Parlamentarische Umsetzung der Verwahrungsinitiative

Als PDF speichern

Unmittelbar nach der Volksabstimmung begannen die Diskussionen über eine mit dem internationalen Recht verträgliche Umsetzung des neuen Verfassungsartikels. Bundesrat Blocher setzte zu diesem Zweck anfangs April eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Direktors des Bundesamtes für Justiz, Heinrich Koller, ein, in welcher neben internen und externen Sachverständigen auch die Initiantinnen vertreten sind. Diese Arbeitsgruppe legte im Juli einen ersten Entwurf vor, den Blocher im September präsentierte. Dieser sieht keine automatische Überprüfung der Verwahrung vor, sondern ein mehrstufiges Verfahren: Ein lebenslänglich Verwahrter soll ein Gesuch um eine neue Begutachtung stellen dürfen. Danach würde eine Fachkommission abklären, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Therapierbarkeit vorliegen oder ob bekannte Therapien aufgrund persönlicher Veränderungen des Täters erfolgreich sein könnten. Falls dem so ist und die Therapie zu einer erheblichen Reduktion der Gefährlichkeit des Täters führt, könnte ein Gericht die lebenslange Verwahrung in eine befristete umwandeln. Blocher gab gleichzeitig bekannt, dass er dem Parlament beantragen werde, die in der Strafrechtsreform geschaffenen Bestimmungen über die ordentliche Verwahrung in zwei Punkten zu verschärfen. Erstens soll eine Verwahrung auch für rückfallgefährdete Täter angeordnet werden können, die zu einer Strafe von weniger als zehn Jahren verurteilt worden sind. Zweitens soll eine ordentliche oder lebenslange Verwahrung nachträglich auch gegen bereits verurteilte Täter ausgesprochen werden können; diese Bestimmung soll zudem rückwirkend angewendet werden, d.h. auch auf Täter, die vor Inkraftsetzung des Gesetzes verurteilt worden sind. In einer ersten Stellungnahme erklärten sich die Initiantinnen mit dieser Lösung einverstanden unter der Bedingung, dass sämtliche drei Punkte realisiert werden. Negativ auf die Vorschläge reagierten hingegen, mit Ausnahme der SVP, die Parteien sowie die Dachverbände der Juristen und der Ärzte. Diese seien nicht menschenrechtskonform (insbesondere die nachträgliche Aussprechung der Verwahrung) und stünden im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Grundlagen und der ärztlichen Ethik, wurde dagegen eingewendet.

Dossier: Lebenslängliche Verwahrung von Straftätern (Volksinitiative und Gesetz)

Gegen Jahresende gab der Bundesrat seine Vorschläge für die Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“ bekannt. Nachdem die 2004 durchgeführte Vernehmlassung starke Kritik hervorgerufen hatte, hatte das EJPD angekündigt, Alternativen auszuarbeiten. Der Bundesrat hielt dann trotzdem weitgehend am Vernehmlassungsentwurf fest, er trennte allerdings die Umsetzung der Volksinitiative von den Ausbesserungsarbeiten an den Allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs. Da der Wortlaut des von der Volksinitiative geschaffenen Verfassungsartikels unter juristischen Aspekten sehr unklar ist, muss auf Gesetzesebene vorerst einmal bestimmt werden, was unter „extrem gefährlichen Sexual- oder Gewaltstraftätern“ zu verstehen ist. Gemäss der Botschaft sind darunter Täter folgender Verbrechen zu verstehen: Mord, vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung oder Entführung, Geiselnahme, Menschenhandel oder Völkermord, bei denen der Täter die physische, psychische oder sexuelle Integrität einer anderen Person beeinträchtig hat. Vorgesehen ist, dass für die Anordnung einer lebenslangen Verwahrung ein Gericht sich auf zwei unabhängige Gutachten stützen muss. Bei der Überprüfung der Weiterführung einer angeordneten Verwahrung glaubt der Bundesrat ein mit Art. 5 der EMRK vereinbares Verfahren gefunden zu haben. Dieses sieht ein mehrstufiges Vorgehen vor: Ein lebenslänglich Verwahrter soll ein Gesuch um eine neue Begutachtung stellen dürfen; ein solches kann, in Abweichung vom Vernehmlassungsentwurf, aber auch von der Vollzugsbehörde eingereicht werden. Danach würde eine Fachkommission abklären, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Therapierbarkeit vorliegen oder ob bekannte Therapien aufgrund persönlicher Veränderungen des Täters erfolgreich sein könnten. Falls dem so ist und die Therapie zu einer erheblichen Reduktion der Gefährlichkeit des Täters führt, könnte ein Gericht die lebenslange Verwahrung in eine befristete umwandeln. Das Gericht könnte eine lebenslange Verwahrung zudem bedingt aufheben, wenn der Täter infolge seines hohen Alters oder einer schweren Krankheit keine Gefahr für die Öffentlichkeit mehr darstellt. Während sich der Bundesratsentwurf bei der Möglichkeit einer Überprüfung der Fortsetzung der Verwahrung von den Forderungen der Initiantinnen und ihrem Verfassungstext entfernen musste, um den Widerspruch zur EMRK möglichst klein zu halten, blieb er beim Verbot von Urlauben während der Strafverbüssung und der Verwahrung auf einer kompromisslosen Linie. Die Initiantinnen protestierten umgehend gegen den Entwurf des Bundesrates, da dieser nicht dem Initiativtext entspreche. Sie drohten mit dem Referendum, falls das Parlament keine Verschärfungen beschliessen würde.

Dossier: Lebenslängliche Verwahrung von Straftätern (Volksinitiative und Gesetz)

Der Ständerat befasste sich als Erstrat mit den Vorschlägen des Bundesrats für die Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“. In der Eintretensdebatte wurde die Option erwähnt, auf den Erlass von ausführenden Gesetzesbestimmungen zu diesem unklaren und überdies kaum menschenrechtskonformen Verfassungsartikel zu verzichten und die Auslegung den Richtern zu überlassen. Ein entsprechender Nichteintretensantrag unterblieb aber. EJPD-Vorsteher Blocher verteidigte den Erlass einer Ausführungsgesetzgebung auch mit dem Argument, dass diese eine einheitliche Rechtsanwendung ermögliche. Blocher räumte zudem ein, dass diese Bestimmungen wohl nur in ganz seltenen Einzelfällen zur Anwendung kommen würden. Den mit dem Entwurf unzufriedenen Initiantinnen gab er zu bedenken, dass auch dank ihrem Vorstoss bereits heute ein wesentlich strengeres Regime für die Verwahrungen und den Strafvollzug von gefährlichen Straftätern gelte als früher. Der Ständerat folgte, abgesehen von einigen redaktionellen Änderungen, den Anträgen des Bundesrates und hiess die StGB-Revision in der Gesamtabstimmung bei zwei Enthaltungen gut.

Dossier: Lebenslängliche Verwahrung von Straftätern (Volksinitiative und Gesetz)

Eine klare Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats fand hingegen, dass sich dieser Verfassungsartikel nicht menschenrechtskonform umsetzen lasse. Seine Anwendung solle deshalb den Richtern, die sich gewohnt sind, zwischen verschiedenen Rechtsgütern abzuwägen, überlassen werden. Mit 16 zu 4 Stimmen beschloss die Kommission, dem Plenum Nichteintreten zu beantragen. Die Initiantinnen lancierten eine Petition, in der sie gegen diesen Nichteintretensantrag, aber auch gegen die vom Ständerat beschlossene Version protestieren. Sie verlangten, dass der in die Verfassung aufgenommene Initiativtext vollständig und ohne irgendwelche Einschränkungen umgesetzt wird.

Dossier: Lebenslängliche Verwahrung von Straftätern (Volksinitiative und Gesetz)

Das Parlament verabschiedete die gesetzgeberische Umsetzung der 2004 angenommenen Volksinitiative „für eine lebenslange Verwahrung für nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter“. Der Nationalrat folgte dem Antrag seiner Rechtskommission nicht, auf die Vorlage nicht einzutreten, weil sich dieser Verfassungsartikel nicht verfassungskonform umsetzen lasse. In der Wintersession führte er dann die Detailberatung durch und schloss sich der Version des Bundesrats und des Ständerats an. In der Schlussabstimmung, die im Nationalrat mit 128 zu 59 Stimmen ausging, opponierten die SP und die GP gegen dieses ihrer Ansicht nach unnötige Gesetz, das nicht EMRK-konform sei, aber auch den Verfassungsauftrag der Volksinitiative nicht umsetze. Auch die Initiantinnen hatten ursprünglich gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Umsetzung der Volksinitiative protestiert. Nach dem Beschluss der Rechtskommission des Nationalrats, sich der Fassung der kleinen Kammer anzuschliessen, erklärten sie sich aber als einigermassen zufrieden und verzichteten auf eine Referendumsdrohung.

Dossier: Lebenslängliche Verwahrung von Straftätern (Volksinitiative und Gesetz)