Voraussetzungen für die IV-Anlehre und die praktische Ausbildung nach Insos

Der Nationalrat überwies mit einer grossen Mehrheit ein Postulat Lohr (cvp, TG) zum Thema der Berufsbildung für junge IV-Beziehende. Im Jahr 2011 hatte das BSV mit einem Rundschreiben die Praxis bei den IV-Anlehren nach Insos verändert. Seither dauern die entsprechenden Ausbildungen grundsätzlich nur noch ein Jahr statt zwei Jahren. Die Gutsprache für ein zweites Jahr wird nur unter der Voraussetzung erteilt, dass für die Zukunft gute Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit bestehen. Der Postulant führte Zweifel über die Rechtmässigkeit dieses Vorgehens an; der Vorstoss beauftragt den Bundesrat, eine unabhängige rechtliche Begutachtung zum Sachverhalt vorzulegen.

Im Juni 2017 veröffentlichte der Bundesrat den Bericht «IV-Anlehre und praktische Ausbildung nach INSOS» in Erfüllung der Postulate Lohr (cvp, TG; Po. 13.3615) und Bulliard-Marbach (cvp, FR; Po. 13.3626). Die beiden Postulate waren eingereicht worden, nachdem das BSV im IV-Rundschreiben Nr. 299 die Voraussetzungen für die Zusprache der Übernahme der behinderungsbedingten Mehrkosten im zweiten Ausbildungsjahr erhöht hatte. In der Zwischenzeit hatte das Bundesgericht entschieden, dass Artikel 16 IVG dem entsprechenden IV-Rundschreiben keine genügende rechtliche Grundlage biete, worauf das BSV das Rundschreiben aufgehoben hatte. Im Bericht verwies der Bundesrat insbesondere auf das Geschäft zur Weiterentwicklung der Invalidenversicherung, in dem er Massnahmen vorschlage, mit denen «die betroffenen Jugendlichen im Übergang von der Schule zur erstmaligen beruflichen Ausbildung und von der Berufsbildung in den Arbeitsmarkt» besser unterstützt werden könnten. Gleichzeitig könnten dort auch Art, Dauer und Inhalt der entsprechenden – zweijährigen – beruflichen Ausbildungen präzisiert werden. Dabei sollte die Zielsetzung eines rentenbeeinflussenden Erwerbseinkommens und der Integration in den ersten Arbeitsmarkt weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber keine Voraussetzung für eine Zusprache der Ausbildung mehr darstellen.

IV-Anlehre und praktische Ausbildung nach Insos. Mehr Transparenz

Nationalrätin Bulliard-Marbach (cvp, FR) strebte mit einem Postulat an, Informationen zu erhalten bezüglich der Anzahl geistig behinderter Jugendlicher, welche im Rahmen der IV eine Berufsausbildung absolvieren. Konkret soll der Bundesrat einen Bericht vorlegen, in dem er die entsprechende Entwicklung in den letzten zehn Jahren aufzeigt. Dabei wird unterschieden zwischen einer IV-Anlehre und einer praktischen Ausbildung im Rahmen der IV (PrA). Beide Angebote richten sich an Jugendliche, die die Anforderungen für eine zweijährige Grundbildung (eidgenössisches Berufsattest) nicht erfüllen können. Der Vorstoss wurde begründet mit der restriktiveren Praxis, die seit 2011 angewendet wird und grundsätzlich nur noch eine einjährige Ausbildungsdauer zulässt. Eine Verlängerung um ein weiteres Jahr ist nur dann möglich, wenn realistische Aussichten auf eine spätere rentenbeeinflussende Erwerbstätigkeit bestehen. Der Bericht soll Aufschluss darüber geben, wie sich die Praxisänderung auf die Anzahl Ausbildungen und auf die damit verbundenen Kosten ausgewirkt hat. Dies auch, weil sich die erhältlichen Angaben des Branchenverbandes Insos, der einen Rückgang der Ausbildungsverhältnisse feststellt, und des BSV, das eine Kostensteigerung ausweist, zu widersprechen scheinen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats. Er wandte ein, entsprechende Ausbildungen würden erst seit dem Jahr 2010 spezifisch erfasst und insgesamt sei eine stabile Datenlage derzeit noch nicht gegeben. 2010 sei zudem eine externe Auswertung erfolgt, der gegenüber ein aktueller Bericht keine neuen Erkenntnisse bringen werde. Der Nationalrat ignorierte diese Argumente und überwies das Postulat in der Sommersession 2015 mit 144 zu 33 Stimmen bei 5 Enthaltungen.

IV-Ausbildungen werden wieder zweijährig

Jugendliche mit einer starken gesundheitlichen Beeinträchtigung, die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBG) zu absolvieren, erhalten die Möglichkeit einer niederschwelligen ein- oder zweijährigen IV-Anlehre oder einer praktischen Ausbildung nach INSOS. Bedingung ist jedoch, dass eine solche Ausbildung geeignet ist, um der Person eine ihren Fähigkeiten entsprechende Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Das BSV hatte jedoch festgestellt, dass ein beträchtlicher Anteil Absolventinnen und Absolventen auch nach Abschluss der zweijährigen Ausbildung eine ganze IV-Rente benötigte. Es legte in der Folge in einem IV-Rundschreiben im Mai 2011 fest, dass den betroffenen Jugendlichen generell nur noch einjährige Ausbildungen zugesprochen werden sollen. Nur unter der Voraussetzung von guten Aussichten für eine rentenbeeinflussende Eingliederung respektive für eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt soll ein zweites Ausbildungsjahr möglich sein.
Diese neue Praxis kritisierten Behindertenorganisationen stark; die Organisationen Insieme Schweiz, Cerebral Schweiz und Procap Schweiz reichten eine Petition mit 107'675 Unterschriften für eine «Berufsbildung für alle – auch für Jugendliche mit Behinderung» ein. Unterstützung erfuhren sie 2015 von einem Rechtsgutachten, das in Artikel 16 IVG keine genügende rechtliche Grundlage für das entsprechende IV-Rundschreiben ausmachte.
Im Dezember 2016 bestätigte das Bundesgericht diese Einschätzung. Daraufhin gab das BSV bekannt, das Rundschreiben mit sofortiger Wirkung aufzuheben und IV-Anlehren und praktische Ausbildungen nach INSOS wieder generell für die Dauer von zwei Jahren zuzusprechen.
In der Zwischenzeit hatten Christian Lohr (cvp, TG; Po. 13.3615) und Christine Bulliard-Marbach (cvp, FR; Po. 13.3626) je ein Postulat eingereicht, die diese Problematik beinhalteten.