Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“ (12.076)

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Der Verein Marche blanche, welcher die im Vorjahr erfolgreiche Volksinitiative für die Nichtverjährung von sexuellen Straftaten an Kindern eingereicht hatte, lancierte eine neue Volksinitiative mit dem Titel „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“.

Dossier: Pädophilen-Initiative

Ein Komitee um Christine Bussat, welche an der im Vorjahr vom Volk gutgeheissenen Unverjährbarkeitsinitiative massgeblich beteiligt gewesen war, lancierte im Herbst eine Volksinitiative mit dem Titel „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“. Diese verlangt, dass wegen Sexualdelikten mit Kindern verurteilten Personen verboten wird, je wieder eine „berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben“.

Dossier: Pädophilen-Initiative

In Umsetzung einer Motion Sommaruga (sp, GE), schickte der Bundesrat eine Vorlage in die Vernehmlassung, welche eine Ausweitung des Berufsverbotes für Pädokriminelle vorsieht. Neu sollen auch ausserberufliche Tätigkeiten wie beispielsweise das Leiten von Pfadfindern verboten werden können. Weiter soll ein Pädokrimineller auch dann nicht mehr als Lehrer arbeiten dürfen, wenn er sich in der Freizeit und nicht während der Arbeit an Kindern vergangen hat. Jede Person, die eine Tätigkeit mit unmündigen oder anders schutzbedürftigen Personen ausüben will, soll einen Strafregisterauszug vorlegen. Für den Verein Marche Blanche gingen diese Massnahmen allerdings zu wenig weit. Mit seiner 2009 lancierten Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“, die in diesem Jahr zustande gekommen ist fordert der Verein ein automatisches Berufsverbot.

Dossier: Pädophilen-Initiative

Der Bundesrat verabschiedete am 10. Oktober 2012 eine Botschaft zur im Mai 2011 zustande gekommenen Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“, welche er zur Ablehnung empfiehlt. Laut dem Bundesrat widerspräche die Initiative mit ihrem zeitlich unbefristeten Berufsverbot dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und sei zudem unvollständig. Deshalb stellt die Regierung ihr einen indirekten Gegenvorschlag in Form eines Bundesgesetzes über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot gegenüber. Das Bundesgesetz war das Ergebnis einer bereits vor der Einreichung der Initiative begonnenen Revision der Berufsverbotsbestimmung im Strafgesetzbuch. Das Gesetz sieht vor, dass das Berufsverbot auch auf ausserberufliche Tätigkeiten ausgedehnt wird. Bei bestimmten Sexualdelikten soll zudem zwingend ein Tätigkeitsverbot verhängt werden. Weiter sieht das Bundesgesetz ein Kontakt- und Rayonverbot vor. Durchgesetzt werden die Verbote mittels eines speziellen Strafregisterauszuges, der vom Arbeitgeber eingeholt werden kann. Der Arbeitgeber ist zwar nicht verpflichtet, den Auszug anzufordern, er trägt jedoch die Verantwortung, falls sich ein Sexualdelikt ereignen sollte. Den Initianten geht der Gegenvorschlag zu wenig weit. Sie fordern ein lebenslängliches Berufsverbot für Sexualdelikte an Kindern und werden deshalb ihre Initiative nicht zurückziehen.

Dossier: Pädophilen-Initiative

Da der Bundesrat nur die Formulierung, nicht aber das Ziel der Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“ ablehnte, wandelte er den unabhängig von der Initiative, durch eine Motion Sommaruga (sp, GE) angestossenen Vorentwurf zu einem Bundesgesetz über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot im Verlaufe des Verfahrens in einen indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative um. Der im Lichte der Volksinitiative revidierte Gesetzesentwurf sah eine Ausweitung des bestehenden Berufsverbots auf ausserberufliche Tätigkeiten, die Einführung eines Kontakt- und Rayonverbots sowie einen Sonderprivatauszug aus dem Strafregister, der gewisse Tätigkeitsverbote zum Schutz von Minderjährigen separat und länger aufführt, vor. Bei der Beratung des indirekten Gegenvorschlags in der Sommersession beschloss der Nationalrat auf Vorschlag seiner Rechtskommission, die Bestimmungen betreffend eines zwingenden Tätigkeitsverbots aus der Vorlage herauszutrennen und ein separates Bundesgesetz über das zwingende Tätigkeitsverbot als indirekten Gegenvorschlag dem Volk vorzulegen. Den bundesrätlichen Entwurf zum Bundesgesetz über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot änderte die grosse Kammer dahingehend ab, dass bei Delikten gegen Minderjährige, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten bestraft werden, zwingend ein zehnjähriges Tätigkeitsverbot verhängt werden soll. Mit 117 zu 58 Stimmen wies der Rat den Entwurf dann an seine Rechtskommission zurück, die ihn fertig ausarbeiten sollte. Verschiedene von Seiten der SVP geforderte Verschärfungen fanden im Rat keine Mehrheit. Der Ständerat wollte keine Auslagerung der Bestimmungen betreffend das Tätigkeitsverbot. In der Wintersession folgte dann auch der Nationalrat der Mehrheit seiner Kommission und beschloss mit der Abschreibung des separaten Bundesgesetzes über das zwingende Tätigkeitsverbot die Wiederaufnahme dieser Bestimmungen in den bundesrätlichen Entwurf. Ein Minderheitsantrag der SVP, der den Automatismus der Initiative im Gesetz verankern wollte, kam nicht durch. Aber auch ein Minderheitsantrag der Linken, welcher den Richtern einen grösseren Ermessensspielraum einräumen wollte, wurde abgelehnt. So konnte das Bundesgesetz in der Schlussabstimmung im Ständerat mit 32 Stimmen bei 9 Enthaltungen und im Nationalrat mit 115 zu 79 Stimmen verabschiedet werden. Gegen die Vorlage stellten sich die SVP, BDP und ein Teil der CVP, weil ihnen die Vorlage zu wenig weit ging. Sie warfen dem Rat vor, die Verschärfungen nur aus abstimmungstaktischen Gründen vorzunehmen.

Dossier: Pädophilen-Initiative

Im Herbst 2012 legte der Bundesrat seine Botschaft zur 2009 lancierten und im Mai 2011 zustande gekommenen Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“ vor. Die Initiative von Marche Blanche verlangt, dass Personen, die verurteilt wurden, weil sie die sexuelle Unversehrtheit eines Kindes oder einer abhängigen Person beeinträchtigt haben, automatisch und endgültig das Recht verlieren, eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit mit Minderjährigen oder Abhängigen auszuüben. Da die Initiative über Straftaten gegen Leib und Leben sowie über die genaue Umsetzung schweigt, sah sie der Bundesrat als unvollständig an. Weiter verstosse die Initiative mit dem vorgesehenen Automatismus gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit, weshalb die Exekutive die Volksinitiative zur Ablehnung empfahl.
Das Parlament war sich bis zum Schluss nicht einig: Der Nationalrat lehnte den die Initiative ablehnenden Bundesbeschluss zuerst mit 82 zu 79 Stimmen knapp ab und empfahl damit das Volksbegehren zur Annahme. Einen von seiner Rechtskommission ausgearbeiteten, vom Automatismus absehenden, direkten Gegenentwurf verwarf der Rat in der Gesamtabstimmung mit 87 bürgerlichen zu 60 linken Stimmen. Der Ständerat seinerseits wies den Bundebeschluss mit 23 zu 21 Stimmen an seine Rechtskommission zurück, mit dem Auftrag, aus abstimmungstaktischen Gründen einen direkten, umsetzbaren Gegenvorschlag auszuarbeiten. Nach Vorliegen und Annahme dieses Gegenvorschlags mit 27 zu 14 Stimmen, der im Wesentlichen die Kernelemente des entworfenen Bundesgesetzes über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot auf die Verfassungsstufe hob, beschloss der Ständerat dann im September in Übereinstimmung mit dem Bundesrat, die Volksinitiative zur Ablehnung zu empfehlen. Der Nationalrat trat aus unterschiedlichen Motiven mit 119 zu 62 Stimmen nicht auf den direkten Gegenvorschlag der ständerätlichen Kommission ein. Gleichzeitig revidierte er seinen knappen Entschluss bezüglich des Bundesbeschlusses über die Volksinitiative: Mit dem Stichentscheid der Präsidentin empfahl er nun mit der Zustimmung zum Bundesbeschluss, die Volksinitiative abzulehnen. Darauf lenkte die kleine Kammer ein, liess den direkten Gegenvorschlag fallen und beschloss mit 21 zu 14 Stimmen, die Volksinitiative ohne Gegenvorschlag dem Volk vorzulegen und zur Ablehnung zu empfehlen. Während der Ständerat diesen Entscheid in der Schlussabstimmung konsequenterweise bestätigte, vollzog der Nationalrat in der Schlussabstimmung nochmals eine Kehrtwende und lehnte den Bundesbeschluss über die Volksinitiative ab. So wird die Initiative am 18. Mai 2014 den Stimmbürgern ohne Abstimmungsempfehlung der Bundesversammlung unterbreitet werden.

Dossier: Pädophilen-Initiative

Im Mai 2014 wurde die 2009 von der Marche Blanche lancierte und 2011 zustande gekommene Volksinitiative „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“ von 63,5% der Stimmbevölkerung bei einer Stimmbeteiligung von 54,9% angenommen. Über hundert Mitglieder zählte das überparteiliche Pro-Komitee „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen“. Unter den Vertretern aus der BDP, CVP, FDP, SVP, MCG, Lega und EDU befanden sich auch bekannte Politikerinnen und Politiker, wie etwa Oskar Freysinger (svp, VS), Natalie Simone Rickli (svp, ZH) und Thomas Minder (parteilos, SH). Ausgehend von der Ansicht, dass der vom Bundesrat ausgearbeitete und vom Parlament 2013 verabschiedete indirekte Gegenvorschlag zu wenig weit gehe, um Opfer vor Wiederholungstätern zu schützen, eröffnete das Komitee am 25. März den Abstimmungskampf.

Ihm stand das Contra-Komitee „Nein zur Pädophilie-Initiative“ gegenüber, welches sich erst kurz zuvor formiert hatte und von Andrea Caroni geleitet wurde. Obwohl alle Parteien ausser der SVP die Nein-Parole herausgegeben hatten, wurde das Nein-Komitee erst spät aktiv. Das aus Mitte-Links-Parlamentariern zusammengesetzte Komitee stellte sich hinter den indirekten Gegenvorschlag und kritisierte die Initiative aus dieser Perspektive als überflüssig, unvollständig und unverhältnismässig: Seiner Meinung nach biete das Bundesgesetz über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot einen umfassenderen Schutz der Kinder und wahre gleichzeitig den Rechtsstaat. Auch der Bundesrat empfahl die Volksinitiative zur Ablehnung. Das Parlament konnte sich bis zum Schluss nicht auf eine Abstimmungsempfehlung einigen.

Der Abstimmungskampf drehte sich folglich nicht um die Frage, ob Kinder vor sexuellen Übergriffen geschützt werden sollten, sondern durch welche Regelung dies geschehen sollte. Da es sich beim Kindsmissbrauch um ein emotionales Thema handelt, hatten die Gegner der Initiative mit ihren Argumenten der Rechtsstaatlichkeit und der Verhältnismässigkeit einen schweren Stand. Hinzu kam, dass dem Gegnerkomitee kaum finanzielle Mittel zur Verfügung standen und es sich auf eine Website und eine Pressekonferenz beschränken musste. So trug am Schluss das Pro-Komitee, welches mit seinen Teddybär-Plakaten und -Inseraten aktiv auftrat, den klaren Sieg davon. Es nützte auch nichts, dass der Bundesrat kurz vor der Abstimmung den Gegenvorschlag per 1. Januar 2015 in Kraft setzte.

Die grösste Zustimmung fand die Initiative in der Romandie (FR 68,8%, VD 68,7%, VS 74,3%, NE 70%, GE, 73,6%, JU 71,5%) und im Tessin (83%). Am wenigsten Ja-Stimmen bekam das Anliegen im Heimatkanton von Andrea Caroni (AR 55%).


Abstimmung vom 18. Mai 2014

Beteiligung: 54,9%
Ja: 1'818'658 (63,5%) / 20 6/2 Stände
Nein: 1'044'753 (36,5%) / 0 Stände

Parolen:
– Ja: BDP (1*), JCVP, SVP, EDU, MCR/MCG.
– Nein: CVP (10*), FDP (6*), SP, CSP, EVP, GLP (3*), Grüne (2*); LCH, SAJV, SGB, Travail.Suisse, VPOD, Jungwacht Blauring Schweiz, Pfadibewegung Schweiz, SATUS Schweiz, Stiftung Kinderschutz Schweiz.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Die Vox-Analyse ergab, dass es zwar durchaus einen klaren Konfliktgraben zwischen linken Gegnern und rechten Befürwortern gab. Schliesslich gab aber vor allem die persönliche Bedeutung der Vorlage den Ausschlag, wobei das Argument „Der Schutz des Kindes steht über allem“ überwog. Insgesamt waren die Stimmbürger gut über die Vorlage informiert und ihre Stimmmotivation spiegelte im Wesentlichen die Argumente der Abstimmungskomitees wieder. Dennoch schien vielen nicht klar gewesen zu sein, dass es neben der vorgelegten Initiative auch einen indirekten Gegenvorschlag in der Form eines Gesetzes gab.

Nach der Abstimmung stand das Parlament ein weiteres Mal vor der schwierigen Aufgabe, eine neue Verfassungsbestimmung umsetzen zu müssen, die einer anderen Bestimmung der Bundesverfassung – dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit – widerspricht. Noch im Berichtsjahr wollte die Justizministerin einen Entwurf in Form einer Änderung des Bundesgesetzes über das Tätigkeitsverbot und das Kontakt- und Rayonverbot in die Vernehmlassung schicken.

Dossier: Pädophilen-Initiative