Steuerharmonisierung (DBG und StHG, BRG 83.043)

Dossier: Confédération et cantons. Répartition des tâches. Première train de mesures (MCF 81.065)

Der Nationalrat setzte in der Frühjahrssession die Beratungen des Bundesgesetzes über direkte Steuern (DBG) fort. In der zentralen Frage des Übergangs zur einjährigen Gegenwartsbesteuerung folgte er dabei dem Antrag des Bundesrates und der vorberatenden Kommission und befürwortete mit 102 zu 91 Stimmen den Systemwechsel. Ausschlaggebend für diesen Entscheid war nicht nur die Einsicht, dass die jährliche Steuerveranlagung dem Konjunkturverlauf schneller Rechnung trägt und auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Kraft der Steuerpflichtigen besser Rücksicht nimmt, sondern auch die Überlegung, dass die in einer mobilen Gesellschaft bei der zweijährigen Vergangenheitsbesteuerung häufigen Zwischenveranlagungen weniger oft nötig wären. Mit diesem Entscheid schuf die Volkskammer allerdings eine Differenz zur Ständekammer, die aus Rücksicht auf die in den meisten Kantonen praktizierte zweijährige Veranlagung auch bei der Bundessteuer bei diesem System bleiben wollte.

Im Weitern übernahm der Nationalrat das im Vorjahr beschlossene Sofortprogramm zur steuerlichen Entlastung von Ehepaaren und Familien ins DBG und unterstellte zusätzlich auch Alleinerziehende den Vergünstigungen für Verheiratete. Profitieren werden davon vor allem die oberen Einkommensklassen. Zu kontroversen Diskussionen bot auch die Besteuerung juristischer Personen Anlass. Während der Ständerat die Gewinnsteuer von Aktiengesellschaften je nach der Höhe des Eigenkapitals in einem Dreistufentarif regeln wollte, schlug die Nationalratskommission (FK-NR) einen Zweistufentarif vor. Der Nationalrat folgte jedoch dem Antrag des Bundesrates, der eine generelle Besteuerung von acht Prozent des Gewinns vorschlug. Dieses System, das sich nicht an der Rendite, sondern nur am Ertrag orientiert, bevorzugt gegenüber dem andern arbeitsintensive Gesellschaften mit kleinem Kapital, während kapitalintensive Unternehmen mit kleiner Rendite höher belastet werden. Um die Doppelbesteuerung von Unternehmen und Aktionär zu lindern, befürwortete der Nationalrat zusätzlich den Abzug einer Normaldividende von höchstens zwei Prozent des steuerbaren Eigenkapitals. Diese Massnahmen brächten dem Bund allerdings geschätzte CHF 660 Mio. an jährlichen Mindereinnahmen.

Innerhalb der Steuerreform bildete das Bundesgesetz über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG) den Teil A, die Revision des Bundesgesetzes über die direkten Steuern (DBG) den Teil B. Für beide Vorlagen ging es im Rahmen der Differenzbereinigung vor allem noch darum, den Konflikt zwischen den beiden Ratskammern über die Bemessungsperiode zu eliminieren. Dabei gab der Nationalrat nach und stimmte der vom Ständerat im Vorjahr als Kompromiss beschlossenen Lösung der zweijährigen Vergangenheitsbesteuerung mit dem Recht der Kantone, auch die einjährige Gegenwartsbesteuerung beizubehalten oder neu einzuführen, zu. Die übrigen noch verbliebenen Differenzen beim StHG waren vorwiegend technischer und redaktioneller Natur und konnten im Berichtsjahr ausgeräumt werden.

Auch das zusammen mit dem Steuerharmonisierungsgesetz als Paket behandelte Bundesgesetz über die direkten Steuern wurde im Berichtsjahr in die Kompromisslösung der Bundesratsparteien zur Reform der Bundesfinanzordnung einbezogen. Nach siebenjährigen Beratungen waren zwischen den beiden Räten noch bei der zeitlichen Bemessung der Steuerperiode und bei der Besteuerung der juristischen Personen wesentliche Differenzen verblieben. Dabei hatte sich der Nationalrat bisher für die auch von Bundesrat Stich verteidigte einjährige Gegenwartsbesteuerung ausgesprochen. Gegen den Willen der Kommissionsmehrheit gab er nun dem Ständerat nach und entschied sich für eine zweijährige Veranlagung als Normalfall, jedoch mit der Möglichkeit für die Kantone, von diesem System abzuweichen und die einjährige Gegenwartsbesteuerung beizubehalten oder neu einzuführen. Damit war die erste Differenz zum Ständerat aus dem Wege geschafft. (Dieser Beschluss des NR wurde bereits in der Sommersession, also vor der Ausarbeitung des erwähnten Kompromisses der Regierungsparteien gefasst. Zur Zeit kennen folgende Kantone die einjährige Besteuerung: BS, GE, JU, NE, SO.) Bei der Steuerbemessung für den Gewinn von juristischen Personen setzte sich hingegen der vom Bundesrat beantragte und vom Nationalrat unterstützte Proportionaltarif durch. Dieses Modell bevorzugt im Vergleich zum bestehenden Dreistufentarif, bei dem für die Steuerrechnung das Verhältnis von Gewinn zum Eigenkapital massgeblich ist, kapitalschwache — in der Regel jüngere — Unternehmen. Zuerst hielt der Ständerat weiterhin am Stufentarif fest, dann zwang ihn aber der von den Bundesratsparteien vereinbarte Kompromiss zum Nachgeben. Allerdings musste der Nationalrat auf die von ihm geforderte zusätzliche Kapitalsteuer von 0,8 Promille verzichten. Am Ende der Wintersession konnte das Parlament beide Gesetzesrevisionen verabschieden. Das Gesetz über die direkte Bundessteuer kann freilich ebenfalls nur dann in Kraft treten, wenn die Einführung der MWSt in der Volksabstimmung angenommen wird.

Neuordnung der Bundesfinanzen und Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben (StG, BRG 89.041)

Dossier: Finanzordnung des Bundes

Der Bundesrat verabschiedete am 5. Juni seine Botschaft zur Neuordnung der Bundesfinanzen und zur Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben. Er schlug darin vor, die WUSt beizubehalten, diese jedoch in eine reine Konsumsteuer umzuwandeln. Damit würde der grösste Nachteil der WUSt, die wettbewerbsverzerrende taxe occulte (Besteuerung von Investitionen und Halbfabrikaten) eliminiert. Da die ganze Reform kostenneutral sein soll, sieht das Projekt vor, einige Dienstleistungen und die bisher steuerfreien Energieträger Gas, Strom und Brennstoffe zu belasten. Auf die im Hinblick auf die Volksabstimmung heikle Besteuerung der Leistungen des Gast- und Coiffeurgewerbes wurde hingegen verzichtet. Im Weitern schlug der Bundesrat vor, die bisherige zeitliche Befristung der WUSt und der direkten Bundessteuer (DBST) aus der Verfassung (BV) zu streichen; der Höchststeuersatz der WUSt soll hingegen weiterhin in der Verfassung verankert bleiben. Durch weitere Verfassungsänderungen sollen zudem die Grundlagen für eine Umwandlung der Fiskalzölle in Verbrauchssteuern und für die Erhebung eines WUSt-Zuschlags von maximal 1.3 % zur Finanzierung der AHV geschaffen werden.

Im Rahmen der Neuordnung der Bundesfinanzordnung möchte der Bundesrat ebenfalls die Stempelabgaben revidieren. Mit dieser Reform will er die Steuerbelastungen des schweizerischen Finanzmarktes an die Verhältnisse im Ausland angleichen und damit einen Beitrag zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Finanzplatzes leisten. Derartige Erleichterungen waren nicht nur von den Banken, sondern auch vom Parlament mit Nachdruck gefordert worden. Das Regierungsprojekt sieht vor, die Umsatzabgaben auf den Handelsbeständen der Effektenhändler, auf der Emission von sogenannten Euro-Bonds und auf dem Handel mit inländischen Geldmarktpapieren von maximal zwölf Monaten Laufzeit vollständig aufzuheben. Beim sogenannten Ausland/Ausland-Geschäft, d.h. bei der Vermittlung eines Geschäfts zwischen Ausländern durch einen schweizerischen Effektenhändler beschränkt sich die Steuerbefreiung auf den Obligationenhandel. Als Kompensation für die erwarteten Einnahmenausfälle sollen neu Treuhandanlagen, Lebensversicherungen und die Emission von Inland-Obligationen besteuert werden.

Der Bundesrat legte am 5. Juni seine Botschaft zur Neuordnung der Bundesfinanzen und zur Änderung des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben (StG) vor. Mit den Reformvorschlägen im Bereich der Stempelsteuer will die Regierung die Steuerbelastungen in der Schweiz an die Verhältnisse auf ausländischen Finanzmärkten angleichen und damit erklärtermassen einen Beitrag zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des schweizerischen Finanzplatzes leisten. Derartige Erleichterungen waren nicht nur von den Banken, sondern auch vom Parlament mit Nachdruck gefordert worden. Die Revision sieht vor, die Umsatzabgaben auf den Handelsbeständen der Effektenhändler, auf der Emission von sogenannten Euro-Bonds (Obligationen ausländischer Schuldner in fremder Währung) und auf dem Handel mit inländischen Geldmarktpapieren von maximal zwölf Monaten Laufzeit vollständig aufzuheben. Beim sogenannten Ausland/Ausland-Geschäft, d.h. bei der Vermittlung eines Geschäfts zwischen Ausländern durch einen schweizerischen Effektenhändler beschränkt sich die Steuerbefreiung auf den Obligationenhandel. Andererseits war der Bundesrat nach wie vor nicht bereit, auf eine vollständige Kompensation der zugestandenen Einnahmenausfälle zu verzichten. Neu mit einer Emissionsabgabe belasten möchte er deshalb die inländischen Obligationen und Geldmarktpapiere. Festgehalten hat der Bundesrat trotz der heftigen Kritik,durch Banken und Versicherungen im Vernehmlassungsverfahren auch an der Wiedereinführung der 1973 abgeschafften Stempelabgabe auf Lebensversicherungen und an der Besteuerung der treuhänderischen Darlehen.

Die vorberatende Kommission des Ständerates (FK-SR) beschloss, auf die Vorlage des Bundesrates einzutreten, aber dabei die Revision der Stempelsteuern vorzuziehen (vgl. Pa.Iv. 88.239). In der Sache war sie mit dem Nationalrat einig: Die Erleichterungen für den Finanzplatz sollten nur zu einem Teil durch neue Finanzmarktsteuern kompensiert werden. Auf eine Besteuerung der Prämien der Lebensversicherungen sollte demnach ebenso verzichtet werden wie auf die Umsatzsteuer auf Treuhandanlagen. Zudem beantragte sie dem Plenum, die Emission von ausländischen Obligationen und den Handel mit ausländischen Geldmarktpapieren von maximal einem Jahr Laufzeit von der Umsatzabgabe zu befreien. Trotz heftiger Opposition von seiten der sozialdemokratischen Abgeordneten und von Bundesrat Stich folgte der Ständerat in der Dezembersession den Anträgen seiner Kommissionsmehrheit vollumfänglich und stimmte in der Gesamtabstimmung der Revision des Stempelsteuergesetzes mit 33 zu 5 Stimmen zu.

Der Ständerat folgte in der Sommersession grösstenteils den Anträgen seiner Kommission. Insbesondere stimmte er der Einführung einer Mehrwertsteuer mit 29:4 Stimmen zu. Eine im Hinblick auf die Volksabstimmung wichtige Änderung nahm er hingegen bei der Besteuerung der Wirte und der Coiffeure vor: er beschloss mit grosser Mehrheit, auf die vorgeschlagene Steuerbefreiung zu verzichten. Keine Chance hatten hingegen Anträge für eine zeitliche Befristung und gegen den Sonderzuschlag zugunsten der AHV. Auch eine Motion der Kommissionsminderheit, welche angesichts der vom Wechsel zur Mehrwertsteuer erwarteten Mehreinnahmen eine Herabsetzung der direkten Bundessteuer verlangte, wurde vom Rat deutlich abgelehnt.

Nachdem sich auch die Nationalratskommission weitgehend den Beschlüssen der kleinen Kammer angeschlossen hatte, gab der Bundesrat ebenfalls seine Zustimmung zum neuen Modell bekannt. Wesentlich für das Zustandekommen eines Konsens war, dass sich die Bundesratsparteien im Verlaufe der Herbstsession auf eine Gesamtlösung der Bundesfinanzreform in einem Paket geeinigt hatten. Dabei mussten alle Parteien Abstriche machen: die SP bei ihren Forderungen nach einer vollständigen Kompensation der Ertragsausfälle bei der Stempelsteuerrevision resp. nach einer Zweckbindung von Mehreinnahmen (z.B. zugunsten der Krankenversicherung) und die Bürgerlichen bei ihren Begehren nach einer Reduktion der direkten Bundessteuer und nach einer zeitlichen Befristung der Finanzordnung sowie bei ihrem Widerstand gegen die Einführung der Proportionalsteuer für juristische Personen bei der direkten Bundessteuer. Zu diesem Kompromiss gehörte auch ein Passus, der vorsieht, dass nur alle drei Vorlagen der Finanzreform (MWSt, Direkte Bundessteuer und Stempelabgaben) zusammen in Kraft treten können. Damit soll gewährleistet werden, dass das Gesamtpaket nicht durch die Entscheide des Souveräns an der Urne wieder aufgeschnürt wird.

Der Kompromiss erwies sich auch bei den Beratungen des Nationalrats in der Wintersession als tragfähig. Der Rückweisungsantrag der Liberalen wurde mit 105 zu 17 Stimmen abgelehnt. Allerdings bekundete vor allem die SVP Mühe, sich an die Abmachungen unter den Bundesratsparteien zu halten. Ihr Sprecher Blocher (ZH) kündigte an, dass die Fraktion die Forderungen nach einer zeitlichen Befristung und für einen Abbau der direkten Steuern um mindestens Zehn Prozent unterstützen werde. In der Detailberatung unterlagen jedoch die Anträge Reimann (svp, AG) und Coutau (lp, GE) für eine Befristung auf zwölf Jahre sowie der Antrag Rychen (svp, BE) für einen Rabatt bei der direkten Bundessteuer relativ deutlich. Bei der abstimmungspolitisch wichtigen Frage der Besteuerung des Gastgewerbes korrigierte die Volkskammer den Ständeratsentscheid und beschloss, diese Branche während einer Übergangsphase von Fünf Jahren mit einem reduzierten Satz von 4% zu belasten.

Die vom Parlament verabschiedete Kompromisslösung zum Gesamtpaket vermochte aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich die Verfassungsvorlage der Zustimmung des Souveräns noch nicht sicher sein kann. Bereits vor der Beratung im Nationalrat hatte der Gewerbeverband heftige Opposition angekündigt und gedroht, die Einführung einer Mehrwertsteuer mit allen Mitteln zu bekämpfen. Der Vorort gab sich etwas zurückhaltender; er begrüsste zwar das Prinzip der MWSt, war aber enttäuscht, dass sich seine Forderung nach einer Entlastung bei der direkten Bundessteuer nicht durchgesetzt hatte.

Die vorberatende Kommission des Nationalrats (WAK-NR) entschied, im Gegensatz zum Ständerat die Stempelsteuervorlage nicht vorzuziehen, sondern im Rahmen des Gesamtpaketes für eine neue Finanzordnung zu behandeln. Dabei schloss sich der Rat den Entscheidungen der kleinen Kammer aus dem Vorjahr weitgehend an. Um nicht das ganze Finanzpaket zu gefährden, hatten sich die vier Regierungsparteien auf einen mehrere Punkte umfassenden Kompromiss geeinigt. Im Bereich der Stempelsteuern sah er vor, die erwarteten Steuerausfälle nur zum Teil zu kompensieren. Dies sollte über die ursprünglich vom Bundesrat vorgeschlagene, aber vom Ständerat abgelehnte Besteuerung der Prämien für Lebensversicherungen geschehen. Auf die Umsatzsteuer auf Treuhandanlagen sollte jedoch verzichtet werden. Dieser Kompromiss fand im Nationalrat Zustimmung und wurde im Differenzbereinigungsverfahren auch von der kleinen Kammer akzeptiert. Definitiv über diese Revision des Stempelsteuergesetzes (StG) wird allerdings das Volk entscheiden. Zum Kompromiss der Bundesratsparteien gehörte nämlich auch die Bestimmung, dass sie nur gemeinsam mit der dem obligatorischen Referendum unterstehenden neuen Finanzordnung in Kraft treten kann.

In der Differenzbereinigung fand dieses Entgegenkommen auch in der kleinen Kammer Zustimmung. In der Schlussabstimmung verabschiedeten die beiden Räte die Vorlage mit 120 zu 31 (bei 21 Enthaltungen) resp. 32 zu 2 Stimmen. Im Nationalrat stimmten von den Regierungsparteien die SP und CVP nahezu geschlossen dafür (1 Enthaltung resp. 2 Gegenstimmen), während bei der FDP und der SVP die Opposition recht bedeutend war (je rund 40% Enthaltungen oder Nein-Stimmen). Von den kleineren Fraktionen unterstützte die LdU/EVP die Reform, die LP sprach sich dagegen aus und die GP enthielt sich mehrheitlich der Stimme.

Zu dem von den Bundesratsparteien im Herbst vereinbarten Kompromiss über die neue Bundesfinanzordnung gehörten auch Abmachungen über die Ausgestaltung der Revision des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben. Die SP musste dabei auf ihre Forderung nach einer Besteuerung der Treuhandanlagen verzichten, die bürgerlichen Parteien mussten ihre Opposition gegen die Besteuerung der Prämien für Lebensversicherungen aufgeben. Diese beiden vom Bundesrat vorgeschlagenen kompensatorischen Abgaben hatte der erstberatende Ständerat Ende 1989 abgelehnt. Die Vermittlungslösung fand im Nationalrat breite Zustimmung. Nachdem auch der Ständerat diesen Kompromiss akzeptiert hatte, nahmen beide Kammern die Vorlage in der Schlussabstimmung mit 127:18 (bei 21 Enthaltungen) resp. 33:2 Stimmen an. Damit konnte der Nationalrat auch die Arbeit an der im Vorjahr überwiesenen parlamentarischen Initiative Feigenwinter (cvp, BL) einstellen. Definitiv über diese Revision des Stempelsteuergesetzes wird allerdings – indirekt – das Volk entscheiden. Zum Kompromiss der Bundesratsparteien gehörte nämlich auch die Bestimmung, dass die Stempelsteuerreform nur gemeinsam mit der dem obligatorischen Referendum unterstehenden Einführung der Mehrwertssteuer in Kraft treten kann.

Die Regierungsparteien als eigentliche Schöpfer der Vorlage konnten sich während der Kampagne nur zaghaft hinter ihr eigenes Kind stellen, da der Riss zwischen Befürwortern und Gegnern quer durch ihre Parteien verlief. Einzig bei der SP fand sich von Anfang an eine deutliche Mehrheit, wobei allerdings Gewerkschaftsvertreter ktitisierten, dass der soziale Ausgleich im vorliegenden Steuerpaket nicht mehr genügend garantiert sei. Auch die drei bürgerlichen Bundesratsparteien befürworteten schliesslich das Finanzpaket. Bei der FDP gab aber ein Drittel der Kantonalsektionen die Nein-Parole aus. Bei der SVP stellten sich unter anderem die beiden grössten Kantonalsektionen, jene der Kantone Zürich und Bern, in Widerspruch zu den befürwortenden Parolen ihrer Zentralorgane. Von den kleineren Parteien bekämpfte die LP die Vorlage von Anfang an, ebenso die SD und die AP, während der LdU und die EVP sie unterstützten. Aber auch das links-grüne Lager – die GPS, die noch bestehenden Gruppierungen des Grünen Bündnisses und die PdA – bekämpfte das Paket; es beurteilte den Ausbau der indirekten Steuern als unsozial und kritisierte auch den Mangel an umweltgerechten Steuerungsinstrumenten.

Ausschlaggebend im gesamten Meinungsbildungsprozess waren jedoch eher die Verbände. Nachdem sich der Gewerbeverband, der Schweizer Wirteverband, der Verband freier Berufe, die Vereinigung privater Lebensversicherer sowie das Redressement national vehement gegen die Finanzvorlage gestellt hatten, löste das Nein des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (SHIV) Verblüffen bei Parteien und Öffentlichkeit aus, weil dieser mächtigste Industrieverband ursprünglich eine massgebliche Rolle in der Forderung nach einer Umgestaltung der Warenumsatz- in eine Mehrwertsteuer gespielt hatte. Unisono bemängelten diese Interessenverbände, dass die direkte Bundessteuer nicht eliminiert oder wesentlich zurückgestutzt wurde und dazu noch unbefristet in der Verfassung verankert sei; sie befürchteten auch eine Erhöhung der Staats- und Fiskalquote. Kurz vor der Abstimmung empfahl auch der Coiffeurmeisterverband, dessen Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterstellt worden wären, die Vorlage zur Ablehnung. Im Falle der Ablehnung durch die Vereinigung schweizerischer Lebensversicherer spielten ebenfalls Partikulärinteressen mit, weil die Vorlage eine Besteuerung der Prämien von Lebensversicherungen vorsah.

Der Bauernverband, der Schweizerische Tourismusverband, die Schweizerische Bankiervereinigung – welche vor allem am Abbau der Stempelsteuer interessiert war – und die Gewerkschaften unterstützten das Paket. Bei den industriellen Branchenverbänden herrschte während langer Zeit eine gewisse Konfusion; der Verband Schweizerischer Maschinenindustrieller (VSM) und die Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittelindustrie gaben schlussendlich die Ja-Parole heraus, während die Schweizerische Gesellschaft für Chemische Industrie (SGCI) sich zu keiner Parole entschliessen konnte. Kurz vor der Abstimmung einigte sich auch die kantonale Finanzdirektorenkonferenz darauf, die Vorlage zu unterstützen.

Unter den Befürwortern der Vorlage war gemäss der VOX-Analyse das Argument der Annäherung an das Steuersystem der EG für 44% als zweiter Schwerpunkt neben der generellen Zustimmung zur Vorlage auszumachen. Die Westschweiz, welche im allgemeinen eher als europafreundlich gilt, lehnte die Vorlage deutlicher ab als die Deutschschweiz; die Kantone Wallis und Genf waren mit 76,2% resp. 74,3% ablehnenden Stimmen die stärksten Gegner. In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass in der Westschweiz das staatspolitische, föderalistische Argument für die Ablehnung eine wichtige Rolle spielte: Der Verzicht auf eine von vielen Föderalisten geforderte "saubere" Trennung zwischen den direkten, den Kantonen vorzubehaltenden Steuern und den indirekten Steuern, welche eher für den Bund bestimmt sind, hat z.B. die Waadtländer und Neuenburger Kantonalsektionen der FDP eine ablehnende Parole fassen lassen. Im übrigen hat die LP, welche den Steuerkompromiss von Anfang an bekämpft hatte, in der Romandie ihre Stammlande.

Gemäss der gegnerischen Argumentation ist die dritte MWSt-Vorlage nicht wie in den ersten beiden Anläufen wegen des Systemwechsels als solchem sondern wegen der Verknüpfung mit weiteren steuerpolitisch umstrittenen Gegenständen gescheitert. Nationalrat Paul Eisenring (cvp, ZH) interpretierte das Ergebnis in ähnlicher Richtung: Laut seinen Ausführungen sind Vorlagen in Form von "Paketen" bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern nicht mehrheitsfähig. Laut der VOX-Analyse gestaltete sich die Mobilisierung der Stimmbürger und Stimmbürgerinnen ungünstig, da es für die Mehrheit sehr schwierig war, sich eine eigene Meinung zur Neuordnung der Bundesfinanzen und deren Auswirkungen auf die eigene Person zu bilden. Unter den Nein-Sagern waren Personen mit geringem Bildungsgrad, mit wenig Vertrauen in die Regierung und ohne Parteibindung übervertreten. Wichtigste Erkenntnis der Umfrage war jedoch, dass sich die Gegner der Vorlage eher gegen Steuern im allgemeinen wandten und nicht das Prinzip der Mehrwertsteuer als solches ablehnten: 23% der Nein-Stimmenden wollten einfach in diffuser Weise Widerstand gegen Steuern allgemein leisten, 20% wandten sich gegen eine Mehrbelastung der Konsumenten, 7% lehnten Mehreinnahmen des Bundes ab und nur 6% waren explizit gegen eine Mehrwertsteuer.

Die Regierungsparteien begründeten den erneuten Fehlschlag hauptsächlich mit der Komplexität der Vorlage und der massiven, irreführenden Kampagne der Gegner. Bundesrat Stich ging soweit, aufgrund des Abstimmungsergebnisses die Handlungsfähigkeit unserer direkten Demokratie in Frage zu stellen und lancierte die Idee, künftig die Bedingung von mindestens 50% Beteiligung für die Gültigkeit einer Volksabstimmung aufzustellen. Andere Kritiker warfen den Regierungsparteien und insbesondere Bundesrat Stich vor, die Vorlage mit zu wenig Überzeugung und viel zu spät vor dem Volk verteidigt zu haben.

Vor der Abstimmung stand gesamthaft eine breit organisierte Front von Gegnern einer eher unentschlossenen und wenig überzeugenden Gruppe von Befürwortern gegenüber. Im übrigen fand während der gesamten Kampagne ein Zahlenkrieg zwischen Gegnern und Befürwortern statt, in welchem die von Bundesrat Stich vorgerechnete Ertragsneutralität der gesamten Vorlage durch die Gegner in Zweifel gezogen wurde. So kam es, dass Stich vor der Abstimmung gegen die Falschinformationen der gegnerischen Komitees und des Gewerbeverbandes intervenieren musste, indem er klar stellte, unter welchen Bedingungen er die Ertragsneutralität berechnet hatte. Er erklärte, einerseits würden durch den – befristet auf fünf Jahre – verminderten MWSt-Satz von 4% beim Gastgewerbe über CHF 300 Mio. wegfallen; andererseits dürfe noch nicht von einem um 1,3% erhöhten MWSt-Satz (zugunsten der AHV) ausgegangen werden, da eine derartige Erhöhung referendumspflichtig sein werde. Bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern lösten die Scharmützel zwischen Gegnern und Befürwortern eher Verunsicherung aus.

Bundesbeschluss Neuordnung der Bundesfinanzen.


Abstimmung vom 2. Juni 1991

Beteiligung: 33,3%
Ja: 664 304 (45,7%) / 2 1/2 Stände
Nein: 790 948 (54,3%) / 18 5/2 Stände

Parolen:
– Ja: FDP (8*), SP, CVP (1*), SVP (4*), LdU, EVP, EDU; SGB, CNG, VSA, LFSA; SBV, Bankiervereinigung, VSM, Finanzdirektorenkonferenz.
– Nein: LP, GP, GB, AP, SD, PdA; SGV, SHIV, Redressement national, Wirteverband, Arbeitgeberverband.
– Stimmfreigabe: Hotelierverein, SGCI
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die neue Finanzvorlage wurde am 2. Juni mit 54,3% Nein-Stimmen sowie von 18 Kantonen und fünf Halbkantonen abgelehnt. Damit scheiterte zum dritten Mal innert vierzehn Jahren die Einführung eines Mehrwertsteuermodells in der Volksabstimmung. Nur die Kantone Baselstadt und Zürich nahmen die Vorlage mit 55,8% resp. 55,1% klar an, Graubünden nur ganz knapp mit 50,1%. Es erstaunte nicht, dass die Wirtschaftskantone Zürich und Baselstadt das Paket annahmen, hatten sich doch der Finanzsektor und ein guter Teil der Exportwirtschaft für die Abschaffung der Taxe occulte und die Lockerung der Stempelabgaben stark gemacht. Graubünden war schon 1977 der einzige Stand, welcher die Mehrwertsteuervorlage angenommen hatte. Im Vergleich zu den zwei früheren Mehrwertsteuervorlagen sank die Stimmbeteiligung von 50% im Jahre 1977 auf 33,3% im Berichtsjahr.

Das wichtigste finanzpolitische Ereignis im Berichtsjahr war zweifellos die Volksabstimmung vom 2. Juni über die neue Bundesfinanzordnung. Seit der Einführung der sogenannten Wehrsteuer – zwecks Finanzierung des Aktivdienstes – im Jahre 1941 und der Warenumsatzsteuer (WUSt) unter dem Vollmachtenregime des Bundesrates war es dem Parlament nicht gelungen, eine neue Bundesfinanzordnung definitiv in der Verfassung zu verankern. Das gegenwärtig gültige Steuermodell der WUSt und der direkten Bundessteuer ist in einem Bundesbeschluss bis 1994 befristet. Zwei Versuche, ein Mehrwertsteuermodell, wie es heute in allen EG-Mitgliedstaaten (allerdings mit sehr unterschiedlichen Steuersätzen) existiert, einzuführen, waren in den Jahren 1977 und 1979 in der Volksabstimmung gescheitert. Nach sieben Jahren Beratungen in den eidgenössischen Räten hatten sich die Bundesratsparteien in der Herbstsession 1990 auf ein Kompromisspaket geeinigt, welches in einem Verfassungsartikel ein neues Mehrwertsteuermodell vorsah, gleichzeitig aber noch ein revidiertes Bundesgesetz über die Stempelabgaben sowie ein modifiziertes Bundesgesetz über die direkten Steuern mit einem Proportionaltarif für die Besteuerung von juristischen Personen umfasste. Doch schon bald nachdem das Parlament die komplexe Vorlage verabschiedet hatte, wurde klar, dass Parteien und Verbände nicht geschlossen hinter diesem Kompromisspaket standen.