich zu verändern. Der Nationalrat folgte der Kommissionsmehrheit und trat mit 129 zu 61 Stimmen auf die Vorlage ein, wobei Links-grün geschlossen dagegen votierte.
In der Detailberatung stimmte der Nationalrat mit 93 zu 91 Stimmen bei 2 Enthaltungen einem Minderheitsantrag Bregy (mitte, VS) zu, wonach Wiederholungstäterinnen und -täter bei Mord, vorsätzlicher Tötung oder Vergewaltigung künftig automatisch verwahrt werden sollen. Die Ratsmehrheit aus SVP und Mitte zeigte sich überzeugt, dass bei Wiederholungstaten die Gefährlichkeit der straffälligen Person für die Gesellschaft eindeutig gegeben sei und der Automatismus für Rechtssicherheit sorge. Der Bundesrat hatte vergeblich argumentiert, dass man «Automatismen ohne Einzelfallprüfung generell vermeiden» sollte. Anders als der Ständerat hielt der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission mit 129 zu 59 Stimmen am bundesrätlichen Vorschlag fest, die Prüfung der Verwahrung nach drei ablehnenden Entscheiden nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle drei Jahre von Amtes wegen durchzuführen. Eine geschlossen stimmende links-grüne Minderheit, unterstützt von einer Stimme aus der Mitte-Fraktion, hätte derweil bei jährlichen Überprüfungen bleiben wollen.
Im Entwurf zum Jugendstrafrecht wollte eine SVP-Minderheit um Barbara Steinemann (svp ZH) die Voraussetzungen für eine Verwahrung nebst Mord auf vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung oder Vergewaltigung ausweiten, fand jedoch ausserhalb der eigenen Fraktion keine Unterstützung und unterlag mit 125 zu 66 Stimmen. Ebenfalls scheiterte ein von Links-grün unterstützter Minderheitsantrag Walder (gp, GE) mit 130 zu 61 Stimmen, der beim geltenden Jugendstrafrecht bleiben und die Möglichkeit einer Verwahrung grundsätzlich verhindern wollte. Besonders die Debatte um die Möglichkeit der Verwahrung von minderjährigen Straftäterinnen und -tätern wurde medial kontrovers diskutiert, wovon Interviews mit verschiedensten Expertinnen und Experten in grossen Tageszeitungen zeugten.
Auf Antrag seiner Kommission beschloss der Nationalrat einige weitere Änderungen und schuf damit Differenzen zum Ständerat. So verlängerte er etwa den maximal möglichen Freiheitsentzug bei jugendlichen Mörderinnen und Mördern von vier auf sechs Jahre und erhöhte die Schwelle für die Aussprache einer Verwahrung von drei auf vier Jahre Freiheitsstrafe. Bundesrat Beat Jans hatte vergeblich eingewandt, dass diese gesenkten Voraussetzungen für eine Verwahrung dem Schutz- und Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts entgegenstünden.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die Vorlage mit 130 zu 61 Stimmen gut, wobei erneut Links-grün unterlag. Das Geschäft ging an den Ständerat zurück.

In der Sommersession 2024 beugten sich die beiden Kammern über die Differenzbereinigung des Massnahmenpakets Sanktionenvollzug. Der Nationalrat hatte zuvor drei Differenzen geschaffen.

Die kleine Kammer folgte stillschweigend dem Antrag ihrer Kommission – welcher mit 7 zu 2 Stimmen gefallen war –, den bundesrätlichen Vorschlag anzunehmen und somit die Prüfung der Verwahrung nach drei ablehnenden Entscheiden nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle drei Jahre von Amtes wegen durchzuführen. In einer ersten Lesung wurde dies vom Ständerat noch abgelehnt. Mit dem neuen Entscheid folgte er jedoch dem Nationalrat und der Argumentation von Kommissionssprecher Caroni (fdp, AR), wonach diese Verlängerung der Prüfungsperiode finanzielle Einsparungen ermöglichen würde, ohne das Recht des Verwahrten auf ein individuelles Überprüfungsgesuch zu beschneiden.
Der Ständerat entschied zudem stillschweigend und auf einstimmigen Antrag seiner RK-SR, die vom Nationalrat hauchdünn beschlossene automatische Verwahrung bei Wiederholungstaten von Mord, vorsätzlicher Tötung oder Vergewaltigung abzulehnen. Wie Kommissionssprecher Caroni ausführte, habe dieser Verwahrungsautomatismus weder etwas mit dem konkreten Thema – dem Vollzug der Verwahrung – zu tun, noch sei dieser Teil der Vernehmlassungsvorlage gewesen. Zudem würde der Vorschlag ein Novum im Schweizer Verwahrungsrecht bedeuten und aufgrund des nicht abschliessenden Deliktkataloges zu Rechtsunsicherheit und möglicherweise Konflikten mit der EMRK führen. Derselben Argumentationslinie folgte das Votum des Bundesrats Beat Jans, der die fragwürdigen Konsequenzen dieses Automatismus in der Praxis betonte, beispielsweise wenn mehrere Jahrzehnte zwischen zwei Taten lägen.
Der Nationalrat lenkte bei diesem Punkt kurz darauf ein, folgte mit 120 zu 70 Stimmen einer Mehrheit der RK-NR und strich diese Passage wieder aus der Gesetzesvorlage. Eine Minderheit um Mauro Tuena (svp, ZH) hatte vergeblich beim Automatismus bleiben wollen. Diverse Voten aus der SVP-Fraktion betonten dabei die Sicherheit, welche mit einer automatischen Verwahrung erhöht werden könnte, und argumentierten erfolglos, dass mit dieser Vorlage ein idealer Zeitpunkt für einen solchen Grundsatzentscheid gegeben wäre.

Eine letzte Differenz blieb bestehen, weil der Ständerat auf einstimmigen Antrag seiner Kommission stillschweigend ablehnte, die vom Nationalrat beschlossene Verlängerung des maximal möglichen Freiheitsentzuges für jugendliche Mörderinnen und Mörder von vier auf sechs Jahre sowie die Anhebung der Schwelle für die Verhängung einer Verwahrung um ein Jahr zu übernehmen. Kommissionssprecher Caroni stellte dabei nicht in Abrede, dass die Grundsatzfrage zum Strafrahmen von Jugendstrafen diskussionswürdig wäre. Sie sei jedoch hier nicht direkt Teil der Vorlage, bei der es ja um eine Sicherheitslücke im bestehenden Jugendstrafrecht gehe. Dabei verwies er unter anderem auf das angenommene Postulat Engler (mitte, GR; Po. 23.3205), welches sich mit diesem Thema beschäftige.
Die RK-NR entschied mit einer hauchdünnen Mehrheit von 12 zu 11 Stimmen ebenfalls beim ursprünglichen Entscheid zu bleiben und somit die Differenz zum Ständerat aufrechtzuerhalten. Weil gleichzeitig mit der Erhöhung des Strafrahmens auch die Schwelle für die Verwahrung erst ab einer Strafe von vier, statt wie heute drei Jahren eingefügt werden sollte, sei dieser Vorschlag verhältnismässig, führte Beat Flach (glp, AG) die Meinung der Kommissionsmehrheit aus. Beat Jans betonte Namens des Bundesrates, dass diese angedachte Kombination von Strafrahmenerhöhung und Verwahrungs-Schwelle mehr Täterinnen und Täter betreffe und somit nicht mehr nur auf die allerschwersten Fälle beschränkt wäre. Mit diesem Entscheid wäre zudem das «Erfolgsmodell» schweizerisches Jugendstrafrecht mit seiner tiefen Rückfallquote gefährdet. Für diese Argumentation hatten aber nur eine Mehrheit des Links-Grünen Lagers und drei Mitglieder der Mitte-Fraktion Gehör: Der Nationalrat blieb mit 127 zu 63 Stimmen bei einer Enthaltung bei der Erhöhung des Strafrahmens. Das Geschäft ging mit dieser letzten verbliebenen Differenz noch einmal zurück in den Ständerat.

In der Sommersession 2024 behandelte der Ständerat die letzte verbliebene Differenz zum Nationalrat beim Massnahmenpaket Sanktionenvollzug. Dabei hatte die RK-SR mit 7 zu 3 Stimmen beschlossen, entgegen dem nationalrätlichen Entscheid den Strafrahmen für Morde durch Jugendliche nicht von vier auf sechs Jahre zu erhöhen. Andrea Caroni (fdp, AR) erläuterte die ablehnende Haltung der Kommission, wonach man lieber auf den bundesrätlichen Bericht zum Postulat Engler (mitte, GR; Po. 23.3205) warte, um danach ganzheitlicher über eine Verschärfung der Strafrahmen bei Jugenddelikten zu diskutieren. Bundesrat Beat Jans begrüsste diese Empfehlung und der Ständerat verblieb stillschweigend bei der Differenz zum Nationalrat.

Noch gleichentags beriet die Volkskammer die letzte Uneinigkeit, wobei die RK-NR nun mit 14 zu 9 Stimmen entschieden hatte, dem Ständerat zu folgen. Kommissionssprecher Vincent Maitre (mitte, GE) führte mehrere Gründe für den Meinungsumschwung aus, wobei das Abwarten des Berichts zum Postulat Engler am meisten gewichtet worden sei. Eine Minderheit um Nina Fehr Düsel (svp, ZH) wollte beim erhöhten Strafrahmen bleiben, unterlag aber mit der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und 20 Mitgliedern des Mitte-Lagers mit 104 zu 81 Stimmen.

Nach der Differenzbereinigung hiess der Ständerat in der Schlussabstimmung das Massnahmenpaket Sanktionenvollzug gut: Die Änderung des Strafgesetzbuches mit 41 zu 3 Stimmen und die Änderung des Jugendstrafrechts mit 41 zu 1 Stimme bei einer Enthaltung, wobei die Gegenstimmen und die Enthaltung von Mitgliedern der SVP stammten. Im Nationalrat wurde die Änderung des Strafgesetzbuches hingegen mit 129 zu 69 abgelehnt. Eine Allianz aus Links-Grün – hier gingen die Massnahmen wohl zu weit – und der SVP-Fraktion, welche stärkere Verschärfungen befürwortet hätte, brachte die Vorlage zu Fall. Somit konnten sich Anpassungen im geschlossenen Vollzug wie die Streichung des unbegleiteten Urlaubs oder die Verlängerung der Überprüfungsperiode der Verwahrung von Amtes wegen nicht durchsetzen. Die Änderung des Jugendstrafrechts wurde hingegen vom Nationalrat mit 135 zu 63 Stimmen angenommen, wobei diesmal Links-Grün in der Oppositionsrolle ohne die Unterstützung der SVP unterlag. Gegen diesen Entscheid wurde kein Referendum ergriffen und die entsprechende Frist lief im Oktober 2024 ungenutzt ab.