Reform der Volksrechte (BRG 96.091)

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Für den umstrittensten Teil der neuen Verfassung, die Ausgestaltung der Volksrechte, sieht der Bundesrat sowohl Restriktionen wie auch einen Ausbau vor. Die für Volksinitiativen notwendige Unterschriftenzahl soll auf 150'000 (anstelle der ursprünglich vorgeschlagenen 200'000) erhöht werden. Für das fakultative Gesetzesreferendum sollen neu 100'000 Unterschriften nötig sein.
Als Ausgleich ist die Einführung neuer Volksrechte geplant: Durch die allgemeine Volksinitiative erhalten mindestens 100'000 Stimmberechtigte oder acht Kantone das Recht, in der Form einer allgemeinen Anregung die Annahme oder Aufhebung von Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen zu verlangen. Mindestens acht Kantone können neu eine Initiative für eine Total- oder Teilrevision der Bundesverfassung einreichen. Die Bundesversammlung kann für Verfassungs- oder Gesetzesvorlagen Alternativtexte ausarbeiten und sie gemeinsam mit den entsprechenden Volksinitiativen der Volksabstimmung vorlegen. Auch der Entscheid über die Gültigkeit von Volksinitiativen soll neu geregelt werden. Im Konfliktfall wird nicht mehr die Bundesversammlung, sondern das Bundesgericht dafür letztinstanzlich zuständig sein.
Bei den Referenden ist die Einführung des fakultativen Verwaltungs- und Finanzreferendums geplant. Das fakultative Staatsvertragsreferendum wird auf nicht direkt anwendbare Verträge ausgedehnt, falls diese landesrechtliche Gesetzesanpassungen auf Bundesebene erfordern, welche die Rechtsposition der schweizerischen Bevölkerung betreffen.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

In seiner im November vorgestellten Botschaft zur Totalrevision der Bundesverfassung rückte der Bundesrat nur wenig von seinen ursprünglichen Plänen ab. Er behielt sowohl die im Vorentwurf vorgestellten neuen Instrumente als auch die Erschwerung der Ausübung der Volksrechte durch eine Heraufsetzung der Unterschriftenzahlen bei. Für Referenden beantragte er eine Verdoppelung auf 100'000, für Volksinitiativen eine Erhöhung auf 150'000 (statt wie ursprünglich vorgesehen auf 200'000). Für das neue Instrument der allgemeinen, d.h. nicht ausformulierten Volksinitiative, welche vom Parlament sowohl auf Verfassungs- als auch auf Gesetzesstufe realisiert werden könnte, sollen hingegen 100'000 Unterschriften ausreichen. Die bereits im Vernehmlassungsentwurf enthaltene Ausweitung des Referendumsrechts auf Finanz- und Verwaltungsbeschlüsse wurde beibehalten, allerdings etwas erschwert: nicht wie vorgesehen ein Drittel der Ratsmitglieder könnten eine Unterstellung unter das fakultative Referendum anordnen, sondern ein Mehrheitsbeschluss in beiden Parlamentskammern wäre dazu erforderlich.
Das von der SP geforderte konstruktive Referendum (die Unterschriftensammlung für die im Herbst 1995 lancierte Volksinitiative konnte noch nicht abgeschlossen werden) ist im Entwurf für die Verfassungsrevision nicht enthalten. Hingegen schlug der Bundesrat vor, dass das Parlament beschliessen kann, den Stimmbürgern Alternativlösungen zu Verfassungs- oder Gesetzesvorlagen zu unterbreiten.
Der Bundesrat möchte im Rahmen der Verfassungsrevision auch die bisher stiefmütterlich behandelte Standesinitiative aufwerten. Er beantragte, sie einer Volksinitiative gleichzustellen, wenn sie in mindestens acht Kantonen vom Volk oder vom Parlament beschlossen worden ist.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

In der Botschaft zur Totalrevision der Bundesverfassung machte auch der Bundesrat Vorschläge zur materiellen Vorprüfung der Gültigkeit von Volksinitiativen. Er beantragte, dass in Zukunft die Bundesversammlung zwar eine Volksinitiative für ungültig erklären kann, dass der definitive Entscheid darüber aber vom Bundesgericht getroffen wird.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Die im Rahmen der Verfassungsreform vom Bundesrat vorgeschlagene Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiativen und Referenden stiess in den vorberatenden parlamentarischen Verfassungskommissionen auf Skepsis. Eine Subgruppe der nationalrätlichen Kommission lehnte mit klarer Mehrheit jegliche Heraufsetzung ab; in der ständerätlichen Untergruppe kam ein analoger Beschluss mit dem Stichentscheid des Präsidenten zustande.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Die Verfassungskommissionen selbst fassten im Berichtsjahr zu den Unterschriftenzahlen noch keine Beschlüsse. Hingegen befürwortete diejenige des Nationalrats die Einführung der allgemeinen Volksinitiative – bei welcher das Parlament über die Zuweisung auf die Verfassungs- oder Gesetzesebene entscheiden würde – und des Finanzreferendums. Die Gesetzesinitiative und das konstruktive Referendum lehnte sie hingegen ab.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Beim Paket «Volksrechte» waren zu Jahresende wichtige Entscheide, wie z.B. zur Erhöhung der Unterschriftenzahl, noch offen. Die beiden zuständigen Subkommissionen hatten beantragt, auf eine Erhöhung zu verzichten.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Die nationalrätliche Kommission setzte im Februar ihre Verhandlungen über die Reform der Volksrechte fort. Mit deutlicher Mehrheit sprach sie sich gegen eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen für Initiative und Referendum aus. Nachdem diese Erschwerung der Ausübung der Volksrechte aus den Traktanden gefallen war, kam die Kommission auf ihre Entscheide vom Herbst des Vorjahres zurück und strich den damals beschlossenen Ausbau der Volksrechte durch die Einführung der allgemeinen Volksinitiative, die sowohl Verfassungs- als auch Gesetzesänderungen hätte herbeiführen können, und des Finanzreferendums. Keine Mehrheit fand auch der Vorschlag, dass das Parlament den Entscheid über die Gültigkeit von Volksinitiativen an das Bundesgericht delegieren kann. Damit verblieben von den vom Bundesrat beantragten Reformen der Volksrechte noch die Erweiterung des Staatsvertragsreferendums und die Möglichkeit der Durchführung von Alternativabstimmungen übrig. Nur mit Stichentscheid des Präsidenten stimmte die Kommission ferner dem Regierungsantrag zu, dass Abstimmungs- und Wahlkomitees ihre Finanzen offenlegen müssen.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Im Gegensatz zur nationalrätlichen Kommission blieb die vorberatende Kommission des Ständerats voll auf Reformkurs. Sie stimmte sowohl der Erhöhung der Unterschriftenzahlen als auch der Einführung der allgemeinen Volksinitiative zu. Gutgeheissen wurde ebenfalls die Erweiterung des Staatsvertragsreferendums und das Verwaltungs- und Finanzreferendum, wobei die Modalitäten für die Unterstellung von Beschlüssen unter dieses neue Volksrecht auf Gesetzesebene geregelt werden sollen. Neu beantragte die Kommission, dass bei Volksinitiativen, welche «nicht zwingendes» Völkerrecht verletzen, das Parlament entscheidet, wie die Normenkollision eliminiert werden soll.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)

Im Berichtsjahr kam die im Rahmen der Verfassungstotalrevision vorgesehene Reform der Volksrechte (Paket B) nach langen Kommissionsberatungen in die Parlamentskammern. Im Nationalrat empfahl die Kommission Nichteintreten, da sich in ihren Reihen keine tragbare Lösung für den von der Regierung beabsichtigten Ausbau der Volksrechte bei gleichzeitiger Erhöhung der erforderlichen Unterschriftenzahlen habe finden lassen. In den Voten der Fraktionssprecher wurde zum Ausdruck gebracht, dass zwar wohl ein Reformbedarf besteht, dieser allerdings je nach Partei mit unterschiedlicher Zielrichtung versehen ist. Mit 134:15 Stimmen beschloss der Nationalrat Nichteintreten. Angesichts dieses klaren Entscheids resignierte die Staatspolitische Kommission des Ständerates und beantragte ebenfalls Nichteintreten. Um zu unterstreichen, dass sie trotzdem einen Reformbedarf sieht, legte sie eine parlamentarische Initiative für «die Beseitigung von Mängeln der Volksrechte» vor (99.436). Der vom Plenum überwiesene Vorstoss ist zwar offen formuliert, in der Begründung werden aber das unklare Vorgehen bei nicht völkerrechtskonformen Volksinitiativen und die geltende Beschränkung des Initiativrechts auf die Verfassungsebene als zu behebende Mängel des aktuellen Systems erwähnt.

Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 2/2: BRG 96.091 (1996 bis 2000)