Wahlplattformen Parteien - Eidgenössische Wahlen 1999

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In der Presse wurde bereits im Januar versucht, einige Tendenzen des Wahljahres vorwegzunehmen. Das rot-grüne Lager gab sich sehr optimistisch. Die SP wollte sich auf den 1995 erzielten Sitzgewinnen nicht ausruhen. Ihr Ziel war es, ihre Position als stärkste Fraktion zu halten und den Wähleranteil auf 25% zu steigern. Die Grünen strebten laut Parteipräsident Baumann einen Rückgewinn der sechs vor vier Jahren verlorenen Nationalratsmandate an. Die CVP setzte sich zum Ziel, im Zweikampf gegen die SVP den Sieg davonzutragen. Die SVP gab sich zurückhaltend. Laut Generalsekretär Baltisser stehe die grosse Aufgabe an, die 1995 neu dazugewonnene Basis in jenen Kantonen, wo die SVP noch keine Tradition habe, zu halten. FDP-Generalsekretär Matyassy forderte einen höheren Wähleranteil als 1995 und darüber hinaus wollte er die SP/PdA-Fraktion im Bundeshaus überflügeln. Bei den kleinen Parteien wollte die LP ihren Rückschlag von 1995 wieder wettmachen, die FP die – nach dem Übertritt von Giezendanner (AG) und Borer (SO) zur SVP – verbleibenden fünf Nationalratssitze und damit die Fraktionsstärke verteidigen.

Der SVP und SP wurden von Wahlbeobachtern bereits im Sommer Zugewinne prophezeit. Beide würden die Splittergruppierungen am rechten und am linken Rand zunehmend einverleiben. Der Wahlkampf der SVP bewege sich hauptsächlich in Themen, die sehr stark mit der SD und der FP konnotiert seien. Grüne und Alternative, wie auch feministische Gruppierungen sähen sich in der Wertediskussion in der Konkurrenz zur SP. Das Doppelspiel des Regierens und Opponierens würde sich für die SP und die SVP deshalb doppelt auszahlen. FDP und CVP hätten dagegen Mühe, ihre eigene politische Linie zu finden und verlören an Profil. Die staatstragende Funktion allein sei im Wahlkampf nicht geeignet, die Bindung der bisherigen Wähler an die Partei zu stärken und zudem neue zu gewinnen.

Die Parteileitung der SP kündigte am Wahlparteitag Anfangs September an, in den auf die Wahlen folgenden Gesprächen mit den Christlichdemokraten und den Freisinnigen Forderungen zu stellen, die wenig Kompromisspotential enthalten würden: AHV ab 62, Mutterschaftsversicherung, Mindesteinkommen, fixer Termin für eine EU-Beitritts-Abstimmung. Mit 180 zu 46 Stimmen sprach sich die Delegiertenversammlung für den politischen Kurs der Geschäftsleitung aus und hiess den Vorschlag gut, nach den Wahlen mit "konstruktiven politischen Kräften" zu verhandeln. Parteipräsidentin Koch proklamierte, die SP sei die einzige Alternative zur SVP, solange FDP und CVP keine Farbe bekennen würden. Diese beiden Parteien müssten sich zwischen einem rechtsnationalen und einem linksliberalen Regierungsstil entscheiden. Unter dem Stichwort "Blocher bashing" forderte sie die Delegierten zu einem energischen Wahlkampf gegen die SVP auf. Die SP verabschiedete ihre Wahlplattform ohne nennenswerte Gegenstimmen. Der Antrag der Juso, die Abschaffung der Armee ins Papier aufzunehmen, konnte sich nicht durchsetzen. In Inseraten zog die Parteipräsidentin gegen die "Täuschungen der SVP" ins Feld und warb mit dem Wahlkampfslogan "Sozial. Weltoffen. Natürlich SP" für ihre Partei.

Die FDP wollte sich im Wahljahr als Motor der Erneuerung profilieren. Die Partei verabschiedete Ende August ihre Wahlplattform mit dem Slogan "Sicherheit durch Erneuerung" und knüpfte an das in der „Vision 2007“ enthaltene Bekenntnis zu einer liberalen Modernisierung an. Nach amerikanischer Manier wurde zum "Wahl-Kickoff" die Halle in Freiburg mit Ballonen in den Parteifarben geschmückt. Über eine grosse Leinwand wurde das Geschehen in Übergrösse projiziert. Der bekannte Fernseh-Moderator Filippo Leutenegger leitete eine Gesprächsrunde zum Thema Wirtschaft und Freisinn; Bundesrat Couchepin vergab goldene KMU-Oskars an innovative Unternehmerinnen und Unternehmer. Die FDP sah ihren Feind für die Wahlen für einmal nicht in der SP sondern in der SVP und deren "politischen Fundamentalismus", wie Parteipräsident Steinegger ausführte. Der traditionelle Konflikt zwischen Links und Rechts bestehe zwar weiterhin in Fragen der Umverteilung und in der Auffassung von der Rolle des Staates. In Fragen der Aussenpolitik und der Sicherheit sei dieses Konfliktmuster hingegen überholt. Das Programm umfasste einen Forderungskatalog mit vier Schwerpunkten. Eine Reihe wirtschaftspolitischer Postulate wurde unter dem Titel "Mehr Arbeit ermöglichen" subsumiert. Die Lohnabgaben sollen gesenkt und die berufliche Weiterbildung durch eine Bildungsoffensive unterstützt werden. Im zweiten Schwerpunkt kündigten die Freisinnigen den Aufbruch in der Finanz- und Sozialpolitik an. Die Einführung einer bescheidenen ökologischen Steuerreform wurde begrüsst, sollte aber vollständig durch verminderte Lohnprozente aufgefangen werden. Die FDP sprach sich dezidiert gegen einen weiteren Ausbau der Sozialwerke aus; es soll mehr auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger abgestellt werden. Die letzten beiden Schwerpunkte widmeten sich der Asyl- und Aussenpolitik, insbesondere der internationalen Kooperation. Das Asylverfahren soll weiter gestrafft und die Integrationsbemühungen der Schweiz in internationalen Gemeinschaften wie die UNO sowie in wirtschaftspolitische und europäische Organisationen verstärkt werden. Im Spätsommer lancierte die FDP eine Volksinitiative, die ein Steuermoratorium für sieben Jahre verlangt. Ebenfalls beschlossen wurde eine Petition für eine "kinder- und elternfreundliche Grundschule".

Der CVP-Wahlparteitag anfangs Juli in Hergiswil (NW) wurde ebenfalls nach amerikanischen Vorbildern organisiert. Die Veranstaltung diente weniger einer inhaltlichen Diskussion der Wahlkampfthemen als vielmehr einer Motivierung für Kandidatinnen und Kandidaten. Emotionale Reden wurden umrahmt mit Showeinlagen sowie Pop- und Volksmusik-Darbietungen. Die neuen Bundesräte Metzler und Deiss wurden als Hoffnungsträger besonders prominent ins Bild gesetzt. Schwerpunkte der Ansprachen bildeten die Verbesserung der Beziehungen mit der EU (Bundesrat Deiss), ein wirksames Vorgehen gegen illegale Einwanderer (Bundesrätin Metzler), die Aufforderung zur Stärkung des „Wir-Gefühls“ und Angriffe gegen die „Neinsager und Querulanten“ in den Reihen der SVP (Parteipräsident Durrer) und die Formulierung des Wahlziels „Dritte Kraft im Lande“ (Brigitte Hauser). Einige Wochen vor den Wahlen propagierte die CVP in seitengrossen Inseraten ihre Wahlbekenntnisse für eine zukunftsgerichtete Zusammenarbeit mit der EU und für eine „vorurteilsfreie Flüchtlingspolitik“. Wiederum wurden die Bundesräte Metzler und Deiss sowie Parteipräsident Durrer als Zugpferde ins Bild gesetzt.

Bereits im Januar eröffnete die SVP in Reconvillier (BE) ihren Wahlkampf mit einem Programmparteitag. Die Delegierten bekräftigten ihre Ablehnung eines EU-Beitritts. Weniger absolut formulierte Gegenanträge hatten in der Versammlung keine Chance. Zwischen Berner und Zürcher Delegierten kam es während der Verhandlung zu einigen Wortgefechten. Die Delegierten sprachen sich im weiteren gegen eine Bewaffnung schweizerischer Armeeangehöriger im Auslandeinsatz und gegen einen zukünftigen Beitritt der Schweiz zur UNO aus. In der Ausländerpolitik wurde eine härtere Gangart festgelegt. Gegen den Vorschlag des Vorstandes, den Passus "wirksame Massnahmen zur effektiven Stabilisierung der ausländischen Bevölkerung" ins Programm aufzunehmen wurde der von Nationalrat Hans Fehr (ZH) eingebrachte konkretere Antrag einer Stabilisierung "auf dem Niveau von Ende 1998" gutgeheissen. Ende Juli schürte die Partei mit einer Inseratekampagne landesweite Empörung. Das Plakat zeigte einen Mann mit kantigem Gesicht, der eine Schweizer Fahne zerreist. Die Darstellung erinnerte an das "Messerstecher-Plakat" der Partei aus dem Jahre 1997 und visualisierte den Gedanken des Asylrechtsmissbrauchs durch Kriminelle. Mehrere Kantonalsektionen distanzierten sich in der Folge von der Darstellung. In den Kantonen Waadt und Tessin wurde gegen das Plakat Strafanzeige eingereicht. Die Staatsanwälte beider Kantone beurteilten jedoch die Voraussetzungen für eine Anklage nach der Rassismusstrafnorm als nicht erfüllt.

Für parteiinterne Aufregung sorgte ein von seiner Kantonalsektion nicht nominiertes Mitglied der Berner SVP. Der Landwirt Werner Salzmann hatte eine eigene Liste mit der Bezeichnung "SVP-Neue Liste" bei der Staatskanzlei eingereicht. Laut Salzmann, sollte diese Liste eine Option für all jene Wählerinnen und Wähler darstellen, die auch im Kanton Bern der Zürcher Ausprägung der Partei ihre Stimme geben möchten. Nach einer Beschwerde der Berner SVP musste Salzmann die Bezeichnung SVP streichen.

Ende August präsentierte die SVP ihre finanzpolitischen Vorgaben für den Wahlkampf. Im Unterschied zu den bürgerlichen Regierungspartnern FDP und CVP verfolgte die Partei eine Doppelstrategie: Sie forderte Steuersenkungen und gleichzeitig die Reduktion der Staatsausgaben. Am letzten Parteitag vor den Wahlen in Sempach wurde die Forderung nachgereicht, die direkte Bundessteuer binnen zwei Jahren um 10% zu senken. Parallel dazu sollen beim Bund Sparmassnahmen in der Höhe von einer Milliarde umgesetzt werden. Gleichzeitig forderte die SVP vom Staat zusätzliche Massnahmen im Bereich der inneren Sicherheit.

Die LP unterstrich gegenüber der FDP und der CVP ihre Gradlinigkeit und Prinzipientreue, gegenüber der SVP ihr Bekenntnis zu Europa und ihr Engagement für eine humanitäre Asylpolitik. Eine eigentliche Wahlplattform wurde nicht erstellt.

Das Wahlkampfprogramm der Grünen für die nationalen Wahlen wurde bereits im Mai an der Genfer Delegiertenversammlung diskutiert. Darin bekräftigten die Grünen ihre bekannten Positionen: EU- und UNO-Beitritt, ökologische Steuerreform und Ausstieg aus der Atomkraft bis 2014, keine Zulassung gentechnologisch veränderter Lebensmittel sowie neue Ergänzungsleistungen für Kinder und Erwerbslose.

An einer Pressekonferenz Ende Juli verkündete Parteipräsident Schaller, der Landesring der Unabhängigen (LdU) bestreite den Wahlkampf unter der Bezeichnung "Liste der Unabhängigen". Auch ein neues blaues Logo mit dem Schriftzug "Neugeboren und unbequem" wurde vorgestellt. Die Partei trat ihren Wahlkampf mit vier Schwerpunkten an. Sie forderte unter dem Stichwort "Mehr Lebensqualität" die Schaffung einer Ombudsstelle für Umweltfragen und eine ökologische Steuerreform. Mit dem Stichwort "Gleiche Chancen" trat sie für ein zeitgemässes Bildungssystem ein, welches den Wechsel zwischen theoretischer Bildung und praktischer Arbeit zulasse. Die beiden andern Schwerpunkte waren mehr Wettbewerb in der Wirtschaft und eine steuerliche Entlastung des Mittelstandes. In den Medien erschien die Partei mit anklägerischen Inseraten gegen den "Filz" in Bern.

Die EVP vertrete laut Vizepräsident Roland Bialek eine "Politik der Mitte" im Sinne von Brüderlichkeit und versuche damit den Konflikt zwischen Liberalismus und Sozialismus, zwischen Freiheit und Gleichheit aufzuweichen. Sie sei ausserdem bestrebt, Gerechtigkeitslücken in vielen Bereichen des politischen und wirtschaftlichen Lebens zu stopfen und opponiere gegen "zu weit gegangene Liberalisierungen". PdA-Präsidentin Christiane Jaquet-Berger sprach sich am nationalen Kongress in Le Locle gegen eine Politik der Kompromisssuche an „runden Tischen“ aus, und kritisierte damit die SP, die sich aus ihrer Sicht viel zu anpasserisch verhalte. Das FP-Wahlprogramm umfasste vier Stossrichtungen. „Für freien Individualverkehr“, „Asylpolitik – Grenze zu!“, „für Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ sowie „für gesicherte Sozialwerke“. Im Parteiprogramm der SD wurde weiterhin vehement die Position gegen einen Beitritt der Schweiz zur EU vertreten. Noch vor den Wahlen hatte das Präsidium das Referendum gegen die bilateralen Verträge angekündigt. Die SD waren auch der Meinung, dass in der Asylpolitik viel zu nachsichtig verfahren werde. Die Rezepte der SD für eine Schweiz im neuen Jahrtausend lauten denn auch "Stopp der zerstörerischen Einwanderung, Überfremdung und Übervölkerung unserer Heimat" oder "Schluss mit der schleichenden Internationalisierung unseres Landes".