Stadt-Land-Initiative (VI. 85.073)

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Bereits ein Jahr nach der Einreichung der «Stadt-Land-Initiative gegen die Bodenspekulation» beschloss der Bundesrat, das Volksbegehren dem Parlament mit dem Antrag auf Ablehnung und ohne Gegenvorschlag zu unterbreiten. Gestützt auf den Bericht einer Arbeitsgruppe unter der Leitung des Direktors des Bundesamtes für Raumplanung Baschung teilte er zwar mit den Initianten deren Grundgedanken, die Förderung des Eigengebrauchs von Grundeigentum, er verwarf jedoch deren konkrete Zielsetzung, die seiner Meinung nach zu stark eigentumorientiert und raumordnungshemmend sei und den Bodenmarkt spalte. Der Bundesrat beauftragte darauf das EJPD, einen Bericht zur Weiterentwicklung des Bodenrechts zu verfassen, welcher der Botschaft zur Initiative im Herbst 1985 zugrunde gelegt werden könne. Die Initianten widersprachen den Argumenten des Bundesrates, die sie für oberflächlich und lückenhaft hielten: die Initiative sei weder einseitig eigentumorientiert noch vernachlässige sie die Interessen der Mieter und Pächter; vielmehr würden auch die Nichteigentümer davon profitieren, wenn der Bodenmarkt von Kapitalanlegern und Spekulanten befreit sei; ferner sei das Volksbegehren nicht raumordnungshemmend, sondern weise ein differenziertes und rechtlich griffiges Planungsinstrumentarium auf. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Bergbevölkerung, welche die Stadt-Land-Initiative nicht unterstützte, sondern ihre Hoffnungen in eine Revision des Bundesgesetzes zur Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes setzte, veröffentlichte Thesen zur Revision des Bodenrechts und berücksichtigte dabei besonders die Probleme der Berg- und Randregionen.

Der Bundesrat nahm Kenntnis vom Bericht der interdepartementalen Arbeitsgruppe über die Weiterentwicklung des Bodenrechts und empfahl dem Parlament die «Stadt-Land-Initiative gegen die Bodenspekulation» ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung: zwar sei dem Ziel der Volksinitiative – der Förderung des vermehrt persönlichkeitsbezogenen, vom Eigentümer selbst genutzten und erschwinglicheren Eigentums an Grund und Boden – grundsätzlich zuzustimmen, eine derart radikale Umgestaltung des Bodenrechts, welche zu einer weitgehend staatlichen Kontrolle des Bodenmarktes führe, müsse jedoch abgelehnt werden. Der Bundesrat möchte dem Anliegen der Initiative vielmehr auf dem Weg von Gesetzes- und Verordnungsrevisionen Rechnung tragen, wie dies die interdepartementale Arbeitsgruppe in ihrem Bericht vorschlägt. Danach soll das Bodenrecht schrittweise weiterentwickelt werden, und zwar in die Bereichen bäuerliches Bodenrecht und landwirtschaftliche Pacht, Raumplanungsrecht, Fiskalrecht, Kapitalanlage institutioneller Anleger auf dem Bodenmarkt sowie private Eigentums- und Nutzungsrechte.

Obwohl der Bundesrat die «Stadt-Land-Initiative gegen die Bodenspekulation» 1985 dem Parlament zur Ablehnung empfohlen hatte, stösst dieses Begehren über die Kreise der Linken und Grünen hinaus auch bei vielen Bauern auf Wohlwollen. Der Freiburger Volkswirtschaftsprofessor H. Kleinewefers kam zudem nach einer kritischen Prüfung der vorgeschlagenen Massnahmen zum Schluss, dass die Volksinitiative durchführbar, im Hinblick auf ihre Ziele tauglich und nicht mit untragbaren volkswirtschaftlichen Effizienzverlusten oder Beeinträchtigungen anderer Ziele verbunden sei. Das «Kontaktforum Boden», ein loser Zusammenschluss von Landwirten, Raumplanern und Landschaftsschüttern, forderte daher das Parlament zu einem entsprechenden Gegenvorschlag auf.

Bei den Beratungen der «Stadt-Land-Initiative» prallten im Nationalrat somit drei Positionen aufeinander: Befürworter und Gegner der Initiative sowie Verfechter eines Gegenvorschlages. Die Grünen und die kleinen Linksparteien plädierten für ein Ja zum Volksbegehren, sie wurden dabei unterstützt von SP und LdU, wobei diese sich bereit erklärten, auch den von Martin Bundi (sp, GR) eingereichten Gegenvorschlag zu unterstützen. Dieser sah – neben Förderungsmassnahmen für eine breit gestreute Eigentumsbildung – Missbrauchsbestimmungen gegen Konzentration von Grundeigentum und die Abschöpfung von Spekulations- und Planungsmehrwertgewinnen vor. Der Gegenvorschlag Bundi unterlag in einer Eventualabstimmung des Nationalrates jenem von H. Ruckstuhl (cvp, SG), der nur die Förderung eines breiter gestreuten Grundeigentums verlangte. In der Gesamtabstimmung aber sprach sich die bürgerliche Mehrheit der grossen Kammer deutlich für die Linie des Bundesrates aus und empfahl die «Stadt-Land-Initiative» mit 132:47 Stimmen ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung; dieses Ergebnis kam auch deshalb zustande, weil die bäuerlichen Vertreter den Argumenten von Bundesrätin Kopp folgten und sich für den Vorentwurf des revidierten bäuerlichen Bodenrechts entschieden, den sie allerdings mit einem dringlichen Bundesbeschluss in Kraft gesetzt haben möchten.

Eine grundsätzlichere Neuordnung streben die Initianten der «Stadt-Land-Initiative gegen die Bodenspekulation» mit einer Änderung der oben erwähnten Verfassungsartikel aus dem Jahre 1969 an. Die Initiative verlangt, dass Grundstücke nur noch zum Eigengebrauch oder zur Bereitstellung günstiger Wohnungen erworben werden dürfen und sieht eine Preiskontrolle für landwirtschaftlichen Boden vor. Ausserdem soll, zur Unterstützung der Raumplanung, nicht erschlossenes Land automatisch der Landwirtschaftszone zugerechnet werden. Nachdem die Initiative 1985 bereits vom Bundesrat und 1986 vom Nationalrat zur Ablehnung empfohlen worden war, wandte sich 1987 auch der Ständerat gegen das von ihm als zu radikal eingestufte Begehren. Neben der Radikalität wurde in der kleinen Kammer auch bemängelt, dass der Initiativtext die juristischen Personen unerwähnt lasse und diese damit gegenüber den natürlichen bevorzuge, da ersteren keine Einschränkungen auferlegt würden. Bundesrätin Kopp machte in der Diskussion zudem auf die Gefahr eines erhöhten Bodenverschleisses aufmerksam, da nach der Annahme der Initiative Einfamilienhäuser rechtlich einfacher zu bauen wären als raumsparende Siedlungen. Mit dem Hinweis auf das sich in Revision befindende bäuerliche Bodenrecht versagte darauf der Ständerat der Initiative mit 31 zu 4 Stimmen die Unterstützung. Nicht besser ging es auch dem von Esther Bührer (sp, SH) eingebrachten Gegenvorschlag, der im Vorjahr bereits im Nationalrat keinen Erfolg gehabt hatte. Verschiedene Zeitungskommentatoren zweifelten nach dem negativen Entscheid des Ständerates an dessen politischem Willen, an den auch von ihm beklagten Auswirkungen der Bodenspekulation etwas zu ändern.

Die 1983 eingereichte «Stadt-Land-Initiative», welche eine grundlegende Reform des Bodenrechts mit Übergang zum «Nutzungseigentum» innert einer Generation und die Beseitigung der Bodenspekulation anstrebte, aber generell weitreichende Folgen, auch für den Wohnungsmarkt, die Bauwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Tourismus, Landwirtschaft, Siedlungsentwicklung und Pensionskassen gehabt hätte, gelangte im Dezember vors Volk. Der intensiv geführte Abstimmungskampf setzte schon sehr früh in den ersten Monaten des Jahres ein und war namentlich auch dadurch gekennzeichnet, dass die Befürworterseite erheblich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung hatte als die Gegner.
Die Initianten, welche vor allem Mieter, Bauern und Umweltschutzkreise ansprachen, stellten die allgemeinen Zielsetzungen in den Vordergrund und bewerteten keine der kurz vor der Abstimmung präsentierten Revisionsentwürfe (bäuerliches Bodenrecht, Raumplanungsgesetz) als auch nur einigermassen brauchbare Alternative. Bezüglich gewissen Widersprüchlichkeiten des Initiativtextes verwiesen sie auf die notwendige Anschlussgesetzgebung der eidgenössischen Räte, welche die Möglichkeit zu Korrekturen bieten würde.
Die Gegner der Initiative konstatierten dagegen einen Frontalangriff auf das Privateigentum und das Gesellschaftssystem; sie bemängelten weniger die Zielsetzungen als die widersprüchlichen Folgen, welche sich aus dem klar formulierten Text ergeben würden. Im Zentrum ihrer Kritik standen die starre Bindung an den Eigengebrauch, verbunden mit einem entsprechenden Kontrollaufwand, als Voraussetzung für Landerwerb und Landbesitz, sodann Befürchtungen betreffend Erliegen des privaten Wohnungsbaus sowie der Umstand, dass die gewerbliche Miete im Initiativtext vergessen worden war.
Mit 69.2% Nein-Stimmen und Ablehnung durch alle Kantone erzielte die Initiative ein schlechteres Ergebnis als erwartet. Am deutlichsten wurde sie in ländlichen Kantonen mit breiter Streuung des Grundbesitzes abgelehnt (über 80% Nein-Stimmen im Wallis, in Appenzell Innerrhoden, Schwyz und Obwalden), aber auch Stadtkantone wie Baselstadt und Genf mit akuten Wohnungsproblemen verwarfen überraschend deutlich.


Stadt-Land-Initiative. Abstimmung vom 4. Dezember 1988

Beteiligung: 52.8%
Ja: 686'398 (30.8%)
Nein: 1'543'705 (69.2%)

Parolen:
Ja: SP, LdU*, GPS, GBS, POCH, PdA, SAP, PSU (TI), Liberalsoz. Partei; CNG, SVEA, GBH.
Nein: CVP, FDP, SVP, LP, EVP*, EDU, Auto-Partei, Vigilance; LFSA, Vorort, SBV, SGV, ZSAO.
Stimmfreigabe: NA*; SGB, VSA
* abweichende Parolen einzelner Kantonalsektionen

Eine wissenschaftliche Nachanalyse des Abstimmungsverhaltens zeigte auf, dass Hauseigentümer und Landwirte konsequent gegen die «Stadt-Land-Initiative» stimmten und dass auch Mitglieder von Umweltorganisationen und Gewerkschaften mit einer knappen Mehrheit gegen die Initiative eingestellt waren, während sich die Mieter je nach politischer Orientierung sowohl im Ja- als auch im Nein-Lager befanden. Entgegen bestimmten Erwartungen war die politische Orientierung der Stimmenden, d.h. die Rechts-Links-Ausrichtung im Sinne einer Polarisierung über die Parteibindungen, das einzig wirklich bestimmende Moment. Der Bundesrat zeigte sich vom Abstimmungsausgang befriedigt und sah seine Politik einer schrittweisen und massvollen Weiterentwicklung des Bodenrechts bestätigt.