Der Ständerat befasste sich in der Sommersession 2025 als Erstrat mit der Neutralitätsinitiative. Der kleinen Kammer lag hierbei folgende Konstellation vor: Die Mehrheit der APK-SR beantragte ebenso wie der Bundesrat, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen und keinen Gegenentwurf vorzulegen. Eine Minderheit I Germann (svp, SH) beantragte, die Initiative zur Annahme zu empfehlen. Eine Minderheit II Würth (mitte, SG) wollte der Initiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen.
Nachfolgend diskutierte der Ständerat eingehend darüber, was Neutralität bedeutet und welche Folgen eine Definition von Neutralität in der Verfassung zeitigen würden: Matthias Michel (fdp, ZG) erläuterte, dass die Kommissionsmehrheit die Auffassung vertrete, dass die Neutralität kein Verfassungsziel an und für sich sei, sondern ein Mittel, um andere Ziele, wie etwa die aussenpolitische Unabhängigkeit und Sicherheit der Schweiz, zu erreichen. Wie die Ratsmitglieder Tiana Moser (glp, ZH) und Franziska Roth (sp, SO), welche die Mehrheit unterstützten, ergänzten, bestehe für die Mehrheit daher schlicht kein Handlungsbedarf einer weiteren Verankerung der Neutralität in der Verfassung. Kommissionssprecher Michel führte weiter aus, dass sich die Neutralitätspolitik im Interesse der Schweiz über die Zeit hinweg immer wieder an die weltpolitische Lage angepasst habe, weshalb die in der Initiative und in abgeschwächter Form auch im Gegenentwurf geforderte inhaltliche Definition der Neutralität für die Kommissionsmehrheit nicht sinnvoll sei. Es entstünde vielmehr das Risiko, aus dem «Zeitgeist» heraus eine Form von Neutralität zu definieren, die den komplexen weltpolitischen Entwicklungen nicht gerecht werden könne und den aussenpolitischen Spielraum der Schweiz unnötig und weitgehend einschränke.
Anschliessend erläuterte Hannes Germann die Position seiner Minderheit, wonach es an der Zeit sei, die Neutralität zu stärken, indem sie in der BV verankert werde. Die Volksinitiative wolle die immerwährende und bewaffnete Neutralität erhalten und den Beitritt zu einem Militär- und Verteidigungsbündnis grundsätzlich verbieten, ausser es drohe ein direkter, militärischer Angriff auf die Schweiz. Zudem dürfe sich die Schweiz an Sanktionen gegen Staaten, die sich im Krieg befinden, nicht beteiligen, ausser sie stammen vom UNO-Sicherheitsrat. Gemäss Germann seien aber Sanktionen gegen Individuen und Sanktionen nach dem Embargogesetz weiterhin zulässig. Die Schweiz solle schliesslich die Neutralität und die Guten Dienste zur Verhinderung oder Lösung von Konflikten einsetzen.
Danach äusserte sich Benedikt Würth zu seiner Minderheit, welche die immerwährende und bewaffnete Neutralität ebenfalls in der Verfassung festhalten wollte und die Neutralität sowohl als Mittel zur Sicherung der Unabhängigkeit und Sicherheit als auch als Instrument zur Vermittlung und Friedensförderung verstand. Im Gegensatz zur Initiative wolle der Gegenentwurf aber keine Bestimmungen zur Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich oder zur Sanktionspolitik festlegen. Mit dieser vorgeschlagenen Verankerung der Neutralität in der Verfassung werde festgehalten, dass sich die Schweiz in militärischer Hinsicht gegenüber Kriegsparteien neutral verhält, so Würth. Es bestehe aber wie bislang die Möglichkeit, Sanktionen zu beschliessen und damit die Kriegsparteien wirtschaftlich ungleich zu behandeln. Zudem verhindere der Gegenentwurf «tagespolitische Schnellschüsse». Würth versprach sich vom Gegenentwurf nicht zuletzt auch einen Vorteil im Abstimmungskampf gegen die Initiative. Es werde für die Gegnerinnen und Gegner sicher kein leichtes Unterfangen, wenn sie mit Ausdrücken wie «ungeschriebenes Verfassungsrecht» gegen eine Initiative antreten, welche die von der Bevölkerung breit befürwortete Neutralität definieren und festhalten wolle. Als Teil der Minderheit ergänzte Pirmin Bischof (mitte, SO) diesbezüglich, dass der Eindruck entstehen könne, dass die Gegnerinnen und Gegner der Initiative gar keine Neutralität mehr wollten. Dieser Kritik könne mit dem direkten Gegenentwurf begegnet werden.
Anschliessend stimmte die kleine Kammer mit 27 zu 15 Stimmen (1 Enthaltung) für Eintreten auf den Gegenentwurf von Benedikt Würth und damit gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit. In der Gesamtabstimmung stimmte der Ständerat mit 33 zu 9 Stimmen (1 Enthaltung) für den Entwurf. Während sich in der ersten Abstimmung neben Mitgliedern der SP und der Grünen auch Personen aus der FDP für den Antrag der Mehrheit aussprachen, waren es in der Gesamtabstimmung nur noch Vertreterinnen und Vertreter der Grünen und der SP. Danach stimmte der Ständerat mit 35 zu 8 Stimmen dafür, die Volksinitiative zur Ablehnung und den Gegenentwurf zur Annahme zu empfehlen, womit erneut die Minderheit Würth obsiegte – in diesem Fall gegen einen Antrag Germann, der zusätzlich auf Annahme der Volksinitiative plädierte, bei Doppel-Ja aber dem Gegenentwurf den Vorzug geben wollte. Für den Antrag Germann stimmten die Mitglieder der SVP-Fraktion sowie ein Mitglied der SP.
Dossier: Definition der Schweizer Neutralität